Goga, Susanne – Tod in Blau

2005 erschien Susanne Gogas Debütroman [„Leo Berlin“. 1597 Mit „Tod in Blau“ löst der Berliner Kommissar Leo Wechsler nun seinen zweiten Fall. Wie schon der erste Band, spielt auch „Tod in Blau“ im Jahr 1922 und ist damit in bewegten Zeiten angesiedelt. Deutschland ächzt unter den Reparationszahlungen, die Inflation schreitet voran. Das politische Klima der Weimarer Republik ist aufgeheizt. Die rechtskonservative Oberschicht sehnt die alte Kaiserzeit herbei, während die Arbeiterklasse in tristen Hinterhöfe vor sich hinvegetiert.

Mit „Leo Berlin“ hat Susanne Goga diese Zeit wunderbar heraufbeschworen, und nun soll „Tod in Blau“ direkt daran anknüpfen. Es sind provozierende Bilder, die der Maler Arnold Wegner malt. Ungeschönt stellt er die sozialen Spannungen der frühen 20er Jahre dar. Er malt bettelnde Kriegsveteranen, Prostituierte in dunklen Hinterhöfen und fängt die widersprüchlichen Kontraste seiner Zeit in seinen Bildern ein: Armut und Luxus, Vergnügungssucht und Kriegsschrecken. Die einen bewundern Wegner für seine Bilder und mutigen Darstellungen, die anderen verabscheuen ihn.

Doch reicht das für einen Mord? Dieser Frage muss Leo Wechlser mit seinen Kollegen auf den Grund gehen, als der Maler tot in seinem Atelier aufgefunden wird. Spuren gibt es nur wenige. Eine führt zu Wegners vernachlässigter Ehefrau Nelly. Eine andere in die illustren Kreise der rechtsextremen Asgard-Gesellschaft, in der viele ehemalige Offiziere Mitglied sind. Gibt es gar eine Verbindung zu der Leiche, die kurz zuvor aus dem Landwehrkanal gefischt wurde und ebenfalls eine Verbindung zur Asgard-Gesellschaft erkennen lässt?

Leo und seine Kollegen versuchen die mageren Spuren zu deuten und den Täter zu finden. Da bringt ihn unerwartet ein Hinweis der avantgardistischen Tänzerin Thea Pabst voran, und dann scheint es da plötzlich auch einen Zeugen zu geben, der den Täter möglicherweise gesehen hat. Doch der entzieht sich dem Zugriff durch die Polizei …

Der Plot verspricht zunächst einmal Spannung. Wie schon in „Leo Berlin“ verwebt Susanne Goga ihre Krimihandlung mit den zeitgeschichtlichen Zusammenhängen und lässt damit das Berlin der 20er Jahre vor dem Auge des Betrachters auferstehen. Man muss ihr schon zugestehen, dass sie sich für ihre Krimis ein außerordentlich interessantes Jahrzehnt herausgepickt hat.

Die politisch unruhige Lage zwischen erstem und zweitem Weltkrieg, die gesellschaftlichen Kontraste zwischen adeliger Oberschicht und den ärmlichen Arbeiterschichten, die in düsteren Hinterhöfen unter menschenunwürdigen Bedingungen leben, die wirtschaftlich zunehmend heikler werdende Lage, die mit steigender Inflation für so manche Familie den Ruin bedeutet – die 20er Jahre sind eine Zeit, die wie geschaffen ist für Romane, die auch den zeitgeschichtlichen Kontext widerspiegeln wollen. Und genau das gelingt Susanne Goga mit ihren Romanen sehr gut.

Neben der interessanten Epoche sind es auch die Figuren, mit denen Goga punkten kann. Mit Leo Wechsler hat sie einen sympathischen Titelhelden geschaffen. Wechsler, Witwer mit zwei Kindern, der zusammen mit seiner Schwester in einer kleinen Berliner Wohnung lebt, wird sehr menschlich und einfühlsam skizziert. Er hadert mit seinem Privatleben, das in diesem Fall auch sein Berufsleben nicht unbeeinflusst lässt, und ist ein Mensch, mit dem man fühlen kann.

Die übrigen Figuren nehmen sich gegenüber Leo stets ein wenig zurück. Ihre Gedankenwelt und ihre Gefühle werden nicht so offen dargelegt. Das Spannungspotenzial, das sich bereits im ersten Band zwischen Wechsler und seinem Kollegen Herbert von Malchow entwickelt hat, findet im aktuellen Band seine Fortsetzung und würzt den Plot mit zwischenmenschlichen Scharmützeln im gesellschaftlichen Kontext.

Schaffte Goga es noch mit „Leo Berlin“, sowohl in Sachen Atmosphäre, Figurenskizzierung und Plot zu punkten, kommt Letztgenannter in diesem Band nicht so gut in Schwung wie in Gogas Debütroman. Der Verlauf des Krimiplots ist insgesamt etwas schwächer als im ersten Teil. Die Spannung ist nicht so sehr greifbar, wie sie es im Vorgängerband war, wo der Leser durch Perspektivenwechsel und die stetige Beobachtung des Täters zwar mehr wusste als Leo Wechsler, aber eben auch mehr mitgefiebert hat.

Diesmal verläuft der Spannungsbogen nicht ganz so steil. Zum Einstieg wird die Untersuchung des Mordes an dem Mann begleitet, der aus dem Landwehrkanal gefischt wird. Leo und seine Kollegen stellen die Identität fest und untersuchen das Umfeld des Toten. Mit dem Mord an Arnold Wegner rückt dieser Fall völlig in den Hintergrund, bis die Frage nach einem Zusammenhang aufgeworfen wird. Interessanterweise wird dieser Frage aber später gar nicht weiter nachgegangen. Auch in der Auflösung wird der erste Todesfall mit keinem Wort mehr erwähnt, was den gesamten Erzählstrang in ein merkwürdiges Licht rückt. Die Geschichte wirkt dadurch unausgewogen und verzettelt.

Die Auflösung der Geschichte vollzieht sich am Ende dann recht schnell und nicht unbedingt zur vollen Zufriedenheit. Nachdem die erste Hälfte des Buches größtenteils eher beschaulich ausfällt und die Spannung sich nur langsam aufbaut, geht am Ende alles plötzlich ganz schnell, und so fällt dann auch die Erwähnung der Leiche aus dem Landwehrkanal völlig unter den Tisch.

Das ist insgesamt betrachtet sehr schade, denn mit „Leo Berlin“ hat Susanne Goga einen Roman abgeliefert, der sowohl spannend erzählt ist als auch voller Atmosphäre und Lokalkolorit steckt und sich auf interessante und sympathische Figuren stützt. Mit „Tod in Blau“ kann sie die durch ihr Debüt geweckten Erwartungen leider nicht ganz so gut erfüllen, und es fällt ihr sichtlich schwerer, daran anzuknüpfen. Mag die persönliche Betrachtung ihrer Hauptfigur Leo Wechsler auch noch so gelungen sein, der Krimiplot schwächelt demgegenüber leider.

Bleiben unterm Strich also gemischte Gefühle zurück. Zum einen ist „Tod in Blau“ zwar wie auch schon „Leo Berlin“ ein Buch mit interessanten Figuren und einer Atmosphäre, die das Berlin der 20er Jahre sehr schön heraufbeschwört, andererseits kann aber leider der Krimiplot nicht gänzlich überzeugen. Die Spannung baut sich nur gemächlich auf und ein eingangs eigentlich durchaus wichtig erscheinender Nebenhandlungsstrang fällt am Ende komplett unter den Tisch. So wirkt der Roman leider nicht völlig stimmig und kann die Erwartungen, die Susanne Goga mit „Leo Berlin“ geweckt hat, nicht so ganz erfüllen.

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