Gemmell, David – weiße Wolf, Der (Drenai-Saga)

Der Engländer David Gemmell (*1948) gilt als der erfolgreichste Autor unserer Zeit im Bereich der heroischen Fantasy. Insbesondere mit seinen Romanen in den wilden Landen der |Drenai| und dem |Rigante|-Zyklus wurde er in Deutschland bekannt.

Was Gemmell von klassischen Vorbildern wie Robert E. Howards „Conan“ unterscheidet, sind seine meist vielschichtigeren Charaktere, die oft von moralischen Problemen und persönlicher Schuld geplagt werden. Während der Barbar Conan auf Abenteuer und Beute aus ist, kämpfen Helden wie Gemmells Axtschwinger Druss in erster Linie notgedrungen um das Leben ihrer Frau, um ihre Heimat und ihre Mitmenschen. Der Attentäter Waylander wird vom Verlust seiner Familie geplagt und bereut seine vergangenen Morde, die man ihm nicht vergeben will. Gnadenlos wird er gejagt, rein um des fürstlichen Kopfgelds und der Rache wegen, obwohl er sich geändert hat und zu einem Wohltäter geworden ist. Wo liegt die Grenze zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch? Oft gibt es keine klare Antwort und es ist nur eine Frage des Blickwinkels.

In „Der weiße Wolf“ führt David Gemmell den Leser erneut in seine Welt der Drenai, wenn auch in das ferne Naashan. Der Prolog beginnt an einer staubigen Straße, an der ein Kaufmann mit seinen beiden Töchtern um sein Leben fürchtet. Der fremde Schwertmeister, der ihm Gesellschaft leistet, ist niemand Anderer als Skilgannon der Verdammte! Fünf schwarz gekleidete Ritter der Königin von Naashan stellen Skilgannon zum Kampf auf Leben und Tod; es ist offensichtlich, dass er gejagt wird. Skilgannon zieht seine beiden Schwerter und macht kurzen Prozess mit den Angreifern. Er rät dem verängstigten Kaufmann, so schnell wie möglich nach Norden zu fliegen – seine bloße Nähe hätte ihn in Gefahr gebracht – und reitet davon.

Das erste Kapitel beginnt kontrastierend in einem Kloster friedlicher Mönche, die von der Bevölkerung trotz ihrer guten Taten für ihre Not verantwortlich gemacht werden. Kriege und Missernten führten zu Unzufriedenheit, in der sich gerissene Opportunisten in hohe Ämter aufschwingen konnten. Das Kloster dient als Sündenbock. Skilgannon bemüht sich als Bruder Lantern redlich um einen Neubeginn, doch als man das Leben des Abts bedroht, stellt sich Skilgannon dem Mob entgegen und greift erneut zur Waffe.

Der weise Abt entlässt ihn aus dem Orden, dessen Philosophie er nie wirklich verinnerlichen konnte, und schickt Skilgannon als Eskorte eines etwas weltfremden Mönches in die Hauptstadt Mellicane; sein letzter Dienst für den Orden. Skilgannon hat ein neues Ziel: Er sucht den mystischen Tempel der Wiedererwecker, um seine Frau, die er nicht liebte, obwohl sie es verdient hätte, vom Tod auferstehen zu lassen. Seine ganze Liebe galt Jianna, der Königin von Naashan – die dank seiner Hilfe zu der gefürchteten Hexenkönigin geworden ist und unter deren Herrschaft seine Armee das Massaker von Perapolis verübt hat, dem er seinen schrecklichen Ruf als Skilgannon der Verdammte zu verdanken hat.

Auf dem Weg steht er einem Axtkämpfer bei, dessen Reisegruppe in den Wäldern nahe Mellicanes von so genannten Bastarden – zur Strafe von Nadir-Schamanen durch Magie mit Bären, Wölfen und anderen Raubtieren verschmolzenen Menschen – angegriffen wird. Der Axtkämpfer ist kein Geringerer als der Drenai-Held Druss, der seinem Freund Orastes und dessen kleiner Tochter Elanin zur Hilfe eilt. Doch für Orastes kommt jede Hilfe zu spät … Es gilt, seine Tochter aus einer Festung zu befreien. Skilgannon und Druss müssen sich nicht nur dem brutalen Lord Eisenmaske stellen, den Skilgannon in seiner Jugend unter einem anderen Namen kannte, sondern auch seiner Nemesis Jianna, der schönen und grausamen Königin Naashans, die er immer noch liebt, obwohl sie seinen Tod fordert.

Die Thematik ist nicht neu, geradezu ausgelaugt, kein Rahmen, der auf Qualität hindeuten würde. Doch Gemmell ist ein meisterhafter Erzähler, der abwechslungsreich und spannend Interesse an der Figur Olek Skilgannon erzeugen kann. Für Kenner der Drenai-Saga weist der Roman zahlreiche Verweise auf alte Helden wie Decado oder Waylander auf, gekrönt vom Gastauftritt des legendären Axtkämpfers Druss.

Die Handlung blendet oft in die Vergangenheit zurück, während die Gegenwart für Skilgannon und seine Begleiter viel Action bietet. Seine Vergangenheit holt Skilgannon ein, alte Konflikte brechen wieder auf. Zentrales Thema ist die Hassliebe Skilgannons zu Jianna, der Hexenkönigin. In ihrer Jugend war sie eine bildschöne Prinzessin, die letzte Überlebende der königlichen Familie, die in einem Staatsstreich ermordet wurde. Da Skilgannons Bedienstete die junge Jianna vor ihren Häschern versteckt hielten, werden sie gefoltert und ermordet. Gemeinsam verstecken die beiden sich in den Wäldern, verlieben sich und erobern die Krone Naashans zurück. Doch Jianna gerät unter den Einfluss einer alten Frau, vielmehr einer Hexe, die in ihr Träume von Macht erweckt, die außer Kontrolle geraten. Sie nutzt ihre Schönheit aus, um fremde Fürsten in ihr Bett zu locken, um sie als Verbündete zu gewinnen, zum Unwillen Skilgannons, der sich jedoch beugt. Jianna verändert sich, die manipulative und harte Königin Naashans ist nicht mehr die Frau, die Skilgannon geliebt hat. Ihr Verhältnis kühlt merklich ab, bis sich Skilgannon nach dem Perapolis-Massaker von ihr lossagt. Doch Jianna kann das nicht akzeptieren, die Einflüsterungen der alten Frau sorgen dafür, dass der Wille zur Macht siegt und aus Liebe Hass wird. Skilgannon wird aus Naashan verjagt, gehetzt von Mordkommandos der Königin, und taucht in einem Kloster unter.

Gemmell zeigt, wie harmlose Menschen zu einem mordlustigen Pöbel werden können, wie der persönliche Mut eines Einzelnen viel Unheil vermeiden kann. Aber auch, wie solcher Mut schlecht vergolten wird und feiges Abwenden grauenvolle Taten erst ermöglicht. Besonders gelungen sind Kapitel mit Jianna und Skilgannon, die zeigen, wie aus den besten Absichten die größten Gräuel enstehen können. Was man Jianna angetan hat und wofür sie sich rächen wollte, fügt sie anderen in weit schlimmerem Maß zu. Die „Alte Frau“ taucht auch hier wieder in einer zwiespältigen Rolle als Helfer aber auch als Unheilbringer auf; wie bereits bei Druss in vorherigen Drenai-Bänden und im Rigante-Zyklus in der entsprechenden Figur der Morrigu. Gemmell lässt Personen aus Skilgannons Vergangenheit auftauchen, die eine andere Entwicklung als dieser durchgemacht haben, obwohl sie in ihrer Jugend Freunde waren und vieles teilten. Reue ist ebenso ein Thema, Skillgannon will Abbitte und Wiedergutmachung für seine Taten und die unerwiderte Liebe zu seiner verstorbenen Frau leisten. Deshalb reist er ja auch zum Tempel der Wiedererwecker – er will die Zeit scheinbar zurückdrehen.

Dieser Teil des Buchs bleibt leider sehr unklar und diffus, was daran liegt, dass diese Thematik erst in dem noch nicht übersetzten Folgeband „The Swords of Night and Day“ näher behandelt wird. Obwohl „Der weiße Wolf“ wie alle Drenai-Romane in sich weitgehend abgeschlossen ist, quillt er über vor Referenzen auf frühere Werke. Die Geschichte von Skilgannon und Jianna ist zwar gelungen inszeniert in ihrer retrospektiven Form, aber nicht zur Neige erschöpft. Vielmehr ist es eine Vorgeschichte, die erst im Folgeband ihren Höhepunkt erreicht.

Obwohl „Der weiße Wolf“ in meinen Augen einen der besten da episch breitesten Drenai-Romane mit zahlreichen starken Personen und Handlungssträngen sowie interessanter Erzählweise darstellt, weist er jedoch einige uncharakteristische Schwächen auf, über die Gemmell sonst erhaben ist: Manchmal simplifiziert und moralisiert Gemmell zu stark; zwar wird er nie pathetisch, aber wenn der alternde Druss mit Skilgannon zu philosophieren anfängt, sozusagen von Held zu Held, wirkt dies unnatürlich lächerlich und aufgezwungen. Die Figur Skillgannon selbst wirkt weit weniger überzeugend als ihre Vergangenheit, er vereint Züge vieler anderer Gemmell-Helden, insbesondere Waylanders, in sich, was zu Irritationen führt und ihn ein wenig daran hindert, sich selbst zu einem eigenständigen Charakter zu entwickeln.

Für die Übersetzung zeichnet wieder einmal Irmhild Seeland verantwortlich, die wie üblich hervorragende Arbeit geleistet hat. Ihr Gespür zeigt sie unter anderem bei dem Namen „Bruder Lantern“, den man auch krude als „Bruder Laterne“ hätte übersetzen können. Im Unterschied zum englischen Original fehlt Dale Rippkes Karte der Drenai-Welt, für die sich Gemmell im Vorwort ausdrücklich bedankt. Dafür weist das Buch gelungene und tatsächlich auf die Handlung bezogene Innenillustrationen von Janus Peterka auf, was man von dem Titelbild der Agentur Schlück nicht behaupten kann, das dem großartigen Original in keiner Weise ebenbürtig ist.

Skilgannon mag nicht an die Sympathiewerte und den schon fast legendären Heldenstatus eines Druss oder Waylander heranreichen, allerdings übertrifft „Der weiße Wolf“ viele ältere Drenai-Romane in epischer Breite und Spannung. Die Rückblenden in die Vergangenheit, die oft gegenwärtige Handlungen Skilgannons nachvollziehen lassen, helfen dem Leser, die Überlegungen Gemmells besonders gut zu reflektieren und unterhalten dabei hervorragend. „Der weiße Wolf“ ist ein hervorragender Drenai-Roman, der sich vor allem an Kenner der Saga wendet und dessen Handlung ihren Höhepunkt leider erst im Folgeband findet. Einsteiger können dennoch bedenkenlos zugreifen, David Gemmell garantiert nach wie vor für höchst unterhaltsame und moderne heroische Fantasy.

Die in der deutschen Ausgabe fehlende Karte der Drenai-Welt:
http://www.dodgenet.com/~moonblossom/Dratlas.html

http://www.bastei-luebbe.de/

_David Gemmell bei |Buchwurm.info|:_

[Die steinerne Armee 522 (Rigante 1)
[Die Nacht des Falken 169 (Rigante 2)
[Rabenherz 498 (Rigante 3)
[Eisenhands Tochter 1194 (Die Falkenkönigin 1)
[Im Zeichen des dunklen Mondes 840
[Die Augen von Alchazzar 1188 (Drenai-Saga)
[Waylander der Graue 1248 (Drenai-Saga)
[Wolf in Shadow 181 (Stones of Power)

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