Anne George – Mörderische Dividende

Die Nemesis des Nachlasses

Patricia Anne und Mary Alice sind zwei ältere Schwestern, die sich durch Streit gegenseitig bei wachem Verstand halten. Den brauchen sie auch, um eine Serie von Verbrechen in ihrer Heimatstadt Birmingham in Alabama aufzuklären. Patricia Anne wollte eigentlich ein bisschen in dem Investmentclub, den ihre Nachbarin Mitzi gegründet hat, an der Börse spekulieren. Doch als ein Mord geschieht, müssen die beiden streitsüchtigen Schwestern in ungewohnter Eintracht auf einmal ganz andere Spekulationen anstellen …

Die Autorin

Anne George hat sieben Krimis um die „Southern Sisters“ aus Birmingham, Alabama, geschrieben. Für den Roman „Murder on a Girl’s Night Out“ erhielt sie 1996 den |Agatha Christie Award|. Sie veröffentlichte zudem einen Mainstream-Stream sowie Lyrik, wurde zum „Alabama State Poet“ ernannt (vermutlich eine Art regionaler Hofdichter), gründete den Verlag |Druid Press| und wurde für ihre Lyrik für den |Pulitzer|-Preis nominiert. Sie starb 2001.

Die Sprecherin

Astrid Bless wurde in der Nähe von Dresden geboren, studierte an der Theaterhochschule Leipzig Schauspiel und Theaterwissenschaften. Sie spielte auf einer Reihe von Bühnen Stücke von Shakespeare, Schiller und Kleist. Daneben hatte sie mehrere Auftritte in Fernsehserien und lieh neben Sophia Loren auch Claudia Cardinale als Synchronsprecherin ihre Stimme. Heute lebt und arbeitet Bless in Berlin. (Verlagsinfo)

Die Textfassung wurde von Sabine Hyland bearbeitet, Regie führte Matthias Morgenroth, als Tonmeister fungierte Oliver Schmerwitz.

Handlung

Au weia! Mary Alice Crane (66) hat dem Bankdirektor, Mr. Jones, ihren Regenschirm auf den Kopf gehauen. Das bringt sie und ihre seufzende Schwester Patricia Anne (61) in den Knast von Birmingham, Alabama. Patricia Anne Hollowell fragt sich – als die vernünftigere der beiden Schwestern -, wie es nur so weit kommen konnte. Man schreibt November, und alles begann im September.

Patricias langjährige Nachbarin Mitzi Pfizer (ausgesprochen: feiser) möchte sie für den neuen Investmentklub der Frauen gewinnen. Ihre Schwester Mary Alice, die gewiefte Aktienbesitzerin, könnte ihnen doch Anlagetipps geben, nicht wahr? Patricia fleht zu Gott, Mary Alice möge ihnen bloß keine Aktien eines Kondomherstellers empfehlen. Mary Alice schwärmt jedoch viel lieber von ihrem neuen Liebhaber, dem Engländer Cedric.

Während Patricia mit ihrer Schwester in einem Szenelokal gemütlich essen geht, erspähen sie Arthur, Mitzis Gatten, aber keineswegs allein, sondern mit einer älteren Dame am Tisch! Oha, der gute Arthur wird nicht etwa fremdgehen? Jetzt streichelt er auch noch ihre Hand. Na, das dürfte Mitzi aber sehr interessieren. Patricia wagt sich kühn an Arthurs Tisch und begrüßt ihn. Er stellt ihr Sophie Sawyer vor, eine „Freundin“. Sie stamme aus Birmingham, sei 30 Jahre lang in Chicago gewesen und kehre nun zurück. Patricia beruhigt sich wieder und verklickert ihrer Schwester alles brühwarm.

Doch Mary Alice wundert sich, dass Sophie so schwankend geht, dass Arthur sie stützen muss. Patricia folgt ihnen, um Hilfe anzubieten. Sie sieht, wie Arthur Sophie in den Wagen hilft, als habe die Ärmste echte Probleme. Patricia geht wieder zurück, als Arthur lauthals nach einem Notarzt ruft! Da scheint etwas Ernstes passiert zu sein. Patricia sieht, wie sich Sophie im Wagen vor Schmerzen krümmt, gleich darauf rührt sie sich nicht mehr. Der zufällig anwesende Arzt meint, es sei wohl das Herz. Der Notarzt bringt Sophie ins Krankenhaus, allerdings zu spät.

Von Mitzi erfährt Patricia verwundert, es handle sich bei der Frau um Arthurs erste Frau. Das verwundert Patricia, denn Mitzi ist mit Arthur schon 40 Jahre verheiratet. Es war offenbar eine überstürzte Teenagerehe, die von den Eltern der beiden schleunigst annulliert wurde. Die gutbetuchte Sophie wurde alsbald an einen reichen Finanzberater in Chicago verheiratet, bekam drei Kinder und Diabetes, kehrte erst kürzlich in ihre Heimat zurück.

Das ist aber noch längst nicht das Ende vom Lied: Sophie Sawyer wurde vergiftet! Und kein anderer als Arthur Pfizer selbst wird von der Polizei unter Mordverdacht verhaftet! Patricia Anne und Mary Alice kommen aus dem Staunen kaum heraus. Als auch noch ihre Schwiegertochter Lisa heulend bei Patricia einzieht, wird es turbulent. Lisa glaubt, Patricias Sohn Alan liebe eine andere, eine Frau aus seinem Büro – Mary Alice sagt nur: „Tussenterritorium!“ – und die sei auch noch über 40. Ist es zu fassen? Dass Mitzi ebenfalls in Tränen aufgelöst ist, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Patricia besorgt ihr eine gute Anwältin, um Arthur schnellstmöglich vor dem Gefängnis zu bewahren.

Auftritt Arabella Hart. Ein zwielichtiges Frauenzimmer, diese rothaarige Tochter der armen Sophie. Mitzi erzählt, dass, während Arabellas Schwester Susan mit dem Birminghamer Millionär Joseph Batson verheiratet sei, Arabellas Mann – d. h. einer von Arabellas vielen Männern – als Mafiakiller im Knast sitze. Oha! Und was will sie dann von den Pfizers? Angeblich gefällt es ihr in Sophies Wohnung nicht, die ja nun verwaist ist, und quartiert sich bei den Pfizers ein. Vorübergehend, wie sie behauptet.

In der Nacht nach Arthurs Rückkehr kann Patricia wegen all der Aufregungen in ihrem Umfeld nicht schlafen und geht nachts um halb drei zur Hundehütte, um Woofer einen Bissen zu geben. Beim Zurückgehen bemerkt sie ein Licht an der Rückseite des nahen Hauses der Pfizers. Das findet sie um diese Uhrzeit merkwürdig. Als sie das Licht beobachtet, entwickelt es sich zu einer gierigen Flamme …

Mein Eindruck

Dieser unterhaltsame und bis zum Schluss spannende Damenkrimi braucht den Vergleich mit Agatha Christie, der Urgroßmutter des Damenkrimis, keineswegs zu scheuen. Im Gegenteil: Er macht seinem Vorbild alle Ehre. Dieses Vorbild sind natürlich die Miss-Marple-Krimis, die so fulminant mit Dame Margaret Rutherford verfilmt wurden.

Klatsch und Tratsch

Fern von allen blutigen Vorgängen und außer Reichweite von allen Serienmördern, begeben sich zwei ungleiche Schwestern auf die Spur des Verbrechens. Klatsch und Tratsch sind ihr Lebenselixier, so dass sie zu allen nötigen Informationen kommen, die sie benötigen, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wer hinter der Verbrechensserie im friedlichen Birmingham stecken könnte. Immer wieder legen sie eine kleine Denkpause ein, um mal zu sehen, wie weit sie schon gekommen sind. Das sind aber keine formellen Besprechungen, sondern im Gegenteil kleine Plaudereien.

Recherche

Diesmal begeben sich Patricia Anne – von ihrem „Schwesterherz“ Mary Alice liebevoll-neckisch als „Maus“ bezeichnet, da sie die Jüngere ist – auf eine veritable |recherche du temps perdu|, denn sie müssen herausfinden, was bei jenem ominösen Unfall, bei dem David Sawyer, Sophies Sohn, umkam, wirklich geschehen ist. Und die Wahrheit, die sich ihnen erst nach einem Besuch in der Bibliothek eröffnet, haut sie wirklich um. Ein Besuch auf dem Nachlassgericht verschafft ihnen Klarheit über die erstaunlichen Bedingungen, die Sophie Sawyer in ihrem Testament niedergelegt hat – das obendrein noch in letzter Sekunde in einem entscheidenden Punkt verändert wurde.

Arthur Pfizer, von Sophie dadurch als Nachlassverwalter eingesetzt, hätte man auch gleich eine Zielscheibe auf den Rücken malen können. Tatsächlich verfehlt der Schütze des nächsten Anschlags diesen Zielpunkt und trifft einen wesentlich edleren Körperteil mit vier Buchstaben. Bedingt durch die unverhoffte Ruhepausen fällt Arthur ein Versteck von brisanten Fotos ein, das Sophie ihm vor ihrem unzeitigen Tod verraten hatte.

Puzzle

Das klingt wie eine unplausible Menge von Zufällen, andererseits ist es zwar ein Puzzle aus Einzelteilen – wie das die Realität nun mal ist – aber es ist die besondere Fähigkeit der beiden Amateurdetektivinnen, diese Einzelteile zueinander in Beziehung zu setzen, genau wie es die Profis machen. Nur sind ihre Jagdgründe nicht Anwaltskanzleien und Polizeireviere, sondern die Nachbarn, die ausgedehnte Verwandtschaft und die vielen Restaurants, in denen sich die Verdächtigen sicher wähnen. Zu sicher, wie sich meist herausstellt.

Humor

Der Humor kommt nicht zu kurz, wie man sich leicht vorstellen kann. Über die wunderlichen Figuren könnte sich Patricia Anne zwar dauernd aufregen, aber sie beweist eine Engelsgeduld und lässt dem Leser bzw. Hörer Raum, sich über die naiven Hausfrauen, die überkandidelten Frauenzimmer, die kaltblütig berechnenden Anwältinnen und die schuldlos-dämlichen Schönheitsköniginnen zu ärgern.

Tja, und wie war das denn nun mit dem Regenschirm auf des Bankdirektors heiligem Haupt? Wie kam es dazu, dass Mary Alice ihm eins überbriet und Patricia Anne, die unschuldige Zeugin des grässlichen Geschehens, mit ihr im Knast landete? Mary verübelte Mr. Jones nicht, dass er sie mit faulen Aktien übers Ohr hauen wollte, sondern dass er sie nach vollbrachter Entschuldigung auch noch in den Po kniff. Offenbar hört da bei ihr der Spaß auf.

Die Sprecherin

Astrid Bless weiß die Sprechweisen der vielen Frauen in diesem amüsanten Krimi stets angemessen darzustellen. Die Ich-Erzählerin der Patricia Anne ist quasi die „Stimme der Vernunft“ und klingt zurückhaltend. Ganz anders jedoch „Schwesterherz“ Mary Alice, die immer ein wenig überkandidelt klingt mit ihrer gezierten Sprechweise in einer viel höheren Tonlage. Aber das ist noch gar nichts gegen Zoe Batson, gegen Joy McGuane und Sgt. Joannie Sauk von der Polizei. Sie haben alle gemeinsam, dass sie noch aufgeregter, entzückter und vergnügter als Mary Alice sprechen – falls das möglich ist. Wenigstens hat Mary Alice ihren Verstand nicht verloren, was bei den anderen nicht auszuschließen ist. Die tiefe Stimme der Polizistin Bo Mitchell wirkt dagegen wie eine wahre Wohltat.

Die Stimmen der Männer sind zwar gewöhnlich tiefer gelegt, aber keine davon fiel mir besonders, mit einer Ausnahme: die von Bankdirektor Jones. Er spricht mit einem warmen, gerundeten Tonfall und in einer bewusst kultivierten Ausdrucksweise. Damit bezweckt er, den Damen des Investmentklubs Vertrauen einzuflößen, aber hinter der freundlichen Fassade verbirgt sich – wie bei der Schlange im Garten Eden – ein Verführer und Betrüger, der Schrottaktien verkauft.

Alles in allem bin ich mit Astrid Bless‘ lebhaften und nuancierten Vortrag sehr zufrieden, denn es gelingt ihr, sowohl Figuren unterscheidbar zu machen als auch Situationen anschaulich darzustellen. Letztere Fähigkeit ist zwar geringer ausgeprägt, aber das liegt nur daran, dass zwar dauernd gequasselt, aber nur wenig gehandelt wird. Und wenn mal jemand handelt (ich sage nur: Regenschirm!), dann wird auch dieses Ereignis nur im Rückblick erzählt. Darin verrät sich nun mal die Begrenztheit der nonvisuellen Medien Buch und Hörbuch.

Unterm Strich

Es geht also um handfeste Themen wie: Gift, Brandstiftung, Erpressung, Mord durch Stellvertreter, Verwechslung und Aktienbetrug. Aber auch um romantische Jugendliebe, die Wiedervereinigung getrennter Ehepartner und Mary Alices neuesten Schwarm. Hilfreich ist die Entdeckung zahlreicher versteckter Dokumente und verborgener Wahrheiten. Insgesamt wird der rätselhafte Fall bis zuletzt nicht nur spannend, sondern auch mit Gefühl und Weisheit gestaltet und gelöst.

Die Sprecherin Astrid Bless hat für die meisten der vielen Frauenfigur die richtige stimmliche Darstellungsweise parat – sie erzeugt tiefe, autoritäre Tonlagen ebenso überzeugend wie hohe, etwas überkandidelt wirkende Stimmlagen. Man sollte aber scharf aufpassen, denn die zahlreichen Szenenwechsel vollziehen sich so rasend schnell, dass der Verstand noch mit der alten Szene beschäftigt ist, während die neue an anderem Ort und mit anderen Beteiligten schon in vollem Gange ist.

Der ökonomische Umgang mit Speicherplatz – es standen nur drei CDs zur Verfügung – schlägt sich in fehlenden Pausen nieder. Auf älteren HiFi-Anlagen kann es auch zu Knistern bei der Wiedergabe kommen. Deshalb habe ich das Hörbuch großteils auf meinem DVD-Player angehört. Hier trat das Knistern, eine Folge von Signalfehlern, nicht auf.

Originaltitel: Murder shoots the bull, 1999
Aus dem US-Englischen übersetzt von Christiane Filius-Jehne
265 Minuten auf 3 CDs

http://www.eichborn-lido.de/

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