Edmondson, Elizabeth – Lady Helenas Geheimnis

|Lake District, Nordengland im Jahr 1936. Eigentlich wollte sich Alix nie wieder unter die Fuchtel ihrer herrischen Großmutter begeben, die ihr die Jugend zur Hölle gemacht hat. Doch nun ist bald Weihnachten, Alix‘ Herz wurde gerade gebrochen und London erscheint ihr täglich trister und unerträglicher. Als sie dann hört, dass im Norden die Seen zufrieren und man dort Schlittschuh laufen kann ist, gibt es kein Halten mehr. Alix beschließt heimzufahren – auch weil sie endlich das Rätsel um den Tod ihrer Mutter lösen will. Lady Helena kam ums Leben, als Alix acht Jahre alt war und seitdem darf ihr Name im ehrwürdigen Gemäuer von Wyncrag kaum mehr erwähnt werden. Zu Hause angekommen, stößt Alix wieder auf eine undurchdringliche Mauer des Schweigens. Alix ist enttäuscht. Nicht einmal ihr vergötterter Zwillingsbruder Edwin will ihr helfen – er ist viel zu sehr in die aus Wien geflohene Musikerin Lidia verliebt, um Augen und Ohren für ein fünfzehn Jahre altes Geheimnis zu haben. Gut, dass Alix wenigstens in dem eleganten Weltmann Hal, der auf dem benachbarten Landsitz zu Besuch ist, einen Verbündeten findet. Die beiden jungen Leute ahnen nicht, dass ihre Wahrheitssuche auch einige böse Geister der Vergangenheit heraufbeschwört und ihr harmloses Detektivspiel ungeahnte Folgen hat …|

_Die Autorin:_

Ihr wundervoll beschreibender Stil ist Elizabeth Edmondson in die Wiege gelegt, denn die Autorin kommt aus einer Schriftstellerfamilie. Und nicht nur das. Ihr Roman spielt vor den Kulissen der eigenen Kindheit, in der sie die Ferien im Haus ihrer Großeltern an den Seen von Westmoreland verbrachte. Durch die Geschichten ihres geliebten Großonkels und Schnappschüsse vom winterlichen Treiben auf den zugefrorenen Seen des Lake District wurde Elizabeth Edmondson zu »Lady Helenas Geheimnis« inspiriert. Sie lebt heute in Italien und England, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

_Die Übersetzerin:_

Elvira Willems, geboren 1961, studierte Germanistik und Komparatistik (M.A.). Sie ist als Lektorin, Übersetzerin, Sachbuch-Autorin und Krimi-Herausgeberin tätig.

_Rezension:_

Elizabeth Edmondson ist es mit „Lady Helenas Geheimnis“ gelungen, den schmalen Grat zwischen Unterhaltung und Familiensaga mit Lokalkolorit und Zeitgeschehen zu beschreiten. Auf über 550 Seiten schildert sie unterhaltend und kurzweilig die Famliengeschichten der Richardsons auf Wyncrag und der Grindleys auf Grindley Hall. Zwei Familien und Anwesen, die miteinander verstrickt sind. Dabei wird die Geschichte der Richardsons von dem dunklen Schatten der Vergangenheit überdeckt.

Die Handlung wird von interessanten und starken Frauen geprägt. Da ist Alix Richardson, die zwar beruflich erfolgreich ist, aber ihre innere Mitte noch nicht gefunden hat. Sie steht im „Clinch“ mit der eigentlich starken Frau des Clans: ihrer Großmutter, die auch der Grund dafür war, dass Alix einige Jahre nicht die Weihnachtstage im Kreise der Familie auf Wyncrag verbrachte. Dabei verspürt Alix längst Sehnsucht nach ihrem Zwillingsbruder Edwin und ihrer jüngeren Schwester Perdita sowie danach, ihrem Leben, das einer sinnlosen Abfolge von Partys und Nachtclub-Blasiertheit gleicht, den Rücken zu kehren und ihrem Wunsch nach Wärme und einfacher, aufrichtiger Freundschaft nachzugeben. Hinzu kommt, dass Alix die verführerische Sentimentalität der Feiertage verspürt, der sie dann auch nachgeht und nach Wyncrag reist. Dort findet sie alles unverändert vor: Ihre tyrannische Großmutter beherrscht immer noch das Familiengeschehen. Am schlimmsten trifft es Alix‘ kleine Schwester Perdita, die von der Großmutter ständig bekrittelt und gedemütigt wird. Einzig Alix‘ Großvater scheint sich in seiner ruhigen Art gegen seine herrische Frau zu behaupten.

Alix‘ Zwillingsbruder Edwin hingegen liebt Lidia, eine Wiener Emigrantin, die ihn nicht so recht „erhören“ will. Zu der Zeit ist Alix noch der Meinung: |Die Liebe ist die Hölle, man sehnt sich so danach, und wenn es dann schief läuft, gibt es nichts auf der Welt, was bitterer schmeckt.| Darüber hinaus verspürt sie Eifersucht, als sie von Edwins Liebe zu der schönen Wienerin erfährt, die sich für Alix‘ Empfinden zwischen die Geschwister drängt, die als Zwillinge eine besondere Nähe verbindet.

Das Geheimnis des Todes überschattet die Familie Richardson. Da ist Jack, Alix‘ verstorbener Onkel, dem der Ruf anhaftet, ein rücksichtsloser Nichtsnutz und Frauenheld, der sich auch schon mal mit Gewalt das nahm, wonach ihn gelüstete, gewesen zu sein. Ebenso Alix‘ zu Tode gekommene Eltern und jüngste Schwester. Besonders den Unfalltod ihrer Mutter, deren Schönheit immer noch in aller Mund ist, umgibt ein Mysterium, dem Alix endlich auf die Spur kommen will. Ein Vorhaben, das bei ihrer Großmutter auf harsche Ablehnung stößt und in Alix die Frage aufwirft, was Lady Richardson zu verbergen hat.

Alix begegnet nun auch Hal Grindley wieder, dem Wechselbag seiner Familie, der mehr ist, als er zu sein scheint. Als junger Mann war er unsterblich in Alix‘ Mutter verliebt. Nun steht er Alix gegenüber und verspürt ambivalente Gefühle in sich – wie auch sie. Beide schwankten zwischen Interesse und Ablehnung füreinander, wobei die Sympathie allmählich wächst. Doch Alix verhält sich zögerlich, da sie weiß, |dass es nicht simpel ist, sich zu verlieben und danach bis an das Lebensende glücklich miteinander zu leben|.

Auch Hal bemerkt in seiner Familie Zerrüttung. Der eine oder andere ist dort in einer unglücklichen Ehe gefangen, die nur die Angst vor dem sozialen Stigma zusammenhält. Einzig Hals pfiffige siebzigjährige und verwitwete Tante Daphne bringt Leben und frischen Wind in das starre von Kalkül durchzogene Gefüge der Grindleys. Sie lebt im Ausland und schwärmt (zu Recht): |“Ich lebe im Ausland. Um gelenkig zu bleiben gibt es nichts Besseres als Wärme und Sonnenschein. Das Licht ist das großartigste Geschenk des Südens.“| Darüber hinaus gibt sie offen zu, sich gerne in der Gesellschaft junger Männer aufzuhalten, weil diese sie daran erinnern, wozu das Leben da ist.

Eines der Nebenthemen des Romanes ist auch der Faschismus, dessen Anziehungskraft aus Deutschland nach England dringt, weil er den Hoffnungslosen Hoffnung bietet. Das Hauptaugenmerk hat die Autorin aber eindeutig auf die Charaktere gelegt, was ihr merklich gelungen ist.

So stehen über allem die ungeklärten Fragen, was es mit Jack Richardsons Tod auf sich hatte, wie es zu dem mysteriösen Unfalltod von Alix‘ Mutter und jüngerer Schwester und ihrem Vater kam und was es mit jenem mysteriösen Jago Roberts auf sich hat, der sich im Ort einquartiert. Die Antworten darauf sind überraschend und erschreckend zugleich!

_Fazit:_ Ein spannender, liebevoll detaillierter Unterhaltungsroman, der einen Einblick in die englische Gesellschaft 1936 bietet und den ich wärmstens empfehlen kann!

http://www.rowohlt.de

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