Robin Gardiner / Dan van der Vat – Die Titanic-Verschwörung

Keine andere (Schiffs-)Katastrophe beflügelte die Fantasie der Menschheit mehr als die des am 14./15. April 1912 nach einer Kollision mit einem Eisberg gesunkenen Luxusliners |RMS Titanic|. Mythen und wildeste Spekulationen rank(t)en sich um das Schiff, dessen Wrack 74 Jahre lang in den Tiefen des Atlantiks verschollen blieb.

Doch selbst als Meeresgeologe Robert D. Ballard die alte Dame 1986 in rund 4000 Metern Tiefe vor der Neufundlandbank aufspürte und ihren Untergang aufgrund der Auffindesituation mit geradezu kriminalistischem Spürsinn und viel Sachverstand so detailliert wie möglich rekonstruierte, blieben einige Fragen ungeklärt. Insbesondere die teils nebulösen Begleitumstände kann man heute kaum noch stichhaltig aufklären. 1995 präsentierten Robin Gardiner und Dan van der Vat dennoch dazu ihre ganz eigene Theorie.

Inhalt

Der Umschlagtext der deutschen Ausgabe ist wieder mal ein Beweis dafür, dass derjenige, der den Text verzapft, den Inhalt entweder nicht kennt oder verstanden hat. Das liest sich dann hier wie folgt (Zitat): „Ein Jahrzehnt nachdem die |Titanic| zweieinhalb Meilen tief im Meer entdeckt wurde, legen Robin Gardiner und Dan van der Vat ihre Untersuchung über eine der größten und traurigsten Legenden des zwanzigsten Jahrhunderts vor. Sie zeigen, dass bei der zum Unfall deklarierten Schiffskatastrophe nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Stück für Stück rekonstruieren sie anhand von Aussagen der Beteiligten, Fundstücken und Dokumenten die wahre Geschichte und beweisen ihre bestürzende These: Die Katastrophe war Teil eines teuflischen Versicherungsbetrugs – sie war geplant“. Klingt bis hierher schon einmal nach einer Sensation.

Die bislang gängigsten Mutmaßungen über den ausschlaggebenden Grund für den tragischen Untergang reichen von Unvorsichtigkeit, Geschwindigkeitswahn und minderer Stahlqualität des Rumpfes über ein geheimnisvolles Feuer in einem der Kohlenbunker (bereits vor der Atlantiküberquerung) bis hin zu einer eventuell daraus resultierenden Explosion bzw. zusätzlichem Schottbruch. Vieles davon trifft sicher zu und addierte sich auf, inklusive der bekannt katastrophalen Rettungsboot-Situation an Bord, wobei selbst unter Idealbedingungen grade mal die Hälfte der Passagiere hätte gerettet werden können. Die Bedingungen waren aber eben nicht optimal. Ebenso wenig wie die hastig und ineffektiv durchgeführten Untersuchungen amerikanischer und britischer Behörden, bei denen sich anscheinend alle Beteiligten große Mühe gaben, Fakten zu übersehen und stattdessen lieber Sündenböcke zu benennen.

Meine Eindrücke

Nun wollen die Autoren also in dem Potpourri aus fragwürdigen Zeugenaussagen und der zugegeben kuriosen Vorgeschichte der Schiffe der „Olympischen Klasse“ obendrein Informationen dafür gefunden haben, dass vielleicht sogar das Schwesternschiff |Olympic| und nicht die |Titanic| dem verhängnisvollen Crash mit dem Eisberg zum Opfer fiel. Besser gesagt: absichtlich geopfert wurde. Die Beweisführung ist karg und bewegt sich – man verzeihe das etwas makabere Wortspiel – auf extrem dünnen Eis, auch wenn sich die allergrößte Mühe gegeben wird, den Leser mit eingefügten Neben- und Klammersätzen in die von den Autoren gewünschte Richtung zu bugsieren sowie ihn bei der extrem drögen Präsentation von sehr weit ausholenden, teils abseitigen Fakten rund um den Bau der Schiffe bei der Stange zu halten. Diese sich wiederholenden Einschübe nerven auf Dauer auch etwas.

Man wird auf rund 420 Seiten mit einer Fülle Informationen bombardiert, welche helfen sollen, die Geschehnisse besser einordnen zu können. Das wirkt höchst verwirrend und einschläfernd. Dass dies den Autoren und/oder der deutschen Übersetzerin genauso erging, lässt sich an vielen Stellen ersehen. Da werden Schiffsnamen vertauscht (S. 42 und 189), Kapitän Smith drängt angeblich auf eine Neuverhandlung des „Hawke“-Zwischenfalls im April 1913, da ist er bereits ein Jahr tot (S. 40). Kleinere Lektoratsfehler verleihen Sätzen eine falschen Sinn, etwa das Weglassen des Wortes „nicht“ bei der Frage, ob die |Titanic| auf der Jagd nach dem „Blauen Band“ gewesen sei (S. 109). Den größten Bock schießen sich Gardiner und van der Vat aber, als sie „Fernsehscheinwerfer“ und „Mikrofone“ (sic!) ins Jahr 1912 verpflanzen (S. 226). Ein exemplarisches Beispiel falsch wiedergegebener Quellen ist etwa Ballards angeblicher Verrat der Sinkposition (S. 384).

Dem eigentlichen Komplott, welches dem Duo als Erklärung für so manch Mysterium als praktischer Ausweg erscheint, widmet sich das Buch dann auf vergleichsweise läppischen 30 Seiten ganz am Ende. Hierbei ist die fantasievoll herbeigedengelte Indizienkette brüchig, und das geht den beiden schlussendlich dann sogar selbst auch auf, sodass ihr abschließendes Fazit dahingehend lautet, dass die Schwesternschiffe wohl doch nicht ausgetauscht wurden. Was bleibt, ist ein einziger Konjunktiv: Hätte vielleicht so gewesen sein können. War es aber nicht. Allein die Wrackbilder und einige aus dem Kontext gerissene Aussagen Ballards, welche ihre Theorie eigentlich untermauern sollten, widerlegen diese: Aufbau und Fensteranordnung des A- und B-Decks – das deutlichste Unterscheidungskriterium zwischen |Olympic| und |Titanic| – sprechen eindeutig dafür, dass das Wrack nur die |Titanic| sein kann.

Zu guter Letzt gilt es festzuhalten, dass Gardiner, welcher sich „seit über 10 Jahren mit der |Titanic| beschäftigt“ (Was eigentlich überhaupt nichts heißt), der eigentliche Autor des Buches ist, dessen Originaltitel „The Riddle of the Titanic“ zumindest nicht halb so reißerisch daherkommt wie die deutsche Betitelung. Journalist van der Vat, unter anderem ehemaliger |Times|-Auslandskorrospondent und Verfasser einiger marinehistorischer Bücher wurde – so entsteht bereits während Lektüre des Vorworts rasch der Eindruck – lediglich hinzugezogen, um dem Ganzen einen seriöseren – sprich: wissenschaftlicheren – Anstrich zu geben. Davon mag man halten, was man will, doch der den Autoren oft gemachte Vorwurf, Kielwassersegler des Cameron-Films zu sein, ist hingegen haltlos. Dieser kam nämlich erst zwei Jahre nach dem Buch heraus.

Fazit

Heute, fast ein Jahrhundert nach ihrem Untergang, sind fast alle Rätsel wissenschaftlich belegbar gelöst – berechtigterweise kräht kein Hahn mehr nach dieser vollkommen abwegigen Theorie. Ohne Vorkenntnisse zur Thematik legt man das Teil nach kurzer Zeit eingelullt und desinteressiert zur Seite; nur hartgesottene und sattelfeste |Titanic|-Freaks stoßen vielleicht noch auf die ein oder andere für sie interessante Information aus dem Umfeld der Katastrophe. Somit bleibt unter dem Strich eine (über-)ambitionierte, sehr weit ausholende Sammlung von teilweise unwichtigen Informationsschnippseln, die in Kombination miteinander letztlich als gedankliches Nullsummenspiel enden. Das in vieler Hinsicht fehlerbehaftete Buch ist allenfalls eine nette Was-wäre-wenn-Geschichte für unverbesserliche Freunde von abstrusen Verschwörungstheorien.

Die Buchdaten auf einen Blick:

420 Seiten Hardcover mit zahlreichen Illustrationen
O-Titel: „The Riddle of the Titanic“
Weidenfels & Nicholson, London 1995
Deutsche Fassung: C. Bertelsmann, München 1996
Übersetzung: Aljoscha A. Schwarz
EAN: 9783570122754

ISBN: 3-570-12275-1 (Deutsche Erstausgabe)
ISBN: 3-442-12687-8 (Taschenbuch/Reprint, Goldmann 1997)
ISBN: 1-559-72347-5 (Gebunden/Reprint, Bechtermünz 1998)