Feige, Marcel – Inferno – Schwester der Toten

Band 1: [„Ruf der Toten“ 2112

„Manchmal bedeutet Dunkelheit Gnade.“ Dieser großartige Satz bringt die Lage des Fotografen Philip präzise auf den Punkt. Innerhalb weniger Tage ist sein ohnehin nur in Grundzügen geregeltes Leben inklusive diverser Ecstasy-Abstürze völlig aus den Fugen geraten und droht nun, komplett den Bach runterzugehen. Er steht unter Mordverdacht, befindet sich auf der Flucht vor der Polizei, weil er aus der Untersuchungshaft geflohen ist, wird von Visionen geplagt, in denen er schreckliche Verbrechen geschehen sieht, und scheint plötzlich für kurze Zeit in die Vergangenheit reisen zu können. Nichts wünscht er sich sehnlicher, als all das auszublenden, den Kopf frei zu bekommen, abzuschalten. Stattdessen werden immer neue Fragen aufgeworfen. Fragen, die er nicht versteht, und Fragen, deren Antworten er nicht kennt. Nur eins wird ihm immer bewusster: Sein bisheriges Leben ist eine große Lüge gewesen.

Beatrice muss ähnliche Erfahrungen machen, allerdings sind die Vorzeichen genau umgekehrt. Seitdem die Londoner Studentin ohne Erinnerung in einer dreckigen Seitenstraße aufgewacht ist, möchte sie der Dunkelheit entfliehen. Wer ist sie? Wie hat ihr Leben ausgesehen? Auf der Suche nach ihrer Vergangenheit wird sie von ähnlichen Erscheinungen heimgesucht wie Philip. Die Toten sind in Aufruhr, möchten ihr etwas mitteilen. Irgendwas braut sich zusammen, und sie scheint in dem großen Ganzen eine gewichtige Rolle zu spielen.

_Beurteilung:_

Im zweiten Teil der „Inferno“-Trilogie werden die Daumenschrauben weiter angezogen. Bestach bereits „Ruf der Toten“ durch zügiges Tempo, so geht es diesmal noch etwas rasanter zur Sache. Noch immer alternieren die Schauplätze Berlin und London bzw. in diesem Band auch Lindisfarne, eine Insel im Norden Englands, und Autor Marcel Feige bereitet es insbesondere in der zweiten Hälfte des Buchs große Freude, dem Leser am Ende jedes Kapitels ein Wort oder einen Satz vorzusetzen, die es enorm erschweren, den Schmöker aus der Hand zu legen. Allerdings merkt man sehr schnell, dass es tatsächlich erst im abschließenden Teil Auflösungen geben wird. Auch mit „Schwester der Toten“ verweigert Feige konsequent die Beantwortung der Frage „Worum geht es eigentlich wirklich?“.

Das Augenmerk liegt erneut voll und ganz auf der Vorantreibung der verschiedenen Handlungsstränge, die zum Teil zusammengeführt werden; eine detaillierte Charakterzeichnung findet nicht statt. Die Figuren werden genau wie im ersten Teil wie auf einem Schachbrett verschoben, bleiben dabei zwar nicht vollständig anonym, aber man erfährt nur so viel über sie, dass es die Geschichte voranbringt und gleichzeitig ein Grundinteresse an ihrem Schicksal geweckt wird. Und so weiß der Leser genauso viel über die Hauptcharaktere wie diese über sich selbst: nichts. Es dominieren einzig Gefühle wie Angst, Verzweiflung und Ungewissheit, die elementar wichtige Bestandteile der Story sind und nicht unerheblich zur Spannungssteigerung beitragen.

Dass die Figuren der „Inferno“-Romanwelt ohne Probleme auf der für sie angemessenen Seite des Gut-Böse-Schemas eingeordnet werden können, tut dem Lesespaß keinen Abbruch. Auch wenn der herrlich verschlagene (und natürlich narbengesichtige) Vatikanhäscher Lacie von Anfang an als Person eingeführt wurde, mit der man sich besser nicht anlegt und die selbst ihren Auftraggebern suspekt ist, und man somit nicht von seinen Taten überrascht wird, sind seine Auftritte kleine Höhepunkte der ohnehin ereignisreichen Handlung. Wenn Marcel Feige ihn das „Nur über meine Leiche“ eines seiner Opfer mit einem „Endlich ein vernünftiger Vorschlag“ kontern lässt, hat das zynischen Stil, der perfekt zur Weltuntergangsstimmung der Geschichte passt.

_Fazit:_

Am Ende von „Schwester der Toten“ hat man (fast) denselben Wissensstand wie nach dem Abschluss des Vorgängers, und dennoch hat man das Gefühl, jede Menge neuer Erkenntnisse gewonnen zu haben, die im dritten Teil noch sehr wertvoll sein können. So und nicht anders muss eine Trilogie aufgebaut sein. Was genau passieren wird, ist immer noch nicht vorherzusehen; dass etwas passieren wird, ist gesichert. Die Apokalypse steht unmittelbar bevor, und bei „Inferno“ sitzt man in der ersten Reihe.

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http://www.dasinferno.de/

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