_Cayal_ hat einige Anstrengungen unternommen, um auch wirklich ganz sicher geköpft zu werden. Nur leider konnte er nicht wissen, dass der Henker zur Zeit in Urlaub ist, um seine kranke Mutter zu besuchen. Deshalb soll Cayal nun gehängt werden, und das ist in seinem Fall eine absolute Zeitverschwendung. Nur leider glaubt ihm das keiner.
Dass ein Mann so lange am Galgen hängen kann, ohne zu sterben, hat natürlich Konsequenzen. Declan Hawkes, der Erste Spion des Königs, sucht höchstpersönlich das Gefängnis auf, um sich den Mann anzusehen, der inzwischen behauptet, ein Gezeitenfürst zu sein, ein Unsterblicher. Hawkes beschließt, seine Freundin Arkady als Sachverständige hinzuzuziehen. Die junge Historikerin, die ganz nebenbei auch noch die Ehefrau des regierenden Fürsten ist, soll herausfinden, ob der Kerl lügt oder verrückt ist. Doch es kommt alles ganz anders …
_Die Charaktere_ in diesem Buch sind erfrischend unverbraucht. Da wäre zunächst einmal Cayal, genannt der unsterbliche Prinz, ein Attribut, auf das er nur zu gern verzichten würde. Schon seit geraumer Zeit sucht er einen Weg, sich umzubringen. Die Ewigkeit ödet ihn an, und außerdem trägt er eine ganze Menge böser Erinnerungen mit sich herum, auf die er getrost verzichten könnte. Dabei wäre er eigentlich kein allzu übler Kerl. Tatsächlich hat gerade die Tatsache, dass er zum falschen Zeitpunkt ein wenig zu anständig war, ihm letztlich die unerwünschte Unsterblichkeit eingebrockt. Trotzdem hat er in seinem langen Leben eine ganze Menge unschöner Dinge getan, die ihn jetzt in seinen Träumen verfolgen. Abgesehen davon hat ihn der Lauf der Welt bis zur Depression desillusioniert.
Arkady dagegen hat sich mit ihrem Leben arrangiert. Dass es auf einem ganzen Berg von Lügen aufgebaut ist, macht die Sache zwar nicht unbedingt einfach, andererseits erlaubt ihre Position, dass sie Dinge tut, die sie als Tochter eines verarmten Arztes niemals hätte tun können. Zum Beispiel als Historikerin arbeiten. Oder sich um die Crasii in den Slums von Lebec kümmern. Arkady besteht auf ihre Unabhängigkeit, sie ist selbständig, wissbegierig und eine ausgesprochene Rationalistin. Außerdem ist sie eine treue Verbündete ihres Mannes Stellan, mit dem sie zwar keine Liebe verbindet, aber dafür eine gute Freundschaft.
Denn Stellan ist schwul. Das ist eine ziemlich ernste Angelegenheit, sie könnte Stellan seine Provinz kosten, sollte der König davon erfahren. Dabei ist Stellan eine seiner größten Stützen, nicht nur, weil er ein hervorragender Verwalter und ein treuer Gefolgsmann ist, sondern auch, weil er über außergewöhnliches diplomatisches Geschick verfügt. Und nicht zuletzt, weil er der Einzige ist, der so etwas wie Einfluss auf den leichtsinnigen jungen Kronprinzen hat. Die größte Schwäche des freundlichen und sanftmütigen Fürsten ist allerdings sein Geliebter Jaxyn.
Jaxyn ist ein leichtlebiger, windiger Bursche, charmant, intelligent, gutaussehend und ein wenig arrogant. Er liebt den Luxus und lässt sich von Stellan genüsslich freihalten. Offiziell bekleidet er das Amt eines Zwingerverwalters, und tatsächlich kann er mit den Crasii erstaunlich gut umgehen. Arkady aber mag ihn nicht, was Jaxyn ein wenig hinderlich ist. Denn inoffiziell ist er nicht nur Stellans Geliebter, sondern noch etwas weit Gefährlicheres …
Dazu kommt eine größere Anzahl weiterer Personen, und diese alle sind sehr glaubwürdig und lebendig beschrieben, vor allem die Darstellung von Cayals lebensmüdem Abscheu gegen die Welt, diese Mischung aus naivem Held und Unmenschlichkeit, die nur durch seine massiven Gewissensbisse gemildert wird, aber auch der Kampf zwischen Arkadys rationalem Denken und dem Offensichtlichen, jedoch für sie Unglaublichen ist hervorragend gelungen.
_Ihrer Welt_ hat die Autorin dieselbe Sorgfalt angedeihen lassen. Amaryntha war eine Welt wie jede andere, bis die Ewige Flamme vom Himmel fiel und zwei Männern sowie einer Ratte Unsterblichkeit verlieh. Das wäre an sich noch nicht sooo schlimm gewesen, gäbe es da nicht eine ziemlich unangenehme Nebenwirkung: Diejenigen, die die Ewige Flamme überleben, verfügen fortan über eine Verbindung zum Gezeitenstern. Und wenn diese Verbindung stark genug ist, verleiht sie den Unsterblichen ungeheure magische Macht. Vorausgesetzt, es ist Flut!
Denn die Magie des Gezeitensterns unterliegt – logisch – den Gezeiten. Bei Flut sind die Gezeitenfürsten ungeheuer mächtig, bei Ebbe sind sie nahezu völlig machtlos. Überhaupt gibt es unter all den Unsterblichen nur wenige echte Gezeitenfürsten. Das hindert die anderen Unsterblichen aber nicht daran, sich wie Götter aufzuführen und verehren zu lassen. Und es hindert die ganze Horde nicht daran, einander ständig in kleinlichen Fehden zu bekriegen und dabei immer wieder ganze Kontinente zu entvölkern. Aus nachvollziehbaren Gründen sind die Gezeitenfürsten bei den Menschen nicht allzu beliebt, was dazu führt, dass sie sich bei Ebbe in der Regel irgendwo verkriechen, bis die Gezeiten wieder wechseln. Ein interessantes Szenario.
Zusätzliche Facetten erhält das Ganze durch die Crasii, eine Mischung aus Mensch und Tier, die die Gezeitenfürsten einst schufen, um jederzeit über bedingungslos gehorsame Sklaven verfügen zu können. Abgesehen von dem ihnen angezüchteten Gehorsam gegenüber den Gezeitenfürsten und dem damit verbundenen besonderen Wissen über die Unsterblichen, das den Menschen in der letzten, besonders lang andauernden Ebbe verlorengegangen ist, zeichnen sie sich durch eine ungewöhnliche Verbindung von tierischen und menschlichen Verhaltensweisen aus, die manchmal verblüfft, manchmal auch betroffen macht.
Jennifer Fallon hat die Entwicklung ihrer Welt geschickt mit der eigentlichen Handlung verwoben, indem sie Cayal aus seiner Vergangenheit erzählen lässt. Da er sich dabei nicht an die chronologische Reihenfolge hält, ist der Bericht lückenhaft, was geschickterweise dafür sorgt, dass der Leser nicht zu Beginn schon zu viel erfährt. Tatsächlich stellt der Leser nach gut siebenhundertfünfzig Seiten fest, dass im Grunde gar nicht viel passiert ist. Cayal landet nach seiner verpatzten Hinrichtung im Knast, kommt schließlich frei und flieht in die Berge, wo er gestellt wird.
Die eigentliche Geschichte spielt sich wieder mal nicht in einer rasanten Achterbahn ab, sondern zwischen den Personen der Geschichte. Das gilt auch für den historischen Teil von Cayals Erzählung, wo sich die entscheidenden Dinge zwischen den verschiedenen Unsterblichen ereignen. Durch die zwei verschiedenen Handlungsstränge und die doch relativ hohe Anzahl von Personen auf beiden Seiten gibt es eine ganze Menge zu erzählen, sodass es trotz des relativ ruhigen Handlungsverlaufs niemals langweilig wird, selbst wenn es nicht ständig atemberaubend spannend bleibt. Tatsächlich baut die Autorin ihre Spannung ganz allmählich auf, sodass ich den genauen Zeitpunkt gar nicht so richtig festmachen kann.
_Auf jeden Fall_ hat mir diese Einleitung zur |Geizeitenstern|-Saga sehr gut gefallen. Die Charaktere sind sehr lebendig und angenehm klischeefrei, der Hintergrund ist sowohl vom Entwurf her interessant als auch mit einer Menge noch ungelöster Geheimnisse gespickt, und die Handlung, obwohl bisher eher ruhig gehalten, bietet sowohl Möglichkeiten für größeres Tempo und mehr Bewegung als auch für jede Menge Verwicklungen und Intrigen. Wenn die Fortsetzungen halten, was die Einleitung verspricht, dann wird das ein erstklassiger Zyklus.
_Jennifer Fallon_ stammt aus einer großen Familie mit zwölf Geschwistern. Sie hat in den verschiedensten Jobs gearbeitet, unter anderem als Kaufhausdetektivin, Sporttrainerin und in der Jugendarbeit. Letzteres scheint ihr immer noch nachzuhängen, denn unter ihrem Dach leben außer drei eigenen Kindern einige obdachlose Jugendliche als Pflegekinder. Schreiben tut sie nebenher. Ihre erste Veröffentlichung war die |Dämonenkind|-Trilogie, außerdem stammt die Trilogie |Second Sons| aus ihrer Feder. Die |Gezeitenstern|-Saga ist inzwischen bis Band drei gediehen, Band vier soll Ende des Jahres in Australien erscheinen. Wann der zweite Band auf Deutsch veröffentlicht wird, steht noch nicht fest.
|Originaltitel: The Immortal Prince
Ins Deutsche übertragen von Katrin Kremmler und Rene Satzer
652 Seiten
ISBN 978-3-8025-8146-5|
http://www.jenniferfallon.com
http://www.egmont-lyx.com
[„Kind der Magie“ 1328 (Dämonenkind Band 1)
[„Kind der Götter“ 1332 (Dämonenkind Band 2)
[„Kind des Schicksals“ 1985 (Dämonenkind Band 3)
[„Erbin des Throns“ 2877 (Die Chroniken von Hythria 1)
[„Ritter des Throns“ 3327 (Die Chroniken von Hythria 2)
[„Herrscher des Throns“ 3878 (Die Chroniken von Hythria 3)