Felsch, Philipp – Wie August Petermann den Nordpol erfand

_Als John Franklin_ zur Mitte des 19. Jahrhunderts beschloss, die Phantasien und Träume den Nordpol betreffend endlich mit Leben zu füllen, schien die Entdeckung des nördlichsten Erdpunkts nur noch eine Frage der Zeit. Als renommierter Seemann und erfolgreicher Entdeckungsreisender galt Franklin als absolute Bank, und insbesondere die Herrschaften in der Royal Geographics Society waren sich gewiss, dass dieses Fleckchen Erde und vor allem die Nordostpassage, die einen vorteilhaften Handelsweg nach Indien versprach, schon bald kein Märchen mehr sein würde.

Als die Franklin-Expedition sich jedoch langsam als sicher zur absoluten Katastrophe entwickelte und nach mehreren Jahren feststand, dass seine beiden Schiffe nicht mehr zurückkehren würden, avancierte der Nordpol und seine zahlreichen am Reißbrett entwickelten Gegebenheiten zu einem noch viel größeren Mysterium – und nur wenige profitierten von der Leichtgläubigkeit und Besessenheit, ihn endlich aufzuspüren, so sehr wie der berüchtigte Kartograf und Wissenschaftler August Petermann.

Petermann war bereits frühzeitig vom damals grassierenden Polarfieber gepackt und fühlte sich schnell zu den wissenschaftlich führenden Briten hingezogen. Als es ihm mit etwas Glück schließlich gelang, in die ruhmreiche Royal Geographics Society aufgenommen zu werden und dort seine teils recht wilden Thesen vorzustellen, war dies der Durchbruch, gleichzeitig aber auch der Beginn einer permanenten Revolution gegen den Verstand und die Vernunft. Petermann wurde ebenso schnell wieder vertrieben, galt aus Aufwiegler und kompromissloser Draufgänger, der den Nordpol mit aller Macht erobern wollte – allerdings nur auf dem Papier.

Immer wieder veränderte er auf seinen Karten Seewege und mögliche lokale Landschaftsbilder, bastelte aus der Phantasie, die durch die Erfahrungsberichte gescheiterter Expeditionen reifte, die Arktis komplett neu und hielt jahrelang an der These eines riesigen schiffbaren Polarmeeres fest, welches schließlich doch noch die ersuchte Handelspassage offenbaren würde. Immer wieder fand Petermann Gönner, zunächst im Provinznest Gotha, von wo aus er seine geografischen Studien als literarische Reihe publizierte, später in Regierungskreisen und zu Hofe. Unterstützung wurde ihm trotz aller Skepsis immer wieder zuteil, da es Petermann schaffte, mit der Eleganz und Überzeugungskraft seiner Machwerke Faszination auszulösen.
Und so kam es, dass aberdutzende Expeditionen, die unter anderem auch auf seinen Theorien basierten, ins Leere segelten und in ihren Träumereien baden gingen.

_Philipp Felsch_, seines Zeichens Wissenschaftshistoriker, hat sich des renommierten Kartografen nun in einer recht übersichtlichen Dokumentation über die wissenschaftlichen Diskussionen und Entwicklungen zur Nordpolforschung des vorletzten Jahrhunderts angenommen. In „Wie August Petermann den Nordpol erfand“ berichtet er vom fleißigen Zeichner und puren Theoretiker, dies jedoch in sehr kritischem Stil. Der Person Petermann haftet in der hiesigen Darstellung schnell etwas vom Lügenbaron Münchhausen an, zwar mit dem Unterschied, dass er sein ‚Publikum‘ nicht bewusst in die Irre führte, aber dennoch jederzeit dessen Naivität und Befangenheit nutzte, um Bestätigung für seine Vermutungen zu finden.

Schade ist in diesem Zusammenhang lediglich, dass „Wie August Petermann den Nordpol erfand“ in erster Linie ein Bericht aus wissenschaftlicher Perspektive ist und somit die tragische Figur, die der im Titel erklärte Protagonist definitiv war, nicht so recht zum Zuge kam. Petermann beging am Ende seiner Laufbahn überraschend Suizid und wartete eine der meist versprechenden Expeditionen erst gar nicht mehr ab. Was dahinter steckte, ist zwar nicht hinlänglich bekannt, doch wenigstens ein kleiner analytischer Abriss zum eigentlichen Menschen, und eben nicht zum Kartografen, wäre in der Gesamtübersicht wünschenswert gewesen.

Davon abgesehen ist Felschs aktuelles Werk, welches er erneut unter der übergeordneten Überschrift ‚Humboldts Söhne‘ veröffentlicht, eine sehr unterhaltsame Lektüre, die nicht nur gut recherchiert, sondern auch in nicht allzu komplexer Sprache zusammengestellt ist. Oder mit anderen Worten: Das klar adressierte Publikum wird sicher nicht enttäuscht sein!

|Taschenbuch: 270 Seiten
ISBN-13: 978-3630621784|
[www.luchterhand-literaturverlag.de]http://www.luchterhand-literaturverlag.de/

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