Farrow, John – Eishauch

Wenn man Michael Moore – dem Regisseur der Erfolgsfilme „Bowling for Columbine“ und „Fahrenheit 9/11“ – Glauben schenken darf, ist Kanada das Land der offenen Haustüren. Nimmt man John Farrows Thriller „Eishauch“ zur Hand, überkommt einen das Gefühl, dass es vielleicht doch besser wäre, nichts unverschlossen zu lassen. Das Montréal, in dem der akribische, einzelgängerische Detective Emile Cinq-Mars Dienst schiebt, ist nämlich alles andere als eine Großstadt der dörflichen Gelassenheit …

Emile Cinq-Mars ist eine Legende bei der Polizei. Seine Arbeit ist immer wieder von unglaublichen Erfolgen gekrönt, was vor allem damit zusammenhängt, dass er seine Informanten an den richtigen Stellen zu sitzen hat. Einer dieser Informanten, ein junger Student, wird in der Weihnachtszeit ermordet aufgefunden. Er hängt an einem Fleischerhaken in seinem Kleiderschrank, verkleidet als Weihnachtsmann. Emile ist schockiert und setzt sich zum Ziel, den Mörder von Hagop Artinian zu stellen.

Zur gleichen Zeit eskaliert der Bandenkrieg in Montréal direkt vor den Augen der Wolverines, der Eliteeinheit, die für den Kampf gegen Hells Angels und deren Widersacher, der Rock Machine, zuständig ist. Es stellt sich heraus, dass es sich nicht mehr nur um bloße Rivalität unter zwei verfeindeten Motorradgangs handelt. Eine dritte Instanz hat sich eingeschaltet, die man ehrfürchtig den Zaren nennt.

Wer sich dahinter verbirgt und was er bezwecken will, indem er mit den Hells Angels gemeinsame Sache macht, ist den Polizisten allerdings nicht klar. Sie bitten Emile um Hilfe, doch der arbeitet lieber alleine als in einer Truppe Elitepolizisten. Dann allerdings muss er feststellen, dass der Mord an Hagop Artinian mit den Vorkommnissen in der Stadt eng verbunden ist – und dass noch ganz andere Mächte darin verwickelt sind …

John Farrow ist das Pseudonym des kanadischen Schriftstellers Trevor Ferguson und „Eishauch“ dessen erster Krimi. Man merkt dem Buch an, dass sein Urheber aus dem Romanmetier kommt. Farrow führt mehrere Handlungsstränge ein, von denen einige das ganze Buch durchziehen und andere nur dazu dienen, um einen relevanten Sachverhalt interessant und spannend darzustellen. Diese Vielfalt, die noch dazu in sehr anschauliche Worte gefasst wurde, sorgt unter anderem dafür, dass es dem Leser nicht langweilig wird und er die Handlung von allen Seiten beleuchtet sieht.

Das Ambiente ist düster, genährt von der Rivalität zwischen den beiden Motorradgangs, korrupten Beamten und der Unsicherheit, ob einer der liebgewonnenen Charaktere nicht vielleicht das nächste Bombenopfer ist. Die Geschichte selbst hat durchaus ihre spannenden Momente, krankt aber an der Kauzigkeit des Ermittlers. Emile Cinq-Mars‘ Gedankengänge sind teilweise so verschlungen und sprunghaft, dass sein neuer Kollege Bill Mathers nicht der Einzige ist, dem es manchmal an Überblick fehlt.

Auf der anderen Seite ist Emile Cinq-Mars aber auch der Grund, warum man den Krimi nicht zuklappen kann. Emile ist schrullig, aber gerade das macht ihn liebenswert. Er hat seine eigenen Ansichten und einen sehr speziellen Humor. Die Dialoge zwischen ihm und seinen Gegenübern sind wortgewandt und wunderbar amüsant. Sein Privatleben stellt einen ziemlich krassen Gegensatz zu seinem Arbeitsleben dar. Das macht ihn zusätzlich interessant.

Ähnlich ist es mit den anderen Figuren. Sie sind lebendig, kantig, zumeist etwas düster, aber jedes Mal bewundernswert ausgearbeitet. Farrow scheint es wichtig zu sein, keine flachen Krimicharaktere zu schaffen, sondern solche, die mehrdimensional, schillernd und manchmal fast schon belletristisch sind. Das ist kein großes Kunststück, wenn er unter seinem richtigen Namen bereits sieben Romane veröffentlicht hat. Da wundert es auch nicht, dass sein Schreibstil ebenfalls sehr belletristisch anmutet, und das ist gut so. Denn erzählen kann Farrow. Er weiß, wie er intelligent und präzise seine Wörter setzt und diese mit einem Schuss Humor und Großstadtfeeling kombiniert. Es scheint ihm augenscheinlich Spaß zu machen, in den Dreckgruben der Kriminalität zu wühlen, und es bleibt zu hoffen, dass dies nicht der erste und letzte Krimi mit Emile Cinq-Mars war.

„Eishauch“ ist aufgrund von Schwächen in der Handlung noch nicht der große Wurf, aber letztendlich ist die Geschichte jener Teil des Buches, der mit der Zeit am unwichtigsten wird. Vielmehr sind es die tollen, düsteren Charaktere und der erfrischend humorvolle Schreibstil, die zum Lesen anregen.

|Originaltitel: City of Ice
Aus dem Englischen von Friederike Levin
ISBN-13: 978-3-426-63514-8
588 Seiten, Taschenbuch|
http://www.knaur.de

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