Fingerman, B. H. – Blutraub

_Vampirromane_ liegen im Moment voll im Trend und überschwemmen den Markt in derartiger Fülle, dass es dem Lesefreudigen leicht fallen dürfte, sich mit nichts anderem als der Lektüre von Vampirromanen die Zeit zu vertreiben. Doch die Tatsache, dass dieses Genre so rasant angewachsen ist, birgt natürlich auch Gefahren – vor allem die der Wiederholung und des Klischees. Die Buchhandlungen sind voll von depressiven Vampiren, die fantastisch aussehen und nur darauf warten, in einer kleinen grauen Maus die Frau für die Ewigkeit zu finden. Oder von taffen Dämonenjägerinnen, die es auf die ebenso taffen (aber trotzdem gut aussehenden) Vampire abgesehen haben.

Einen wirklich originellen Vampirroman und einen andersartigen Vampir nieder zu schreiben, scheint also eine recht schwierige Aufgabe zu sein, bei der sich männliche Autoren besser schlagen als ihre weiblichen Kolleginnen – sicherlich, weil sie keine Skrupel haben, dem Vampir seine romantische Komponente zu nehmen. Auch Bob Fingerman, der eigentlich Comic-Zeichner ist und mit „Blutraub“ seinen ersten Roman vorgelegt hat, schlägt in diese Kerbe. Sein Vampir Phil will schonungslos realistisch sein und Vampirismus jenseits von adligen Blutsaugern und schlanken Frauenhälsen zeigen.

_Als Mensch war Phil_ nämlich ein ganz normaler New Yorker mit Frau und mit Job – ein totaler Durchschnittstyp also. Doch dann ändert sich plötzlich alles, als er nachts in der U-Bahn angegriffen und zurückgelassen wird. Die Polizei hält ihn zunächst für tot, doch als er sich plötzlich wieder aufrappelt, lassen ihn die völlig verdutzten Beamten einfach gehen. Auch Phil hat keine Ahnung, was mit ihm passiert ist. Als er jedoch endlich realisiert, was geschehen ist – nämlich, dass er von einem Vampir angegriffen wurde und jetzt selbst einer ist -, geht es mit seinem geregelten Leben bergab.

Seine Frau verlässt ihn, und auch wenn er es schafft, bis zum Tod seiner Eltern Kontakt mit ihnen zu halten, muss er sich doch ständig von seinem Vater Vorwürfe darüber anhören, dass er nur nachts erscheint und immer so blass aussieht. Arbeiten kann er natürlich auch nur während der Nacht (ja tatsächlich – ein Vampir, der arbeitet) und seine Jobs muss er immer nach einigen Jahren aufgeben, damit niemandem auffällt, dass er nicht altert. Seine Skrupel führen dazu, dass er sich nur von Pennern und Abschaum ernährt, vor dem er sich eigentlich ekelt (daher der amerikanische Titel „Bottomfeeder“). Ein Sozialleben hat er nicht. Den einzigen Freund, den er aus seinem Leben als Mensch in seine vampirische Existenz hinüberretten konnte, ist Shelley, ein wehleidiger, stotternder Trinker.

_Fingerman_ ist mit seinem Ich-Erzähler Phil ein überzeugender Gegenentwurf zum romantischen und sogar zum gefährlich-tödlichen Vampir gelungen. Phil war zu Lebzeiten ein Normalo und ist es auch im Tode noch. Als ihn sein neuer Vampirbekannter Eddie in die Vampirgesellschaft New Yorks einführt (mit Penthouse, Marmorböden und lebenden Blutspendern, die hinter einer Bar aufgebaut sind), stößt ihn die offensichtliche Dekadenz und Lebensfeindlichkeit ab. Er spürt deutlich, dass er nicht dazu gehört und sich sein sozialer Status nicht automatisch mit seiner Vampirwerdung verbessert. Weder hat er einen französischen Akzent, noch kommt er unversehens zu Reichtum, noch wirkt er auf Frauen wahnsinnig anziehend. Er muss immer noch arbeiten, um die Miete für sein kleines Apartment zahlen zu können, und er fährt immer noch U-Bahn. Stattdessen hat ihn seine Lage zu einem bitterbösen Zyniker gemacht, und er beobachtet seine Umgebung mit gnadenlosem Auge und spitzer Zunge.

Leider trägt die pure Idee eines Anti-Vampirs wie Phil nicht den ganzen Roman, denn was Fingerman in „Blutraub“ vermissen lässt, ist eine spannende Handlung. Man merkt dem Autor seinen Hintergrund als Comic-Zeichner an: Da, wo er Szenen und Details beschreibt, wo es um Momentaufnahmen und Stimmungen geht, ist er unglaublich plastisch und lässt mit Leichtigkeit Bilder im Kopf des Lesers erstehen. So begleitet er Phil zu seiner Arbeit, wo dieser alte Fotografien (meist von tödlichen Unfällen oder Morden) digitalisiert. Was Phil sieht, wird auch dem Leser auf dem Silbertablett präsentiert. Jeder Tropfen Blut, jedes verrenkte Glied, jede groteske Todesart wird genüsslich in deutliche Worte übersetzt. Allerdings wird natürlich keine Spannung aufgebaut, wenn nur eine beschreibende Szene an die nächste geknüpft wird, und man fragt sich zwangsläufig, welchen roten Faden Fingerman eigentlich in seinen Roman eingebaut hat.

Ja, im Verlauf der Handlung trifft Phil auf andere Vampire (und Fingerman stellt wunderbar die Dekadenz des Vampirismus und seine absolute Realitätsferne bloß) und ja, auch sein alter Freund Shelley wird schlussendlich eine wichtige Rolle spielen (und für eine ironische Brechung eines typischen Vampirtopos sorgen – mehr sei nicht verraten). Doch grundsätzlich ist „Blutraub“ unglaublich handlungsarm. Wirkliche Langeweile kommt zwar nie auf, da Fingerman es durchaus versteht zu schreiben und seine Leser bei Laune zu halten. Aber Spannung zu erzeugen, eine tragende Handlung aufzubauen, das ist Fingermans Talent nicht.

_Trotzdem_, für ein Debüt hat „Blutraub“ viele Elemente, die überzeugen und überraschen, und Fingermans Grundidee des stinknormalen Vampirs liest sich erfrischend zwischen all den noblen Vampiren im Spitzenhemd. Und auch seine Stadt (er ist selbst New Yorker) lässt er detailreich und ohne rosarote Brille vor des Lesers geistigem Augen erstehen. Nach der Lektüre von „Blutraub“ wird man es sich wohl zweimal überlegen, ob man je wieder in New York U-Bahn fährt. Und so gibt es in seinem Roman viel zu entdecken: Viele schräge Persönlichkeiten, dysfunktionale Beziehungen und Freundschaften, die dem Mangel an Alternativen geschuldet sind. Wer bei einem Autor auf eine genaue Beobachtungsgabe Wert legt und neue Blickwinkel mag, der ist bei Fingerman richtig.

|Originaltitel: Bottomfeeder
Aus dem Amerikanischen von Michael Koseler
332 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-492-29188-0|
http://www.bobfingerman.com
http://www.piper-fantasy.de