Ernst, Cristoph (Roman); Jeltsch, Christian (Drehbuch) – TATORT: Strahlende Zukunft

Der TATORT begeistert seit 1970 ein Millionenpublikum, kaum ein Tag vergeht, an dem nicht mindestens eine Folge entweder in der ARD oder einem der dritten Programme gesendet wird. An solchen Tagen oder bei Gelegenheiten, an denen man keinen Zugriff auf ein Fernsehgerät hat, werden Tatort-Jünger offenbar häufig von Entzugserscheinungen geschüttelt. Der |Emons-Verlag| dealt daher seit Ende September 2009 erfolgreich mit Ersatzdrogen in Form von Buchversionen auf Basis bereits ausgestrahlter Fälle mit besonders beliebten Ermittlern. Die ersten Sechs zum Preis von je 8,95 € sind dabei so erfolgreich gestartet, dass bereits eine zweite Lage für das Frühjahr 2010 fest angekündigt wurde.

_Zur Story_

Sandra Vegener sieht keinen anderen Ausweg: Sie überfährt gezielt den Richter, der sie damals in die Psychatrie steckte und richtet sich danach selbst. Nicht jedoch, ohne der Nachwelt ein Vermächtnis zu hinterlassen. Ein Teil davon ist Hauptkommissarin Inga Lürsen, welche sie damals abwies, da sie sich für die abstrus klingende Geschichte über gefährliche Machenschaften des Mobilfunkbetreibers „2wave“ nicht recht zuständig fühlte. Die renitente Aktivistin machte die Firma unter Anderem für die tödliche Leukämieerkrankung ihrer Tochter verantwortlich und ließ keine Gelegenheit aus, gegen den Provider vorzugehen. Sie behauptete, absichtlich mit Strahlen bombardiert worden zu sein – und landete schlussendlich in der Klapsmühle. Der Fall, der eigentlich ja gar keiner ist, scheint demnach klar: Geisteskranke Amokläuferin.

Allerdings wundert Inga, dass eine Reihe der Beteiligten vom Statsanwalt bis zur Gerichtsmedizinerin simple Routinefragen allzu brüsk abschmettern und versuchen, die Sache möglichst schnell zu den Akten zu legen. Inga vertraut ihrer Intuition und stochert zusammen mit ihrem Kollegen Nils Stedefreund in den alten Geschichten herum und fördert dabei ebenso erschreckende wie erstaunliche Dinge zu Tage. Etwa ein großer Betrag, der von „2wave“ an Vegeners Ehemann Luis floss. Dazu einige brisante Querverbindungen zwischen Gutachter und Staatsanwaltschaft sowie dem Provider – bis hoch zum Bremer Senat. Richtig prekär wird die Lage aber erst, nachdem Vegeners neunzehnjähriger Sohn sich Lürsens Waffe bemächtigen kann und seinen persönlichen Rachfeldzug beginnt. Jetzt bekommen die Geheimniskrämer plötzlich arges Fracksausen.

_Eindrücke_

„Spannend von der ersten bis zur letzten Seite“ ist eine (zu) oft bemühte und abgedroschene Werbe-Platitüde. Hier trifft sie jedoch beinahe wörtlich zu, auch wenn sich nirgendwo derartiges PR-Brustgetrommel findet. Schon der anderthalbseitige Prolog ist spannend erzählt und macht somit neugierig auf die weiteren Geschehnisse auf den folgenden fast 160 Seiten. Die brechen auch mit Rasanz über das beliebte norddeutsche Ermittlerduo Lürsen/Stedefreund herein. Dabei gelingt es Christoph Ernst bei seiner Novellisierung des Drehbuchs von Christian Jeltsch, die Figuren akkurat einzufangen und darzustellen. Mit leichter Übervorteilung von Inga Lürsen, doch das ist zumindest dem kundigen Fernsehzuschauer nicht fremd. Lürsen ist nun einmal generell die Hauptfigur im Bremer Tatort – und beim Fall „Strahlende Zukunft“ (Erstausstrahlung: NDR, 2008) ganz besonders.

Nils Stedefreund ist allerdings keine plumpe Staffage, sondern eine ernst zu nehmende „supporting role“. Kurioserweise spendierte man ihm seitens des Verlags auf dem Cover keinen Vornamen. Das aber nur am Rande. Er hat Dank guter Connections einen wichtigen Beitrag zu leisten und der Leser erhält – anders als im TV – dabei auch noch einen klareren Blick in seine Gefühlswelt sowie seine Motivationen. Für Lürsen gilt dies natürlich ebenso, wenn nicht sogar ausgeprägter. Die Geschichte an sich behandelt, wie fast alle neueren Tatorte, ein aktuelles und, auch dem Wortsinne nach „heißes“ Thema: Elektromagnetische Strahlung. Darum dreht sich – aufgrund des Spannungserhalts nur grob umrissen – diese Schnitzeljagd nämlich hauptsächlich. Der Wettlauf mit dem Todesschützen in spe hält noch so manche Wendung bereit und nichts ist ganz so, wie es anfänglich scheint. Das Ende bleibt überraschend offen und könnte auch als Cliff-Hanger durchgehen.

_Fazit_

Diesen interessanten Fall in Romanform zu gießen war eine sehr gute Wahl. Eine spannend präsentierte Story mit Aktualitätsbezug, undurchsichtigen Figuren, Action und einem ziemlich unvorhersehbaren Final-Twist, das sind die Zutaten, mit welchen dieser Thriller prinzipiell sogar auch ohne das sicherlich verkaufsfördernde Tatort-Label funktionieren würde. Dass Lürsen und Stedefreund sich dann auch noch literarisch wohltransformiert die Ehre geben, wertet die Sache noch weiter auf. Zumindest für treue Fans der Serie, natürlich. Aber: Auch Neueinsteiger mit Appetit auf anständige Krimikost, welche die Figuren nicht aus dem Fernsehen kennen, dürfen gern zu diesem lesenswerten Tatort aus Bremen greifen.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

Christoph Ernst: „Strahlende Zukunft“
Begleitbuch zur gleichnamigen ARD-Serie „Tatort“
Nach einem Drehbuch von Christian Jeltsch
Emons-Verlag, September 2009
ISBN-13: 978-3-89705-666-4
160 Seiten, Broschur

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