Farrow, John – Treibeis

Mit „Treibeis“ erscheint der zweite Krimi von John Farrow. Auch dieses Mal stehen der kauzige kanadische Kommissar Cinq-Mars und seine ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden im Vordergrund. Ähnlich wie in [„Eishauch“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5659 kämpft er auch dieses Mal gegen das organisierte Verbrechen …

Émile Cinq-Mars ist ein Polizist der alten Schule. Er bevorzugt menschliche Informanten statt Computerprogrammen, er arbeitet lieber alleine als im Team und vor allem ist es sein erklärtes Ziel, das Verbrechen zur Strecke zu bringen. Von Korruption und Wegschauen hält er wenig. Er bohrt auch da nach, wo es weh tut und nimmt es in Kauf, in die Schusslinie zu geraten.

Eines Tages bekommt er einen Anruf. Er soll zum Eisangeln zum Lake of Two Mountains fahren und dort warten. Tatsächlich trifft er dort jedoch keinen Informanten, sondern einen Toten. Im Eisloch in der Hütte der jungen Mutter Camille befindet sich die Leiche eines Mannes und er ist nicht ertrunken. Er wurde erschossen.

Wer ist der Tote? Und wieso musste er überhaupt sterben? John Farrow nimmt sich an dieser Stelle viel Zeit, um die Geschichte von Andy, dem Verstorbenen, Lucy und Camille zu erzählen. Die drei sind Angestellte eines kanadischen Pharmaunternehmens, dessen Geschäfte nicht immer legal sind. Sie machen sich auf den Weg, um, getrieben vom dem Willen, Menschenleben zu retten, noch nicht zugelassene AIDS-Medikamente an amerikanischen Patienten auszuprobieren. Die meisten ihrer „Versuchskaninchen“ könnten sich anders eine Behandlung niemals leisten. Lucy, die die Medikamente verabreicht, macht diese Tour nicht zum ersten Mal – doch dieses Mal läuft etwas nicht nach Plan. Andy, der für die Sicherheit der Unternehmung zuständig ist und außerdem Interesse an ihr gefunden hat, erzählt ihr, dass es vielen der Patienten nicht besser, sondern schlechter geht. Bald gibt es die ersten Toten und die drei müssen auf einmal fürchten, dass ihre illegalen, aber gut gemeinten Taten auffliegen …

„Treibeis“ hinkt seinem Vorgänger „Eishauch“ deutlich hinterher. Schuld daran ist das Nebeneinander zweier Geschichten. In der einen ermittelt Cinq-Mars, wie man das auch erwartet, doch in der anderen spielen Andy, Lucy und Camille die Hauptrollen. Letztere dominiert das Buch weitgehend. Statt um Mord und Totschlag geht es in diesen Abschnitten um die Pharmaindustrie, um Intrigen in Unternehmen und die folgenschwere Mission in Amerika. Farrow versäumt es, genug Krimispannung einzubauen. Stattdessen dümpelt der Roman über weite Strecken vor sich hin. Erst gegen Ende, wenn Cinq-Mars und sein junger Partner Bill Mathers endlich zu Wort kommen, fängt sich die Geschichte. Die beiden versuchen den Mord aufzuklären, was sich aber als sehr schwierig gestaltet. Schließlich wird auch noch eine junge Frau entführt, Verbindungen zu den Bikerbanden in Montreal, Cinq-Mars natürliche Feinde, ergeben sich. Dies sind die Stellen, an denen man an die Spannung des Vorgängers erinnert wird, doch sie sind erstens viel zu selten und zweitens zu schnell vorbei.

Dass der Kriminalfall in den Hintergrund rückt, sorgt unweigerlich dafür, dass auch Cinq-Mars weniger Auftritte hat. Das ist mehr als schade, denn sein Charakter würde einige Schwächen in der Geschichte wett machen. Farrow fügt seinem Protagonisten in diesem Buch weitere Facetten hinzu und erzählt weitere interessante Details aus seinem ungewöhnlichen Privatleben. Nicht jeder Polizist wird von sich sagen können, Poloponys zu züchten und eine jüngere amerikanische Ehefrau zu haben. Hinzu kommt seine kauzige Art, die skurrilen Dialoge und sein fantastischer Humor. Diese drei Dinge entfalten sich vor allem in der Zusammenarbeit mit seinem Partner Bill Mathers, der im ersten Buch neu zu ihm gestoßen ist. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten arbeiten die beiden nun sehr gut zusammen, auch wenn Bill ob der seltsamen Art seines Chefs manchmal die Stirn runzelt.

Sprachlich ist an der Geschichte nichts auszusetzen. John Farrow kann nicht verbergen, dass er ursprünglich belletristische Literatur schreibt (unter dem Namen John Ferguson). Er liefert wesentlich mehr als bloße Situationsbeschreibungen oder die Gedankengänge eines fokussierten Ermittlers. Immer wieder bezieht er das Privatleben seiner Personen ein, deren Gedankengänge und ihr Gefühlsleben. Er wählt dazu häufig gefühlsbetonte Wörter, die dem Leser helfen, sich in die Geschichte hinein zu versetzen. Seine Beschreibungen sind manchmal recht lang und scheinen zu Nebensächlichkeiten abzuschweifen, sorgen aber dafür, dass die Vorstellungskraft mit allem bedient wird, was sie braucht, um sich die Geschichte in bunten Farben auszumalen. Nicht unerwähnt darf der feine Humor bleiben. Die Dialoge animieren immer wieder zum Lachen, ohne die Geschichte ins Lächerliche zu ziehen und vor allem die Person Cinq-Mars lebt von diesen kleinen Bemerkungen.

„Treibeis“ ist gut geschrieben und in Ansätzen mitreißend. Allerdings vertut sich Farrow vor allem am Anfang ein bisschen. Dadurch, dass er die Geschichte in zwei Stränge aufteilt, geht ihr einiges an Spannung verloren. An den Vorgängerroman „Eishauch“ kommt er so nicht heran, auch wenn dieser nicht perfekt war.

|Taschenbuch: 565 Seiten
Originaltitel: Ice Lake
Deutsch von Friederike Levin
ISBN-13: 978-3426635131|
http://www.knaur.de

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