Ray French erzählt in seinem Roman „Ab nach unten“ die Geschichte eines Arbeitskampfes der besonderen Art. Schon jahrelang hat Aidan in Crindau, einem Ort in Südwales, für den Elektronik-Konzern „Sunny Jim“ gearbeitet, als die Konzernleitung beschließt, zwecks Senkung der Kosten den Standort zu schließen und die Produktion nach Asien zu verlagern. Nun sollen Aidan und seine Kollegen sich also in das ohnehin in Südwales schon nicht kleine Heer der Arbeitslosen einreihen.
Aidans Leben hat seit dem Tod seiner Frau sowieso schon kaum mehr eine Perspektive. Die Kinder sind längst aus dem Haus und gehen ihre eigenen Wege und des Abends sinniert Aidan mit seinen Kumpels im Pub über die immer gleichen alten Geschichten. Aidan war nie ein großer Rebell, aber der drohende Jobverlust und das damit einhergehende Schwinden jeglicher Perspektive treibt ihn schließlich auf die Barrikaden.
Aidan entschließt sich zu einer einzigartig radikalen und bisher nie dagewesenen Strategie, um seinen Arbeitsplatz zu kämpfen. Er kauft sich einen Sarg, um sich lebendig in seinem Garten begraben zu lassen und erst dann wieder zurück in die Welt der Lebenden zu kehren, wenn „Sunny Jim“ von seinen Schließungsplänen abrückt.
Aidans Kumpels unterstützen ihn nach anfänglichem Zögern bei der Sache. Mobiltelefone werden angeschafft – für den Notfall – und die Verpflegung sowie die Entsorgung von Aidans Ausscheidungsprodukten wird organisiert. Als der große Tag kommt, steigt Aidan mutig in seinen Sarg und lässt sich von seinen Kumpels begraben.
Das ungewöhnliche Spektakel ruft schon bald die Medien auf den Plan, die sich wie die Geier auf Aidans Aktion stürzen. Schon bald wird Aidans Garten zu einer Pilgerstätte für eifrige Journalisten und die unterschiedlichsten verkrachten Existenzen, die dem Mann im Sarg ihr Herz ausschütten. „Sunny Jim“ hingegen zeigt sich zunächst gänzlich unbeeindruckt. Wie lange muss Aidan nun in der Tiefe ausharren?
Der Klappentext zieht von „Ab nach unten“ Vergleiche zu Filmen wie „Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten“ und „Ganz oder gar nicht“. Eine tragikomische Geschichte aus dem britischem Arbeitermilieu, scheinbar einfach gestrickte Charaktere und eine Geschichte, die vor dem Hintergrund von Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise in den letzten dreißig Jahren immer zu irgendeinem Zeitpunkt etwas bestechend Aktuelles an sich hatte.
Von den Zutaten her reiht sich Ray French mit seinem Roman hier wunderbar ein. Seine Geschichte ist so tragisch, wie sie komisch ist, und so skurril, wie eigentlich nur Geschichten aus dem Vereinigten Königreich sein können. Wer den britischen Humor und insbesondere tragikomische Geschichten von der Insel mag, der kommt auch bei „Ab nach unten“ voll auf seine Kosten.
Zwar reiht French nicht gerade einen Schenkelklopfer an den anderen – sein Humor ist sehr viel feinsinniger und ironischer -, dennoch gibt es so manche schöne Stelle mit reichlich Stoff zum Schmunzeln. Sehr schön ist z. B. gleich eingangs Aidans Versuch, bei seinem örtlichen Bestatter einen Sarg „anprobieren“ zu dürfen. Unvergessen auch die Szene, in der des Nachts der „echte“ Tom Jones an Aidans Sarg pilgert, um ihm sein Herz auszuschütten.
„Ab nach unten“ kann einiges an skurrilen und herrlich komischen Situationen vorweisen, steckt aber nichtsdestotrotz auch voller tragischer und trauriger Momente. Aidan ist ein ziemlich einsamer Mensch. Obwohl er seine Kumpels hat, gibt es doch so richtig niemanden, dem er sein Herz ausschütten kann – eine Sache, die ihm in der drückenden Einsamkeit unter der Erde erst so richtig bewusst wird. Und so ist „Ab nach unten“ eben auch ein Lehrstück über den Wert echter Freundschaft.
French schafft es, all diese Dinge so einfühlsam zu verpackend, dass „Ab nach unten“ zugleich unterhält und nachdenklich stimmt. Es gibt viele leise Zwischentöne, Momente, die rührend sind, und Szenen, die herrlich komisch sind. „Ab nach unten“ ist trotz der eigentlich etwas absurd anmutenden Grundidee wunderbar realitätsnah, einfach weil die Protagonisten so gelungen authentisch skizziert wurden. Man kann sich Aidan und seine Kumpels wunderbar als real lebende Figuren vorstellen, denn French beweist ein Händchen im Umgang mit seinen Darstellern.
Auch sprachlich ist „Ab nach unten“ ganz angenehme Lektüre. Getragen von Frenchs feinsinnigem Humor, mit durchaus spürbaren dramaturgischen Akzenten im Plot, liest sich der Roman ganz locker von der Hand weg.
Bleibt unterm Strich ein wirklich positiver Eindruck zurück. Anlass zur Kritik gibt es kaum. „Ab nach unten“ ist ein wunderbarer Unterhaltungsroman mit toller Figurenskizzierung, einer schönen Mischung von Tragik und Komik und einer herrlich schrägen Grundidee – Freunden britischen Humors wärmstens zu empfehlen.
|Originaltitel: Going Under
Deutsch von Martin R. Becker
412 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-423-24694-1|
http://www.dtv.de