Etchison, Dennis – Schockzone

_Brandgefährlich: Zombie aus der Vergangenheit_

Dan Markhams frühere Geliebte ist zurückgekehrt – doch wer ist sie wirklich? Ist sie tatsächlich Judy, die damals in den Flammen umkam, oder doch Susan, eine Wahnsinnige, die vermutlich zwei Morde auf dem Gewissen hat? Jedes Familienmitglied – Dan, seine Frau Evie und der 13-jährige Horrorfan Eddie – erlebt eine andere Seite ihrer Persönlichkeit. Doch das Puzzle will sich nicht zu einem vollständigen Bild zusammenfügen.

_Der Autor_

Dennis Etchison, geboren 1943, schrieb wie die meisten Horrorautoren zuerst Kurzgeschichten. Er hat vier wichtige Anthologien veröffentlicht – bei |Heyne| erschien 1996 „Metahorror“ – und sich an Drehbüchern im Horrorbereich beteiligt. Von ihm stammen auch die Romanfassungen von John Carpenters Film „The Fog“ (1979), „Halloween II“, „Halloween III“ (unter Pseudonym) sowie „Videodrome“ (1982).

Für seine Werke erhielt er den |British Fantasy| und den |World Fantasy Award|. „California Gothic“ („Schockzone“) ist sein vierter Roman. Er lebt mit seiner Frau in Los Angeles und unterrichtet an der Universität.

_Handlung_

|PROLOG.| Der Arealwächter Sam Carlisle fährt mal wieder in einem der kalifornischen Canyons nahe Los Angeles Patrouille bei den meist vermieteten Häusern, als er einen Schuss hört. Dann folgen weitere, bis die Tonlage wechselt – offenbar eine andere Schusswaffe. Sein Hund Jimbo springt in die Schlucht, kaum dass Sam die Wagentür geöffnet hat, und Sam muss ihm folgen.

Am Boden des Tales entdeckt er eine nackte Frau mit einem .45er Revolver, deren Blöße nur von ihrem üppigen schwarzen Haar bedeckt wird. Sie hat hier Schießübungen gemacht, wie er an den vielen Glasscherben und zerbeulten Blechbüchsen ablesen kann. Ohne ein Anzeichen von Schamhaftigkeit lädt sie ihn auf einen Schluck in ihre Hütte ein. Sams Hund leckt sich dort die verletzte Pfote, denn er ist in eine Scherbe getreten.

Die Frau, die sich zuerst Judy und dann Susan Jones nennt, besitzt ein 22er Gewehr und eine Maschinenpistole, eine beachtliches Arsenal, mit der sich eine nackte Frau wohl gut verteidigen kann, deshalb versucht Sam auch keine Dummheiten. Seltsam, dass sie weder Pferde (da liegen zwei Sättel) noch einen Wagen hat. Sie wolle ihren Mann, denn sie seit zwölf Jahren nicht mehr gesehen habe, in L. A. besuchen, sagt sie. Da kratzt Sams Hund Jimbo an der einzigen Tür der Hütte, die zum Hinterzimmer führt. Die Neugier verleitet Sam dazu, diese Tür zu öffnen.

Seinem Entsetzen und Grauen kann er leider nur kurz Ausdruck geben, den Judy oder Susan Jones schneidet ihm die Kehle durch und erschießt seinen Hund. Dann steckte sie alles in Brand. Als die Feuerwehr eintrifft, sind bereits alle Spuren vernichtet.

|Haupthandlung.|

San Fernando Valley, Los Angeles, 1999. An diesem Morgen erhält Dan Markham einen anonymen Brief, in dem eine gewisse „Jude“ ankündigt, sie werde zurückkommen. Diese Nachricht ruft in Dan, einem Buchhändler und verhinderten Poeten, ungute Erinnerungen wach. Denn das Mädchen, das er vor 17 Jahren als Judy „Jude“ Rios kannte und liebte, war in eine Satanisten-Sekte eingetreten, die sich „Church of Satan the Redeemer“ nannte, kurz CSR. Er dachte, die CSR wäre nur ein weiterer Baustein in der Subkultur Kaliforniens gewesen, doch es war eine Sekte, die Judy den Tod brachte. Wie also kann sie nach 17 Jahren zurückkehren?

Gleich nach Erhalt dieses Briefes fährt Dan weg, um mit seinem Kumpel und Geschäftspartner Lennie darüber zu reden: Soll er er seiner Frau Evie davon erzählen? Evie ist eine Realistin, die wird doch ausflippen, oder? Lennie rät ihm trotzdem, nicht zu lügen. Doch als Dan zurückkehrt, ist alles im Haus still. Der Baum im Garten ist umgestürzt und sieht aus, als wäre von einem Blitz gespalten worden. Er würde ihn kleinhacken müssen. Und wo ist Evie?

Sie schläft angezogen auf ihrem Bett im Schlafzimmer, dabei wollte sie doch eigentlich ihre Freundin Jean besuchen, Lennies Frau. Dan weckt Evie auf, die ihn benebelt anschaut, als wäre er der Mann im Mond. Sie müsse wohl einen Traum gehabt haben. Eine junge Frau habe sie besucht, um nach dem Weg zu fragen. Doch etwas an der Frau war seltsam, beispielsweise dass sie eine klobige Männerarmbanduhr trug und barfuß ging. Und als sie beide den umgestürzten Baum betrachtet hatten, da ging die Frau wieder, aber sie war nun dick, als wäre sie schwanger, hatte stämmige Beine – und trug nun einen goldenen Ehering. Evies eigener Ehering ist verschwunden. Als Dan ihr nun von „Jude“ erzählt, wissen beide genau, wer gemeint ist …

Während sich Evie in panischer Eile auf den Weg macht, um ihrer beider Sohn Eddie, einen 13-jährigen Fan von Horrorfilmen, im Kinoplex der Stadt zu suchen, fährt Dan mit Lennie zu einem Einlagerungskomplex, wo Leute ihre Sachen gegen Miete einlagern lassen können. Es soll sich um die nachgelassene Bibliothek eines Kunden handeln, und sie sollen sie auf ihren Wert schätzen.

Doch als Dan und Lennie in dem bezeichneten Lagerraum ankommen, finden sie Katie McKenna, ihre Angestellte, nur noch tot vor. Man hat ihr die Kehle aufgeschlitzt. Dan wird ganz flau im Magen, denn er erkennt das mit Katies Blut an die Wand geschmierte Symbol mit den acht Strahlen wieder. Es ist das Symbol der „Church of Satan the Redeemer“. Das verrät er aber niemandem, denn allein schon die Verbindung zu einem solchen Mörder könnte sich leicht als sehr geschäftsschädigend herausstellen.

Unterdessen lernt Eddie mit seinem Freund Tommy, ebenfalls ein Horrorfan, auf dem Schrottplatz eine interessante junge Frau kennen. Sie hat offenbar mit dem Betreiber des Schrottplatzes Raul geschlafen, um hier übernachten zu dürfen. Aber anstatt sich zu schämen, zeigt sich die junge Frau an den beiden Filmfreunden sehr interessiert. Seltsam, dass sie Eddie kennt und ihn „Edward“ nennt. Das tut sonst nur seine Mutter. Und als sie verraten, dass sie mit Tommys Kamera einen Film drehen wollen, beispielsweise „American Zombie III“, will sie sofort mitspielen. Gebongt!

Tja, und dann fragt sie Eddie, ob er wohl ein Streichholz für sie habe …

_Mein Eindruck_

Was so oberflächlich nach einer Horrorstory über einen Besuch aus dem Totenreich aussieht, ist bei genauer Betrachtung etwas völlig anderes, nämlich eine Untersuchung der Überreste dessen, was einmal die revolutionären Untergrundkämpfer in Kalifornien waren. Dazu muss man wissen, dass besonders um die Universität von Berkeley bei San Francisco marxistische Gruppen nach Bespitzelung und Unterwanderung in den Untergrund gingen. Die bekannteste davon waren die Weathermen, die sich nach einem Bob-Dylan-Songzitat nannten. Alle Gruppen wurden vom FBI gejagt und zerschlagen, ihre Mitglieder eingelocht.

Auch die fiktive „Church of Satan the Redeemer“, so erfahren wir aus Dan Markhams Äußerungen gegenüber Lennie, war wohl so eine revolutionäre Zelle, allerdings in L. A. Und er hatte sich mit Judy Rios eingelassen und sie wieder verlassen, bevor sie sich ihnen anschloss. Sagt er jedenfalls. Doch Dan Markham ist ein stilles Wasser, und die sind bekanntlich tief. Der Möchtegernpoet schrieb ihr Gedichte, die später im Rucksack von Judy/Susan auftauchen. Doch wer ist dann dieses Mädchen, das auf keinen Fall Judy Rios ist, selbst wenn diese durch einen Trick dem Feuertod entging?

Um dieses Rätsel zu lösen, ist es notwendig, den gesamten Text höchst aufmerksam zu lesen und alles, was über Dan und Judy/Susan gesagt wird, auf die Goldwaage zu legen. Der Autor hat eine clevere Erzählstrategie, die den nichtsahnenden Leser dazu bringt, nur die Oberfläche wahrnehmen zu wollen, weil die eben so spektakulär erscheint. Wow, ein Großbrand auf dem Schrottplatz – toll! Aber die wahren Sensationen liegen in dem, was nicht gesagt wird oder nur bei näherem Hinsehen auftaucht. Die Lücken muss der Leser selbst füllen.

Warum zum Beispiel behauptet das Mädchen, es werde bald in einem schönen Haus wohnen? Warum besucht sie Evie zuerst, dann Eddie, schließlich auch „Danny“? Sie betrachtet das Haus und dessen Bewohner bereits als ihr Heim und zwar nicht ohne guten Grund. Sie mag ziemlich psychopathisch sein und außerdem pyromanisch veranlagt. Sie hat ja nach Sam Carlisles Tod auch die Hütte abgefackelt. Scheint eine üble Angewohnheit zu sein. Sie ist eine Störung im sozialen Gefüge und will in Dans Familie aufgenommen werden – allerdings ohne Evie, ihre Rivalin, die sie zuerst verdrängen muss.

|SPOILER|

Es gibt nur einen einzigen Satz, in dem der Autor sagt, Judy/Susan sei Dans Tochter. Dies macht sie zu Eddies Halbschwester. Würde Eddie also mit ihr schlafen, wie sie es offenbar auf dem Schrottplatz vorhat, wäre das Inzest, ein Bruch des uralten Tabus. Mehr noch: Sie versucht auch Dan zu verführen.

|SPOILER ENDE|

In Judy/Susan ist die Vergangenheit, in deren Mittelpunkt Dans Kontakt mit den revolutionären Zellen stand, wieder lebendig geworden und droht Dans Leben zu zerstören. Da dies keiner in seiner Familie zulassen will, am allerwenigsten Dan selbst, muss das Mädchen sterben. Leichter gesagt als getan. Dans schwaches Herz, Symbol seiner Liebe zu Judy/Susans Mutter, gibt nach und lässt nicht zu, dass er sie tötet. Evie unterliegt im Nahkampf mit dem erstaunlich starken Mädchen. Bleibt also nur noch der Sohn übrig. Er muss sich von seinen Zombiefantasien freimachen, um es fertigzubringen, diese besitzergreifende Wiedergängerin, diese lebende Tote, zu töten. Er hebt den Revolver …

Ständig reden Eddie und Tommy und sein Vater von Horrorfilmen und Zombies, zumal sie alle das einschlägige Magazin „Schockzone“ lesen und lieben. Ja, Eddie geht sogar so weit, einen Filmdreh für „American Zombie III“ zu simulieren. Der Autor tut ihm den Gefallen, das entsprechende Drehbuch dazu zu liefern. War schon das ebenfalls abgedruckte Drehbuch zu Teil 2 von AZ ein Musterbeispiel für B-Movie-Horror, so ist AZ3 noch wesentlich schlimmer. Aber die Fortsetzung ist wenigstens konsequent weitergeführt. Wenn Judy/Susan auftaucht, so spielt sie optimal eine der beiden weiblichen Zombies Stacey oder Shannon. Hier wird der Übergang zur erzählten Realität fließend und als künstlerische Methode erkennbar.

Das florierende Zombiehorrorgenre (Eddie könnte schon mit 13 Jahren ganze Vorträge darüber halten) ist also eine künstlerische Aufarbeitung des mehr oder weniger unterbewussten Traumas Kaliforniens bzw. der USA, das seine revolutionären Bewegungen (in Montana und Oregon gibt es sie noch als rassistische Milizen) Ende der sechziger, Mitte der siebziger Jahre alle vom FBI zerschlagen ließ und somit eine Chance auf Besserung der Machtverhältnisse im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit vertat. Ob die Zombies nun das Schuldgefühl symbolisieren und es durch ihre Rückkehr wiedererwecken, darf jeder selbst so deuten.

Der Autor tut genau das, was jeder gute Horrorautor beabsichtigt: Er lässt die Vergangenheit wiederaufleben und in der Gegenwart auf mehr oder weniger übernatürliche Weise ihr Zerstörungswerk verrichten. Wenn die Gegenwart nicht stark genug ist, sich des Angriffs zu erwehren, dann ist sie nicht wert, gelebt zu werden. In den billigen Schundfilmen sind es immer die Korrupten, Scheinheiligen, allzu häufig auch die Schwachen und Ahnungslosen, die dem Angriff zum Opfer fallen. Im vorliegenden Roman sieht sich Dan Markhams Familie als Zielobjekt und gerät in Aufruhr.

Eines der ersten Opfer ist das Vertrauen, das Evie in ihrem Sohn zerstört, indem sie ihm nachschnüffelt. Wie genau es wiederhergestellt wird, erfahren wir nie. Das ist einer der Brüche. Vielleicht soll hier auch gar nichts gekittet werden. Wir sind vielmehr daran interessiert, wo in der Familie die Bruchlinien à la San Andreas Graben verlaufen. Dass auch Dan zu seinem Sohn kein besonders harmonisches Verhältnis hat, beweist wohl sein Faustschlag, den er ihm verpasst, eindeutig. Eine günstige Gelegenheit für Judy/Susan, Dan auf ihre Seite zu ziehen.

Doch dazu soll es nicht kommen. Am Schluss ist das Loch, das Dan am Anfang gegraben hat, wieder zugedeckt. Ein Hügel erhebt sich darüber. Wer weiß, was er alles bedeckt. Und wer weiß, wozu der Häcksler, der daneben steht, noch alles gut gewesen ist. Das Haus sieht gut aus, der Garten sieht gesund aus, die Markhams werden bleiben, ganz entgegen ihren ursprünglichen Plänen. Allein schon wegen dem, was unter dem Hügel liegt …

_Unterm Strich_

Bei näherer Untersuchung präsentiert der Autor, der ja selbst an einer Universität lehrt, eine Betrachtung des kalifornischen Albtraums. Die Hoffnungen der Spätsechziger und Siebziger wurden alle zerschlagen, was bleibt, sind Wiedergänger wie Judy/Susan Jones und Träumer wie Dan Markham und sein Kumpel Lennie. Das Zombiegenre ist die Personifizierung des Umgangs mit diesem Schuldtrauma, und Dans Sohn Eddie geht ganz kreativ damit um.

Natürlich gerät wie in jedem Horrorwerk, sei es Film oder Literatur, die Familie in Gefahr und muss mit der Bedrohung aus der Vergangenheit fertigwerden. Verwerfungen und Konflikte entstehen, vieles, das verborgen lag, wird sichtbar – und wird schließlich wieder mehr oder wenig geglückt zu Grabe getragen. Aber es gibt Kollateralschäden wie Raul, der Schrotthändler, oder Katie, die hübsche Buchhändler, die Lennie liebte. Wir erfahren nicht allzu viel über die Angreiferin – sie bleibt ein spannendes Mysterium. Was aus ihr wurde – der Rasen bedeckt ihr Geheimnis.

Etchison ist ein spannendes Stück Horror geglückt, das zunächst wie ganz normale Stephen-King-Durchschnittskost daherkommt. Doch mittendrin tauchen plötzlich Drehbuchseiten auf, die die normale Prosa überformen und einen Albtraum wecken. Die Grenze zwischen Film-Fiktion in der Fiktion und der fiktionalen „Realität“ – Markhams Familie – verschwimmt und wird schließlich aufgehoben. Das ist raffiniert, aber Etchison reicht das nicht. Der Leser ist gut beraten, jeden Satz genau zu lesen. Die Sätze sind einfach genug formuliert und sollten leicht zu verstehen sein. Das Problem besteht darin, die Lücken zwischen den Sätzen und Kapiteln aufzufüllen. Gut also, wenn man seine eigene Phantasie mitbringt.

|Originaltitel: California Gothic, 1995
219 Seiten
Aus dem US-Englischen von Ulrike Laszlo|