Tess Gerritsen – Blutmale

Blutiger Okkultthriller: Angriff des Nephilim

An Heiligabend wird in einem Bostoner Stadtteil die zerstückelte Leiche einer jungen Frau gefunden. Der Täter hat die Polizei selbst gerufen. Alles weist auf ein satanistisches Ritual hin, so etwa das lateinische Wort für „Ich habe gesündigt“ und drei umgedrehte Kreuze. Eve Kassovitz muss sich bei diesem Anblick übergeben, was ihr einige Sticheleien der männlichen Kollegen einbringt. Pathologin Maura Isles stellt zu ihrem Erstaunen fest, dass die gefundene linke Hand nicht zu dieser Leiche gehört, sondern zu einer, die sie noch finden müssen.

Wenige Tage später ist auch Eve Kassovitz tot, und in ihrer Nähe sind drei umgedrehte Kreuze an eine Tür geschmiert. Die Tür gehört zur Luxusvilla von Anthony Sansone, der eine „Mephisto-Stiftung“ leitet, die sich nach eigenen Angaben der internationalen Verbrechensbekämpfung widmet. Doch Jane Rizzoli traut ihm ebenso wenig wie Maura Isles, die von Sansones bohrendem Blick eingeschüchtert wird. Und Janes Mann kann partout nichts über Sansone herausfinden. Er hat offenbar mächtige Beschützer …

Die Autorin

Tess Gerritsen war eine erfolgreiche Internistin, bevor sie mit dem Medizinthriller „Kalte Herzen“ einen großen Erfolg errang. Es folgten mehrere mittelmäßige Thriller wie „Roter Engel“, die durchaus spannend zu unterhalten wissen.

Mit dem Bestseller „Die Chirurgin“ ist ihr auch der Durchbruch in Deutschland gelungen, denn dieser Thriller ist noch eine ganze Klasse härter: Der Mörder entfernt seinen weiblichen Opfern die Gebärmutter. Die Fortsetzung trägt den Titel „Der Meister“, und „Todsünde“ ist der dritte Roman mit Detective Jane Rizzoli vom Boston Police Department. „Body Double“ trägt in der Übersetzung den treffenden Titel „Schwesternmord“. „Blutmale“ ist der sechste Roman in ihrer Serie um Detective Jane Rizzoli und die Rechtsmedizinerin Dr. Maura Isles.

Gerritsen lebt mit ihrem Mann, dem Arzt Jacob Gerritsen, und ihren beiden Söhnen in Camden, im US-Bundesstaat Maine.

Handlung

PROLOG

Als der Archäologe Montague Saul zu Grabe getragen wird, nehmen dessen Bruder Peter und seine Frau Amy den Halbwaisen bei sich auf, denn dessen Mutter, Montagues Frau, scheint sich nicht um ihn zu kümmern, wie der fünfzehnjährige Junge erhofft. Mit gefühllosem Interesse beobachtet der Junge, der nun in eine neue Familie kommt, seinen elfjährigen Cousin Teddy, einen Bücherwurm, und seine sechzehnjährige Cousine Lilly, die ihn ganz besonders genau mustert.

Als Lily sich mit ihren Freundinnen auf dem Rasen hinter dem Haus sonnt, bemerkt sie befremdet, wie ihr neuer „Bruder“ die halbnackten Mädchen ungeniert betrachtet. Als sie ihn zur Rede stellt, zeigt er weder Scham noch Reue. Stattdessen entdeckt sie bei ihm das „Ägyptische Totenbuch“, in dem es um Tote und Gräber geht. Ein seltsamer Typ, ihr Cousin. Als er behauptet, darin stünden Zaubersprüche, mit denen man Tote zum Leben erwecken könne, schaut sie ihn nur mitleidig an und geht wieder, während ihre Freundinnen spöttisch kichern.

Als sie weg sind, durchsucht er Lillys Zimmer und besorgt sich ihre Haare aus der Bürste. Als alle zum Eisessen fort sind, bleibt er als Einziger daheim und entdeckt in Peters Arbeitszimmer eine Pistole, offenbar ein Erbstück. Er legt sie zurück. Niemand darf etwas merken. In der Nacht träumt er von seiner Mutter, die ihn „den Auserwählten“ nennt. Sie habe ihn die richtigen Rituale ihrer Jahrtausende alten Sippe gelehrt und er solle sie üben.

In der Vollmondnacht des 1. Augusts schlachtet er nackt eine Ziege im Wald und wäscht sich im nahen See. Als er zurückkehrt, erwartet ihn Lilly auf dem Rasen und will wissen, was er getrieben hat. Als er behauptet, nackt im See geschwommen zu haben, und er sie an der Taille berührt, haut sie ihm eine runter. Diese Demütigung soll sie ihm büßen. Sie und ihre ganze dämliche Familie …

Haupthandlung

Die Pathologin Dr. Maura Isles war gerade in einem katholischen Weihnachtsgottesdient, den der von ihr heimlich geliebte Polizeipfarrer Daniel Brophy zelebrierte, als sie einen Anruf von der Mordkommission des Bostoner Police Department (BPD) erhält. Als sie am Tatort eintrifft, wird sie bereits von Detective Barry Frost vorgewarnt. Es sei ziemlich schlimm. Sie sieht, wie sich Detective Eve Kassovitz vor der Haustür in den Schnee übergibt. Drinnen ist es in der Tat schlimm. Die Schlafzimmerwände sind völlig blutbespritzt. Detective Jane Rizzoli bemerkt überflüssigerweise: helles arterielles Blut. Will heißen: Das Opfer war nur bewusstlos und lebte noch, als ihm der Täter die Kehle durchschnitt.

Der Täter war gründlich: Er trennte den Kopf ebenso ab wie einen Arm und eine Hand. Die Hand hat Isles zu ihrem Schreck bereits auf dem Esszimmertisch unter einer Serviette entdeckt. Der Tisch ist für vier Personen gedeckt – in einem Single-Haushalt … Der Kopf liegt auf dem Boden in einem roten Kreis, in dem fünf schwarze Kerzen stehen. Das Opfer heißt Laurie Ann Tucker und arbeitete im Naturwissenschaftlichen Museum. Ein Nobody. In ihrem Spiegel steht das in Spiegelschrift geschriebene Wort „PECCAVI“. Auf Latein bedeutet es „Ich habe gesündigt“.

Das Telefon klingelt. Wieso klingelt es mitten in der Nacht? Frost geht ran – aufgelegt. Eine Bostoner Nummer, die Rizzoli sofort anwählt: keine Antwort. Sie wählt die Nummer, die davor im Speicher des Telefons abgelegt wurde. Es ist der Anschluss von Dr. Joyce P. O’Donnell. Wie interessant! Ein Vampir …

Rizzoli und Frost fahren sofort hin. Die Neuropsychiaterin O’Donnell vertritt als Gutachterin Serienmörder, deshalb ist Rizzoli nicht gut auf sie zu sprechen. O’Donnell behauptet, von nichts zu wissen, da sie bei einem Freund war, sie will aber nicht sagen, wer dieser Freund ist. Verdächtig. Und den Anruf des Unbekannten habe sie leider schon gelöscht, da er keine Botschaft hinterließ. O’Donnell macht sich einen Spaß daraus, Rizzoli aufzuziehen und offenbart, was sie alles über Rizzolis Privatleben weiß. Als Rizzoli wütend geht, ist sie überzeugt, dass O’Donnell lügt. Was, wenn sie den Killer nach dem Anruf traf? Zuzutrauen sei es ihr. Wahrscheinlich wollte ihr der Killer ein Präsent machen, als Zeichen seiner Verehrung.

Maura Isles entdeckt, dass die linke Hand vom Esstisch nicht zur Leiche von Tucker passt. Ergo muss sie zu einer anderen Leiche gehören, die noch zu finden wäre. Die Fingerabdruckfahndung ergibt nichts. Aber wo ist Tuckers eigene Hand? Diese Frage wird beantwortet, als Isles tags darauf zu einer Luxusvilla in einer Nobelgegend gerufen wird. Man habe die Leiche von Detective Eve Kassovitz gefunden. Kassovitz erhielt einen Stich direkt ins Herz, der Täter schnitt ihr die Augenlider ab. Auf der Hintertür der Villa finden sich wieder drei umgedrehte Kreuze und ein Augensymbol, das zu Eves eigenen Augen passt. Wie sich herausstellt, ist es das „allsehende Auge des Horus“, des altägyptischen Sonnengottes. Und Tuckers vermisste Hand findet sich in einem Beutel darunter.

Doch was soll diese ganze Inszenierung? Und was hatte die Polizistin hier zu suchen? Rizzoli vermutet, dass sich Kassovitz profilieren wollte, um die Schmach des Kotzens an einem Tatort wieder auszugleichen. Deshalb sei sie O’Donnell ohne Kollegen zu diesem Haus gefolgt, was sich als verhängnisvoll erwies. „Dieses Haus“ – das ist die Villa von Anthony Sansone, wo die Psychologin an einer Dinnerparty teilnahm. Der Butler tritt aus der Tür und lädt Isles im Namen seines Herrn zu einem Kaffee ein.

Wie Isles feststellt, ist Anthony Sansone ein Mann von großem Charisma. Er blickt sie mit bohrendem Blick an, als er versucht, sie auszufragen. Er weiß sehr viel über die beiden Fälle. Offenbar hat er viele Quellen. Er erzählt nur sehr wenig von dem Klub, den er leite und der sich der internationalen Verbrechensbekämpfung widme. Das Böse trage viele Masken, doziert er, und die meisten seien freundlich. So wie die seines venezianischen Vorfahren aus dem Jahr 1561: Antonino sei zwar ein Priester gewesen, habe aber Schreckliches getan, das man durchaus als „böse“ bezeichnen könne. Rizzoli findet heraus, dass Sansone eine 1905 gegründete „Mephisto-Stiftung“ leitet, und Mephisto war bekanntlich ein Diener Satans. Na, toll.

Als Maura Isles die Leiche der unglücklichen Eve Kassovitz obduziert, stößt sie in ihrer Kehle auf etwas, das man dort hineingesteckt hat: eine Muschel. Pisania maculosa, so der Experte, komme vor allem bei den Azoren und im östlichen Mittelmeer vor. Rizzoli fällt auf, dass auch die rote Farbe, die bei Tucker für den Kreis verwendet wurde, ein seltener Ockerton war, den es nur in Südzypern gibt. Und das Auge des Horus führt ins nahe Ägypten. In Rizzolis Kopf beginnt sich ein Bild zu formen …

Aber wo kam Tuckers fremde Hand her? Die Antwort auf diese Frage erreicht Rizzoli aus dem Ort Purity, der im oberen Staat New York liegt. Rizzoli fährt mit Maura Isles hin. Isles hat nach einer Liebesnacht mit Daniel Brophy einige unheilvolle Symbole an ihrer Haustür gefunden und ist sehr nervös. In Purity stößt Anthony Sansone zu ihnen, und Rizzoli wundert sich abermals, wie es dieser Mann schafft, über alles an diesem Fall auf dem Laufenden zu sein. Ein Polizist öffnet ihnen das Haus, in dem die Leiche von Sara Palmley gefunden wurde. Das Schlafzimmer sieht, wieder mal, wie ein Schlachthaus aus. Sara musste lange leiden, bevor sie sterben durfte. Wozu hat der Mörder sie gefoltert? Was wollte er wissen?

Florenz / Siena / Rom

Seit acht Monaten ist Lily Saul auf der Flucht. Sie bleibt an keinem Ort, an dem sie als Fremdenführerin oder Antiquariatsverkäuferin arbeitet, länger als drei Monate. In Siena konnte sie gerade noch rechtzeitig vor einem Schatten fliehen, der sich in ihrem Zimmer aufhielt, das sie in einem viertklassigen Hotel der Innenstadt genommen hatte. Nun ist sie in Rom angekommen, verdient gutes Trinkgeld mit den Touristen, denen sie die Unterwelt Roms zeigt. Bis heute. Am Ausgang der Basilika stehen drei Männer, die sie professionell einkreisen. Verdammt, er hat sie gefunden! Aber es gibt kein Entkommen …

Mein Eindruck

In ihrem neuesten Thriller wendet sich die Autorin an ein neues Publikum. Es ist fast das gleiche Publikum, das sich für Dan Browns „Sakrileg“ begeistern konnte und nun nach weiteren mystischen Erfahrungen in der von der Bibel kolportierten Geschichtsschreibung sucht. Und dies bedeutet im Klartext: die Kreationisten.

Kreationismus

Unter Kreationismus versteht man in den USA – und zunehmend auch in Europa! – die an Schulen und Universitäten verbreitete Lehrmeinung, dass die Geschichte der Welt, wie sie die Bibel darstellt, die Wahrheit ist und das, was Darwin lehrt, nur ein Irrglaube. Um die Evolutionstheorie zu widerlegen, lassen sich dozierende Kreationisten einiges einfallen. Dieser Unsinn soll hier nicht weiter ausgebreitet werden. Es genügt zu sagen, dass man in den USA diese Glaubensrichtung der fundamentalistischen Christen ernst nehmen muss. Sie verbannen Bücher aus den Bibliotheken, errichten kreationistische Freizeitparks und verdrehen auch sonst jede Menge Köpfe.

Nephilim

Die Autorin kommt den Kreationisten scheinbar entgegen, indem sie die Idee von den Nephilim aufgreift, zu denen sich der Killer im Hause Saul und in Boston rechnet. Die Nephilim werden im Buch Genesis (Kap. 6, Vers 2-4), im apokryphen Buch Henoch, bei Jesaja und im Buch der Jubiläen erwähnt. Diese Quellen zitiert Lily im Verlauf der Handlung. Die Nephilim sind die Wächter, die über die sündhaften Menschen wachen. Sie sind zum Beispiel für die Opferung des im Buch Mose erwähnten Sünden-Bocks zuständig, der, beladen mit den Sünden der Israeliten, in die Wüste geschickt wird, um dort den wilden Tieren und den Wächtern zum Opfer zu fallen. Dies ist, wie Rizzoli und Isles herausfinden, der Grund, warum in Purity Ziegen verschwanden – der Nephilim hat sie geopfert. Wohin er auch kommt, hinterlässt er sein Zeichen: einen dreieckigen gehörnten Kopf mit den Schlitzaugen einer Ziege, manchmal mit einer Sense in der Hand.

Die Wächter

Doch woher nehmen die Nephilim das Recht, über die Menschen zu wachen und zu richten? Im Buch Genesis heißt es, sie seien die Kinder, die aus der Verbindung zwischen Engeln des Herrn mit Menschenfrauen hervorgegangen. Wohlgemerkt: Es handelt sich natürlich um gefallene Engel. Durch ihre engelhafte Abstammung beanspruchen sie eine höhere Stellung als die gewöhnlichen Menschen, die ständig Sünden begehen. Wenn ein Nephilim einen Menschen tötet, so ist dies in seinen Augen kein Verbrechen, sondern ein Dienst an Luzifer (dem „Lichtbringer“) und am Obernephilim Azazel: Das Sündige wird ausgemerzt. Daher auch der lateinische Spruch „PECCAVI: Ich habe gesündigt.“ Die drei umgedrehten Kreuze sind die von Golgatha, wo Jesus neben zwei anderen Sündern gekreuzigt wurde. Die Invertierung markiert die Kreuze als Satan geweiht.

Die Darstellung

Dieses ganze System präsentiert die Autorin als routinierte Erzählerin natürlich nicht geballt, denn das wäre viel zu langweilig und unglaubwürdig. Rizzoli fungiert als Stimme der Vernunft und zweifelt grundsätzlich alles an, was ihr Anthony Sansone und Lily Saul in dieser Hinsicht auftischen. Lily ist überzeugt, dass ihr Cousin, der Killer, kein Mensch sei, und da sie sich diesbezüglich mit Sansone einig ist, schließt sie sich den Dämonenjägern der Mephisto-Stiftung an. Sie ist die letzte ihrer Familie, die letzte, die sich an die Vorgänge vor zwölf Jahren erinnert.

Rizzoli bleibt trotzdem auf dem Teppich, denn das Gesetz kennt nur Menschen, keine Engel oder Dämonen. Dass Rizzoli auch nicht an Verschwörungstheorien glaubt, wird ihr allerdings um ein Haar zum Verhängnis. Angeblich um Lily vor dem Killer in Sicherheit zu bringen, schafft sie Lily in eine von Edwina Falway, Sansones Stiftungskollegin, empfohlene Berghütte. Dort findet unversehens der Showdown statt, denn die Berghütte stellt sich als raffiniert aufgestellte Falle heraus. Der Leser bzw. Hörer erlebt hier einige hübsche Überraschungen. Zum Beispiel, dass Lily gleich in zweifacher Hinsicht heldenhaft handeln kann.

Biblische Ideologie

Nephilim, Kreationisten, Golgatha – was soll der ganze Zinnober? An der Schnittstelle zwischen Kreationismus und mystisch verbrämter Bibelhistorie à la „Sakrileg“ greift die Autorin ein düsteres und obskures Kapitel in der Bibel heraus, um meiner Meinung nach zu zeigen, dass sich mit dem entsprechenden geistigen Rüstzeug jeder Psychopath erzeugen und lenken lässt.

Immer wieder schreibt der fünfzehnjährige Saul-Neffe (sein Name soll hier nicht verraten werden), wie sehr ihn seine Mutter ausgebildet und geprägt hat. Mit zehn Jahren musste er beispielsweise seine erste Ziege schlachten, dann kamen viele weitere Rituale hinzu. Dass er den ganzen Nephilim-Mumpitz – „Du bist der Auserwählte“ – nun verinnerlicht hat, verwundert nicht.

Werdegang eines Nephilim

Uns durch sein Tagebuch Einblick in seine Seele zu gewähren und so verstehen zu lassen, ist ein trickreicher Schachzug der Autorin. Ein Junge, der goldblond und blauäugig ist – würden wir ihm nicht ebenfalls vertrauen, ihm niemals die Morde zutrauen, die er begeht? Wie Sansone nicht müde wird zu erwähnen: Das Böse kann ein freundliches, schönes Gesicht haben. Blond auf blauäugig – das erinnert an den Mist von arischem Übermenschentum. Die Nephilim und der Kreationismus treffen sich an dieser Stelle mit den staatsfeindlichen Untergrundmilizen in Montana und Oregon, die als „Aryan Brotherhood“ auftreten.

Einen solchen Killer auftreten zu lassen, dient der Autorin meines Erachtens dazu, ihn und alles, wofür er steht, kritisierbar zu machen. Leser und Hörer, die nur die Oberfläche beachten, begeistern sich vielleicht für die simple Thrillerhandlung, die schnurstracks von A nach B führt. Aber dass dieser Killer sich einer höheren Wächterrasse zugehörig fühlt, sollte einige Alarmglocken schrillen lassen.

Kritik der Autorin

Eine Absicht der Autorin könnte darin liegen, die Auslegung der Bibel doch bitteschön etwas kritischer anzugehen. Denn am Ende glauben doch einige Wirrgeister an die Existenz von Wächterwesen, die Sünder für ihre Missetaten bestrafen. Maura Isles, eine der Hauptfiguren, ist eine solche Sünderin, denn sie hat mit einem Priester geschlafen, so dass dieser sein Keuschheitsgelübde brach. Prompt taucht an ihrer Tür das Zeichen des Azazel auf. Soll deshalb Isles das Urteil der Wächter demütig abwarten? Mitnichten! Wie dieser Konflikt auf psychologischer Ebene gelöst wird, zeigt die Autorin anschaulich und anrührend.

Unterm Strich

Die Handlung ist wie üblich bei Gerritsen sehr spannend, aber leider auch voller ziemlich blutiger Schauplätze. Detective Jane Rizzoli, frischgebackene Mutter (siehe „Scheintot“) à la Maria, und Dr. Maura Isles, frischgebackene Sünderin, versuchen einen skrupellosen und offensichtlich besessenen Serienmörder zu fassen. Doch der Schlüssel zur Lösung der Rätsel, die die Symbole an den Tatorten darstellen, liegt nicht in der Gegenwart, sondern in einer zwölf Jahre zurückliegenden Vergangenheit. Diese erschließt sich uns teils durch die das Tagebuch des Killers als fünfzehnjährigem Jungen, teils durch das Geständnis seiner Cousine Lily gegenüber Rizzoli. Das Puzzlespiel erzeugt ebenso viel Spannung wie der abschließende Showdown, der mit einigen bösen Überraschungen aufwartet.

So mancher Leser, der in der Bibel nicht bewandert ist oder überhaupt nichts von deren Inhalt hält, dürfte nicht gewillt sein, den entsprechenden Passagen in Gerritsens Buch zu folgen und sie ernst zu nehmen. Das erachte ich aber als unbedingt erforderlich. Denn nur hierdurch steigert sich das Buch über das Niveau eines gewöhnlichen blutigen Thrillers hinaus. Auf dieser „bibelfesten“ Ebene wendet sich das Buch an christliche Fundamentalisten. Es scheint die Fantasien der Kreationisten zu bedienen, ruft aber im Subtext dazu auf, die Bibelauslegung kritischer anzugehen. Diese Kritik der Autorin hat mir mehr gefallen als die Schlafzimmer, in denen das Blut bis an die Decke gespritzt ist.

Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
Originaltitel: The Mephisto Club, 2006

Aus dem US-Englischen übersetzt von Andreas Jäger
www.limes-verlag.de
www.tess-gerritsen.de