Alexandre Dumas / Marc Gruppe – Der Werwolf (Gruselkabinett 20)

Wolfsgeheul und die Überlistung des Teufels

Frankreich 1779. Der Holzschuhmacher Thibaut wünscht sich nichts sehnlicher, als ein reicher Edelmann zu sein. In einer stürmischen Winternacht rettet er einem großen Wolf, der vom Wolfsjägermeister Baron Jean de Vez und seinen Schergen gehetzt wurde, das Leben. Thibaut staunt nicht schlecht, als das gewaltige Tier sich in seiner Hütte urplötzlich in einen Menschen verwandelt und ihm ein verlockendes Angebot macht …

Der Autor

Alexandre Dumas père lebte von 1802 bis 1870. Zusammen mit diversen Koautoren schuf er buchstäblich Hunderte von Werken, darunter „Die drei Musketiere“ (1844) und „Der Graf von Monte-Christo“ (1846). Die vorliegende Werwolfgeschichte ist eine Verarbeitung seines Romans „Le Meneur des loups“ aus dem Jahr 1857 (übersetzt 1904 als „The Wolf-Leader“).

Die Sprecher / Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Thibaut: Thomas-Nero Wolff (u. a. dt. Stimme von Hugh ‚Wolverine‘ Jackman)
Agnelette: Uschi Hugo (Tara Reid, Julie ‚Darla‘ Benz in „Buffy“ & „Angel“)
Baron Jean de Vez: Marco Kröger (Liev Schreiber, Vin Diesel)
Abbé Fortier: Roland Hemmo (Brendan Gleeson)
Nepomuk Magloire: Wilfried Herbst (‚Morty Seinfeld‘)
Der große Wolf: Lutz Riedel (Timothy Dalton, Richard Gere)
Jäger Marcotte: Tommy Morgenstern (Dominic Monaghan in „Lost“)
Madame Polet: Tanja Geke (Maggie Gyllenhaal, Judy Greer, Tamara Taylor in „Lost“)
Susanne Magloire: Cathlen Gawlich (Jaime King, Amy ‚Fred‘ Acker in „Angel“)
Jäger Engoulevent: Uwe Büschken (Hugh Grant, Matthew Broderick)
Vetter Landry: Nicola Devico Mamone (Diego Luna)
Sergeant: Jochen Schröder (James Cromwell, Lionel ‚Max‘ Stander in „Hart aber herzlich“)

Marc Gruppe schrieb wie stets das Buch und gemeinsam mit Stephan Bosenius setzte er es um. Die Aufnahme fand bei Rotor Musikproduktion und bei Kazuya statt. Die Illustration stammt von Firuz Askin.

Handlung

Im Jahr 1780 erhält der Abbé Fortier des Klosters von Vollaires-Cotteret in einer Gewitternacht ungewöhnlichen Besuch. Es ist sein ehemaliger Schüler Thibaut, und Abt Fortier freut sich über das Wiedersehen. Er fordert den jungen Mann auf, seine nassen Kleider auszuziehen, damit sie am Kaminfeuer trocknen können, doch zu seiner Verwunderung lehnt Thibaut ab: Er wollte seine Schande nicht sichtbar werden lassen, sagt er. Welche Schande? Thibaut will beichten, was im letzten Jahr geschehen ist und um Vergebung seiner Sünden bitten.

Ein Jahr zuvor lebte Thibaut im Wald und fristete sein Leben als Holzschuhschnitzer, obwohl er doch eine gute Ausbildung im Kloster genossen hatte. Weil ihn die Ständeordnung keinen besseren Beruf ergreifen lässt, hegt er einen Groll gegen die besseren Herrschaften, besonders aber gegen den Baron Jean de Vez. Diesem gehört nämlich der Wald, in dem Thibaut lebt, und er nutzt sein Jagdvorrecht weidlich aus.

Der Baron triezt Thibaut einmal zu oft, doch als sich Thibaut rächen will und bei einem Jagdfrevel erwischt wird, lässt ihn der Baron auspeitschen. In seiner Not ruft Thibaut den Teufel an, doch statt dessen ist es das Mädchen Agnelette (= Lämmchen), das beim Baron um Thibauts Leben fleht. Als Preis für dessen Leben verlangt der Baron einen Kuss von dem Mädchen, das allein mit seiner Großmutter im Wald lebt. Agnelette kann sich nicht weigern, denn Barone sind Herren über Leben und Tod, doch eine Einladung aufs Schloss lehnt sie ab. Nachdem die Jäger fortgeritten sind, schwört Thibaut Rache, doch Agnelette ermahnt ihn, vom Pfad des Guten nicht abzuweichen. Er schwört, sie zu heiraten und bekommt zum Abschied einen Kuss, aber er hält sich nicht an sein Wort.

Als er heimkehrt, steht der Hirsch, den er jagte, in seinem Stall. Geradezu ein Geschenk Gottes, denkt Thibaut, doch da humpelt ein großer schwarzer Wolf verletzt in seine Hütte, der sich zu verwandeln beginnt: ein Werwolf! Der Mann, der erscheint und von Thibaut Wasser bekommt, behauptet, er habe ihm den Hirsch geschickt. Er soll ihn freilassen, damit der Hirsch die Hunde des Barons von der Spur des Werwolfs ablenke. Thibaut verlangt einen Preis für sein Entgegenkommen. Der Werwolf behauptet, er können Wünsche in Erfüllung gehen lassen, die anderen Schaden zufügen. Es sei nur ein kleiner Preis, dass für jeden erfüllten Wunsch ein Haar an Thibauts Körper wachsen werde, also was sei schon dabei? (Natürlich ist ein Haken dabei.) Thibaut sieht die Gelegenheit zur Rache gekommen und tauscht mit dem Mann die Ringe, um den Pakt zu besiegeln. Der Mann verwandelt sich zurück in einen Wolf, und Thibaut lässt den Hirsch frei. Beide Tiere verschwinden im Wald.

Nun beginnt für Thibaut eine herrliche Zeit, denn in der Tat geht alles in Erfüllung, was er anderen an Unglück und Schaden wünscht. Agnelette jedoch erkennt, dass er sich mit schwarzer Magie eingelassen hat, und scheut seine Nähe. Er wünscht sich daher, die reiche Müllerin Poulet zu heiraten, doch zu seinem Erstaunen verschmäht sie ihn und nennt ihn sogar einen Werwolf. Na, wenigstens hat er jetzt die Gesellschaft der Wölfe, die ihm aufs Wort gehorchen und ihm Wildbret erjagen, das er an die Gastwirte der Umgegend gewinnträchtig verkauft. Unterdessen wachsen die Haare an seinem Körper munter weiter …

Neu ausstaffiert, wagt sich Thibaut auf ein ländliches Fest, wo es nicht lange dauert, bis er einen wohlhabenden Narren und dessen Gattin kennenlernt. Nepomuk Magloire hat in der Tat eine entzückende Frau, doch zu seiner Erbitterung muss Thibaut feststellen, dass sie nachts, wenn ihr Alter seinen Rausch ausschläft, einen Lover empfängt. Er beschließt, den beiden das Vergnügen zu versalzen, um selbst bei Madame zum Zug zu kommen. Doch die Sache endet völlig anders als erwartet und bedeutet den Anfang vom Ende für Thibaut.

Mein Eindruck

Der Produzent Marc Gruppe scheint eine Vorliebe für Teufelspakte zu haben. Auch [„Der Freischütz“ 3038 schildert eine solche verhängnisvolle Verwicklung. Thibaut lässt sich mit Satan ein, der in keiner anderen Gestalt als dem großen Werwolf auftritt. Der Leser weiß genau, dass sich Thibaut ebenfalls endgültig in ein solch böses Wesen verwandeln wird, sobald er seinen letzten Wunsch getan hat und sein Körper vollständig von Fell bedeckt ist. (Was uns dann doch die Frage stellen lässt, wie der Abt ihn dann erkennen konnte.)

Doch bis es so weit ist, muss Thibaut eine Menge über sich selbst und die Menschen lernen. Immer wieder scheitern seine Pläne vor dem Erreichen des endgültigen Ziels, und allmählich sollte er sich eigentlich fragen, ob er nicht etwas falsch macht. Spätestens dann, als die geliebte Agnelette, die Verkörperung von Güte und Unschuld, statt seiner den Jägermeister des Barons heiratet. Mehrfach redet sie ihm ins Gewissen, doch sein Rachedurst ist stärker. Schließlich wünscht er sogar den Tod von Agnelettes Gatten, doch dadurch verliert er nur sie selbst, die an einer schweren Krankheit stirbt.

Doch wie lässt sich der Teufel überlisten, fragt sich Thibaut kurz vor der Erfüllung der List, die der Werwolf alias Teufel angewandt hat, also kurz bevor er sich selbst in einen Werwolf, einen auf ewig verdammten Untoten, verwandelt. Gut möglich, dass er als Werwolf den Befehlen des Teufels Folge leisten muss. Um dieses üble Schicksal zu vermeiden, ist er zu seinem alten Lehrer gekommen. Thibaut hat noch einen Wunsch frei, bevor alles aus ist, um seine Seele zu retten und noch etwas für Agnelettes Seelenheil zu bewirken. Doch worin dieser Wunsch besteht, soll hier nicht verraten werden.

Die Geschichte ist gar nicht so einfach gestrickt, wie man es vielleicht von einem Sujet für einen Groschenroman erwarten würde. Im Gegenteil ist lange Zeit nicht klar, wo die Sympathie des Autors liegt: Hält er es nun mit dem künftigen Werwolf oder will er den Leser vor dessen unglückseligem Schicksal warnen? Wie sich herausstellt, ist beides der Fall: die Warnung wie auch die finale Rettung des gefallenen Menschen. Dass hier nicht schwarzweiß gemalt und die Hauptfigur gleich von vornherein verdammt wird, fand ich sehr positiv. Die hinausgezögerte Entscheidung über Thibauts Schicksal, die erst ganz am Schluss deutlich wird, trägt auch erheblich zur Spannung der Geschichte bei. Ich könnte mir gut vorstellen, sie noch zwei- oder dreimal erneut zu goutieren.

Ungewöhnlich fand ich auch die zahlreichen Anspielungen auf die sexuelle Attraktivität der Damen in dieser Geschichte. Da sind Agnelette, auf die der Baron scharf ist, sodann die Müllerin Poulet und schließlich Madame Magloire, welche sogar vor Thibauts Augen ihren Lover empfängt. Offensichtlich wusste der Autor sein zumeist männliches Publikum mit den geeigneten Zutaten zu unterhalten. Dass das Publikum männlich war, belegen auch die grausamen Szenen, in denen der Baron Thibaut auspeitschen lässt. So etwas wird heutzutage als ziemlich brutal empfunden, doch vor 150 Jahren dachte man sich wohl nichts dabei.

Die Inszenierung

Dies ist nicht nur Kino für die Ohren, sondern auch noch Hollywoodkino. Denn hier sprechen nicht irgendwelche Sprecher, sondern die deutschen Stimmen bekannter Stars der Filmgeschichte – siehe oben. Dass diese Profis eine solide Performance abliefern, versteht sich fast von selbst, und der Hörer kann entsprechend zufrieden sein. Insbesondere Lutz Riedel als Der große Wolf hat mich vollständig überzeugt. Den Teufel nimmt man ihm ohne weiteres ab. Riedel liest ja auch Lumleys „Necroscope“-Reihe.

Die Stimmen von Hugh ‚Wolverine‘ Jackman, Neve Campbell, Rowan Atkinson, Vin Diesel, Donald Sutherland, Richard Gere und viele weitere belegen nicht nur die hohe Qualität dieser Sprecherriege, sondern auch, welchen Aufwand das Studio und die Produzenten treiben, um eine wirklich gelungene Hörspielproduktion zu erzielen. Das Ergebnis kann sich in jeder Hinsicht hören lassen und braucht sich nicht hinter Mammutproduktionen wie „Frankenstein“ oder [„Dracula“ 3489 zu verstecken, die |Titania Medien| ebenfalls in diesem Jahr stemmte.

Solche geübten und prestigeträchtigen Sprecher und Sprecherinnen einzusetzen, gehört zum Marketing von Marc Gruppe bzw. |Titania Medien|. Hinzu kommen jeweils traditionsreiche Schauergeschichten, die den nötigen emotionalen Rahmen für die Entfaltung solcher Stimmtalente liefern. Zu Anfang waren es eher unbekannte Geschichten wie etwa Launs [„Totenbraut“, 1854 doch mittlerweile wagt sich Marc Gruppe an die Klassiker (s. o.) heran.

Musik und Geräusche

Die Geräusche sind genau die gleichen, wie man sie in einem realistischen Spielfilm erwarten würde, und die Geräuschkulisse wird in manchen Schlüsselszenen sehr dicht und realistisch aufgebaut. Man kann sich die Szenen im finsteren Wald, über dem ein Gewitter hängt, gut ausmalen, ebenso das Auftauchen der Großen Wolfs. Allerdings ging mir das ständige Geheul der Wölfe nach einer Weile doch ziemlich auf den Geist. Es war schon geradezu vorauszusehen, wann der Donner rollt und der Wolf heult.

Die Musik gibt sehr genau die vorherrschende Stimmung einer Szene wieder und ist mit klassischen Instrumentarium produziert – keine Synthesizer für klassische Stoffe! Die Musik steuert nicht nur die Emotionen des Publikums auf subtile Weise, sondern bestreitet auch die Pausen zwischen den einzelnen Akten. Dann stimmt sie das Publikum auf die „Tonart“ des nächsten Aktes ein.

Musik, Geräusche und Stimmen wurde so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

Das Booklet

… enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von |Titania Medien|. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher. Die Titelillustration von Firuz Akin fand ich wieder einmal sehr passend. Der Verlag empfiehlt sein Werk ab 14 Jahren.

Unterm Strich

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und Stimmen von Hollywoodstars einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Die Geschichte ist komplex, denn es geht nicht einfach um die Erfüllung eines Teufelspaktes, sondern vielmehr letzten Endes auch um die Vermeidung der letzten, teuflischen Konsequenz aus diesem Pakt. Die Prolog- und Epilogszenen bilden eine dramaturgische Klammer und zugleich einen Spannungsbogen. Der Hörer fragt sich, was denn am Schluss noch kommen könnte, damit sich Thibaut vor der Verdammnis retten kann. Worin sein letzter Wunsch besteht, soll hier jedoch nicht verraten werden. Selber hören!

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling. Wer jedoch mit Melodramatik absolut nichts am Hut hat, sich aber trotzdem zünftig gruseln will, der sollte zu härterer Kost greifen. Die Hörbücher der „Necroscope“-Reihe von Brian Lumley dürften eine ausreichend starke Dosis verabreichen.

78 Minuten auf 1 CD.
ISBN-13: 9783785733486
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http://www.titania-medien.de

_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)