Englisch, Andreas – Habemus Papam – Von Johannes Paul II. zu Benedikt XVI

„Habemus Papam“ heißt es am 13. April 2005 um 17.43 Uhr auf dem Petersplatz. Die Welt hält den Atem an – und aus Kardinal Joseph Ratzinger wird Benedikt XVI., Nachfolger des am 2. April verstorbenen Johannes Paul II.

Für den Journalisten Andreas Englisch ist diese Wahl von besonderer Bedeutung. Mehr als fünfzehn Jahre lang war er regelmäßiger Begleiter von Johannes Paul II. und kam ihm so nah wie kaum ein anderer Reporter zuvor. So wie er stellen sich Millionen anderer Menschen gleichermaßen die Frage: Was wird sich unter dem neuen Papst alles ändern? Welchen Kurs wird Benedikt XVI einschlagen, was bedeutet seine Wahl für die Kirche und die Gläubigen?

In 39 Kapiteln zeichnet Englisch einen kurzen, übersichtlichen Abriss über die letzten Tage im Leben des alten Papstes, über seinen Tod und die Zeit des Konklave bis hin zur Erwählung Benedikt XVI. und einem Ausblick auf die neue Ära.

Andreas Englisch erinnert sich an seine ersten Begegnungen mit Johannes Paul II. und an die ersten gemeinsamen Reisen und Interviews. Er zieht Vergleiche zwischen dem robusten Karol Wojtyla und dem kranken, alten Mann, der die letzten Jahre vor seinem Tod nur mit Mühe sein Amt ausfüllen konnte. Der Leser erfährt Hintergründe über das System der katholischen Kirche im Allgemeinen und die Arbeit der Päpste im Besonderen. Es werden sowohl herausragende Erfolge von Johannes Paul II. als auch Schattenseiten des Vatikans (Opus Dei) angesprochen.

Dazwischen kommen immer wieder Querverweise zum neuen Papst Benedikt XVI. Andreas Englisch berichtet von seinen Eindrücken zu Kardinal Ratzinger, zu dessen Verhältnis zu Johannes Paul II. und spekuliert darüber, was er von seinem Vorgänger übernehmen und was er eventuell ändern wird. Ergänzend hinzu kommen noch Informationen zu anderen wichtigen Gestalten der katholischen Kirche, etwa andere deutsche Kardinäle, Favoriten für das Papstamt, markante Persönlichkeiten aus früheren Zeiten und das engste Umfeld des Papstes. Im Anhang befindet sich eine Zeittafel, auf der parallel zueinander die wichtigsten Daten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. aufgelistet werden.

Neben allen fachlichen Informationen nehmen auch viele persönliche Anekdoten ihren Raum ein. Andreas Englisch gewährt dem Leser Einblick in das Leben eines Vatikan-Reporters und berichtet von den schönen und traurigen, den frustrierenden und aufregenden Momenten im Leben eines Journalisten, der dem Oberhaupt der katholischen Kirche so nah kam wie kaum ein anderer Mensch.

Schnell musste es gehen, nach dem 19. April. Schließlich durfte man die Öffentlichkeit nicht lange warten lassen auf Informationen über den neuen Papst. „Wir sind Papst“ titelte BILD, die Hauszeitschrift des Autors Andreas Englisch, voller Begeisterung. Aber wenn wir Papst sind, wer sind wir dann? – Kein Wunder also, dass die Bücher über Joseph Ratzinger bzw Benedikt XVI. so rasch wie möglich in die Auslagen der Buchhandlungen gelangen mussten.

Leider kommt man nicht umhin, diesen Zeitdruck auch inhaltlich zu bemerken. „Habemus Papam“ bietet einen kurzen Einblick in das Leben im Vatikan und einen übersichtlichen Abriss des Wirkens von Johannes Paul II. Als Einstieg in Hintergrundlektüre über die katholische Kirche und zur groben Beurteilung ist das Werk gut geeignet. Wer sich jedoch detallierte Informationen erhofft, wird vermutlich eher enttäuscht sein. Ebenso wenig bildet es ein Ersatz für richtige Biographien über die beiden Päpste. Stattdessen ist es als Reaktion auf ein Zeitgeschehen zu verstehen, das viele Menschen auf der ganzen Welt interessiert und bewegt hat, als komprimierte Reflektion einer vergangenen und einer anbrechenen Epoche.

|Päpstlicher Humor|

Ein Buch über den Papst und die Kirche muss nicht zwangsläufig in feierlichem Ernst gehalten sein. Stattdessen lässt Andreas Englisch immer wieder amüsante Anekdoten einfließen, die ihm in seiner Karriere als Vatikankorrespondent unterliefen.

Am witzigsten ist ein missverständlicher Ausdruck, der zu regelmäßigen Zwistigkeiten zwischen ihm und Redaktionskollegen führte: Die auserwählten Journalisten, die bei päpstlichen Veranstaltungen anwesend sein dürfen, werden als „Pool“ bezeichnet. Da währenddessen die Handys abgeschaltet sein müssen, meldete Englisch sich zuvor bei der Redaktion mit den Worten „Ich hab keine Zeit, ich muss gleich zum Pool“ ab – mit verheerenden Folgen: „Zum Pool?“ entgegnete manch ein entgeisterter Kollege und schimpfte wutentbrannt darüber, dass sich Englisch offenbar in die Sonne legt, während in der Redaktion schwitzend seine Layouts vorbereitet werden.

Aber auch in den direkten Begegnungen mit Johannes Paul II. gibt es Erlebnisse, die im Nachhinein ein Lächeln auf die Lippen zaubern: An einem Abend im Jahr 1999 stand ein Rückflug mit dem Helikopter von Zamosc nach Warschau auf dem Programm. Für den Papst stand ein weißer, für Englisch und einen befreundeten Fotographen-Kollegen ein dunkler Helikopter bereit. Am Himmel tobte jedoch ein so starkes Unwetter, dass der Pilot sich zunächst weigerte, zu fliegen. Der eilige Papst lässt aber keine Widerrede gelten. Während des abenteuerlichen Fluges klammern sich die beiden Journalisten aneinander, beten ein Ave Maria nach dem anderen und fürchten, ihr letztes Stündlein habe geschlagen, ehe sie endlich wider Erwarten wohlbehalten in Warschau landen. Mit wackligen Knien entsteigen sie dem Helikopter und ein fröhlich lachender Johannes Paul II. fährt aufmunternd winkend an ihnen vorbei – ganz im Sinne eines Gottesmannes, der weder Tod noch Teufel fürchtet.

|Der Marathon-Papst|

Die soeben erwähnte Szene ist eine von vielen, die verdeutlicht, wie Johannes Paul II. zu seinem internen Spitznamen kam. Wer nur die letzten Jahre seines Lebens verfolgt hat, kennt vermutlich nur das Bild eines schwerkranken Mannes, den nur sein eiserner Wille am Leben gehalten zu haben schien. Als Karol Wojtyla jedoch 1978 zum Papst gewählt wurde, war er erst 58 Jahre alt, ein vor Kraft strotzender Mann, dem es nie schnell genug gehen konnte und der schon mal im Spaß die leicht angetrunkenen Reporter, die auf einem Rückflug übermütig „Take off the cross, boss“ sagen, mit einem Augenzwinkern zurechtwies. Wenn man Englischs Erlebnisse mit diesem agilen Papst liest, dämmert es einem, was für eine zusätzlich psychische Qual die letzten Jahre im Leben Johannes Paul II. gewesen sein mussten.

|Licht und Schatten im Vatikan|

Kaum jemand ist so naiv zu glauben, im Vatikan seien die heiligsten und frommsten aller Menschen versammelt. Und so erzählt Andreas Englisch auch kaum etwas Neues, wenn er sagt, dass es selbst im engsten Gefolge eines Papstes stets von Intriganten und Missgünstlingen wimmelt. Trotzdem ist es immer wieder interessant, aus versierter Quelle Details zu den Macht- und Ränkespielen hinter den heiligen Mauern zu erhalten. Unter anderem erfährt man, wer unter den Vatikanleuten zu den engsten Freunden des verstorbenen Papstes gehörte und wer sich schon lange zuvor nach einem Nachfolger sehnte.

Als einer von mehreren Belegen für die Scheinheiligkeit vieler hoher Kirchenleute dient das Beispiel eines anonymen Schreibens, das im August 2003 bei der Redaktion der Jesuitenzeitschrift „Jesus“ eintraf. In dem Brief steckte ein kircheninternes Diskussionspapier, das nahezu alle Errungenschaften Johannes Pauls II. in Frage stellte und reformieren wollte. Aus dem Schreiben ging hervor, dass die Verfasser engste Vatikanvertraute sein mussten. Doch trotz aller Nachforschungen konnten die Urheber nie eindeutig identifiziert werden – was bleibt, ist einer von vielen Beweisen, dass Missgunst und Machtspiele auch oder gerade vor Kirchenmauern keinen Halt machen.

|Der Nachfolger|

Insgesamt nehmen die Kapitel zum Leben und Wirken von Johannes Paul II. einen deutlich größeren Rahmen ein als der Text über Benedikt XVI. bzw Kardinal Ratzinger. Englisch schildert eine kurze Zusammenfassung seiner biographischen Daten und stellt ihn als einen der getreuesten Freunde des verstorbenen Papstes vor. Gleichzeitig geht er auf die Unterschiede ein. War Johannes Paul II. ein Mann der Gesten, so erscheint Benedikt XVI. als Mann der Worte. Während sein Vorgänger sich medial zu zelebrieren wusste, gilt er als zurückhaltend. Seine ersten Auftritte sind für seine Verhältnisse überraschend volksnah und gespannt warten Gläubige und Medienleute in aller Welt, ob sein Pontifikat auch zukünftig an diesen Stil anknüpfen kann. Englisch ist davon überzeugt, dass kein anderer Papst jemals zuvor so viel geleistet hat wie Johannes Paul II. Er hinterlässt zahlreiche Anknüpfungspunkte in Themenfragen wie Verhütung, Armut und Ökumene, mit denen sich sein Nachfolger auseinander setzen muss. Interessant ist dabei vor allem, dass trotz der jahrelangen engsten Zusammenarbeit von Kardinal Ratzinger und Johannes Paul II. diese beiden großen Kirchenmänner längst nicht auf allen Gebieten einer Meinung waren. Davon zeugt unter anderem eine Zugfahrt mit dem Papst und Vertretern anderer Religionen, die im Zeichen der Aussöhnung der verschiedenen Glaubensrichtungen stand. Als Englisch Ratzinger nach seiner Meinung dazu befragte, erhielt er die symbolträchtige Antwort: „Sie sehen ja: Ich fahre mit. Aber ich sitze entgegen der Fahrtrichtung.“

|Einführung – ja, tiefgehende Analyse – nein|

Zum Abschluss stellt sich die Frage, an wen sich das Buch vorwiegend wendet: Überzeugte Katholiken, Heiden, Agnostiker, Atheisten? Ich selber bin einerseits zwar katholisch, hatte ein Jahr lang Privat-Unterricht bei einem mit Kardinal Ratzinger gut bekannten Monsignore und habe Katholische Religion als viertes Abiturfach mit Bestnote abgeschlossen. Auf der anderen Seite stehe ich der Insititution Kirche bereits seit fast zehn Jahren kritisch gegenüber und besuche keine Messe mehr, wiewohl mein Glaube mir über all die Zeit wichtig war und ist – heute vielleicht noch mehr als früher. Für mich als distanzierter Christin bietet die Lektüre einen interessanten, manchmal desillusionerenden und manchmal überraschenden Blick hinter die Kulissen des Vatikans. Je weiter ich gelesen habe, desto größer wurde aber meine Überzeugung, dass ein Kirchengegner in dem Werk wenig ansprechende Worte findet. Zwar scheut sich Englisch nicht, einzelne Personen und Taten der katholischen Kirche negativ zu beurteilen, doch unterm Strich ist es in erster Linie ein massentaugliches Werk und die Kritik bleibt verhalten. Delikate Themen wie die radikale Vereinigung Opus Dei werden nur oberflächlich behandelt. Sehr schade ist außerdem, dass das Buch kein einziges Foto enthält.

Eine Stärke des Buches, die persönliche Beziehung des Autors zu Johannes Paul II., ist gleichzeitig auch eine Schwäche. Andreas Englisch macht keinen Hehl daraus, dass er – nach anfänglicher Skepsis bis hin zur Ablehnung – ein Bewunderer des verstorbenen Papstes ist und seine Reisen mit ihm mehr als nur seinen Lebensverdienst bedeuteten. Bereits mit seiner 2003 erschienenen Biographie setzte er Johannes Paul II. ein Denkmal und entschuldigte sich gleichsam für seine frühere Kritik, als er, nach eigener Ansicht, den Papst noch falsch einschätzte. Wie nah er sich dem Verstorbenen fühlt, wird deutlich, als er unmittelbar nach der Todesnachricht einem israelischen Kollegen in die Arme fällt mit den Worten: „Wir beide wussten vielleicht besser als irgendwer sonst, was dieser Papst geleistet hatte“. An anderer Stelle bekennt Englisch, dass er das Medienspektakel kurz vor und nach dem Ableben von Johannes Paul II. verabscheut: „… und ich würde lügen, wenn ich von mir behauptete, dieses Spiel nicht selbst manchmal mitzuspielen, aber an diesem Abend kotzte es mich an.“

Überhaupt finden sich zusätzlich viele persönliche Anekdoten, die nicht konkret mit dem Vatikan zu tun haben. Das bringt dem Leser den Autoren Andreas Englisch näher, macht ihn sympathisch und zu einer greifbaren Gestalt. Auf der anderen Seite aber bestätigt es das Gefühl, einen alten Vertrauten von Johannes Paul II. vor sich zu haben, der, erst Recht nach dessen Tod, mit seinem Buch keine Wunden aufreißen, sondern eine versöhnliche Basis schaffen will. Für Kirchenkritiker ist dieses Anliegen vielleicht nicht genug und wird dieses Buch daher nicht recht befriedigen. Andererseits ist eine „versöhnliche Basis“ ein guter und solider Ausgangspunkt. Der katholischen Kirche und dem Pontifikat von Benedikt XVI. ist zu wünschen, dass sie genau daran anknüpfen.

_Unterm Strich_ bietet „Habemus Papam“ eine kompakte Zusammenfassung über das Pontifikat von Johannes Paul II., zu seinem Tod und der Wahl des Nachfolgers Benedikt XVI. Der Autor legt eine besondere Gewichtung auf persönliche Anekdoten aus seiner fast zwanzig Jahre lang währenden Zusammenarbeit mit dem verstorbenen Papst. Nicht zuletzt wegen dieser engen Bindung fällt das Werk insgesamt unkritisch aus und bietet keine tiefer gehende Analyse. Daher ist es vor allem als grober Einstieg für Vatikan-Interessierte zu empfehlen.

_Der Autor_ Andreas Englisch wurde 1963 geboren. Er studierte Literaturwissenschaften und Journalistik und arbeitet seit 1987 in Rom, wo er unter anderem das italienische Korrespondenzbüro des Axel-Springer-Verlages leitete. Seit 1995 begleitete er Papst Johannes Paul II. auf allen Auslandsreisen. Bis heute gilt er als einer der Journalisten, die dem vorherigen Papst am nächsten kamen. Weitere Werke sind „Johannes Paul II.“, „Der stille Gott der Wölfe“ und „Die Petrus-Akte“.

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