Forsyth, Frederick – Phantom von Manhattan, Das

Thrillerspezialist Forsyth erzählt die Geschichte des „Phantoms der Oper“ dort weiter, wo Andrew Lloyd Webbers bekanntes Musical endete. Die hat nur am Rande etwas mit Leroux‘ Erzählung von 1911 zu tun, wie Forsyth in seinem langen Vorwort zugibt. Aber das Buch hat dennoch seine schaurigen Momente.

_Handlung_

Am Schluss von Webbers „Phantom of the Opera“ gibt Christine ihrem Verehrer, dem Phantom, den Ring zurück, den er ihr als Zeichen seiner Liebe gegeben hatte. Danach verschwindet das Phantom in der Nacht. Keiner weiß, was aus ihm geworden ist. Doch im September 1906 ruft eine Sterbende den Notar Dufour an ihr Bett, um ihm einen Brief an ihren Zögling Erik Mülheim mitzugeben sowie mehrere wertvolle Napoleons d’Or-Münzen. Erik Mülheim ist der wahre Name des Phantoms.

Antoinette Giry enthüllt Dufour, wie sie den entstellten Knaben einst aus dem Käfig eines Schaustellers entführt und in der Unterwelt der Pariser Oper, wo sie arbeitete, versteckt hatte. Dort schuf sich der Knabe seine eigene Welt, fernab von den Menschen, die sein Anblick mit Entsetzen erfüllte. Als er sich in die schöne Sängern Christine de Chagny verliebte und sie zum Star machte, schöpfte er Hoffnung. Dies ist die Handlung des Musicals, und sie endet tragisch.

Da rettete ihn Antoinette erneut und schickte ihn auf einem Auswandererschiff nach Amerika. Unter den Gesetzlosen von Coney Island arbeitete sich Erik nach oben. Mit Hilfe des skrupellosen Freundes namens Darius bringt er es schließlich zu einem millionenschweren Vermögen. Sein Hochhaus des E.M. Tower überragt Manhattan. Doch als man ihm die Mitgliedschaft in der Metropolitan Opera verwehrt, baut er seine eigene Oper und eröffnet sie mit zwei Megastars der Zeit: den Opernsängerinnen Nellie Melba und Christine de Chagny, seiner früheren Liebe.

Als der Notar Dufour in Manhattan auftaucht, gelingt es einem Journalisten, ihn zu Erik Mülheims Penthouse zu begleiten, damit der Notar den Brief Antoinette Girys übergeben kann. Der Journalist erblickt Mülheims Fratze in einem polierten Tablett, das Gesicht des mächtigsten Industriellen Amerikas, des großen Unsichtbaren.

Doch das Verhängnis naht, als Christine de Chagny in New York an Land geht und die neue Oper Mülheims singen soll. Sie ahnt noch nichts von dem Brief, den Erik erhalten hat und von dem Hass, den Darius für Erik empfindet. Der erwähnte Journalist hat das Privileg, den schicksalhaften Ereignissen beizuwohnen, doch verstehen, so gibt er 41 Jahre später bei einer Vorlesung zu, konnte er sie damals noch nicht.

_Fazit_

Zeitungsberichte, Briefe, Geständnisse, Gebete, eine Vorlesung – sie alle bilden das Gewebe der Fakten, mit denen uns der Autor versorgt. Wir haben den Eindruck, wir hätten es mit tatsächlichen Ereignissen des Jahres 1906 zu tun. Diese Doku-Fiction war schon immer Forsyths Stärke. Er erwähnt ausdrücklich seinen Dank an Caleb Carr, einen Historiker New Yorks. Dessen Romane „Die Einkreisung“ und „Engel der Finsternis“ vermitteln uns auf ebenso dokumentarische Weise ein Bild vom New York der vorletzten Jahrhundertwende – der jeweilige Tonfall eines Schreibers oder Sprechers ist genau getroffen.

Lohnt es sich also, dieses kleine Buch zu lesen? Zum einen für jene Leser, die schon das Musical mögen und wissen wollen, wie die Geschichte weitergehen könnte. Und zum anderen können sich Freunde der Schauerromantik dafür begeistern, denn Schicksal, dunkle Leidenschaften und Geheimnisse sowie Überraschungen gibt es hier genug.

Man sollte sich aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies nicht gerade das ist, was man als „Weltliteratur“ bezeichnet. Und da es auch kein Agententhriller ist, könnten einige Fans Forsyths enttäuscht sein.

|Originaltitel: The Phantom of Manhattan, 1999
Aus dem US-Englischen übertragen von Wulf Bergner|