Gaiman, Neil – Anansi Boys

Nachdem Neil Gaiman sich schon mit seinem Vorgängerroman [„American Gods“ 1396 über das Leben der alten Götter in der modernen Welt ausgelassen hat, knüpft er inhaltlich mit seinem aktuellen Roman „Anansi Boys“ an diesen Themenkomplex an, wenngleich die Geschichte eine komplett eigenständige ist, die nicht die Kenntnis des Vorgängeromans erfordert.

Während der Leser in „American Gods“ zugesehen hat, wie der mythische Allvater Odin die alten Götter um sich geschart hat, um mit ihnen zusammen in einer letzten großen Schlacht gegen die Götter der Moderne (Fernsehen, Internet und Co.) anzutreten, steht diesmal vor allem eine Gottheit im Mittelpunkt: der afrikanische Spinnengott Anansi, bzw. dessen beiden Söhne Fat Charlie und Spider.

Alles beginnt damit, dass der große Anansi eines Abends auf einer Karaokebühne tot umfällt und damit seinem Sohn Charles (der immer nur Fat Charlie gerufen wird) das Leben schwer macht. Bei Anansis Beerdigung erfährt Charlie, dass sein Vater ein Gott war und er einen Bruder namens Spider hat, der im Gegensatz zu ihm alle göttlichen Eigenschaften des Vaters geerbt hat.

Als Spider kurz darauf Charlie besucht, gerät dessen Leben aus den Fugen. Spider nistet sich bei Charlie ein und bringt alles durcheinander, woraufhin Charlie seinen Job verliert, von der Polizei verhaftet und von seiner Verlobten abserviert wird. Für Charlie ist das zu viel und er will Spider schnellstmöglich loswerden. Doch wie wird man einen lästigen Gott los? Charlie setzt alle möglichen Hebel in Bewegung, was eine ganze Kette von Ereignissen auslöst, deren Ende nicht abzusehen ist …

Neil Gaiman selbst beschreibt „Anansi Boys“ als „Horror-Thriller-Geister-Romantik-Comedy-Familien-Epos“ und das ist trotz des sich hier offenbarenden, etwas obskur anmutenden Genremixes schon eine ausgesprochen treffende Umschreibung. „Anansi Boys“ ist wie so oft bei Gaiman ein Werk der so genannten „Urban Fantasy“, ein Fantasy-Roman, der im Hier und Jetzt spielt, mitten in unserer Realität.

Fat Charlie weiß nichts von Göttern und hat bis zum Tag der Beerdigung seines Vaters auch nicht gewusst, dass sie Teil der Realität sind. Charlie führt ein überaus geregeltes Leben. Er hat eine Verlobte, die er zu heiraten gedenkt. Sein Job als Buchhalter ist eher langweilig und sein Leben verläuft weitestgehend unspektakulär. Das ändert sich schlagartig, als Spider plötzlich vor seiner Tür steht. Mit Spiders Auftreten entwickelt der Plot zunehmend Tempo, Witz und Spannung. Spider stiftet Chaos in Fat Charlies Leben und sorgt damit auch in der Geschichte für so manche unerwartete Wendung.

Das, was sich aus diesen ganzen Verwicklungen dann im Laufe des Romans ergibt, ist zwar nicht unbedingt überraschend und geschieht vor allem zum Finale hin unter inflationärer Verwendung des Faktors Zufalls, aber das mag man Neil Gaiman im Grunde gar nicht übel nehmen. Er konstruiert eine so unterhaltsame und sympathische Geschichte mit so interessanten Figuren, dass so manche Zufälligkeit eigentlich keine störende Rolle spielt.

Zudem lässt sich nach „American Gods“ wieder eine eindeutige qualitative Steigerung feststellen. Krankte „American Gods“ noch an seinem voluminösen Umfang und schien Gaiman sich gerade bei den Nebensträngen der Handlung hier und da zu verzetteln, so jongliert er bei „Anansi Boys“ gekonnt mit den unterschiedlichen Figuren und Handlungsebenen. Der Plot ist straffer und gradliniger, als es noch bei „American Gods“ der Fall war. Wer dort noch so manche Länge im Plot kritisieren mochte, darf sich bei „Anansi Boys“ wieder auf einen äußerst unterhaltsamen und flotten Gaiman-Roman freuen.

Natürlich dürfte Neil Gaiman wieder vorrangig eine Fantasy-Leserschaft anziehen, dennoch spielt er erneut so schön an den Grenzen des Genres, dass „Anansi Boys“ sicherlich auch darüber hinaus seine Leser finden wird. Nicht umsonst hat das Buch es auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste geschafft. Es ist keine lupenreine Fantasy, die Gaiman mit „Anansi Boys“ abliefert. Er blickt über die Grenzen des Genres hinaus und würzt seinen Roman gleichermaßen mit Belletristik-, Thriller- und humoristischen Elementen. Gaiman versteht sich darauf, diese so unterschiedlichen Komponenten wohldosiert zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Trotz des Genremixes ist „Anansi Boys“ ein Roman aus einem Guss.

Erzählerisch ist es Neil Gaiman also nach dem etwas schwächeren „American Gods“ gelungen, ein absolut überzeugendes Werk abzuliefern. Mit Wortwitz erzählt er seine Geschichte, lässt seine sympathischen Hauptfiguren agieren und die Bösewichte intrigieren und lässt dabei so manchen schrägen Einfall einfließen. Damit schafft er einen Plot, der in gleichem Maße unterhaltsam wie spannend ist. „Anansi Boys“ wird dadurch zu einem Buch, das man eher widerwillig aus der Hand legen mag und bei dessen Lektüre die Zeit wie im Flug vergeht. Dass Gaiman für „Anansi Boys“ mit dem |British Fantasy Award| 2006 für den besten Fantasy-Roman ausgezeichnet wurde, ist durchaus verdient.

Bleibt unterm Strich also nur Lob für Neil Gaimans aktuellen Roman. Schräge Ideen hatte er schon immer, aber mittlerweile hat er sich auch als Erzähler zu einem echten Könner entwickelt. „Anansi Boys“ ist ein fein durchkomponierter Roman, der hochgradig unterhaltsam, witzig und spannend ist. Für Gaiman-Fans und Freunde der „Urban Fantasy“ ohnehin Pflichtlektüre, aber auch für Neueinsteiger in Sachen Neil Gaiman ein feiner Leckerbissen, der Lust auf mehr macht.

http://www.neilgaiman.de/
http://www.heyne.de

_Neil Gaiman bei |Buchwurm.info|:_

[„American Gods“ 1396
[„Sternwanderer“ 3495
[„Sandman: Ewige Nächte“ 3498
[„Die Wölfe in den Wänden“ 1756
[„Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel“ 1581
[„Keine Panik! – Mit Douglas Adams per Anhalter durch die Galaxis“ 1363
[„Die Messerkönigin“ 1146
[„Verlassene Stätten“ 2522 (Die Bücher der Magie, Band 5)
[„Abrechnungen“ 2607 (Die Bücher der Magie, Band 6)

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