Aaron Elkins – Yahi. Wald der Toten [Gideon Oliver 2]

In einem Urwald des US-Staates Washington wird die Leiche eines Wanderers gefunden. Tatwaffe scheint ein jahrtausendealter Speer zu sein. Wer könnte ihn mit übermenschlicher Kraft geschleudert haben? Als weitere Opfer auftauchen, bittet das FBI den Anthropologen Professor Oliver um Hilfe … – Der zweite Roman der Gideon-Oliver-Reihe stellt eine Mischung aus Krimi- und Science-Thriller dar, wobei die Wissenschaft auch im Dienst einer Botschaft steht, die sich aus der belasteten Kolonialgeschichte Nordamerikas speist: Mit manchmal zu deutlich erhobenem Zeigefinger erzählt der Autor eine oft eher interessante als spannende Geschichte.

Das geschieht:

Im Olympic National Park, US-Staat Washington, geht die Angst um, denn im dichten Wald sind mehrere Menschen verschwanden. Als aktuell eine junge Frau vermisst wird, schaltet sich das FBI ein. Agent John Lau lässt den Wald absuchen. Dabei werden ein alter Indianerfriedhof, aber auch Knochen aus der Gegenwart entdeckt. Der zuständige Pathologe in der kleinen Stadt Quinault ist mit der Analyse überfordert, doch ein alter Freund, Professor Gideon Oliver, nimmt in der Nähe an einer archäologischen Grabung teil. Der berühmte Anthropologe hat das FBI schon mehrfach beraten und dabei sein erstaunliches Können unter Beweis gestellt. Die Presse liebt Oliver und nennt ihn den „Knochen-Detektiv“.

Oliver hilft gern. Bei der Untersuchung der Knochen macht er eine erstaunliche Entdeckung: In einem Wirbel steckt eine knöcherne Speerspitze, wie sie die nordamerikanischen Ureinwohner in der Steinzeit hergestellt haben! Dabei steht (angeblich) fest, dass in den feuchten, ungemütlichen Wäldern des Nationalparks niemals Indianer gesiedelt haben. Als die Überreste weiterer Wanderer zum Vorschein kommen, will Lau das unwegsame Gelände durchsuchen lassen.

Zuvor erforscht Oliver mit Park Ranger Julie Tendler den Wald. Sie stoßen auf das Lager eines Indianerstammes, der eigentlich seit ausgestorben ist. Die Yahi waren einst in Kalifornien beheimatet, wurden dort unbarmherzig von den weißen Siedlern verfolgt und zogen sich in die dichten Wälder des Nordens zurück. Oliver möchte das alte Unrecht wiedergutmachen. Bevor das FBI in den Wald vordringt, begibt er sich heimlich auf die Suche nach den Yahi. Doch der unerfahrene Stadtmensch gerät rasch in Schwierigkeiten, denn der Olympic National Park verbirgt nicht nur die Yahi, sondern auch unerwartete Gefahren, die Oliver einige lebensgefährliche Überraschungen bescheren …

Lebendige Vergangenheit trifft überraschte Gegenwart

Aaron J. Elkins schuf die Figur des Universitätsdozenten und „Knochen-Detektivs“ Gideon Oliver 1982 während einer der weniger glücklichen Phasen seiner bewegten beruflichen Laufbahn. „Yahi“ ist der zweite Band der Serie. Das ist bei der Lektüre zu berücksichtigen, denn es lässt sich auch in der Übersetzung erkennen, dass hier ein Autor schreibt, der sich zwar seines Talents, aber (noch) nicht seiner schriftstellerischen Fähigkeiten sicher ist.

Das beeinträchtigt zunächst nicht das Vergnügen an einem Roman, der durch einen ausgefallenen Plot und ungewöhnliche Schauplätze zu gefallen weiß. Womöglich sollte man „Yahi“ nicht als Kriminalroman, sondern als „ethnologischen Thriller“ bezeichnen. Aus der Konfrontation der ‚Zivilisation‘ mit den mehr oder weniger archaischen „Ureinwohnern“ dieser Welt und ihren oft fremdartigen Sitten und Bräuchen schlugen schon viele Schriftsteller literarische Funken. Der Kriminalroman bietet sich da besonders an, bilden Verständnisschwierigkeiten, Missverständnisse und vermeintliche oder tatsächliche Kränkungen doch einen Humus, auf dem Gewalt und Verbrechen prächtig gedeihen.

Die Liste der gern auch in Serien agierenden Ethno-Krimihelden ist daher entsprechend lang; als klassisches Beispiel seien Arthur W. Upfield (1890-1964) und sein australischer Aboriginal-Inspektor Napoleon „Bony“ Bonaparte. Seit den 1980er Jahren fanden Ethno-Krimis – nicht zuletzt im Sog der Esoterik- und New Age-Bewegung – verstärkt ihren Weg in die Buchläden. Heute bilden sie ein eigenes Subgenre mit eigenen Stars wie beispielsweise Tony Hillerman (1925-2008).

Zu gut für diese Welt

Von jener Meisterschaft, mit der Upfield und Hillerman die Begegnung von Kulturen schildern, ist Aaron Elkins in „Yahi“ allerdings ein gutes Stück entfernt. Er gehört zu jenen Vertretern des Ethno-Krimis, die sich der Ureinwohner als „edle Wilde“ bedienen – diese Formulierung wird hier mit Bedacht gewählt. Elkins‘ Indianer leben unschuldig und im Einklang mit der Natur wie ihre Vorfahren, und das unter erschwerten Bedingungen, wurden sie doch von schurkischen Bleichgesichtern aus dem Prärieland ihrer Väter in die tropfende Rheumahölle der nordamerikanischen Regenwälder verjagt.

Das schlechte Gewissen der ehemaligen europäischen Siedler gegenüber den betrogenen, verdrängten und fast ausgerotteten Ureinwohnern Amerikas ist verständlich. Artet die historische Aufarbeitung jedoch zu einer Heiligsprechung der Indianer aus – die man politisch korrekt als solche nicht mehr bezeichnen darf -, werden diese schon wieder nach dem Wunschbild ihrer ehemaligen Todfeinde und Bezwinger geformt.

Auch Gideon Oliver ist beinahe zu gut für diese Welt: ein genialer, aber stets bescheidener Gelehrter und liebenswert zerstreuten Professor, ein treuer Freund und nicht zuletzt ein Liebhaber und Lebensgefährte wie aus dem brachialfeministischen Bilderbuch – und somit ein ziemlicher Langweiler. Bereitwillig folgt der Leser Elkins immer dort, wo dieser Gideon Oliver über sein ureigenes Fachgebiet, die Anthropologie, dozieren und seine Ausführungen am Objekt verdeutlichen lässt. Hier bewegt sich der Autor sichtlich auf sicherem Terrain. Die Schlüsse, die der „Knochen-Detektiv“ zieht, sind logisch und gut nachzuvollziehen. Sie bringen die Handlung voran und sind wesentlich besser integriert als beispielsweise die TV-typischen Geisterblitze des fast vergessenen Dr. Quincy (von dem Elkins sich mit ziemlicher Sicherheit hat ‚inspirieren‘ ließ).

Krimigeschehen in krimifremden Umgebung

Gelungen ist Elkins auch die Schilderung der seltsamen Zeitgenossen, die das Geheimnis des Olympic National Parks lockt, nachdem das Verschwinden gleich mehrerer Wanderer bekannt wird. Neugierige Großstadt-Touristen, schießwütige Redneck-Sonntagsjäger, abgedrehte Alien- und „Bigfoot“-Fantasten – sie alle wollen die Gunst der Stunde und die Aufmerksamkeit der Presse nutzen, um sich ins rechte Licht zu setzen.

So überwiegt letztlich das Positive in „Yahi“. Hinzu kommt das Wissen, dass Gideon Oliver gemeinsam mit seinem geistigen Vater gereift ist. Das ist aufgrund der konfusen Veröffentlichungsgeschichte der Serie in Deutschland leider nur bedingt nachvollziehbar. In der Oliver-Chronologie klaffen gewaltige Lücken, die sich wohl nicht mehr füllen werden, da sich seit vielen Jahren kein Verlag mehr hierzulande für den „Knochen-Detektiv“ interessiert, der in den USA weiterhin neue Fälle löst.

1989 versuchte das US-Fernsehen = der Sender ABC sein Glück mit Gideon Oliver. Interessanterweise besetzte man die Titelrolle mit einem schwarzen Schauspieler (Louis Gossett, jr.). Siehe da – es funktionierte problemlos: Gideon Oliver in der Schilderung von Aaron Elkins ist kein fest umrissener Charakter, sondern eine Kombination publikumswirksamer Stereotypen, die sich ein fähiger Darsteller wie einen weichen Lederhandschuh überstreifen und zu Eigen machen kann. Das rettete die Serie nach fünf spielfilmlangen Episoden allerdings – obwohl entwickelt vom „Law-&-Order“-Schöpfer Dick Wolf – nicht vor dem Aus.

Autor

Aaron Elkins wurde am 24. Juli 1935 in New York City, Stadtteil Brooklyn, geboren. Er studierte zunächst Kunst am Hunter College in Manhattan (Bachelor-Abschluss 1956) und wechselte zur University of Wisconsin, dann zur University of Arizona und zur California State University (Los Angeles), die er mit einem Master-Abschluss verließ. An der University of California (Berkeley) erwarb Elkins 1976 einen Doktorgrad in Erziehungswissenschaften.

Als Schriftsteller war Elkins ein Nebeneinsteiger. In einem Karrieretief entstand 1982 der Kriminalroman „Fellowship of Fear“, der zugleich das Debüt des Anthropologen und Hobby-Detektivs Gideon Oliver darstellte. Für den vierten Band („Old Bones“, dt. „Alte Knochen“) wurde Elkins 1988 mit einem Edgar Award für den besten Kriminalroman ausgezeichnet. Elkins kreierte weitere, allerdings kurzlebige Serien. Gemeinsam mit seiner Gattin Charlotte Elkins schreibt er seit 2013 eine neue Serie um die Kunstexpertin Alix London, die immer wieder in Kriminalfälle verwickelt wird.

Taschenbuch: 267 Seiten
Originaltitel: The Dark Place (New York : Walker & Company 1983)
Übersetzung: Sigrid Ruschmeier
http://www.aaronelkins.com

eBook: 2241 KB [Kindle]
ISBN-13: 978-3-9456-8426-9
http://www.spraybooks.com

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