George MacDonald Fraser – Die Piraten (Inszenierte Lesung)

Rasantes Piratenabenteuer als trashige Parodie

England, 17. Jahrhundert: Captain Ben Avery soll im Auftrag der Regierung eine wertvolle Krone auf dem Seeweg nach Madagaskar bringen. Mit an Bord ist die schöne Admiralstochter Lady Vanity. Der schmucke Seeheld verliebt sich in sie, doch das Schiff wird von Piraten überfallen, die Krone geraubt und Vanity in die Sklaverei verschleppt. Avery obliegt es, heldenhaft einzugreifen. Allerdings muss er sich dafür mit bizarren Gestalten der Piratenkönigin Black Sheba, dem holzbeinigen Billbo und dem ewig grölenden Firebeard anlegen. Diese zerlegen die Krone kurzerhand in sechs gleiche Teile, und Averys Job ist es – unter vielen anderen -, die Kronenteile zu sammeln und sie wieder heil abzuliefern, egal wo (aber wahrscheinlich nicht wieder in Madagaskar).

Die ganze Chose ist als rasante Parodie auf das Seeräuber-Genre in Film und Literatur angelegt, wie es nach dem Erfolg von „Fluch der Karibik 1+2“ wieder en vogue ist. Der Autor Fraser vermischt dabei schon mal die Zeitebenen und die Kulturphänomene – Gucci in der Karibik? Warum nicht!

Der Autor

Der britische Autor George MacDonald Fraser ist im angelsächsischen Raum recht bekannt für seine vielen „Flashman“-Romane, die meist historische Abenteuer in Europa schildern (nicht zu verwechseln mit Bernard Cornwells Sharpe-Romanen). Fraser schrieb auch Drehbücher, so etwa für Richard Lesters „Musketier“-Trilogie aus den siebziger und achtziger Jahren, zur Verfilmung von Casanovas Leben (mit Richard Chamberlain in der Titelrolle) oder zum James-Bond-Abenteuer „Octopussy“.

Das Booklet enthält das komplette Vorwort des Autors zu seinem Roman, worin er erklärt, wie es im 17. Jahrhundert zuging und welche Ähnlichkeit seine Figuren mit historischen Persönlichkeiten jener Zeit haben.

Die Inszenierung

Die Regie führte wie bei den Terry-Pratchett-Vertonungen Raphael Burri, der auch den Text bearbeitet hat. Für den guten Ton sorgte Olifr Maurmann von StarTrack-Tonstudio Schaffhausen. Das war 1999, so dass die |Lübbe|-Ausgabe von 2006 einen Relaunch bedeutet.

Die Sprecher und ihre Rollen sind:

Amido Hoffmann: Der Erzähler
Bodo Krumwiede: Captain Ben Avery
Sylvia Garatti: Lady Vanity Rooke
Raphael Burri: Col. Tom Blood, Firebeard und ein Sklavenhändler
Rolf Strub: Calico Jack Rackham, Don Lardo, Vladimir Mackintosh Groonbaum, Wirt und Eunuch
Ruth Schwegler: Black Sheba
Roland Müller: Happy Dan Pew und Soldat
Walter Millns: Black Bilbo, Patzlqtln und Spieler
Aki Rickert: Lady Meliflua
Stefan Colombo: Enchillada, Goliath, Wache und Soldat
Armin Kopp: Admiral Rooke und Richter Jeffries
Thomas Monn: Solomon Shafto
Friedrich Schneider: Samuel Pepys
und viele andere. Alle Rollen sind im Booklet aufgelistet.
Mehr Infos und Hörproben gibt es unter http://www.bookonear.com. (ohne Gewähr)

Die Musik

Die fabelhafte Musik zum Hörspiel stammt von Erich Wolfgang Korngold (1897-1957) und wurde für die beiden Swashbuckler-Klassiker „Captain Blood“ (1935) und „The Sea Hawk“ (1940), beide verfilmt mit Errol Flynn, komponiert. Etwas anderes kam als Musik für die Hörspielfassung auch nicht in Frage, alldieweil sie im Roman zitiert wird: „… Korngold-Trompete“. Ganz offensichtlich ist das musikalische Titelthema aus „Captain Blood“. Es spielt in der verwendeten Aufnahme das National Philharmonic Orchestra of London unter der Leitung von Charles Gerhardt, aufgenommen 1972 bei RCA.

Handlung

Die Handlung ist in vier Bücher und 19 Kapitel eingeteilt. Jedes der Bücher und auch jedes der Kapitel endet und beginnt mit einer fanfarenartigen Musik. Am Ende jedes Kapitels stellt der Erzähler jede Menge Fragen an den Leser bzw. Hörer, um dessen Interesse am Fortgang der Geschichte wachzuhalten.

PROLOG

Das britische Fort auf der Karibikinsel St. Barthelmy ist heute Nacht im Visier der Piraten von Calico Jack Rackham. Hinter ihm drängeln sich seine ungewaschenen Gefolgsleute Black Bilbo und Firebeard sowie Goliath, der Zwerg. Nun kommt noch eine großgewachsene schwarzhäutige Schönheit hinzu. Es ist Black Sheba, die ebenso üppige wie hochnäsige Piratenkönigin, eine wahre Sexhexe ihrer Zunft. Sie alle wissen, dass heute Zahltag ist: Die Soldaten sollen morgen ihren Sold ausbezahlt bekommen, doch vorher werden sie abkassieren. Angriff und Gebrüll, Schüsse und Degengefecht! Dann gibt es leider eine klitzekleine Panne: Ein Fallgitter sperrt Sheba mit ihrem Knöchel ein. Ihre Mannen müssen sie, gemäß dem alten Piratengesetz, leider zurücklassen: Jeder ist sich selbst der Nächste.

HAUPTHANDLUNG

Vier Monate später steht Sheba vor einem Richter Seiner britischen Majestät. Richter Jeffries hat nichts übrig für ungewaschene und vor allem verbrecherische Damen aus Westindien. Während der Gerichtsdiener mit einem österreichischen Akzent beflissen um Ruhe bittet, bietet Sheba dem Volk auf den Rängen ein sexy Spektakel. Sie wird trotzdem verurteilt: Sklaverei in Ostindien, weit weg von der Heimat. Sie und Richter Jeffries trennen sich unter wüsten Beschimpfungen.

Unterdessen erhält der schmucke und sehr männliche Held dieser Geschichte, Captain Ben Avery, einen geheimen Sonderauftrag, von dem im gesamten Königreich nur drei Leute wissen: er, der Marinebeamte Samuel Pepys und dessen Boss. Avery soll eine wertvolle, mit allerlei Juwelen und Perlen geschmückte Krone dem König von Madagaskar überbringen, denn die Briten wollen die große Insel als Sprungbrett zu ihren ostindischen Besitzungen ausbauen. Avery weigert sich nicht, eine Quittung zu unterschreiben. Er ist in bürokratischen Dingen ein wenig unbedarft, wie sich später noch zeigen soll.

An Bord

Sein Schiff, die „Twelve Apostles“, soll von Hafen Whitby aus nach Kalikut (= Kalkutta) in See stechen. Er ahnt nicht, welch ein Tunichtgut und Loser in Gestalt des irischen Colonel Tom Blood an Bord gelassen wird: ein Falschspieler und Gauner, allerdings kein notorischer Schürzenjäger (nur wenn sich eine günstige Gelegenheit bietet), und das kann einem Frauenschwarm wie Ben Avery nur recht sein. Da kommt auch schon die blonde Versuchung an: Lady Vanity Rooke, das Töchterlein des Admirals, der mitfährt. Die ist eine hübsche Puppe, die sich ihres Liebreizes wohlbewusst ist. Sofort wirft sie ein Auge auf Avery, und er wirft zurück.

Zu guter Letzt wird auch noch Black Sheba an Bord gebracht und sofort unter Deck angekettet. Was Avery und Kapitän Yardley nicht wissen: Dort unten befinden sich bereits mehrere Piraten, darunter Calico Jack. Dreimal darf man raten, was sie vorhaben. Tom Blood fällt sofort das geheimnisvolle Kästchen ins Auge, das Avery unterm Arm trägt und in seine Kabine einschließt. Was mag es wohl verbergen?

Überfall

Schon im Golf von Guinea in Westafrika knutschen Vanity und Avery wie die Weltmeister. Tom schaut bloß zu und erkennt die günstige Gelegenheit. Aber um an das Kästchen heranzukommen, braucht er einen Plan: Es ist verschlossen. Er begibt sich zu Sheba, um sie zu sprechen, doch Avery, der ihn gesehen hat, geht dazwischen. Das bringt Avery einen intensiven Kuss der Dankbarkeit von Sheba ein, die rasend eifersüchtig auf Vanity wird. Auf der Heckgalerie duellieren sich die beiden Streithähne, bis Tom aufgibt und sich lieber aufs Schmeicheln verlegt. Er wolle Averys Partner sein, nicht sein Feind. Avery, den Schuldgefühle plagen, schlägt ein. „Was für ein Trottel!“, denkt Tom.

Eine stille Vollmondnacht vor Guinea. Firebeard schleicht sich an Deck und gibt ein Signal, das von Landseite aus erwidert wird: Der Angriff kann beginnen! Während mehrere Boote sich der „Twelve Apostles“ nähern, bewaffnen sich die Piraten, die sich versteckt gehalten haben, unter ihnen die befreite Sheba, die sich sofort in Schale wirft. Im folgenden Angriff auf Mannschaft und Passagiere nimmt sie Vanitys Leben in Schutz, um sich Averys Gunst zu erhalten. Das hindert sie aber nicht daran, Vanitys Schmuck und Kleider zu rauben. Und das Parfüm, was Vanity ganz besonders erbost.

Als die triumphierenden Piraten den Admiral hängen wollen, erwähnt Tom Blood ein gewisses „wertvolles Ding“. Sheba holt die Truhe und schlägt vor, man solle für die Krone ein Lösegeld verlangen. Calico Jack hat eine bessere Idee: Um jeden Piratenkapitän zufriedenzustellen, teilt er die Krone in sechs Teile auf. Anschließend soll Vanity als Sklavin an den Araber Akbar verkauft und Avery gekielholt werden. Es sei denn, er schließe sich den Seeräuber an.

Avery macht einen großen Fehler. Er verschmäht sowohl die Partnerschaft mit den Piraten als auch die ziemlich deutlich bekundete Liebe ihrer Königin Sheba. Zur Strafe wird er mit Tom Blood auf einer Sandbank ausgesetzt, die man „des toten Manns Kiste“ nennt: Da sie bei Flut untergeht, ertrinken ihre Bewohner unweigerlich. Nur einer kann überleben, heißt es. Doch die Piraten, die sich vor einem heraufziehenden Sturm in Sicherheit bringen, haben nicht mit der Partnerschaft der beiden Männer gerechnet. Das dynamische Duo tut sich zusammen – jedenfalls für den Moment – und macht sich auf den Weg, die verschleppte Vanity zu befreien und Akbar zur Hölle zu schicken. Außerdem muss Avery die Krone wiederbeschaffen – was sich als eine wahre Schnitzeljagd entpuppen soll.

Unterdessen haben Sheba und Calico Jack große Pläne in der Karibik. Sie wollen die künftige Braut des spanischen Vizekönigs Don Lardo im kolumbianischen Cartagena entführen und Lösegeld fordern. Leider haben sie nicht mit der Boshaftigkeit von Don Lardo gerechnet und sitzen schon bald bis zum Hals in der Tinte.

Mein Eindruck

Filme wie „Fluch der Karibik“ – selbst eine Parodie – zeigen das Strickmuster recht deutlich. Was verloren wurde, muss wiedergefunden oder -beschafft werden, ganz besonders dann, wenn es sich um geliebte Ladys oder gestohlenes Gold handelt. Der Rest ist eine Achterbahnfahrt von mehr oder weniger glücklichen Zufällen und Begegnungen. Und wenn es denn einen Bösewicht gibt, so findet er unweigerlich sein verdientes Ende. Der Held des Guten mag ja recht nett sein und die Dame seines Herzens bekommen, aber mal Hand aufs Herz! Ist das nicht ein wenig langweilig? Deshalb stellen sich die meisten Leser, Hörer und Zuschauer auf die Seite der Seeräuber, Piraten, Bukaniere oder wie sie sonst genannt werden: Hauptsache, sie sind frei, furchtlos und lustig.

Anders als in „Fluch der Karibik“ stehen jedoch nicht die Anführer der Piraten im Mittelpunkt der meisten Szenen, sondern unsere beiden Schwerenöter Long Ben Avery und Colonel Tom Blood. Sie gehen dem Autor, der sich mit der Stimme des Erzählers wiederholt an uns wendet, an allen möglichen Enden der Handlungsstränge verloren. So kann es passieren, dass Long Ben als Sklave verkauft wird und in die Hände einer älteren Lady gerät, die sich von ihm ganz außergewöhnliche Liebesdienste erwartet, so als sei er eine Art Don Juan auf Knopfdruck. Zum Glück hilft ihm Tom aus dieser Kalamität heraus. Nur um schon bald wieder in die Hände von Calico Jack zu fallen.

Keinen Deut weniger turbulent ist das Schicksal von Lady Vanity. Überfallen, ausgeraubt, in die Sklaverei verschleppt, von ihrem Liebsten gerettet, auf einem Eiland den Piraten ausgeliefert: Ihr Leben ist die reinste Achterbahnfahrt. Doch während die guten Männer hinter schnödem Gold (die Krone) her sind, wollen die bösen ihr ständig an die Wäsche. Die Verteidigung ihrer Tugend – die wichtigste Aufgabe einer Jungfrau seit Adam Eva das Feigenblatt raubte – füllt Vanitys Leben aus. Doch verschärft wird ihre Not durch heftige Konkurrenz aus dem weiblichen Lager: Black Sheba, eine üppige schwarze Schönheit, versucht ihre Zähne ebenso in Ben zu schlagen wie die sechzehnjährige Meliflua, die vor ihrem Brätigam Don Lardo in Bens starke Arme flieht.

Wenn schon alle diese Figuren Karikaturen waren, so ist der besagte Don Lardo die verabscheuungswürdigste Ausgeburt einer Karikatur des Bösen, die man je gesehen oder gehört hat. Fett wie eine Kröte, hässlich wie die Nacht, besteht sein größtes Vergnügen darin, seine Mitmenschen auf möglichst einfallsreiche Weise zu foltern oder zum Tode zu befördern. Sein Schlafzimmer liegt bezeichnenderweise direkt neben der Folterkammer seines Gouverneurspalastes. Sein Assistent ist ein Schleimer namens Enchillada, der sich jedoch gegen seinen Herrn wendet, als ihm Lady Vanity zu schade für den Scheiterhaufen erscheint. Jedem Saruman sein Schlangenzunge.

So weit, so turbulent. Der Leser bzw. Hörer wird noch zusätzlich verblüfft durch Bezüge auf Phänomene verschiedenster Epochen. Obwohl die Geschichte angeblich im 17. Jahrhundert spielen soll, verschlägt es Vanity & Co. in eine Indiokultur, die starke Ähnlichkeit mit jener der Azteken hat. Diese wurde bekanntlich im bereits im 16. Jahrhundert durch die Spanier vollständig vernichtet. Don Lardo führt genau die gleichen Argumente wie jene Missionare und Heerführer jener Zeit ins Feld, um seine Jagd nach dem Gold der Indianer zu rechtfertigen. Versteckt unter dem Mäntelchen der Parodie blitzt die harsche Kritik des Autors an jenem Genozid auf.

In versteckten Hinweisen, Bildern, Vergleichen und Metaphern knüpft der Autor ein Gewebe aus kulturellen Erbstücken, meist aus der Gegend der Karibik. So wandern Jamaikaner (oder waren’s Pakistaner?) nach Bradford, England, aus. Wer dem französischsprachigen (aber ursprünglich schottischen) Seeräuber Happy Dan Pew genau zuhört, wird jede Menge französisches Kauderwelsch hören, das gar nicht ins 17., sondern mehr ins 19. oder 20. Jahrhundert gehört, wie etwa „promenade bicyclette“. Leider ist er so schlecht zu verstehen, dass das meiste an den Ohren vorbeirauscht. Die Damen schlagen sich um Accessoires von Gucci und Chanelm und die „Sonnenprinzessin“ sieht aus wie Tigerlily in einer Verfilmung von „Peter Pan“.

Die Inszenierung

Mein Leser wird schon gemerkt haben, dass dies alles recht anstrengend klingt. Dem ist auch so. Obwohl die Parodie als Spiel, Spaß und Neuinszenierung liebgewonnener Klischees wie etwa Degenduelle inszeniert ist, so will doch echtes Vergnügen an der Parodie einfach nicht aufkommen. Fehlt mir die entsprechende Unschuld? Vielleicht muss man dazu noch 14 Jahre jung sein und darf noch keinen einzigen Piratenfilm gesehen haben. Dann könnten die schlüpfrigen Scherze der Damen und Herren in der Tat recht lustig anmuten.

Dass sich mein Vergnügen in Grenzen hielt, lag an mehreren Gründen. Zum einen übertreiben es die Karikaturen in ihrem wilden Treiben entsprechend: Man knutscht wie die Weltmeister, ficht aber keineswegs bis aufs Blut. Die Regeln des Genres werden unterminiert. Denn sowohl die Figuren als auch ihr Marionettenspieler sind sich einer Tatsache sehr wohl bewusst: Dass all dies Possenspiel nur zu einem Zweck aufgeführt wird, nämlich zum Ergötzen des Publikums.

Dumm nur, dass sich der Marionettenspieler in seiner eigenen Inszenierung als „Erzähler“ in den Vordergrund spielt, als wolle er in einem elisabethanischen Schauspiel eine Allegorie verkörpern, etwa die Liebe oder die Muse des Dichters. Auf diese Weise kommentiert sich seine Schöpfung selbst und entlarvt sich als Fiktion.

Mir schien sich der „Erzähler“, der stets am Kapitelende auftaucht, auf eine unerträgliche Weise beim Publikum anzubiedern. Es ist genauso, als würde man in einem Film einem Off-Kommentar zuhören, der den Zuschauer durch den Film steuert. Das erschien mir als eine Gängelung, doch anderen Leuten mag das Erklären und Überleiten zur nächsten Szene als hilfreich erscheinen. Denn auf diese Weise kommt der Szenenwechsel an einen ganz anderen Schauplatz nicht gar so unvermittelt, wie es ohne Erzählerkommentar der Fall wäre.

Die Sprecher

Jede Rolle ist mit einem Sprecher bzw. Sprecherin besetzt, der oder die ihr am besten entspricht. Manche Sprecher haben, wie die obige Liste zeigt, sogar mehrere Rollen, die eine unterschiedliche Stimmlage erfordern. Wer kann, der kann. Und wenn dann noch die Stereotontechnik wie in diesem Fall weidlich ausgenutzt wird, so entstehen sehr schöne quasi-räumliche Szenen vor dem inneren Auge des Hörers.

In einer Szene hört man beispielsweise nur die Schritte eines Sprechers von links nach rechts, dann in den „Hintergrund“ (wird leiser) und zurück in den „Vordergrund“ (wird lauter) wandern, ohne dass er ein Wort sagt. Man weiß sofort, dass der Typ nachdenkt. Wenn einmal wirklich die Gedanken einer Figur darzustellen sind, so wird dies mit ein wenig Hall unterlegt. Das kann im Fall der ständig zugedröhnten „Sonnenprinzessin“ der Indianer auch recht amüsant wirken.

Allerdings gibt es auch mehrere Szenen, in denen ich die Figuren nicht auseinanderhalten konnte, weil sich die Stimmen zu ähnlich waren. Das war stets nur bei den männlichen Sprechern der Fall, nie bei den weiblichen. Die Anzahl der Letzteren ist nämlich wesentlich kleiner: die superblonde Vanity, sexy Sheba, die kleine Meliflua (spanisches Kauderwelsch) und schließlich Anne Bonney, eine schon etwas betagte Expiratin, sodann noch diverse Indianerinnen, die recht seltsame Namen tragen.

Dass die männlichen Figuren verwechselt werden können, spricht nicht gerade für eine gute Dramaturgie. Ironisch wird es, wenn ein Mann – es ist der Ben-Gunn-Typ Solomon Shafto – mit einer Fistelstimme spricht und klingt wie eine etwas unnatürlich klingende Frau. Die Umkehrung der Genre-Regeln gehört zur Methode der Parodie.

Für den Englischkenner mutet es irritierend an, dass zwar die Sprecher wissen, wie man „Firebeard“ korrekt ausspricht – nämlich [faia’biahd], nicht aber der Erzähler, der sich so allwissend aufführt. Er sagt [faia’bärd] und offenbart seine Ahnungslosigkeit.

Die Geräusche

Für eine richtige Inszenierung eines Piratenpossenspiels wie diesem sind natürlich sämtliche Geräusche aus der Trickkiste des Genres einzusetzen. Die eindrucksvollsten sind sicherlich die obligatorischen BREITSEITEN der Schiffe, dann natürlich jede Menge Musketenschüsse. Ebenso obligatorisch sind die DEGENDUELLE, die sich die Männer in auffällig regelmäßig Abständen liefern, und zwar aus den nichtigsten Anlässen.

Die romantische Seite darf auch nicht zu kurz kommen. So ein romantischer Kuss kann schon mal dreißig Sekunden oder noch länger dauern – mach Platz, Casanova! Der Hintergrund von Wind und Wellen gehört natürlich zum Treiben dazu wie der Käse auf die Pizza. Das Knarren der Takelage, das Klirren von Ketten – es ist alles da.

Aber ab und zu übertreibt es die Tonregie auch ein wenig. In drei Szenen werden die allgegenwärtigen Insekten durch ihr Summen so störend, dass es die Konzentration auf den Dialog stört. Dies mag dem Tonmeister aufgefallen sein, und so gibt es am Ende eine Szene bei Master Pepys, in dem er eine ständig umhersurrende Fliege kurzerhand erschlägt. Endlich herrscht Ruhe im Raum!

Die Musik

Die oben erwähnte Musik von Korngold ist so stilecht und eng mit dem Genre verknüpft, dass sie nicht wegzudenken ist. Leider wird das gleiches Fanfarenmotiv bis zum Überdruss verwendet, so dass ich mich dabei ertappte, wie ich die Sekunden zählte, bis endlich die Handlung einsetzte. Es waren schon einige.

Unterm Strich

Wie bei jeder Parodie hängt ihr Erfolg völlig vom Geschmack und der Erfahrung des Publikums ab. Es muss schon ein sattsam bekanntes Genre vorhanden sein, damit es sich parodieren lässt. Dabei werden seine Regeln so übertrieben oder auf den Kopf gestellt, dass sie der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Dies ist von „Die Piraten“ nur zum Teil beabsichtigt, denn der andere, überwiegende Teil ist durchaus lustvolle Unterhaltung innerhalb der Regeln des Genres. Also findet der Zuhörer jede Menge Zungen- und Degenduelle, einen recht üblen Schurken, in dessen Klauen (mehr oder weniger) unschuldige weibliche Grazien – und eine Schlange stehende Garde von entschlossenen Mannsbildern, die eben diese Grazien für sich gewinnen wollen (äh, und das Gold natürlich auch).

Durch die Parodierung aller Klischees des Piratengenres suggeriert der Autor dem Publikum, dass es sich in Wahrheit wohl völlig anders verhalten hat, als es uns die Unterhaltungsindustrie weismachen will. Sein im Booklet abgedrucktes Vorwort verknüpft die Legenden mit den historisch belegten Personen und zeigt auf, was vermutlich der Wahrheit entsprach. Diese war wesentlich prosaischer und bedrückender, als uns die Piratenfilme weismachen wollen. Die Zombies der Black Pearl in „Fluch der Karibik“ sind ein übertriebenes Zerrbild der tristen, gewalttätigen Wirklichkeit. (Dazu liefert die DVD zum Film eine erhellende Dokumentation.)

Dass die Schweizer Truppe von |Bookonear| ihre Aufgabe, den Roman von Fraser zu einem Hörspiel zu verarbeiten, mit Lust und Spielfreude angepackt hat, ist nicht zu überhören. Alles ist so karikaturenhaft überzeichnet, dass sich der Hörer seines Vergnügens an diesem Trash nicht zu schämen braucht. Allerdings gibt es eine Reihe handwerklicher Schnitzer, die mir aufgefallen sind (siehe oben). Daher vergebe ich eine Empfehlung mit Einschränkung für Piratenfans. Man sollte nur nicht den Fehler machen, diese Darbietung ernst zu nehmen. Das wäre das Letzte, was die Macher erwartet hätten.

Originaltitel: Pirates, 1983
314 Minuten auf 4 CDs

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