Ellis, Bret Easton – Lunar Park

Auf seiner aktuellen Homepage dupliziert sich Skandalautor Bret Easton Ellis selbst. Durch sein Gesicht verläuft ein Riss; links und rechts können zwei verschiedene Vita zu ein und derselben Person eingesehen werden. Schnell wird deutlich, dass eine der beiden nicht ganz der Realität entsprechen kann – die Frage lautet nur: Welche? Was hier auf einer visuellen Ebene dargestellt wird, spiegelt bereits die Struktur seines neuen Romans „Lunar Park“ wieder.

Erfolgreiche Autoren stecken in einem ähnlichen Dilemma wie erfolgreiche Bands: Werden diese von Album zu Album immer progressiver, verschrecken sie eventuell ihre alten Fans. Sind die Unterschiede zwischen den Alben hingegen marginal, ist schnell von „Selbstkopie“ und „Ideenlosigkeit“ die Rede. Auch Ellis hatte mit seinem Debütroman [„Unter Null“ 2026 Neuland betreten, aber sowohl Stil als auch Thematik (schöne, gelangweilte Yuppies, die sich mit Sex und Drogen über ihr sinnloses Leben hinwegtäuschen wollen) wiederholten sich auch in den Folgeromanen. Zwischen „American Psycho“ und „Glamorama“ schien zuletzt nur noch der Wechsel der Dekade eine Neuerung darzustellen. Schlecht ist dieser Roman beileibe nicht, aber eben auch nicht innovativ. Es stand also durchaus zu befürchten, dass auch Ellis‘ nächster Output ein „Unter Null vol. 6“ werden würde.

Zum Glück scheint Ellis diese Problematik selbst erkannt zu haben, denn sein neues Werk bricht völlig mit „Glamorama“ & Co. „Lunar Park“ ist indes nicht nur ein Roman, sondern auch eine fiktive Autobiographie mit realen Versatzstücken. Noch nie hat Ellis seinen Figuren ein derart komplexes Innenleben verliehen. Es ist zugleich der erste Roman von Ellis, welcher in der Vergangenheit erzählt wird. Bereits nach kurzer Lektüre wird deutlich: Diesmal geht es Ellis um echte Emotionen.

Der kalte Hass aus seinen früheren Werken scheint dabei einer gemütlichen Resignation gewichen zu sein: Starautor Bret Easton Ellis durchlebt, nachdem sein früher Ruhm ihn von seinem tyrannischen Vater emanzipiert hat, eine Sinnkrise. Die Oberflächlichkeit seiner Protagonisten spiegelt sich in seinem eigenen Lifestyle wider. Drogenexzesse, prestigeträchtige Bekanntschaften mit Prominenten und selbst die eigenen Lesereisen geben ihm nichts mehr. Da entsinnt er sich der attraktiven Schauspielerin Jayne, mit der er vor etlichen Jahren einen Sohn gezeugt hat. Damals hat er die Verantwortung nicht tragen wollen, aber nun sieht er in dieser Option einen Rettungsanker. (Spätestens hier gewinnt die Fiktion überhand, da Ellis im wirklichen Leben nie Vater wurde und zudem Männer zu bevorzugen scheint.)

Jayne verzeiht ihm, sie heiraten und besorgen sich ein Familienhaus in einem ruhigen Vorort. Ellis erhält eine Dozentenstelle bei einer Universität und versucht sich daran, seine Frau und seinen Sohn Robby kennen zu lernen. (Konflikte sind dabei natürlich vorprogrammiert.) Parallel dazu verdichten sich Anzeichen dafür, dass es im Haus und in Ellis näherer Umgebung spukt: Möbel verändern über Nacht ihre Position, Robbys Spielzeug „Terby“ scheint ein Eigenleben zu entwickeln, Kinder verschwinden in der Nachbarschaft und der PKW von Ellis` verstorbenem Vater taucht immer wieder auf.

Außerdem meint Ellis, seinen berüchtigtsten Protagonisten – Patrick Bateman – wirklich gesehen zu haben. Diese Figur ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Person Bret Easton Ellis. Wer „Lunar Park“ wirklich verstehen will, sollte daher mindestens [„American Psycho“ 764 zuvor gelesen haben. Patrick Bateman spiegelt nicht nur die seelischen Abgründe seines Schöpfers wider, er hat auch dafür gesorgt, dass Ellis mit extremen Anfeindungen (teilweise sogar Morddrohungen) konfrontiert wurde. In „Lunar Park“ zieht Ellis daher für alle, die „American Psycho“ nicht verstanden haben, Bilanz:

|“[Niemand] draußen in der wirklichen Welt war so verrückt und grausam wie diese Kunstfigur. Davon abgesehen war Patrick Bateman ein notorisch unglaubwürdiger Erzähler, und wenn man das Buch tatsächlich las, konnten einem durchaus Zweifel kommen, ob die geschilderten Verbrechen wirklich passiert waren. Es gab genügend Hinweise, dass sie nur in Batemans Phantasie existierten. Die Morde und Folterungen waren bloße Phantasien, in denen sich seine Wut und sein Zorn darüber entluden, wie das Leben in Amerika beschaffen war, in dem er sich trotz seines Wohlstands gefangen fühlte. Die Phantasien waren eine Flucht. Diese Idee lag dem Buch zugrunde.“| (S.190)

„Lunar Park“ ist ein literarisches Experiment. Einer seiner altbewährten Techniken bleibt Ellis jedoch treu: Der Vermischung verschiedener Realitäts- bzw. Fiktionsebenen. Nun erklärt er aber erstmals, was ihn dazu immer wieder motiviert:

|“Die physische Existenz eines Schriftstellers ist im Grunde eine statische, und um gegen diese Einschränkung anzukämpfen, müssen wir jeden Tag eine Gegenwelt und ein anderes Ich konstruieren.“| (S.227)

Das Schreiben ist für ihn also eine existenzielle Notwendigkeit. Der Plot des Romans tritt denn auch recht schnell in den Hintergrund. Das, was hier wirklich zählt, sind Bilder, die Gefühle transportieren. Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, konnte auch im Nihilismus der früheren Romane stets ein ironisches Augenzwinkern entdecken. „Lunar Park“ geht aber über die reine Kritik des Zeitgeistes hinaus. Das Verwischen der Grenze zwischen Schriftsteller und Werk ist zwar in der Geschichte der Literatur kein wirkliches Novum, wird hier aber einer erfrischenden Neuinterpretation unterzogen:

|“Ich lebte in einem Film, in einem Roman, im Traum eines Idioten, den ein anderer schrieb, und ich war langsam erstaunt – überwältigt davon -, wie ich mich verfranst hatte.“| (S.291)

|“Der Schriftsteller fand mich unsympathisch, weil ich versuchte, nach einem vorgefassten Plan vorzugehen. […]
Der Schriftsteller verlangte nach Chaos, Geheimnis, Tod. Daraus bezog er seine Inspiration. […] Der Schriftsteller wollte, dass Patrick Bateman wieder in unser Leben trat. Der Schriftsteller hoffte, die schiere Entsetzlichkeit des Ganzen würde mich aus meiner Lethargie reißen.
Ich war an einem Punkt, wo ich bei allem, was der Schriftsteller wollte, einfach nur Schuldgefühle hatte.“| (S.321)

Einige Rezensenten haben angemerkt, der „Horror“-Anteil von Lunar Park sei nicht überzeugend, sondern eher unfreiwillig komisch. Damit haben sie zwar nicht Unrecht, aber diese Kritik geht am Thema vorbei. Ellis wechselt mit „Lunar Park“ keineswegs das Genre; er fügt seiner Palette lediglich ein paar neue Farben hinzu. Die „Hommage“ an Stephen King – das Element des Phantastischen – soll folgerichtig nicht nur unterhalten, sondern vor allem einen Einblick in die Psyche des Schriftstellers gewähren.
Stephen King selbst hat einmal in einem Interview angemerkt, Gespenster seien für ihn ein Symbol für ungelöste Probleme. Und siehe da: Das Thema „ungelöste Probleme zwischen Vater und Sohn“ zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Handlung des Romans.

Die Antwort auf die Frage „Wer ist das Gespenst?“ scheint dabei zunächst offensichtlich: „Natürlich, es muss Ellis Senior sein!“ Nach und nach kommen aber Zweifel auf. Ist es vielleicht doch der Sohn von Ellis, welcher denselben Namen wie sein Großvater (Robert) trägt? Aber Robert Ellis Jr. ist fiktiv – also doch Bret selbst? Welcher Bret könnte es dann aber sein? Der Privatmensch? Der Schriftsteller? Der Schriftsteller in der Fiktion? Der fiktive Schriftsteller in der Fiktion des fiktiven Schriftstellers? Alle Figuren zusammen? Keine von ihnen?

Zuletzt kulminiert die Geschichte wieder – entgegen dem Vorsatz, mit dem Ellis sie eingeleitet hat – in eine endlos verschachtelte Satzkonstruktion. Der letzte Absatz jedoch gehört zu dem Schönsten und Ergreifendsten, was ich je gelesen habe. Bret Easton Ellis war bisher dafür bekannt, die Oberflächlichkeit als literarisches Stilmittel perfektioniert zu haben. Nun aber ist es ihm irgendwie gelungen, alle Bedeutungs- bzw. Fiktionsebenen (mitsamt der ihnen innewohnenden Sehnsucht) seines Gesamtwerkes in einem einzigen Begriff zu vereinen: Lunar Park.