Giuttari, Michele – Signatur, Die

_Blutiges Florenz, die Stadt mit doppeltem Boden_

Erst wird in Greve bei Florenz ein Schreibwarenhändler auf blutige Weise ermordet, dann in Florenz selbst der Gehilfe eines Antiquitätenhändlers. Commissario Ferrara vom Morddezernat erkennt allmählich, dass er es mit einem kaltblütigen Rachefeldzug zu tun hat. Er selbst hat schon zwei anonyme Drohbriefe erhalten, die seine deutsche Frau Petra beunruhigen. Spuren im Hintergrund des Antiquitätenhändlers scheinen zunächst nach Kalabrien und Sizilien zur Mafia zu führen, doch auf einmal verlieren sie sich im Nichts …

Unterdessen beschließt die Kunststudentin Vantina Preti, ihre lesbische Affäre mit ihrer Jugendfreundin abzubrechen und von Bologna nach Florenz zu Mike zu ziehen. Doch der gutaussehende, betuchte junge Mann, der sich als der amerikanische Journalist Mike Ross ausgibt, ist keineswegs der harmlose Reporter, sondern ein Mittelsmann, der der Mafia nahesteht. Mit Valentina hat er besondere Pläne …

_Der Autor_

Michele Giuttari, 1950 in Sizilien geboren, arbeitete für mehrere Mordkommissionen, bevor er 1995 die Leitung der Squadra Mobile in Florenz übernahm. Seine Romane um Kommissar Michele Ferrara wurden Bestseller, z. B. „Die Signatur“. Er lebt mit seiner deutschen Frau in Florenz.

_Handlung_

Der erste Mord, zu dem Commissario Ferrara vom Morddezernat Florenz gerufen wird, hat am 1. Oktober 1999 in Greve stattgefunden, einem beliebten Ausländerwohnort mitten im Chiantigebiet. Der Verkäufer eines Schreibwarenhändlers wurde mit zahlreichen Messerstichen regelrecht niedergemetzelt. Da das Opfer homosexuelle Neigungen auslebte, glaubt der Commissario an ein Verbrechen aus Leidenschaft, aus Rache vielleicht. Dass der gutaussehende junge Priester Sergio Rotondi etwas mit der Sache zu tun haben könnte, lässt sich leider nicht belegen, denn er bekommt ein Alibi von seinem Kollegen.

Am 31. Dezember wird Ferrara aus dem Urlaub zurückgerufen, den er mit Gattin Petra in Wien verbringt. Der junge Angestellte eines Florentiner Antiquitätenhändler wurde auf ähnliche Weise niedergemetzelt wie der Mann in Greve, allerdings wurde er zuvor mit einer Pistole erschossen. Eine Zeugin hat einen hochgewachsenen Mann mit blondem gewelltem Haar gesehen, wie er das Geschäft zur Tatzeit betrat. Ob es ein Priester war, kann sie allerdings nicht sagen.

Wenig später bekommt Ferraras Mitarbeiter Ricci von einem Informanten, der gerade aus der Haft entlassen wurde, gesteckt, dass dieser Antiqutätenhändler Verbindungen zu Hehlerkreisen der kalabresischen Mafia hat, besonders zu einem gewissen Salvatore Dieni. Diesen Hehler quetscht Ferrara so lange aus, bis er weiß, dass es nur um ein gestohlenes Gemälde des spanischen Malers Velasquez geht. Aber wo ist der Zusammenhang mit dem blutigen Mord?

|Nebenschauplatz|

Am 1. Januar 2000 zieht die schöne Kunststudentin Valentina Preti, 22, für ihre Examensarbeit von Bologna, wo sie mit ihrer lesbischen Freundin Cinzia eine Wohnung teilte, nach Florenz, zu einem Mann, den sie nur durch Telefon, SMS und Chat kennt. Doch der gutaussehende, betuchte junge Mann, der sich ihr gegenüber als der amerikanische Journalist Mike Ross ausgibt, ist keineswegs der harmlose Reporter, als der er erscheinen will. Mit Valentina hat er besondere Pläne …

|Der Schlüssel|

Noch zwei weitere Morde an jungen Männern geschehen, und alle Opfer waren Homosexuelle. Hat Ferrara es mit einem homophoben Serienmörder zu tun? Das glauben jedenfalls die Staatsanwaltschaft und der Polizeipräsident. Doch Ferrara zweifelt an einer so einfachen Lösung, denn auch in seinem Fall des [„Monsters von Florenz“ 3686 entpuppte sich die Serien- und Einzeltätertheorie als Holzweg. Ferrara hat die Komplizen hinter Gitter gebracht.

In verbissener Kleinarbeit gelingt es ihm, Indizien und Spuren zusammenzutragen. Er ahnt: Die Opfer sind der Schlüssel. Eines späten Abends sieht er es dann: Die Stichwunden der vier Opfer ergeben Buchstaben. Und diese Buchstaben ergeben seinen Namen: F-E-R-R-A-R-A. Es handelt sich um einen Rachefeldzug, an dessen Ende das Hauptopfer steht. Der Mörder hat seine Taten signiert.

|Nebenschauplatz|

Im März macht der Serienmörder den entscheidenden Fehler, der Ferrara auf seine Spur bringt.

_Mein Eindruck_

Dass es sich bei Commissario Ferrara um das Alter Ego des Autors selbst handelt, ist spätestens dann klar, als die Rede vom „Monster von Florenz“ ist. Diesen Fall bearbeitete und löste Giuttari selbst, wie man seinem Polizeiberichtsroman [„Das Monster von Florenz“ 3686 entnehmen kann. Dieses Wissen ist von Bedeutung, denn einerseits verleiht dieser reale Hintergrund dem fiktiven Geschehen in „Die Signatur“ eine erhöhte Glaubwürdigkeit und hohen Realismus. Die Begegnungen zwischen Polizei, Staatsanwälten und Kriminellen sind realistisch gestaltet. Der Commissario selbst ist als Sizilianer gezeichnet, dem immer wieder ein Ausdruck der heimischen Muttersprache rausrutscht.

Aber ein Held wie der Kommissar kann sich nur dann wahrlich als solcher erweisen, wenn er einen Gegner hat, der ihm zumindest ebenbürtig ist. Leichte Beute interessiert den Meisterjäger nicht, sondern ist für Untergebene vorgesehen. Zum Glück macht ihm der Mörder der Schwulen von Florenz das Leben alles andere als leicht. Nicht nur ist der Killer sehr gut verkleidet, er kennt sogar das Standardvorgehen der Kripo für Serienmörder aus dem Effeff.

Die italienische Kripo geht in ihre eigene Falle, denn sie hat lediglich die Lehrbücher des FBI abgeschrieben, statt sich mal eigene Gedanken zu machen. Selbst graduierte Kriminologen beten bloß FBI-Propaganda nach, und so fällt es dem Commissario schwer, seine berechtigten Zweifel anzumelden. Nicht genug damit: Er wird wegen Erfolglosigkeit sogar unter Kuratel gestellt! Eine Staatsanwältin schaut ihm bei einer Tataufnahme über die Schulter, ob seine Leute auch alles nach Lehrbuch machen. Diese Entmündigung ist einfach demütigend. Sie ist ein Indiz dafür, dass der Polizeipräsident und der Oberstaatsanwalt ihren kollektiven Hintern retten wollen, um die Presse bzw. öffentliche Meinung zu besänftigen – durch ein Bauernopfer, das da „Ferrara“ heißen könnte.

Der Mörder ist ebenso intelligent wie wahnsinnig. Das macht ihn so gefährlich und für Ferrara so unberechenbar. Aber er hat eine schwache Seite: Er ist Vollwaise und vermisst seine Mutter. Sie sucht er in zahlreichen Frauen, allesamt Madonnengestalten. Als er glaubt, in Valentina Preti eine solche Madonna gefunden zu haben, verliebt er sich. Als sie jedoch zu neugierig wird und hinter seine Geheimnis kommt, muss auch sie ihren Preis zahlen. Und nicht nur sie, sondern auch ihre Liebhaberin Cinzia.

Den Schlüssel zur Lösung des Falles findet Ferrara natürlich in der Vergangenheit des Täters. Dabei zeigt sich eine weitere Schwäche des Polizeisystems. Gesucht wird in der Regel nur im sozialen und wirtschaftlichen Umfeld des Täters, nur in den seltensten Ausnahmen aber auch in dessen Kindheit und Jugend. Deshalb muss Ferrara in jene entlegene Vergangenheit zurückgehen, um die Kette zu finden, die den Täter mit seinen Opfern verbindet.

Eine weitere Ironie der italienischen Verhältnisse: Der Ort, der für diese Vergangenheit von entscheidender Bedeutung ist, liegt für die Polizei off limits – dies ist die sakrosankte Domäne der römisch-katholischen Kirche. Doch wie bekommt man als Bulle einen Durchsuchungsbefehl für ein Kloster? Man macht es wie jeder Italiener: Man lässt seine Beziehungen spielen.

|Die Übersetzung …|

… ist in der Regel sehr gut gelungen. Doch auch die Übersetzerin sollte wissen, dass bei uns die Bedienung eines Computers neben der Maus auch die „Tastatur“ erfordert und keineswegs die „Konsole“, wie sie auf Seite 28 behauptet. Auf Seite 105 wurde in dem Satz: „Klar, da bist bei mir genau an der richtigen Adresse“ das Wörtchen „du“ vergessen. Diese zwei Fehler sind die einzigen, die ich finden konnte.

_Unterm Strich_

„Die Signatur“ hat mich zu keiner Zeit gelangweilt oder durch Spitzfindigkeit verwundert. Ferraras Art sind das Grübeln und die Nabelschau nicht, und so geht die Handlung geht flott und relativ geradlinig voran. Doch die verhältnismäßig sachlichen und trockenen Ermittlungsszenen werden immer wieder durch recht emotionale Szene unterbrochen, in denen die zwei Beziehungen geschildert werden, zwischen denen Valentina Preti auf verhängnisvolle Weise gefangen ist.

In der Schilderung sexueller Praktiken erweist sich der Autor dabei als keineswegs zimperlich. Da kann durchaus mal erzwungener Analverkehr vorkommen. Die Einstellung des Autors zu den Praktiken der Homosexuellen zeugt von Unvoreingenommenheit und detaillierter Sachkenntnis – hier wird niemand verurteilt, sondern sachlich mit Praxiskenntnis geschildert. Homosexualität ist keine Krankheit für ihn, sondern eine Neigung, mitunter eine von einem Pädophilen erschlichene oder gar erzwungene Neigung.

Dass es Pädophile auch unter Kirchenleuten gibt, gibt ja nicht gerade eine weltbewegende Neuigkeit, wie man aus den Skandalen in Österreich und den USA weiß. Aber vielleicht ist sie für Italiener immer noch so ein empörender Aufreger, dass sie dem Autor vielleicht Drohungen einbrachte. Jedenfalls tat dieser Umstand den Verkaufszahlen des Buches gut – es verkaufte sich bestens. Wahrscheinlich vor allem in der Stadt, die als doppelbödiger Schauplatz der Ermittlungen Ferraras dient: die Arno-Metropole Florenz.

|Originaltitel: Scarabeo, 2004
397 Seiten, aus dem Italienischen von Karin Diemerling|
http://www.blt.de/