Ellis, Warren / Williams III, J. H. – Desolation Jones 1 – Made in England

Wenn man sagt, dass Warren Ellis gut darin ist, eine Menge abgefahrener, kranker Ideen auf engstem Raum zu versammeln, dann ist das in etwa so, als würde man die Bemerkung fallen lassen, dass es im Sommer in der Sahara ganz schön heiß werden kann. Warren „Transmetropolitan“ Ellis ist als Schöpfer abgefahrener, kranker Ideen hinlänglich bekannt. Sie sind gewissermaßen sein Aushängeschild.

Gemeinsam mit dem Zeichner J. H. Williams III holt er jetzt eine neue Serie aus der Kiste. „Desolation Jones“, so der Titel, erscheint seit März 2007 auf Deutsch bei |Panini|. Band 1 heißt „Made in England“ und enthält die ersten sechs Hefte der Serie, die seit Juli 2005 bei |DC Wildstorm| erschienen sind.

Hauptfigur und Namensgeber der Serie ist Michael Jones, ein ehemaliger MI6-Agent, der aus dem regulären Dienst entlassen wurde und nun ein Schattendasein in Los Angeles führt. In der Stadt der Engel existiert eine verborgene Enklave ehemaliger Geheimagenten, die weder ihren Dienst tun noch ins normale Leben zurückkehren können. Die Behörden haben sie auf das Abstellgleis geschoben. Nun hängen die Ex-Agenten fest in einem Zwischenraum und sammeln die verbliebenen Stücke ihres menschlichen Wesens ein. Jeder schleppt seine eigene, sehr spezielle und verhängnisvolle Vergangenheit mit sich herum.

Die Community der Ex-Agenten ist zugleich eine Community der Freaks. Jones selbst ist der einzige Überlebende eines biochemischen Versuchs mit dem Namen „Desolation-Test“. Durch den Test ist sein Körper ausgezehrt und bleich. Er verträgt kein Sonnenlicht mehr und schläft höchstens noch eine Stunde am Tag. Emotional ist Jones ausgebrannt und total am Ende. Hinzu gesellen sich eine Handvoll ausgeflippter Nebenfiguren. Da ist beispielsweise Jeronimus, Jones‘ Auftraggeber, der nur einmal im Jahr essen muss, dann aber jede Menge und am besten rohes Fleisch. Mit einem Gebiss aus Stahl jagt er Kühe. Oder Colonel Nigh, Jones‘ anderer Auftraggeber, ein sexabhängiger Militär, mit siebzig Krankheiten gestraft, der seinen Penis in Bombay sicher weiß.

So abgefahren die Protagonisten, so krank ist auch der Plot. Jeronimus bittet Jones, unter den Mitgliedern der Enklave zu ermitteln. Colonel Nigh hat die Vermutung, dass drei junge Ex-Soldaten der US-Army aus seiner Privatsammlung einen Porno-Film mit Adolf Hitler gestohlen haben. Er möchte ihn um jeden Preis wieder zurückbekommen. So zieht Jones los und klopft an die Türen des örtlichen Porno-Business. Während seiner Ermittlungen handelt er sich nicht nur einen Haufen Ärger ein, sondern entdeckt zugleich, dass der Hitler-Porno nicht mehr als eine Finte ist. Um den Fall zu lösen, muss er in anderen Gefilden herumschnüffeln. Zum Beispiel in den Familienverhältnissen von Colonel Nigh. Oder in dem Projekt |Temple Farm|, das der Colonel zu seinen aktiven Zeiten geleitet hat.

Im Vergleich mit Warren Ellis‘ bekannter Serie „Transmetropolitan“ fällt „Desolation Jones“ ruhiger und gesetzter aus. Die Welt ist nicht so bunt und quietschig wie zu Spider Jerusalems Zeiten, sondern eher dunkel und melancholisch. Wer die abgefahrenen, kranken Ideen einmal beiseite lässt, bemerkt, dass es bei „Desolation Jones“ im Kern um die Themen Manipulation und Abhängigkeit geht. Als hätte der Autor zu oft |Eurythmics|‘ „Sweet Dreams“ gehört: „Some of them want to use you, some of them wanna get used by you …“ Wer nutzt letzten Endes wen aus? Wer wird wie benutzt? Das ist die Triebfeder, die hinter „Made in England“ steckt. Das Porno-Business als Metapher bietet sich dafür ganz gut an.

Kranke, abgefahrene Ideen sind natürlich nicht jedermanns Geschmack. Was gibt es sonst noch? Leider kommt der Humor in „Desolation Jones“ etwas zu kurz. Gerade die völlig maßlosen Übertreibungen von Spider Jerusalem haben mir bei „Transmetropolitan“ immer am meisten Spaß gemacht. Die Zeichnungen sind toll, realistischer Stil, dynamisch und abwechslungsreich. Insgesamt ist „Made in England“ ein gutes Stück Comic, eine dunkle Mischung aus Thriller-, Agenten- und Action-Comic, bei der die Satire leider ein bisschen zu kurz geraten ist. Wenn man abgefahrene, dreckige Szenarios gern hat, dürfte man auf dem deutschen Comic-Markt derzeit kaum etwas Vergleichbares finden.

http://www.paninicomics.de
http://www.warrenellis.com/

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