Fiore, Christian / Happel, Knut – Säulen von Venedig, Die

_Eine Stadt entsteht …_

Venedig entstand bekanntlich aus einer Lagune und auf ganz unkonventionelle Weise. Die Erbauer rammten zunächst mit Pech bestrichene Pfähle in den Grund des Gewässers und schafften somit das Fundament für die späteren Bauten. Um den berüchtigten Canal Grande wuchs so Haus für Haus, Stadtteil für Stadtteil und Sehenswürdigkeit für Sehenswürdigkeit aus diesen ungewöhnlichen Verankerungen heraus und machten die Stadt schließlich dank des dadurch bedingten romantischen Flairs zum europäischen Liebesnest schlechthin.

Die Erbauung Venedigs haben auch die beiden Autoren Christian Fiore und Knut Happel bei der Erstellung ihres Brettspiels „Die Säulen von Venedig“ thematisiert. Runde für Runde schlüpfen die Spieler hier in die Rolle verschiedener bedeutender Figuren aus der Bauphase der Stadt, konkurrieren um die Genehmigung des Baus der Stadtteile und wetteifern schließlich um Siegpunkte, die es hier auf recht vielfältige Weise zu ergattern gilt.

_Spielidee_

„Die Säulen von Venedig“ basiert in seinen wesentlichen Wesenszügen auf drei wichtigen strategischen Elementen: Planung, Intuition und Risikobereitschaft. Jeder Spieler besitzt durchgehend fünf Handkarten mit verschiedenen Persönlichkeiten, deren Fähigkeiten es Runde für Runde auszuspielen gilt. Brisant hierbei: Hat man einen Charakter ausgelegt, wandert er zum linken Nachbarn herüber, der nun ebenfalls die speziellen Eigenschaften der Figur nutzen kann. Man sollte also schon sehen, dass man hier keine ungeschickten Steilpässe vorlegt, welche die Kontrahenten geschickt und leichtfertig verwerten können.

Das Spiel mit den Handkarten bestimmt somit auch den grundsätzlichen Verlauf und sagt aus, ob man nun Pfähle platzieren muss (und hofft, dass die Gegner ihre Behausungen hierauf errichten) oder Stadtteile nachziehen und selbige erbauen darf oder eben durch andere spekulative und Hinterlisten an die begehrten Siegpunkt gelangen kann. Möglichkeiten, sich diesbezüglich zu bereichern, gibt es schließlich viele, jedoch muss man permanent auf der Hut sein, dass man nicht durch strategische Fehler und schlechte Intuition und Planung allzu schnell ins Hintertreffen gerät. Wertvolle Karten gehen nämlich nur selten in Umlauf und kehren womöglich nie mehr auf die eigene Hand zurück, werden unterdessen jedoch zu starken Waffen der Mitspieler. Aber am Ende ist es ganz gleich, wie man es nun bewerkstelligt. Sieger ist derjenige, der mit Cleverness und auch ein wenig Glück die meisten Siegpunkte ergattert hat.

_Spielmaterial_

• 1 Spielplan
• 1 Gondel
• 60 Pfähle
• 48 Stadtteile
• 31 Spielkarten
• Je 9 Pfahlmarker in sechs Farben

Das Spielmaterial ist, wie bei |Goldsieber| eigentlich schon gewohnt, sehr stimmig gehalten, darüber hinaus aber auch recht massiv. Mehr als hundert Holzteile verspricht der Rücken der Spielschachtel und gewährleistet damit schon einmal, dass sich die Steine auch langfritig kaum abnutzen. Stabilität war jedoch nicht die einzige Prämisse: Auch ein gewisser Humor lässt sich feststellen, sei es nun in den Kartentexten oder bei den tollen, bunten Illustrationen auf den Spielkarten, die im Übrigen eine genaue Vorstellung über das jeweilige Treiben der historischen Charaktere ermöglichen. Die Atmosphäre ist demzufolge also auch gesichert, so dass sich letztendlich konstatieren lässt, dass die Aufmachung des Spiels absolut gelungen ist.

_Spielvorbereitung_

Vor dem eigentlichen Spiel werden die Pfähle und die Gondel neben dem Spielfeld bereitgestellt. Abhängig von der Spielerzahl werden bestimmte Karten aussortiert; die Übrigen werden so unter den Spielern aufgeteilt, dass jeder fünf Handkarten besitzt. Auch erhält jeder die neun Pfahlmarker in seiner Spielfarbe. Die Stadtteile werden schließlich nach Formen sortiert und offen in die Auslage auf dem Brett gelegt. Jeder Spieler darf nun ein Stadtteil mit zwei Wappen und zwei Steinen sowie ein Stadtteil mit vier Steinen und sieben Wappen aufnehmen. Diese legt man zu guter Letzt offen vor sich ab und übergibt dem zufällig bestimmten Startspieler nun die Initiative.

_Spielablauf_

Das Spiel gliedert sich in insgesamt fünf aufeinander folgende Abläufe, die in jeder einzelnen Runde, beginnend mit dem Startspieler, vollzogen werden. Schematisch ist „Die Säulen von Venedig“ folgendermaßen konstruiert:

|1. Startspieleraktion|

Vor Beginn der eigentlichen Runde darf der Startspieler bei einem beliebigen Mitspieler eine Karte verdeckt ziehen und gibt ihm im Tausch eine Karte aus seiner Handauswahl.

|2. Aktionskarten auswählen|

In dieser Phase beginnt nun das aktive Spiel für alle Beteiligten. Die Spieler entscheiden sich für eine der fünf Handkarten und legen diese zunächst verdeckt vor sich ab. Hat jeder eine Entscheidung getroffen, werden die Karten reihum aufgedeckt und bieten die Grundlage für die nächste Spielphase.

|3. Aktionskarten ausführen|

Beginnend mit dem Startspieler, führt nun jeder die Aktion, die seine Karte ermöglicht, aus. Wer beispielsweise den Ratsherren ausgespielt hat, darf sich neue Stadtteile nehmen, wohingegen der Pechtunker erlaubt, neue Pfähle zu platzieren. Mehr hierzu im folgenden Abschnitt.

|4. Aktionskarten weitergeben|

Sobald alle Spieler ihre Aktion durchgeführt haben, reichen sie ihre gerade ausgespielten Karten jeweils an den linken Nachbarn weiter, so dass jede Kartenhand wieder gänzlich gefüllt ist.

|5. Startspielerkarte weitergeben|

Manche Spielkarten besitzen am unteren Rand das Startspielersymbol. Sollte eine dieser Karten in der vergangenen Runde ausgespielt worden sein, wechselt der Startspieler in der nächsten Runde zum linken Nachbarn. Sollte dies hingegen nicht der Fall sein, behält der aktuelle Startspieler seinen Posten.

In den einzelnen Spielphasen planen die Spieler natürlich, mit ihren Aktionen möglicht viele Siegpunkte zu bekommen bzw. das Gleiche bei ihren Mitspielern zu vereiteln. Siegpunkte gibt es meist dann, wenn der Ausbau der Stadt forciert wird, sprich wenn ein neues Stadtteil auf die Pfähle gesetzt wird. Bevor dies geschieht, müssen jedoch verschiedene Rahmenbedingungen geschaffen werden, die wiederum ein gewisses strategisches Geschick erfordern – und natürlich die entsprechenden Karten.

Zum Ausbau der Stadt ist zunächst einmal ein Stadtteil erforderlich, welches der Ratsherr beschaffen kann. Je nach Beschaffenheit der Ratsherrenkarte kann man größere oder kleinere Teile der Stadt an sich nehmen. Bevor dieser Stadtteil nun aber auch gebaut werden kann, müssen einige Stützpfähle im Boden verankert sein. Dies geschieht mit Hilfe des Pechtunkers, der bestimmt, wie viele Pfähle man setzen darf und auf wie vielen davon man eigene Markierungssteine ablegen kann. Allerdings kann man nicht beliebig Pfähle setzen. In einer Aktion müssen alle Pfähle nämlich eine direkte Verbindung haben und außerdem an den Canal Grande oder einen bereits gebauten Pfahl grenzen.

Sollten die Voraussetzungen nun geschaffen sein, komm der Baumeister ins Spiel. Mit ihm errichtet man seine Stadtteile und erntet die Siegpunkte in der Höhe, wie sie auf dem Stadtteilplättchen abgebildet ist. Allerdings muss man nun auch schauen, an welchen Stellen man baut und bauen darf. Voraussetzung für jeden neuen Stadtteil ist eine gewisse Anzahl von Steinen (Pfähle). Weiterhin sollte man aber auch nicht auf Pfählen mit gegnerischen Markierungssteinen bauen. Jeder Markierungsstein bringt diesem Kontrahenten nämlich drei Siegpunkte ein, so dass hier möglicherweise Spieler begünstigt werden, denen man eigentlich gar nicht helfen möchte.

Darüber hinaus gibt es auch einige Karten, bei denen sich Siegpunkte spekulieren lassen. Hier kommt schließlich die Intuition zum Tragen, denn Punkte gibt es beispielsweise dann, wenn ein gegnerischer Spieler parallel eine bestimmte Karte auslegt. Dieser Schritt ist aber eigentlich erst dann zu erwägen, wenn sichere Punkte zunächst außer Reichweite sind. Und natürlich muss man stets bedenken, dass die entsprechende Karte nun in den Besitz eines anderen Spielers übergeht.

Die letzte, immens wichtige Karte ist der Gondoliere. Er ermöglicht es, einen Markierungsstein auf die Gondel zu setzen und jedes Mal zwei Punkte abzukassieren, wenn ein Spieler einen Stadtteil an den Canal Grande baut. Dies geschieht so lange, bis der Gondoliere wechselt und dieses Privileg an einen anderen Spieler übergeht.

_Spielende_

Sobald kein Spieler mehr die Möglichkeit hat, einen Stadtteil auf die noch bestehenden Pfähle zu setzen, wird das Spiel beendet. Die Siegpunkte werden ausgewertet und der hier führende Spieler schließlich zum Sieger erklärt.

_Persönlicher Eindruck_

„Die Säulen von Venedig“ ist einerseits ein ziemlich abwechslungsreiches Strategiespiel, aufgrund des sympathischen Settings und des vergleichsweise einfachen Regelwerks aber auch für die klassische Familienrunde empfehlenswert, da der Anspruch an den Spieler nicht sonderlich hoch ist. Dennoch sollte man die Spieltiefe keinesfalls unterschätzen, weil das Spiel durchaus reichhaltiges Potenzial besitzt, welches sich vor allem mit wachsender Erfahrung so richtig offenbart. Sobald man nämlich gelernt hat, einzuschätzen, wann welche Karte nun am günstigsten zum Einsatz kommt, halten stetig mehr taktische Feinheiten Einzug ins Spielsystem und eröffnen erst den wahren strategischen Wert des Lagunenbaus am Canal Grande. Alleine schon die Diversität bei der Siegpunktverteilung sorgt hierbei dafür, dass jede Partie recht abwechslungsreich gestaltet ist und sich dementsprechend jedes Mal ganz anders entwickeln kann.

Einen Punkt haben die beiden Autoren aber dennoch übersehen, und dies ist die manchmal etwas ungleiche Chancenverteilung. Abhängig davon, welche Karten man zu Beginn auf der Hand hält, kann das Gleichgewicht schon einmal etwas deutlicher verschoben sein, was sich spätestens dann zeigt, wenn ein Spieler sich auf der Siegpunktleiste weiter absetzt. Diesbezüglich ist der Titel noch nicht ganz so ausgereift, da die Spannung nicht immer bis zum Schluss anhält und man höchstwahrscheinlich schon den Sieg in der Tasche hat, wenn man sich in einem der ersten Züge ein Stück weit von den Kontrahenten absetzen konnte. Dadurch nämlich, dass man von seinem rechten Nachbarn immer noch gute Karten zugeschoben bekommt – so ist es jedenfalls die Regel -, muss man sich auch nie wirklich Sorgen um die Konstellation auf der eigenen Hand machen und kann womöglich ziemlich locker durchmarschieren.

Allerdings ist auch dies ein Punkt, der mit steigender Erfahrung immer mehr an Bedeutung verliert, weil man einfach lernt, clever mit den Karten umzugehen – und sich irgendwann auch nicht mehr wirklich darum sorgen muss, dass eine vorzeitige Entscheidung ansteht.

Insofern überwiegen im Resümee ganz deutlich die positiven Eindrücke des Titels, allen voran begünstigt durch die kniffligen Bluffs beim Ausspielen der Karten und den generell recht innovativen Mechanismus. Dass es für eine „Spiel des Jahres“-Nominierung nicht gereicht hat, verwundert angesichts mancher kleiner Ungereimtheiten im Spielablauf zwar nicht, doch da „Die Säulen von Venedig“ auch ohne schmückendes Beiwerk (sieht man mal von den tollen Spielmaterialien ab) als grundsolide und temporeiche Mischung aus Strategie- und Familienspiel durchgeht, verdient es an dieser Stelle dennoch eine klare Empfehlung.

http://www.goldsieber.de/
http://www.noris-spiele.de/

|Ergänzend dazu:|
[„Saba – Palast der Königin“ 4335

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