„Die Legenden von Phantásien“ – klingt das bekannt? Yep. Peter Freund lehnt sich mit dem Roman „Die Stadt der vergessenen Träume“ an keinen geringeren Fantasyklassiker als „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende an.
Auch ich habe „Die unendliche Geschichte“ natürlich gelesen, doch das liegt mittlerweile so weit zurück, dass die Erinnerungen in meinem alternden Gehirn nur noch sehr blass vorhanden sind. Ich leide quasi am Großen Vergessen, einer Krankheit, die das Völkchen der Insomnier ebenfalls befällt. Doch anders als bei mir, bei der nur die Gehirnareale geputzt werden, verschwinden die Insomnier, sobald das Vergessen Besitz von ihnen ergreift. Die einzige Hoffnung, die sie haben, ist die Stadt Seperanza, wo sie sicher sind, bis sie den Ruf hören, der ihnen erlaubt, die Stadt wieder zu verlassen.
Doch etwas hat sich geändert. Niemanden erreicht mehr der Ruf und die Stadt der vergessenen Träume platzt aus allen Nähten, obwohl sie die Pforten für weitere Insomnier bereits geschlossen hat. Trotzdem versucht Kayún mit seiner Schwester die Stadt zu erreichen, nachdem ihre Eltern vom Vergessen dahingerafft worden sind und sich einfach in Luft aufgelöst haben. Die Reise nach Seperanza ist beschwerlich, denn sie führt über das Eisige Gebirge, und große, düstere Gestalten, die Traumfänger genannt werden, verfolgen sie. Doch in Phantásien gibt es nicht nur üble Wesen. Der eine oder andere ist den Geschwistern auch wohlgesonnen oder scheint es jedenfalls zu sein …
Unabhängig davon erzählt ein zweiter Erzählstrang von dem Mädchen Saranya, das in Seperanza wohnt und das Kind des höchsten Stadtherrn ist. Eines Tages findet sie heraus, dass sie gar nicht dessen echte Tochter, sondern ein Findelkind ist. Ihre Welt bricht zusammen, und weil ihre Zieheltern auf ihr Warum? nur Ausflüchte vorbringen, ahnt sie, dass etwas Größeres hinter dieser Geschichte steckt. Gibt es etwa einen Zusammenhäng zwischen dem Geheimnis ihrer Herkunft und dem einzigen Bürger, der jemals der Stadt verwiesen wurde? Magister Philonius Philippo Phantastus, der sich mit dem Ruf und dem Phänomen des Vergessens auseinander gesetzt hatte, ein weiteres Geheimnis, auf das niemand ihr eine Antwort geben kann …
„Die Stadt der vergessenen Träume“ baut explizit auf der unendlichen Geschichte auf, so dass der Vorwurf mangelnder Eigenkreativität, wie ich ihn gerne an frühere Bücher von Peter Freund gestellt habe, sich von selbst aufhebt. Die Handlung, die in einer sehr detailverliebten Fantasiewelt stattfindet, die manchmal schon fast wieder zu überborden mit Fantasiewesen wie Rasenden Gerüchten oder Lawinenwichteln besetzt ist, hat durchaus ihre Momente, auch wenn Saranyas Geschichte dem Leser ziemlich schnell klar wird. Kayúns Reise baut ebenfalls kaum auf Spannung auf, doch immerhin wird der Weg der beiden Geschwister sehr schön beschrieben und über Langeweile kann man sich nicht beklagen. Einzig – worauf der Autor hinauswill, bleibt mir etwas schleierhaft. An manchen Stellen wirkt das Buch hier doch etwas diffus.
Die Charaktere sind nicht wirklich ausgearbeitet, werden aber liebevoll in Szene gesetzt. Immerhin hat Freund damit aufgehört, seine Helden mit übertriebenen Kräften auszustatten, was mich an Laura Leander, der Romanfigur, die ihn bekannt machte, immer gestört hat. Saranya, Kayún und Elea benehmen sich wie normale Kinder und haben weder großartige Macken noch fallen sie durch Besonderheiten auf. Das ist natürlich schade, doch fällt es nur wenig ins Gewicht.
Was mich viel mehr irritiert, ist der Schreibstil. Das Buch ist als Kinderbuch ausgezeichnet und für junge Leser ab 12 Jahren, laut Verlag, geeignet. Der erhabene, stellenweise geschwollene Schreibstil spricht allerdings eine andere Sprache. Freund lehnt sich an diese gewisse bedeutungsschwangere Stimmung mit einem Hang zu Archaismen an, die gerade Fantasyschinken gerne durchzieht. Ob das wirklich kindgerecht ist, stelle ich in Frage. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit zwölf Jahren Wörter wie „Unbilden der Witterung“ (Seite 15), „Folianten“ (Seite 138) oder „Äonen“ (Seite 260) gekannt hätte. Natürlich kann man auf der Gegenseite anführen, dass der Horizont der jungen Leser dadurch erweitert wird, doch welches Kind würde ein Buch freiwillig lesen, wenn ständig Begriffe vorkommen, mit denen es nichts anfangen kann?
Trotz dieses nicht unerheblichen Mankos ist „Die Stadt der vergessenen Träume“ ein lesenswertes Buch für Fans von kindlicher Fantasie, d.h. für jene, die gern in völlig fremde, magische Welten eintauchen. Peter Freund ist zwar nicht der große Wurf gelungen, doch diese Legende aus Phantásien ist nette Unterhaltung für ein paar Stunden.