Efinger, Marianne – Gottes leere Hand

_Inhalt:_

Als Wissenschaftsexperte ist die Meinung von Manuel Jäger stets sehr gefragt. Vor allem sein bester Freund Lothar schätzt Manuels Wissen und seinen belesenen Charakter und diskutiert oftmals bis in die Nacht hinein mit dem Enddreißiger. Doch soviel Achtung Manuel auch entgegengebracht wird, an seinem wohl größten Problem können selbst die meist ambitionierten Experten nichts ändern: Jäger leidet unter der Glasknochenkrankheit und hat in seinem bisherigen Leben schon hunderte Knochenbrüche über sich ergehen lassen. Auch seine aktuelle Erkältung scheint lediglich ein Routineablauf zu sein, die ihn auf Lothars Drängen hin jedoch vorsorglich ins Krankenhaus führt, wo er ein paar Tage beobachtet werden soll.

Doch der Aufenthalt im Marienhospital verändert Manuels Einstellung zum Leben radikal. Als ihm zum wiederholten Male schmerzlich bewusst wird, dass einem Menschen wie ihm nicht die gebührende Akzeptanz entgegengebracht wird und wahre Werte wie Menschlichkeit und Nächstenliebe vor allem an jenem Platz, an dem Menschen Unterstützung und Beistand zukommen soll, völlig außer Acht gelassen werden, fasst er einen folgenschweren Entschluss …

Auch Dagmar, lange Jahre als Krankenschwester im Marienhospital beschäftigt, gehen die Entwicklungen an ihrem Arbeitsplatz längst gegen den Strich. Der Idealismus des Personals ist nur noch eine Farce, kleine Grabenkämpfe belasten das Betriebsklima, und überdies werden berufliche Fehltritte immer wieder vertuscht und manipuliert – Hauptsache der makellose Ruf des Krankenhauses wird nach außen gewahrt. Ähnlich wie bei Manuel sind ihre Zukunftsgedanken ernüchternd. Und auch Dagmar beschließt, wenn auch spät, an ihrem Leben etwas Entscheidendes zu ändern …

_Persönlicher Eindruck:_

Der Pflege- und Allgemeinzustand in deutschen Krankenhäusern wird nicht erst seit gestern massiv beklagt – allerdings verzichten die entsprechenden Kräfte und Angestellten aus Ehrfurcht vor der Herabsetzung ihres Berufsbildes und möglichen Konsequenzen für ihre Anstellung zumeist darauf, die Realität nach außen zu tragen. Diese Form der Stagnation scheint Marianne Efingr nicht zu dulden. In ihrem Roman „Gottes leere Hand“ weist sie nicht nur in unterschwellig politischer, teils auch sehr zynischer Form auf die Art und Weise hin, wie man offenkundigen Sonderlingen und Abnormalitäten zumeist entgegentritt – und zeichnet dabei ein allzu finsteres Bild von Hospitalismus, Selbstaufgabe, Enttäuschung und Frustration.

Während die Autorin an der Oberfläche die Geschichte vom hochbegabten Manuel erzählt, der aufgrund seiner Glasknochenkrankheit schon viele Barrieren im Leben meistern musste, gräbt sie zeitgleich tiefer und stellt den Krankenhausalltag in einer sehr erschreckenden Weise dar. Da mobben sich Schwestern gegenseitig, weil sie mit dem verbliebenen Idealismus ihrer Kolleginnen nicht zurechtkommen und sich mit allerlei Vitamin B in höhere Positionen hieven wollen. Da werden medizinische Fehlgriffe heruntergespielt, als seien sie für den Gesundheitszustand der Betroffenen schier bedeutungslos. Und zuletzt wird dort ständig über den Kopf von Patienten hinweg entschieden, die sich nichts sehnlicher wünschen, als ihren Lebensabend im Kreise ihrer Lieben zu verbringen, dabei aber in ihrer Würde und der noch existenten Entscheidungsfreiheit derart krass beeinflusst werden, dass dem Leser Hören und Sehen vergeht.

Nichtsdestotrotz wirft Efinger einen sehr detaillierten Blick auf die Einzelschicksale ihrer Protagonisten und schildert in den jeweiligen Einzelfällen, inwieweit man den eigentlich unschuldigen Patienten ihr letztes Bisschen Menschlichkeit nimmt. Dies beginnt bereits bei der Beurteilung des Pflegezustandes, geht über plötzlich beschlossene Verlegungen und unüberlegte medikamentöse Eingriffe und reicht schließlich bis zu jenem Punkt, an dem die internen Kritiker mundtot gemacht werden.

Im Mittelpunkt bleibt Manuel, dessen Schicksal eh schon schwierig genug ist, der von seiner einzigen Geliebten aber unverhofft Abschied nehmen musste, als diese von einem alkoholisierten Autofahrer umgebracht wurde. In seiner Person wird all die Verzweiflung und Ernüchterung beschrieben, eine Form der Selbstaufgabe und der hoffnungslosen Akzeptanz seiner Situation wie derer im Krankenhaus, aber auch die Erfahrung, dass alles Drängeln und Hoffen eh zu nichts führt, da die medizinischen Fachkräfte lediglich in eine Maschinerie eingebunden sind, in der kein Systemfehler geduldet wird. In nur wenigen Tagen findet er für all das Bestätigung, was sein Leben außerhalb der Krankheit belastet hat und nimmt sich dabei jegliche positive Zukunftsaussicht mit seinem Entschluss, den Teil des Lebens, der wirklich lebenswert gewesen war, bereits gelebt zu haben.

Ihm gegenüber steht die privat chaotische, im Job aber stets motivierte Dagmar, die jeden Tag aufs Neue mit unglaublichen Entschlüssen konfrontiert wird, in ihrer Position aber nicht viel mehr ausrichten kann, als an bessere Zeiten zu glauben – trotz aller Rückschläge, die alleine der Wochenablauf an ihrem Arbeitsplatz bietet. Hinzu kommen Dagmars Kolleginnen, die größtenteils intrigant sind und sicherlich auch viele Klischees erfüllen müssen, um dem sarkastischen Blick auf die Szenerie Wirkung zu verleihen. Hier reicht die Spanne von der Manipulation von Beurteilungsbögen bis zur gnadenlos unfairen Gestaltung des Dienstplanes, lediglich zum Zwecke, aufbegehrende Schwestern in die Schranken zu weisen. Und all dies läuft unter dem Banner Gottes, des christlichen Trägers, der seinerzeit zum Bau des Marienhospitals führte.

Sofern man dieses Buch bereits verschlungen hat, darf man eigentlich nicht zu viele Details preisgeben, da man wirklich erleben muss, was Marianne Efinger hier zu Papier gebracht hat. Im Rahmen einer fiktiven Story hat sie so viel Abschreckendes geschaffen, so viele Enttäuschung in die Realität übertragen und eine Menge an oftmals verschwiegenen Fakten zusammengetragen, dass der Drang zum Idealismus zumindest noch bei denjenigen geweckt werden kann, die noch zum Kämpfen bereit sind. Zwar dient „Gottes leere Hand“ nicht ausschließlich dazu, anhand verschiedener erfundener Schicksale die Krankenhausrealität an den Pranger zu stellen. Doch die Sicht der Dinge ist sehr realistisch und wird auch in keiner Phase des Buches beschönigt, um in einem Maße Schadensbegrenzung zu betreiben, wo sie nicht angebracht ist. Für manchen wird der Inhalt stellenweise übertrieben anmuten – und dennoch ist es durch und durch lesenswert, was die Autorin hier zusammengefasst hat und sollte gerade denjenigen Mut machen, die seit Jahr und Tag als Pflegekraft gegen Mauern ankämpfen. Auch wenn man bezweifeln darf, dass dies die eigentliche Intention des Buches ist. Aber es ist ein absolut begrüßenswerter Nebeneffekt einer Geschichte, die sehr bewegend und zwischen den Zeilen auch sehr emotional ist!

|Gebundene Ausgabe: 377 Seiten
ISBN-13: 978-3937357409|
[www.bookspot.de]http://www.bookspot.de

Schreibe einen Kommentar