Gaiman, Neil / Vess, Charles – Stardust – Der Sternwanderer

|“Es war einmal ein junger Mann, der sehnte sich danach, dass sich sein Wunschtraum erfüllte.“| Mit diesen Worten beginnt Neil Gaimans „Sternwanderer“ um den jungen Tristran, der sich für seine Angebetete auf eine Reise in ein Land jenseits des Steinwalls begibt, um ihr einen gefallenen Stern zu bringen und damit seine Liebe zu ihr zu bezeugen. Doch das Land, das der junge Erwachsene betritt, ist kein gewöhnliches, sondern von tiefer Magie durchzogen und von Wesen bevölkert, die Tristran nur aus Sagen kennt. Und so findet er sich, schneller als ihm recht ist, selbst in einer Geschichte wieder, in der er selbst, umgeben von Hexen, Einhörnern und fliegenden Piraten, die Hauptrolle spielt.

Neben der normalen [Romanausgabe, 3495 die bereits 2000 im |Heyne|-Verlag veröffentlicht und bereits zum dritten Mal neu aufgelegt wurde, erschien pünktlich zur Verfilmung eine weitere, hochformatige Ausgabe zu „Stardust – Der Sternwanderer“. Doch sie ist noch weitaus mehr und stellt eine Symbiose aus Buch und Comic dar. Das Märchen für Erwachsene aus der Feder von Neil Gaiman ist nämlich mit 175 Illustrationen von Charles Vess versehen, der die Magie der Worte mit der Magie der Bilder zu verbinden versucht. Ein Konzept, bei dem es sich zudem um die ursprüngliche Version handelt, die Gaiman in den Jahren 1997 und 1998 auf den amerikanischen Markt herausbrachte. Erst später entschied er sich dazu, eine abgespeckte Version ohne Bebilderung auf dem Buchmarkt zu etablieren (eben jene, die dann bei |Heyne| erschien).

Dass die deutschen Leser und sicher auch Sammler noch in Genuss der weitaus schmuckvolleren Edition kommen, ist neben der Tatsache, dass die Kinoadaption die Bekanntheit des Stoffes erhöht hat, auch |Panini| zu verdanken, die sich mit der illustrierten Fassung eng an das amerikanische Original halten. Denn obwohl Gaiman, so könnte man argumentieren, allein durch die Ausdruckskraft seiner Worte Bilder im Kopf entstehen lassen kann (zu nennen sind hier nur exemplarisch [„American Gods“ 1396 oder „Ein gutes Omen“ als Co-Autor von Terry Pratchett), ergänzen doch Charles Vess Bilder Sternwanderer um eine nicht zu unterschätzende visuelle Ebene.

_Inhalt_

Tristran Thorn wächst in einer behüteten Familie in dem Dörfchen Wall auf. Das liegt irgendwo im viktorianischen England und gibt sich, trotz der allerorten stattfinden industriellen Veränderungen, eher verschlafen und hinterwäldlerisch. Da geziemt es sich für einen jungen Burschen wie Tristran auch, um das Herz seiner Angebeteten Victoria zu kämpfen. Doch gegen Nebenbuhler hat er als schüchterner Junge, der außer Wall noch kaum etwas von der Welt gesehen hat und als Kaufmannsgehilfe im Dorfladen arbeitet, kaum eine Chance. Jedoch Tristrans Hoffnung auf eine Erwiderung der Gefühle ist stärker als die mögliche Schmach, und so wagt er einen letzten Versuch, Victoria von sich zu überzeugen. Er führt sie zu einem Spaziergang in der Nacht aus und will ihr einen Stern, der in eben diesem Moment als Sternschnuppe vom Himmel fällt, zu Füßen legen. Victoria willigt ein und ist bereit, ihn zu heiraten, sollte er diese Aufgabe erfüllen, doch in Gedanken ist sie bereits bei einem anderen, als Geschäftsmann erfolgreichen Verehrer und glaubt nicht daran, dass Tristran jemals diesen Stern finden, geschweige denn zu ihr bringen wird.

Ihre Zweifel sind nicht unberechtigt, denn der Stern ist im verborgenen Feenreich gefallen, jenem Gebiet, das niemand aus dem Dorf betreten darf. Wall liegt nämlich im Grenzbereich und trennt, wie der Name der Stadt schon vermuten lässt, durch einen Steinwall die Welt des viktorianischen Englands von der des Feenlandes. Niemand darf die Grenze überschreiten, so lautet das Gesetz, um das Gefüge nicht zu verletzen. Doch Tristran sieht nur noch das erhoffte Ziel vor Augen, packt seine Sache und macht sich auf ins Feenreich.

Tatsächlich gelingt es ihm, den Stern zu finden. Doch er besitzt eine Form, die sich der Junge nie hätte erträumen lassen: Der Stern ist als junge Frau namens Yvaine auf die Erde gefallen. Das erschwert die Angelegenheit an sich schon deutlich, doch die Tatsache, dass das Mädchen nichts anderes will als wieder in ihren geliebten Himmel zurückzukehren, sorgt für unerwartete Probleme. Doch Tristran will nicht so weit gekommen sein, um nun resigniert aufzugeben. Mit einer List überwindet er Ynaine und verbindet ihre Hände an einer magischen Kette, um sie daran nach Hause zu ziehen.

Tristran hätte es möglicherweise geschafft, die Grenze in seine Welt mitsamt dem Stern wieder zu überschreiten, aber er ist nicht der Einzige, der den Stern vom Himmel fallen sah. Auch die Hexenkönigin Lamia hat das Schauspiel verfolgt und schmiedet nun finstere Pläne. Ihre Jugend ist längst verwelkt und kann nur durch das Herz eines gefallenen Sterns zurückgewonnen werden. Da dies selbst in der Feenwelt ein seltenes Ereignis ist, muss die Hexe um jeden Preis Yvaine finden, ansonsten sind auch ihre Tage gezählt. Und weitere Verfolger haben die Fährte aufgenommen. Des Königs Söhne sind hinter dem Stern her, und nur, wer als erster Ynaine findet, kann der rechtmäßige Nachfolger des Herrschers werden. Ein Wettstreit, der nicht nur Zwist zwischen die Brüder, sondern auch jeden in Gefahr bringt, der ihnen in Quere kommt.

Tristran merkt von alledem zunächst nichts, doch während er den Stern Richtung Heimat bringt, erfährt er Yvaines wahre Geschichte. Sie ist zwar ein Stern, aber kein tumber Gegenstand ohne jedwede Gefühle. Als schließlich die Hexe Lamia und die Prinzen ihren Weg kreuzen, stellt sich der Jüngling aus Wall nicht mehr als kleingeistiger Kaufmannsgehilfe dar, der die Liebe einer Victoria zu erkaufen versucht, bei Widerstand jedoch das Weite sucht, sondern als ein tapferer junger Mann, der Yvaine nicht tatenlos aufgibt und um seine wahre Liebe kämpft – auch wenn er diese zu dem Zeitpunkt noch nicht erkennt.

_Bewertung_

„Sternwanderer“ ist genau das, was die Handlung schon vermuten lässt: ein stringentes und einfach aufgebautes Abenteuer für Erwachsene, das mit märchenhaften und fantastischen Anleihen zu einem spannenden, lustigen und zugleich rührenden Roman verschmilzt. Hier darf man keine tiefgründigen Charaktere oder sorgsam ausgearbeiteten Handlungsstränge erwarten. Stattdessen liegt der Reiz der Geschichte in ihrer Einfachheit, die mit sympathischen Hauptfiguren und einer magischen, einfallsreichen Welt überzeugen kann. Hier wird kein Aufguss einer tolkienesken Abwandlung aufgefahren, sondern eine romantische, traumhafte Atmosphäre aufgebaut, die sich zwar Elementen bekannter Volks- und Kunstmärchen bedient (und dadurch ebenfalls nicht ganz ohne Vorlage auskommt), doch diese harmonisch zu einer Einheit verbindet, die in ihrer Form durchaus als originell bezeichnet werden kann.

So verwundert es auch nicht, dass „Sternwanderer“ einen in sich stimmigen Eindruck hinterlässt. Irgendwo zwischen den Märchenklassikern von Perrault, den Brüder Grimm und Andersen sowie Kindergeschichten der Güte von „Alice im Wunderland“ oder „Narnia“ siedelt sich Neil Gaiman mit „Sternwanderer“ als modernem Märchen an, das sich hier und da bedient, aber dennoch einen eigenen Stil findet.

Umso wichtiger erscheint es da, dass Gaiman die visuelle Seite nicht übergeht und als Comic-Autor – zu nennen ist an erster Stelle seine düstere „Sandman“-Reihe – die Bedeutung von Bildern erkennt. Mit Charles Vess, unter anderem bereits zuständig für |Spiderman|-Comics, hat er einen versierten Comiczeichner gefunden, der es versteht, die Magie der Worte in Farben und Linien einzufangen. Mal dezent im Hintergrund und in den Text eingearbeitet, dann wieder großflächig auf eine ganze Seite gestellt, unterstützt Vess mit seinen Illustrationen die Magie der Geschichte, bietet jedoch genug Spielraum und engt den Leser für eigene Interpretationen nicht zu sehr ein. Die Szenen sind klar umrissen, aber auf das Nötigste beschränkt und ergießen sich nicht in überflüssigen Details. Vess findet, ganz im Stil von Gaiman, eine klare (Bild-)Sprache, die verzaubert, aber auch nicht vor blutigeren Szenen zurückschreckt. So mögen die Abbildungen für einen reinen Bildband zu marginal sein, für die Symbiose aus Buch und Bild erscheinen sie aber mehr als passend.

http://www.paninicomics.de
http://www.der-sternwanderer.de/
http://www.stardustmovie.com

|Siehe ergänzend dazu unsere Rezension zur [Romanfassung.]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=3495 |

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