Felixa, Magdalena – Fremde, Die

Berlin, Berlin … Magdalena Felixa hat ein Buch geschrieben, in dem die Stadt eine Nebenrolle spielt und das sich wie ein modernes Großstadtmärchen liest – nur ohne den Kitsch und den Prinzessinnentüllquatsch.

Die Ich-Erzählerin ist dem Leser ganz nahe – schließlich breitet sie ihr Leben vor ihm aus – und doch wieder so entfernt. Das Ich in diesem Buch nennt noch nicht mal ihren Namen, sagt wenig über ihr Äußeres, zeigt kaum Gefühle und doch ist es das Beste, was diesem Buch passieren konnte. Selena, Hanna, Mimi oder Alice – um nur einige ihrer Namen zu nennen – ist immer auf der Flucht. Ihre Heimat liegt irgendwo im Osten und sie hält sich illegal in Berlin auf. Sie schlägt sich mit kleinen Jobs herum, wohnt bei einer der vielen Freunde, die sie kennt und die es zumeist nicht besser haben als sie selbst. Sie ist eine Schattenexistenz, die sofort weghuscht, wenn ein Lichtstrahl auf sie gerichtet wird.

Genau das passiert, als plötzlich zwei Männer auftauchen, die sie nach einem ehemaligen Chef von ihr befragen und nicht gerade zimperlich mit ihr umgehen. Doch es kommt noch schlimmer, denn die Polizei ist ebenfalls auf den Fersen von Roman, dem ehemaligen Chef. Immer wieder wird sie von ihren Verfolgern aufgespürt, doch schließlich bietet sich ihr eine Chance, um für immer aus der Stadt zu fliehen …

Magdalena Felixa hat ein großartiges kleines Buch geschrieben. Nüchtern und doch intensiv. Leuchtend, obwohl es im Halbdunkeln der Illegalität spielt. Ein Kleinod in den dreckigen Straßen Berlins. Ihre namenlose Hauptperson setzt sie nach dem Prinzip „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“ ein. Der Leser erfährt wenig von ihr oder von ihrer Vergangenheit, sondern begleitet sie eine Weile durch ihr beschwerliches Leben, ohne dass sie ihn dabei zu nahe heranlassen würde. Distanz ist das Zauberwort, welches das ganze Buch zu tragen scheint und obwohl es Schlimmes erahnen lässt, ein sehr geschickter Schachzug ist, denn diese Distanz verleiht der Hauptperson eine tragische Seriösität, die einem eine Gänsehaut auf den Rücken zaubert.

Diese Distanz, diese Bodenständigkeit, die Selena oder wie auch immer umgibt, schlägt sich auch im Schreibstil nieder, der sehr graziös und gleichzeitig trocken ist. Felixa braucht nur wenige Worte und eine Hand voll kurzer, einfacher Sätze, um in dem knapp 200 Seiten umfassenden Buch ein eigenes kleines Universum zu schaffen. Anders als man vielleicht vermutet, bedarf sie dafür keiner Gossensprache, sondern greift auf ein leicht verständliches, poetisches Deutsch zurück. Die Dichte von Metaphern und wunderschönen Beschreibungen ist hoch. Trotzdem drängen sie sich dem Leser niemals auf.

|“Um den Platz herum, wo einst die Grenze war, ist es seltsam still. Ich liebe die stummen Baustellen, die nachts mit offenen Augen schlafen, wie ich es tue.“| (Seite 5)

Der ganze Roman ist sehr unaufdringlich, distanziert eben, was sich schon bei den kurzen Kapiteln mit den teilweise sehr poetischen Titeln zeigt. Sie sind episodenhaft, wie herausgerissen aus dem Großstadtleben. Sie demonstrieren die Rastlosigkeit der Fremden, die überall und nirgendwo zu sein scheint.

|“Meine Freunde sind Neger, Kanaken, Schwule, Fliehende, Fremde. So wie ich. Ich mag Menschen, für die ich austauschbar bin, die nicht heucheln, verliebt zu sein. Ich sehe lieber ihre Begierden, als in ihre Seelen zu blicken. Ich will keine Fragen stellen. Ich mag, wen sie um mich herum sind und mir aus ihrem Leben erzählen. Ich selbst bleibe lieber unsichtbar, ziehe es vor, daß man sich nicht an mich erinnert. Das Zuhören ist keine tugendhafte Eigenschaft meines Charakters. Es ist ganz eigennützig. Das Stakkato beruhigt micht. Ich schließe die Augen und höre zu. Hunderte Geschichten vom verpaßten Glück. Berlin, Stadt der Entzauberten.“| (Seite 6)

Magdalena Felixa hat mit „Die Fremde“ ein beachtliches Buch geschaffen. Ein kleines, trauriges Großstadtmärchen mit einer wundervollen Hauptperson und einer klaren, poetischen Sprache, welche die Stimmung, die das Buch durchzieht, direkt auf den Punkt bringt. Bravo!

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