Giménez-Bartlett, Alicia / Leonhard Koppelmann – Boten der Finsternis (Lesung)

Krimi-Klischees zwischen Flamenco und Balalaika

Inspectora Petra Delicado löst ihren dritten Fall. – Sie gibt unvorsichtigerweise ein Fernsehinterview und wird dadurch bekannt. Bald darauf treffen mehrere Päckchen bei ihr ein – mit äußerst beunruhigenden Inhalten. Ein Irrer, der auf die gutaussehende Inspectora fixiert ist, vermutet Subinspector Fermín Garzon. Oder doch etwas Größeres? Delicado und Garzon haben sich mit einer üblen Sekte angelegt, hinter der noch ganz andere Kräfte stecken.

Die Autorin

Alicia Giménez-Bartlett, 1951 im spanischen Almansa geboren, hat bereits etwa ein Dutzend Bücher veröffentlicht und wurde literarisch ausgezeichnet. Den größten Erfolg bescherten ihr jedoch ihre bisher fünf Romane um die schlagfertige, in Barcelona ermittelnde Inspectora Petra Delicado.

Weitere Delicado-Fälle im Hörbuch: „Gefährliche Riten“, „Hundstage“. Zuletzt im Hardcover in der |edition Lübbe| erschienen: „Das süße Lied des Todes“.

Die Sprecher / Die Inszenierung

Die wichtigsten Sprecher und ihre Rollen:

Lena Stolze: Petra Delicado und Ich-Erzählerin
Michael Mendl: Subinspector Garzón
Bodo Primus: Comisario Coronas
Martin Engler: Dr. Montalbán
Mark Zak: Iwanow
Pjotr Olew: Kommissar Rekow
Johanna Bantzer: Julietta, Petras Haushaltshilfe
Nico Eleftheriadis: Sgt. Palafolls, Polizist

Leonhard Koppelmann hat die Hörspielfassung erstellt und Regie geführt, für die Dramaturgie war die baden-württembergische Schriftstellerin Uta-Maria Heim zuständig. Die Musik komponierte Henrik Albrecht, für Ton und Schnitt waren Daniel Senger und Christiane Kohler verantwortlich. Der |SWR| produzierte das Hörspiel anno 2005.

Handlung

Eigentlich hätte es sich Inspectora Petra Delicado erst einmal überlegen sollen, ob sie ein Fernsehinterview gibt, aber ihr Chef Comisario Coronas bat sie so nett, dass sie nicht nein sagen konnte. Jetzt hat sie den Salat: eine Menge Kollegenlob, aber auch jede Menge Fanpost. Sie packt ein Päckchen aus und findet in einem Tütchen – da schau her! – einen abgeschnittenen Penis, eingelegt in Formaldehyd.

Comisario Coronas ist angewidert, Petra verstört, doch nur Kollege Garzón stellt die richtige Frage: Wo ist denn der Mann dazu? Gute Frage, und Coronas sieht sich sofort veranlasst, Petra unter Personenschutz zu stellen. Das hat sie jetzt von ihrem Interview! Zu allem Überfluss sind ihre „Beschützer“ zwei Jungspunde und noch kaum trocken hinter den Ohren. Petra fühlt sich von ihnen wenig beschützt.

Als am nächsten Tag ein zweiter Penis eintrifft, untersucht auch diesen der Rechtsmediziner Dr. Montalbán. Der Mann, den einst dieses Schmuckstück zierte, lebte noch, als man ihn fachmännisch entmannte. Garzón wird schlecht. Der Täter ist doch nicht etwa eine Frau auf Rachetour, oder? Nein, keine Spuren von Gewaltanwendung, meint der Mediziner. Und immer noch keine dazugehörige Leiche.

Petra bekommt erst einen anonymen Anruf und dann das dritte Päckchen, Inhalt wie erwartet. Doch dieser Penis ist auffällig anders: Ihn ziert ein violettes Kreuz aus Wachs. Petra und Gomez finden heraus, dass es zu einer Votivkerze gehört, wie sie in Barcelona häufig verkauft wird. Unter anderem an einen jungen Mann, ca. 20, auf einem Motorrad. Na, besser als nichts. Von einem Experten erhält Petra ein Dossier über Sekten. Ihr wird angst und bange, als sie liest, wie Sekten ihre Mitglieder nach der Rekrutierung einer Gehirnwäsche unterziehen und sie dann ausbeuten.

Auch der vierte Penis enthält einen Hinweis: ein weißes Steinchen, das man nur in der Nähe von Uldicona abbaut, gar nicht weit entfernt von Barcelona. Der Hersteller hat eine Kundenliste, auf der auch ein gewisser Sergej Iwanow steht, ein russischer Bauunternehmer. Unterdessen wird die erste entmannte Leiche aufgefunden, ein bereits vermisster Student. Die Spur führt zu einer Familie, die in Cambrils wohnt, unweit Uldicona – das ist bestimmt kein Zufall. Petra bekommt den Anruf eines verzweifelt klingenden jungen Mannes, der ihr noch einen Penis (Nr. 5) geschickt hat. Ist es Ramón Torres, der Freund des gefundenen Toten? Petras Leute finden ihn nur noch tot vor. Allmählich verliert sie die Nerven.

Der fünfte Penis enthält eine Metallspirale, auf die in kyrillischen Buchstaben der Satz „Blochin rein wie die Luft“ eingeritzt ist. Damit können nur russische Experten etwas anfangen. Moment mal! War nicht ein Russe auf der Uldicona-Kundenliste? Petra und Gómez fahren zu Sergej Iwanow, doch der tut ahnungslos, wenn auch irgendetwas nicht mit ihm stimmen kann, denn das, was er da baut, gehört garantiert der russischen Mafia. Und deshalb ist wohl eine Unterrichtsstunde in Moskau angesagt, um diesem geheimnisvollen Blochin auf die Spur zu kommen …

Mein Eindruck

Die 56-jährige Autorin Alicia Giménez-Bartlett verknüpft in ihrem 1999 veröffentlichten Roman zwei Themen, die stets aktuell sind: Religion und Sex bzw. Verstümmelung. Damit sorgte sie seinerzeit sicherlich für moralische Wallungen unter den Sittenwächtern des erzkatholischen Spaniens, aber heute werden auch dort unter der sozialdemokratischen Regierung immer mehr Tabus abgebaut, so dass sexuelle Themen kaum noch einen Aufschrei der Entrüstung auslösen.

Was aber weiterhin Besorgnis auslösen sollte, ist der wachsende Einfluss der russischen Mafia, die kräftig an russischen Ölmilliarden mitverdient und überall am Mittelmeer Luxusdomizile baut, sowie in deren Fahrwasser der Einfluss obskurer Sekten wie die der „Skopis“ des 1832 gestorbenen Mystikers namens Blochin. Die Sekte wurde von einer Mystikerin gegründet, die lehrte, dass Adam und Eva rein waren, weil sie kein Geschlecht hatten. (Nun ja, man hat schon Schlimmeres gehört.) Folgerichtig amputierten sich die Anhänger der Skopis selbst das Geschlecht (wie das bei Frauen gehen soll, bleibt unklar). 1874 soll es laut Polizeiberichten über 5000 Skopis gegeben haben, und inzwischen sind es sicherlich nicht weniger geworden. Dies sind die „Boten der Finsternis“.

Dass die Skopis wie viele Sekten nicht nur entsprechend geschäftstüchtig sind, sondern auch besondere Opfer fordern, wird Petra Delicado in ihren Kontakten mit den überlebenden Sektenmitgliedern klar. Ausnahmslos Studenten aus betuchtem Hause werden zu Opfern und entsprechend bis aufs letzte Hemd ausgeplündert. Delicado riskiert ziemlich viel, indem sie sich mit Iwanow trifft, und bekommt deshalb vom Chef eins auf die Mütze.

Allerdings unterliegt sie einem entscheidenden Irrtum und konzentriert sich auf den falschen Drahtzieher. Um ein Haar hätte sie ihr Irrtum einen weiteren Polizeikollegen gekostet. Dieser Wettlauf um Leben und Tod liefert das spannende Finale des Romans. Aber am Schluss stellen sich die Ermittler beunruhigende Fragen: Wo sind die Leichen, die zu den zugeschickten Penissen gehören? Und wer hat Iwanow auf dem Gewissen?

Die Mischung aus Sektenwesen, russischer Mafia und sexueller Verstümmelung klingt zunächst weit hergeholt, aber das schienen die Aktivitäten der kalabrischen Mafia für uns ebenfalls zu sein, bis es zu den Exekutionen in Düsseldorf im August 2007 kam. In der Folge verriet ein italienischer Journalist und Mafiakenner, der im Untergrund lebt, wie weit der Arm der Kalabresen auch in Deutschland reicht. Man kann davon ausgehen, dass die russische Mafia ebenfalls hierzulande spürbar aktiv ist. Wenn man auch nicht weiß, ob sie sich mit Sekten verbündet hat, so liegt der Verdacht, dass sie mit dem Menschenhandel aus dem ehemaligen Ostblock zu tun haben könnte, nicht fern. Nur hat noch kein Blatt hierzulande größer darüber geschrieben. Warum wohl?

Die Sprecher / Die Inszenierung

Dass wir uns in einem spanischen Ambiente befinden, macht gleich als Erstes die Flamenco-Musik deutlich. Dumm nur, dass Flamenco nicht im katalonischen Barcelona gespielt und getanzt wird, sondern in Südspanien. Dennoch bekommen wir die penetrante Flamenco-Platte andauernd aufgelegt, manchmal sogar ohne Gitarre. Und als sich der Schauplatz nach Moskau verlagert, erklingt – na, was wohl? – Balalaika-Schrammelmusik, dass es den Don kräuselt. Hier feiern die Klischees einen Triumph, aber dem Hörer, der mal etwas Interessantes erwartet hat, rollen sich die Zehennägel auf.

Geräusche

Auch an der Geräuschefront nichts Neues. Die üblichen quälenden Schrill- und Trillertöne von mobilen und anderen Telefonen, dazwischen mal der Sound von Düsentriebwerken (ab nach Moskau, zurück aus Moskau), schließlich wird’s – obacht, Polizeisirenen! – spannend, als die Story auf die Zielgerade gelangt. Die Sprecher drohen, schluchzen, keuchen, brechen Türen auf – dann Erleichterung und wieder mal Sirenen. Das ist einfach das übliche Einerlei, wie es im Krimigenre im Dutzend billiger vorkommt. Dabei hatte sich die Regie doch immerhin 112 Minuten (also zweimal 55 Minuten Spielzeit, der Rest ist An- und Absage) Zeit genommen, etwas Handfestes auf die Beine zu stellen.

Die Sprecher sind hauptsächlich männlich, und das wird auf Dauer ein wenig langweilig. Den Polizisten, die stets kurz vor einem cholerischen Herzinfarkt zu stehen scheinen, stehen lediglich eiskalte Gangster, verführerische russische Kommissare oder schluchzende verlorene Seelen am Telefon gegenüber.

Es kommen nur zwei weibliche Figuren vor, nämlich Petra Delicado, gesprochen von Lena Stolze, und Julietta, ihr Hausmädchen, gesprochen von Johanna Bantzer. Stolze habe ich am Anfang mit Hannelore Hoger verwechselt, die in den Brunetti-Hörspielen die Erzählerin spricht. Stolze hört sich genauso an: abgeklärt, souverän, matronenhaft.

Ganz anders hingegen Julietta, die im Grunde die erinnerungswürdigste Figur bildet. Sie ist zunächst die naive junge Frau, die ihre erste Liebe zu erleben scheint, doch am Schluss eine fanatische Dogmatikerin, die sich nur durch Schocktherapie brechen lässt. Beide Zustände glaubwürdig darstellen zu können, ist eine besondere Leistung.

Unterm Strich

Sektenunwesen und russische Mafia, Selbstverstümmelung und bizarre Morde – man sollte meinen, das sei eine gehörig explosive Mischung, um jeden Krimifreund anzusprechen. Doch die Schnitzeljagd nach dem Ursprung und der Bedeutung der geradezu obszön verlockend ausgestreuten Hinweise (Steinchen unter der Vorhaut und dergleichen Scherze) verläuft nach Schema F. Erst als sich Delicado selbst in die Schusslinie bringt, könnte es einigermaßen lustig werden. Prompt bekommt sie eins auf die Mütze – und muss einsehen, dass sie auf dem falschen Dampfer schippert. Das Finale wird als Wettlauf um Leben und Tod gestaltet – so haben wir’s gern.

Aber irgendwie fehlt noch der Pfiff, der die ganze Geschichte außergewöhnlich macht. Delicados amouröses Moskauer Abenteuer – Motto: heiße Nächte in der Taiga – qualifiziert sich leider nicht dafür, denn das war schon in den sechziger Jahren, als Konsalik dergleichen schrieb, ein alter Hut. Die Balalaika- und Flamenco-Musik rundet das Klischee nach unten ab, aber mehr habe ich bei Henrik Albrecht auch nicht erwartet. Seine Jazzkompositionen für Donna-Leon- und Camilleri-Krimis waren einfallsreicher, wenn auch nicht immer mein Geschmack.

|Das Hörspiel|

Die Rundfunkmacher vom |SWR| liefern hier solide Handwerksarbeit ab, aber was mir dabei fehlt, ist der Funke der Inspiration und des Besonderen. Allenfalls konnte mich das Hörspiel neugierig machen auf die literarische Vorlage, um mehr über die Themen Skopi-Sekte, russische Mafia und so weiter zu erfahren. Der hohe Preis, der für solche vom Rundfunk lizenzierten Werke verlangt wird, ist jedenfalls angesichts der mittelmäßigen Qualität ein Ärgernis.

Originaltitel: Mensajeros de la Oscuridad, 1999
Aus dem Spanischen übersetzt von Sybille Martin
112 Minuten auf 2 CDs
Die Buchausgabe erschien 2004 bei Lübbe.

http://www.luebbe.de/luebbe-audio

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