Dunant, Sarah – Zeichen der Venus, Das

Florenz zum Ende des 15. Jahrhunderts, zur Zeit der Herrschaft der Medici: Die fünfzehnjährige Alessandra ist die Tochter eines reichen Tuchhändlers. Obwohl sie langsam zu einer jungen Frau heranwächst, benimmt sich Alessandra eher wie ein Junge. Das schlacksige Mädchen interessiert sich nicht für Männer, Bälle oder Kleider. Ihre große Leidenschaft gilt der Malerei. Zu gerne würde sie ihr Können verbessern, doch für eine Frau in dieser Zeit gibt es keine Chancen dafür. Während ihre ältere Schwester heiratet und bald ein Kind erwartet, sucht Alessandra nach jeder Gelegenheit, um sich heimlich neue Farben zum Üben zu besorgen.

Umso aufregender ist für das Mädchen, dass ihr Vater einen jungen Maler mit nach Hause bringt. Seine Aufgabe ist es, die Hauskapelle ihres Palazzos auszumalen. Alessandra erhofft sich, in dem hochbegabten Künstlern einen Lehrmeister zu finden und schleicht sich immer wieder zu seiner Behausung. Doch zu ihrer Enttäuschung verhält sich der junge Mann abweisend und reserviert. Zur gleichen Zeit gerät Florenz durch den Tod von Lorenzo de Medici in Aufruhr. Der erzkonservative Prediger Girolamo Savonarola prangert öffentlich den Verfall der Gesellschaft an. Die Medici werden aus der Stadt vertrieben und der französische König Karl VIII. hält Einzug.

Die florentinischen Bürger fürchten die strengen Gesetze, junge Frauen werden in aller Eile verheiratet oder ins KLoster gebracht. Auch Alessandra wird zu einer Hochzeit gedrängt. Ihr Gemahl ist der deutlich ältere Christoforos, ein undurchsichtiger, aber gelehrter Mann, der ihren Sinn für Kunst und Philosophie teilt. Noch ahnt Alessandra nicht, dass ihr Mann ein dunkles Geheimnis birgt, das sie beide bald in große Gefahr bringen wird. In all diesen Wirrungen kreuzt der geheimnisvolle Maler immer wieder ihren Weg. Wohin verschwindet er jede Nacht, warum benimmt er sich so abweisend? Was verbindet ihn mit den grausam ausgeweideten Leichen, die man in regelmäßigen Abständen in den Straßen findet? Alessandra sieht einem ungewissen Schicksal in einer unruhigen Zeit entgegen …

Das Florenz der Medici ist ein Paradeschauplatz für spannende Historienromane. Prunk und Grausamkeit, vollendete Kunstwerke und unmenschlicher Terror fließen zusammen an einem Ort. Vor diesem Hintergrund kreiert die Autorin ihren ersten historischen Roman, der trotz mancher Schwäche gut unterhält.

|Bunte Mischung an Charakteren|

Im Zentrum steht eindeutig die Ich-Erzählerin Alessandra. Zu Beginn ihres Berichtes ist sie knapp fünfzehn Jahre alt, die unbedarfte Tochter eines Tuchhändlers, die entweder im falschen Körper oder zur falschen Zeit geboren wurde, da ihre Interessen deutlich mehr in die männliche Richtung weisen. Malerei ist ihre Leidenschaft; für Kosmetik oder andere weibliche Gebiete fehlt ihr der Sinn. Als Kind wie als heranwachsende Frau kennzeichnen sie Ehrlichkeit und Offenheit sowie eine scharfe Intelligenz, die man von ihren Geschlechtsgenossinnen nicht gewohnt ist. Es ist nicht schwer, in Alessandra eine Sympathiefigur zu sehen, der man gerne Erfolg auf ihrem Lebensweg wünscht und deren Schicksal uns im weiteren Verlauf immer stärker berührt.

Auch andere Charaktere sind anschaulich und gelungen dargestellt; angefangen bei ihrer schwarzen Sklavin Erila, die für Alessandra eine enge Freundin und mütterliche Beschützerin bedeutet und die mit ihrer lockeren Zunge gerne für humorvolle Szenen sorgt; ihre älteren Brüder Luca und Tomaso, die ihr beide übel mitspielen, jeder auf seine Art – Luca als religiöser Eiferer und Tomaso als leichtlebiger Opportunist, der Alessandra später noch viel größeren Kummer bereiten wird, als sie je geahnt hätte; ihre ältere Schwester Plautilla, eine mollige, frauliche und familienorientierte junge Dame, die sich trotz gegenteiliger Einstellungen gut mit Alessandra versteht; der geheimnisvolle Maler, bei man lange Zeit nicht weiß, wie man ihn einzuordnen hat, und nicht zuletzt Alessandras Ehemann Christoforo, der mal ein sympathisches Wesen und mal Zwielichtigkeit ausstrahlt.

|Spannung auf mehreren Ebenen|

Dass die Autorin urspünglich als Kriminalschriftstellerin aktiv war, merkt man daran, dass eine durchgehende Spannung den Roman durchzieht. Gleich in mehrfacher Hinsicht wird der Leser gefesselt und verfolgt gebannt die Entwicklungen, die zudem nicht vorhersehbar sind:

Da ist zunächst natürlich Alessandras Zukunft als Ehefrau. Ihre Heirat geschieht aus purer Not und nicht aus Liebe, ihr Gemahl ist ein Fremder von fast fünfzig Jahren, über den selbst die Familie nur wenig zu berichten weiß, und bis auf die gemeinsame Liebe zur Kunst erkennt Alessandra keine Gemeinsamkeiten. Zwar ist die junge Frau einerseits erleichtert, dass ihr kein Leben im Kloster blüht, da sie um keinen Preis auf ihre Freiheit verzichten will. Doch vor allem ist sie unsicher und verängstigt, was sie in ihrer Ehe erwarten wird.

Alessandra ist komplett unwissend über Männer und die Aufgaben einer Ehefrau; eben noch ein burschikoses Kind, das die Eltern oft zur Verzweiflung brachte, muss sie nun einen Haushalt führen und einem älteren Mann eine treusorgende Ehefrau sein. Doch schon kurz nach der Hochzeit stellt sich heraus, welches dunkle Geheimnis ihr Mann gehütet hat. Für Alessandra ist es nicht nur in persönlicher Hinsicht schwer, mit dieser neuen Erfahrung umzugehen, sondern sie hat auch berechtigte Angst, dass dieses Geheimnis ihre Zukunft gefährdet in jener Zeit, in der die Gesetzeslage hart und unerbittlich ist.

Lange Zeit im Unklaren wird man auch über ihr Verhältnis zum schweigsamen Maler gelassen. Mal schwebt Sympathie zwischen ihnen, mal ist Alessandra voller Bewunderung für sein Können, doch die meiste Zeit über zieht er sich zurück, und ebensowenig wie Alessandra vermag der Leser seinen Charakter einzuschätzen. Im späteren Verlauf verfällt er in eine Krankheit, er verweigert die Nahrung und verletzt seine kostbaren Hände, und erst zu diesem Zeitpunkt gelingt es Alessandra, sein Schutzschild zu durchbrechen und zu seinem wahren Wesen durchzudringen. Obwohl sie ihn oft für Monate nicht zu Gesicht bekommt, streift er als verwandte Künstlerseele in ihren Gedanken umher.

Zur gleichen Zeit sorgen die unheimlichen Morde in der Stadt für Unruhe, und Alessandra hat zu ihrem Entsetzen Grund zur Annahme, dass ihr verehrter Künstler in diese Ereignisse verwickelt ist. Auch hier darf man gespannt sein, welche Rolle er in diesen grausamen Entwicklungen spielt. Eine durchgängige Spannung besteht außerdem durch die äußeren Einflüsse. Alessandra lebt in einer Zeit des Umbruchs, in der niemand weiß, wer ihre Stadt am nächsten Tag regiert und welche neuen Gesetze erlassen werden. Sowohl in privater als auch in politischer Hinsicht lastet schwerer Druck auf der jungen Frau, die sich ein ums andere Mal gegen widrigste Umstände bewähren muss.

|Kleine Mankos|

Zu den Schwächen des Buches gehört die mangelnde Erfahrung der Autorin mit historischen Romanen. Obwohl die schillernde Gegensätzlichkeit des damaligen Florenz gut eingefangen wird, fehlt es an tiefer gehenden Informationen zur Geschichte. Gegen Ende werden die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ausführlicher geschildert, doch zu Beginn des Romans herrscht in dieser Hinsicht Mangelware vor. Wer nie zuvor ein Werk aus dieser Zeit gelesen oder sich mit den Hintergründen befasst hat, dürfte leicht überfordert werden von den Namen, die beim Leser vorausgesetzt werden. Verschiedene Vertreter der Medici-Familie, die Enstehung und Entwicklung der italienischen Kriege, die Hetzpredigten des Dominikanermönches Savonarola und seine Auseindersetzungen mit Papst Alexander VI. werden zu Beginn kaum erläutert, was es unter Umständen ein wenig schwer macht, sich ganz auf diese Epoche einzulassen.

Ein kleines Manko liegt auch in Alessandras Persönlichkeit. Zwar ist sie eindeutig eine sympathische Protagonistin, doch dafür wenig originell gezeichnet. Nur zu gerne verwenden Autoren in Historienromanen kluge und eher unweibliche Frauen als Hauptfiguren, die durch ihre männlichen Interessen in einer frauenfeindlichen Zeit diskriminiert werden und sich mühsam durchsetzen müssen. Glücklicherweise verfällt Sarah Dunant nicht in das Klischee, ihre Protagonistin als Mann zu verkleiden, aber auch die Figur der intellektuellen und jungenhaften Frau, die sich mehr auf ihre Griechischkenntnisse als auf Schönheitspflege konzentriert, kennt man aus zahlreichen anderen Romanen dieser Art. Ein wenig schade ist zudem, dass die eingeflochteten Serienmorde nicht so wichtig für die Handlung sind, wie es zeitweise suggeriert wird – auf keinen Fall darf der Leser nach der Erwähnung der ersten Morde auf eine kriminalistische Nebenhandlung warten, sonst wird er höchstwahrscheinlich enttäuscht.

_Insgesamt_ bietet sich hier vor allem weiblichen Lesern ein interessantes Porträt einer mutigen jungen Frau, die sich in einer gefährlichen Zeit bewähren muss, vor dem schillernden Hintergrund des Florenz der Renaissance. Trotz kleiner Schwächen, vor allem in Bezug auf die zu spärlichen Informationen zur Historie, eignet sich der Roman für unterhaltsamen und spannenden Lesegenuss.

_Die Autorin_ Sarah Dunant wurde 1950 in London geboren. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit war sie auch als Journalistin aktiv. Bisher verfasste sie Kriminalromane, seit kurzem auch Historienromane. Werke von ihr sind u. a.: „Der Baby-Pakt“, „Mit Haut und Haaren“, „Nachts sind alle Katzen grau“ und „Als Anna verschwand“.

http://www.luebbe.de

Schreibe einen Kommentar