Faulks, Sebastian – James Bond: Der Tod ist nur der Anfang

_Das geschieht:_

Nachdem ihm erst der böse Blofeld die Gattin erschoss und kurz darauf der irre Killer Scaramanga ihn zum Duell forderte, ist James Bond, Doppel-Null-Agent mit der Lizenz zum Töten, körperlich und geistig am Ende. M, Chef des britischen Geheimdienstes, schickt ihn in einen dreimonatigen Zwangsurlaub. Bond nimmt an und ist nach einigen ruhigen Wochen fast entschlossen, den Dienst zu quittieren, als ihn ein dringender Auftrag ins große Agentenspiel zurückkehren lässt.

Der charismatische aber psychisch gestörte Wissenschaftler Dr. Julius Gorner plant, seinem Hass auf alles Britische durch die Flutung des Inselreiches mit qualitativ hochwertigem Heroin zu frönen. Im persisch-sowjetischen Grenzgebiet des Irans – wir schreiben das Jahr 1967 – hat er eine Laborfestung errichtet, in der rauschgiftsüchtige Sklaven für ihn schuften. Mit den Sowjets, denen Gorners Plan sehr gut gefällt, steht der Doktor im Bund, was den britischen Geheimdienst erst recht in Aufruhr versetzt.

Schon bevor Bond sein Flugzeug nach Teheran besteigen kann, wird ein erster Mordanschlag auf ihn verübt, denn Gorner hat seine Spitzel überall. Als wäre es nicht schwierig genug, selbst am Leben zu bleiben, steht Bond auch noch im Wort bei der schönen Scarlett Papava. Er soll ihre Zwillingsschwester Poppy retten, die zu Gorners Sklavenheer zählt.

Teheran ist Stützpunkt zahlreicher Geheimdienste und Agenten. Die ‚Kollegen‘ von der CIA empfangen Bond unfreundlich. Aber auch Gorner weiß längst, dass Bond ihn ausforschen soll. Die Falle ist gestellt, und als sie zuschnappt, steckt 007 tief in Gorners bizarrer Festung gefangen, wo er von dessen neuestem Projekt erfährt – dem III. Weltkrieg …

_Held von heute in der Welt von gestern_

2006 blies der global erfolgreiche Relaunch der James-Bond-Filmreihe frischen Wind ins halbtote 007-Franchise. Auf dass die Münzen noch ein wenig lauter im Beutel klingelten, wurde auch der ‚literarische‘ James Bond wiederbelebt. Zwar erschienen nach Ian Flemings Tod (und unabhängig von den Filmen) immer wieder neue 007-Romane, doch litten auch diese unter denselben Ermüdungserscheinungen, die auch dem Film-Bond beinahe den Garaus gemacht hätten.

Lustlos wurde immer wieder aufgekocht, was längst nicht mehr originell war. Während die 007-Story mit „Casino Royale“ quasi wieder neu aufgerollt wurde, entschied man sich, die Bond-Chronik, wie sie durch die Filme fortgeschrieben war, für den neuen Roman zu ignorieren: Nun endete sie 1966, dem Jahr, in dem – bereits postum – Flemings letzte Bond-Kurzgeschichten („Octopussy“ und „The Living Daylights“) erschienen waren, und wurde fast nahtlos durch Sebastian Faulks fortgesetzt, der seinen pünktlich zum 100. Geburtstag von Ian Fleming veröffentlichten 007-Thriller 1967 spielen lässt.

„Sebastian Faulks schreibt als Ian Fleming“, lesen wir auf dem Buchcover – eine ebenso anmaßende wie überflüssige Ankündigung, die indes unfreiwillig perfekt diesen Retro-Bond charakterisiert. Faulks erfindet den Geheimagenten nicht neu. Seine Intention ist ein Roman, wie ihn Fleming geschrieben hätte, wäre er nicht 1964 eines frühen Todes gestorben. Er bedient sich der Mechanismen, für die Fleming berühmt (oder berüchtigt; die Kritiker sind sich da uneins) geworden ist: Bond ist wieder ein aktiv an den Fronten des Kalten Kriegs kämpfender Agent. Zu seinem Job gehört es, sich in allen Gesellschaftsschichten zu bewegen. In der iranischen Wildnis tritt er ebenso sicher auf wie an der französischen Riviera. Fleming schätzte die Attribute des feinen Lebens sehr und schilderte sie ausführlich in seinen Romanen. Folgerichtig beschreibt auch Faulks luxuriöse Autos, opulente Menüs oder schicke Kleidung ungemein detailliert.

_Viel Mühe investiert & nur Bekanntes erschaffen_

Schon jetzt taucht die Frage auf, worin der Sinn besteht, einen literarischen Stil nachzuahmen, der vor langer Zeit mit seinem Schöpfer verschwunden ist. Als Kopist hat Faulks zweifellos gute Arbeit geleistet. Genau dieser Punkt wird in der Werbung hervorgehoben, denn selbstverständlich wurde „Der Tod ist nur der Anfang“ unter gehörigem Mediengetöse auf den Markt gebracht.

Der Plot scheint in diesem Zusammenhang eher unwichtig zu sein. Faulks strickt ein nie originelles und simples, aber solides und in Unkenntnis des 007-Universums – dazu gleich mehr – unterhaltsames Thriller-Garn. Gorners Drogenkartell ist ein brauchbarer Aufhänger. Fleming selbst schrieb Anfang der 1960er Jahre das Skript zu einem Thriller im Rauschgiftschmuggel-Milieu des Nahen Ostens, das 1966 als „Poppies Are Also Flowers“ (dt. „Mohn ist auch eine Blume“) verfilmt wurde. James Bond tauchte in dieser Geschichte nicht auf.

Hieße die Hauptfigur hier nicht James Bond, wäre Faulks Roman allerdings nicht der Stoff, aus dem Bestseller gemacht werden. Schlimmer noch: „Der Tod ist nur der Anfang“ reiht faktisch und kaum (bzw. schlecht) variiert ausschließlich Bond-Szenen aneinander, die wir aus Flemings Romanen und den 007-Filmen (primär mit Sean Connery) kennen. Bonds Tennis-Duell mit dem unfair aufspielenden Gorner ist dem Poker-Turnier mit dem mogelnden Goldfinger nicht nur nachempfunden. Die pittoreske Szenerie in Teheran erinnert fatal an das Istanbuler Ambiente aus „From Russia with Love“ (dt. „Liebesgrüße aus Moskau“).

_Das Böse ist immer gezeichnet_

Und natürlich ist Julius Gorner nur ein weiterer megalomanischer Bösewicht in der Tradition von Dr. No, Hugo Drax oder Karl Stromberg. An seiner Seite tückt als Psychopath fürs Grobe nicht Oddjob, Schnickschnack oder gar der „Beißer“, sondern der lobotomisierte Kriegsverbrecher Chagrin.

Denn das Böse manifestiert sich im Bond-Kosmos nicht nur im Größenwahn seiner Schurken, sondern auch in deren Erscheinung. Die innere Verunstaltung spiegelt sich im Äußeren wider: Gorner leidet unter einer Erbkrankheit, die seine linke Hand in eine behaarte Affenpfote verwandelt, Chagrin hat eine Klappe im Schädeldach und leidet unter einer Lähmung der Gesichtsnerven, die ihn keine Miene verziehen lässt.

Schon Fleming schätzte solche plakativen Finsterlinge. Anders als in den Bond-Filmen seit den 1970er Jahren vernachlässigte er darüber jedoch nicht das realitätsbezogene Szenario einer Welt im Kalten Krieg. Faulks kann oder mag sich dem nur bedingt anschließen. Er lässt die Weltpolitik des Jahres 1967 pflichtschuldig einfließen. Sehr viel ausführlicher schwelgt er jedoch in den pompösen, aber unrealistischen Vernichtungs- und Racheplänen des Dr. Gorner und damit in der Science-Fiction-Gigantomanie des Kino-Bonds. (Außen vor bleiben immerhin die lachhaften ‚Geheimwaffen‘, mit denen Q selig ihn so zahlreich ausstattete.)

_Der Anfang ist nur der Tod_

Der ’neue-alte‘ Bond soll stylish wirken. Stattdessen ist er altmodisch. Flemings Bond war zeitgemäß und im positiven Sinn ein Kind seiner Zeit. Faulks schickt Strom durch die Muskeln eines toten Frosches: Er zuckt, aber lebendig wird er deshalb nicht. Sogar als Liebhaber kommt Bond nie zum Zug; entweder will er gerade nicht, oder es kommt im entscheidenden Moment etwas dazwischen. Andererseits ist Scarlett Papava als Bond-Girl keine Offenbarung, ihre Attraktivität nur behauptet. Es braucht halt eine schöne Frau an James Bonds Seite – ein weiterer Automatismus, der sich als solcher selbst entlarvt.

Als Bond das erste Mal auftritt, unternimmt er gerade eine Erholungsreise durch das mediterrane Europa. Er ist ausgebrannt, was Autor Faulks ausführlich begründet, und will aussteigen. Das ist in einem Moment vorbei und vergessen, sobald er auf Gorners Fährte gesetzt wird. Bonds Midlife-Crisis wird nie wieder erwähnt; sie war wohl doch nicht so stark ausgeprägt …

Oder hat die von M verordnete Kur angeschlagen? Dass „Der Tod ist nur der Anfang“ unter anderem im „Swinging London“ der späten 1960er Jahre spielt, erfahren wir dadurch, dass M sich unheilvoll über die Promiskuität aktueller Popsänger auslässt. Allerdings hat die „Flower-Power“-Bewegung trotzdem den Geheimdienst erreicht – M übt sich nun in Yoga und verdonnert auch den entsetzten 007 zu entsprechendem Treiben: Ist es Faulks Absicht, Bond im Kontrast zu einer Welt im Wandel als betont konservativen Charakter zu zeigen? Mögen wir einen James Bond, der mit seiner ältlichen Aufwartefrau einig ist in der Ächtung der Rolling Stones?

Und mit dieser tiefsinnigen Frage sowie folgendem Fazit schließen wir diese Buchbesprechung: „Der Tod ist nur der Anfang“ bietet leichte Thriller-Kost mit der beruhigenden Gewissheit des Bekannten, nie Überraschenden; so mancher Leser schätzt diese Routine, und der Handel weiß, was er wie zu vermarkten hat. Der James Bond, den Ian Fleming einst schuf, bleibt allerdings tot. 007 lebt nur im Kino wirklich weiter. Dort scheint er allerdings unsterblich zu sein.

_Anmerkung_

„Devil May Care“, der Originaltitel, ist ein altes englisches Sprichwort, das sich am besten mit „Nach mir die Sintflut“ übersetzen lässt, was wesentlich besser klingt als das elegisch-pompöse „Der Tod ist nur der Anfang“.

_Der Autor_

Sebastian Charles Faulks wurde 1953 in Newbury in der englischen Grafschaft Berkshire geboren. Er studierte Englisch an der Universität Cambridge und wusste nach eigener Auskunft bereits in jungen Jahren, dass er sein Geld als Autor verdienen wollte. Nach seinem Abschluss übernahm Faulks zunächst eine Dozentenstelle, bevor er in den Journalismus wechselte und für verschiedene Zeitungen arbeitete.

1984 erschien „A Trick of Light“, Faulks Romandebüt. Als Literat blieb er in den nächsten Jahren vor allem ein Kritikertipp. Sein Durchbruch gelang Faulks 1993 mit „Birdsong“ (dt. „Gesang vom großen Feuer“), dem zweiten Teil seiner Trilogie „The Girl at the Lion d’Or“ – das Buch entwickelte sich zum millionenfach verkauften Bestseller. Seinen Ruf als ‚ernsthafter‘ Schriftsteller wusste Faulks in den nächsten Jahren mit weiteren Romanen zu festigen und zu steigern.

Obwohl Faulks sich ab 1991 auf seine Tätigkeit als Schriftsteller konzentrierte, blieb er weiterhin journalistisch aktiv; unter anderem schrieb er Kolumnen und historische Dokumentationen für das Radio. 2007 sorgte die Nachricht für Aufsehen, dass ausgerechnet Faulks von der Erbengemeinschaft Ian Flemings den Auftrag übernommen hatte, einen neuen James-Bond-Roman zu schreiben. „Devil May Care“ (dt. „Der Tod ist nur der Anfang“), ein gelungenes, aber wenig originelles Fleming-Pastiche, entstand binnen sechs Wochen und sicherte Faulks neben einem hoch dotierten Lohnscheck die Aufmerksamkeit der Medien, bevor er zur ‚hohen‘ Literatur zurückkehrte.

Sebastian Faulks informiert über seine Arbeit auf eigener Website: http://www.sebastianfaulks.com.

_Impressum_

Originaltitel: Devil May Care (London : The Penguin Group 2008)
Übersetzung: Jürgen Bürger
Dt. Erstausgabe: Mai 2008 (Wilhelm Heyne Verlag/Paperback Nr. 26602)
352 Seiten
EUR 12,95
ISBN-13: 978-3-453-26602-5
Als Taschenbuch: August 2009 (Wilhelm Heyne Verlag/TB Nr. 43414)
352 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-453-43414-1
http://www.heyne-verlag.de

_Mehr James Bond auf |Buchwurm.info|:_

[„Casino Royale“ 1748
[„Moonraker“ 1830
[„Leben und sterben lassen“ 2035
[„Der Tod ist nur der Anfang“ 5204

Schreibe einen Kommentar