Finlay, Charles Coleman – verlorene Troll, Der

_Handlung_

Der Ritter Yvon und die Amme Xaragitte werden aus der belagerten Burg Lord Gruethrists geschickt, um das Baby ihres Herrschers, dessen Sohn Claye, vor den Belagerern in Sicherheit zu bringen. Auf der Flucht sind sie gezwungen, unter dem Heerbanner des verfeindeten Baron Culufres zu reisen. Als sie aber erfahren, dass ihr Ziel auch das Ziel der Angreifer ist, müssen sie ihre Pläne ändern und verstecken sich in den Bergen.

Dort fällt das Kind in die Hände der Trollin Windy und ihres Gefährten Ambrosius. Da Windys Kind gerade verstorben ist beschließt sie, das Baby als ihr eigenes großzuziehen. Dies stößt ihrem Partner und ihrer Sippe sauer auf, und Claye bekommt den Namen Made verpasst.

Die Jahre vergehen und Made sieht sich immer wieder Anfeindungen der anderen Trolle ausgesetzt. Also beschließt er, diesen den Rücken zu kehren und zu den Menschen zu gehen, um ein Weibchen zu finden. Doch die Gesellschaft der Trolle unterscheidet sich gänzlich von jener der Menschen und Made wird in einen Krieg hineingezogen, ohne zu wissen, was das eigentlich ist.

_Der Autor_

Charles Coleman Finlay lebt mit seiner Familie in Columbus, Ohio, wo er für das John Glenn Institute arbeitet. Seine Erzählungen erscheinen seit 2001 regelmäßig im |Magazine of Fantasy & Science Fiction| und wurden in zahlreichen „Best-of“-Anthologien abgedruckt. Einige standen zudem auf den Auswahllisten mehrerer Literaturpreise des Genres. Unter dem Titel „Wild Things“ ist ein Band mit Kurzgeschichten von Coleman Finlay erschienen. „Der verlorene Troll“ ist sein Debütroman.

_Mein Eindruck_

Obwohl „Der verlorene Troll“ beileibe kein schlechtes Debüt ist, hinterlässt er nach der Lektüre doch sehr zwiespältige Gefühle, da das Werk teilweise unter großen Qualitätsschwankungen leidet.

Aber widmen wir uns zuerst den positiven Aspekten. Finlay ist es gekonnt gelungen, Trolle zu erschaffen, die sowohl menschliche als auch tierische Züge in sich vereinen. Dies resultiert daraus, dass er die „klassischen“ Trolle mit einem starken Demokratiesinn ausstattet und sich bei ihrem sonstigen Verhalten und ihren Gesten an Primaten orientiert hat, wobei hier wohl besonders Gorillas Paten gestanden haben dürften. Nicht nur deswegen erinnert der ganze Stoff an „Tarzan“, die von Edgar Rice Burroughs erdachte Figur, die erstmals 1914 in Buchform erschien. Dadurch bedient sich Finlay ebenfalls der literarischen Tradition vom Helden, der von Tieren aufgezogen wurde, welcher neben „Tarzan“ etwa Mogli aus „Das Dschungelbuch“ von Rudyard Kipling oder „Romulus und Remus“, die legendären Gründer von Rom, die von einer Wölfin aufgezogen wurden, angehören.

Dieses altbekannte Motiv setzt er in einen Fantasy-Kontext und fertig ist „Der verlorene Troll“. Die Welt, die Finlay für seinen Roman erdacht hat, erinnert mich ein wenig an das von Robert E. Howard („Conan“) erdachte Hyperboreanische Zeitalter, gemischt mit einem Schuss nordamerikanischer, sprich indianischer Mythologie. Diese Mischung ist ihm vortrefflich gelungen, denn die verschiedenen Aspekte verbindet er geschickt zu einem sehr ansprechenden Gesamtbild.

Der Charakter von Made besticht einerseits durch seinen tierischen Habitus, aber auch durch seine sehr moderne Denkweise, was sein Verhalten zu Krieg und zur Natur betrifft. Finlay hat damit seiner Hauptfigur den Pathos des edlen Wilden verpasst, der diesem recht gut steht. Doch auch die Einfachheit seiner tierischen Erziehung bringt er gut zur Geltung. Als Beispiel hierfür ist besonders Mades erster Versuch, ein Menschenweibchen für sich zu gewinnen, geeignet. Man kann sich ausmalen, dass ein trollisches Werberitual nicht unbedingt gut bei der durchschnittlichen Frau ankommt. Ebenso sind die Verständnisprobleme und die daraus resultierenden Missverständnisse, die manchmal amüsant aber manchmal auch sehr gefährlich sind, sehr schön dargestellt. Made wird dabei nicht als Klischeewilder oder Dummkopf dargestellt, sondern Finlay erreicht mit dessen Darstellung vielmehr die Entlarvung von Widersprüchen und Kuriositäten im täglichen Sprachgebrauch. Hier überzeugt er mit vielen originellen und witzigen Ideen. Sehr gut gefällt übrigens auch die Aufmachung des Buches, bei der das Coverbild von Thomas Thiemeyer („Medusa“, „Reptilia“, „Magma“) heraussticht.

Leider hat der Roman auch einige Schwächen. Zuallererst nimmt das erste Kapitel, in dem die Flucht Yvons und Xaragittes beschrieben wird, knapp ein Viertel des Buches ein. Dieser Teil ist zwar durchaus kurzweilig und interessant geschrieben, doch ist er eigentlich für die weitere Handlung der Geschichte ziemlich uninteressant. Negativ fällt hier auch das größtenteils nicht nachvollziehbare Verhalten der Amme Xaragitte auf, die dem Leser eigentlich durchgehend auf die Nerven geht, so dass man richtig froh ist, sie irgendwann loszusein.

Im darauf folgenden Kapitel ‚Ein Junge im Kreis von Wölfen‘, in dem sich Made dann bei den Trollen befindet, steigert sich Finlay allerdings erheblich und kann dort seine literarischen Stärken wie das Einfühlungsvermögen in seine Figuren und seinen Humor gut zur Geltung bringen. Leider ist dieser Teil des Buches wiederum viel zu kurz, was manchmal den Eindruck vermittelt, das Buch sei eine Aneinanderreihung von Novellen, zumal zwischen den Kapiteln teilweise Jahre vergehen.

Als sich Made dann zu den Menschen begibt und in den Krieges hineingezogen wird, werden Finlays Beschreibungen, gerade bei Kampfszenen, häufig schwer nachvollziehbar und sind oft verwirrend beschrieben, was den Lesefluss doch deutlich verlangsamt und den Leser quasi zum nochmaligen Nachlesen zwingt. Besonders sauer aufgestoßen ist mir die teilweise haarsträubende deutsche Übersetzung. Wenn aus Timerwolves und Direwolves (urzeitlicher |Canis dirus|, wörtl. „Schreckens- oder Düsterwölfe“) nach der Übersetzung Timberwölfe (Amerikanische Grauwölfe) und Direwölfe werden, kann das nicht Sinn der Sache sein.

_Fazit_

„Der verlorene Troll“ ist zwar ein durchwachsenes, aber trotzdem lesenswertes Romandebüt von Charles Coleman Finlay. Der Autor offenbart ein großes erzählerisches Talent, das Hoffnung macht, zeigt dies aber leider noch zu wenig. Um zu den etablierten Größen des Fantasy-Genres aufzusteigen, fehlt daher noch ein gutes Stück Weg.

|Originaltitel: The Prodigal Troll, PYR Prometheus Books, New York 2005
Aus dem Englischen von Anja Hansen-Schmidt
Klappenbroschur, 444 Seiten
ISBN: 978-3-608-93786-2|
http://www.hobbitpresse.de/

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