Duve, Karen – Taxi

Manch einer mag noch immer das Vorurteil hegen, dass es nicht gutgehen kann, wenn eine Frau am Steuer sitzt. Die Protagonistin von Karen Duves neuestem Roman „Taxi“ dürfte sich noch des Öfteren mit diesem Vorurteil konfrontiert gesehen haben. Schließlich spielt „Taxi“ mitten in den Achtzigerjahren. Taxifahren war hier noch stärker eine Männerdomäne als heute, auch wenn die Anzeige, auf die Protagonistin Alex sich bewirbt, ausdrücklich auch an Frauen gerichtet ist – allerdings wohl mehr aus der Verzweifelung heraus, dass man so gut wie jeden einstellen würde …

Für Alex beginnt mit dieser Anzeige eine Ära als Taxifahrerin auf den Straßen Hamburgs. Das bedeutet für Alex Herwig gleichzeitig den lang ersehnten Aufbruch zu neuen Ufern. Hockte sie vorher noch mit ihrem Bruder zusammen in der unbeheizten Gartenlaube ihrer Eltern, als schwarzes Schaf in einer spießigen, langweiligen Familie, scheint ihre ziellose Jugend beendet, deren bisheriger Tiefpunkt wohl die abgebrochene Ausbildung im Versicherungswesen darstellte. Nun startet sie in die Freiheit – zumindest glaubt sie das.

Nachdem sie wochenlang Straßennamen gebüffelt hat, hält Alex, nicht zuletzt dank eines gnädigen Prüfers, endlich den Taxischein in Händen. Vom ersten selbstverdienten Geld folgt schon bald die eigene Wohnung, doch vom Leben hat sie eigentlich nicht sonderlich viel. Nacht für Nacht ist sie auf den Straßen Hamburgs unterwegs, verschläft dadurch die Tage und fängt, ohne es eigentlich zu wollen, eine Beziehung mit Taxi-Kollege Dietrich an.

Bei den übrigen Kollegen hat sie keinen leichten Stand: verklemmte Frauenhasser, Scheinstudenten, Möchtegernschriftsteller und Halbintellektuelle – das ist grob betrachtet das Umfeld, mit dem Alex irgendwie tagein, tagaus klarkommen muss. Dietrich ist da auch nicht immer hilfreich, hat sie doch den größten Zwist stets mit Dietrichs bestem Freund Rüdiger, der ein pseudointellektueller Frauenhasser ist. Doch Alex hinterfragt all das nicht, ist Nacht für Nacht viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Fahrgäste zu hassen, als dass sie etwas an ihrem Leben ändern würde.

Und so wird es eine sehr lange und beschwerliche Reise, die Alex aufnehmen muss, um irgendwann sich selbst zu finden. Ihr Weg ist gepflastert mit unheilvollen Männerbekanntschaften, kleinwüchsigen Psychologiestudenten und haarsträubenden und bizarren Erlebnissen auf den nächtlichen Taxitouren.

Nachdem [„Die entführte Prinzessin“ 1085 eine faszinierende, wenngleich auch sehr ungewöhnliche Leseerfahrung für einen Duve-Roman war, geht es mit „Taxi“ wieder mehr zurück zu den Wurzeln. Sogar ziemlich direkt zurück zu den Wurzeln, denn „Taxi“ hat stärkere autobiographische Züge als irgendein anderer Duve-Roman zuvor. Karen Duve ist selbst jahrelang in Hamburg Taxi gefahren. Ihre Protagonistin lässt sie mit genau jenem Taxi der Nummer „Zwodoppelvier“ fahren, in dem auch sie in den Achtzigern durch Hamburgs Straßen gekurvt ist.

Dennoch ist „Taxi“ alles andere als eine Autobiographie. Es mag Parallelen geben, und wie weit die genau reichen, vermag wohl nur die Autorin selbst zu sagen, dennoch ist der Roman ein fiktionales Werk. Alles in allem klingt das im ersten Moment noch sehr unspektakulär. Eine Frau, die Nacht für Nacht Taxi fährt und von ihren Erlebnissen mit ihren verkorksten Fahrgästen berichtet, um sich dann nach Feierabend ihrer noch viel verkorksteren Beziehung zu ihrem Freund Dietrich zu widmen – klingt bei bloßer Betrachtung des Inhalts wenig unterhaltsam.

Aber wir haben es hier schließlich mit Karen Duve zu tun. Wenn der Verlag im Klappentext schreibt |“Taxi fahren können viele – doch grandios darüber schreiben kann nur Karen Duve“|, dann ist das keinesfalls bloß Lobhudelei zum Zwecke der Verkaufsförderung. Es steckt ein wahrer Kern in diesem Satz, denn Karen Duve ist in der Tat das große Kunststück geglückt, einen wunderbar unterhaltsamen Roman über etwas so alltägliches wie das Taxifahren zu schreiben.

Und das liegt allem voran an Duves eingängigem Erzählstil. Es braucht nicht viel Handlung, um von Karen Duves Romanen gefangen genommen zu werden, egal, ob man sich wie im Fall des [„Regenromans“ 1954 in der ostdeutschen Einöde befindet oder ob man wie bei „Taxi“ mit der Protagonistin durch die einsamen, nächtlichen Straßen Hamburgs düst.

Karen Duve ist eben eine großartige Erzählerin und eine äußerst genaue Beobachterin, die auch die alltäglichsten Dinge herrlichen treffend und pointiert zu erzählen weiß. Dabei springt sie nicht immer sanft mit ihren Figuren um. Auch Alex hat einiges zu erdulden, bis sie nach so mancher qualvollen Erfahrung irgendwann doch auf dem Weg zu sich selbst ist. Aber das ist ein harter und schmerzvoller Prozess, den Karen Duve schonungslos ehrlich und unbarmherzig dokumentiert.

Das zu lesen und den Entwicklungsprozess der Protagonistin nachzuvollziehen, ist dank Karen Duves erzählerischer Raffinesse ein echtes Vergnügen. Man kann zwar einiges an Alex oft nicht so ganz nachvollziehen, denn warum nimmt sie ihr Leben denn nicht mal endlich in die Hand, anstatt sich weiter jeden Tag über die frauenfeindlichen Sprüche der Kollegen, ihre Beziehungskatastrophe mit Dietrich und die Unerträglichkeit ihrer Fahrgäste zu mokieren. Man möchte Alex am liebsten einmal kräftig in den Hintern und damit aus ihrem trägen Trott heraus treten. Aber Karen Duve lässt Alex durch einen harten Lernprozess langsam reifen – und das auf äußerst lesenswerte Art.

Bleibt unterm Strich ein sehr positiver Eindruck zurück. Karen Duve hat mit „Taxi“ einmal mehr ihr großartiges Talent unter Beweis gestellt, und manch einer mag erleichtert darüber sein, dass sie nach ihrem Ausflug in fantastische Gefilde nun wieder in gewohnt belletristisches Fahrwasser eingeschwenkt ist. „Taxi“ ist in jedem Fall eine Empfehlung wert; ein äußerst lesenswerter Roman, der sehr stark von der pointierten und wohlakzentuierten Erzählweise der Autorin lebt. Wer Karen Duve noch nicht kennt, der sollte das schleunigst nachholen, denn sonst läuft er Gefahr eine der aktuell besten deutschen Autorinnen zu verpassen …

http://www.eichborn-berlin.de

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