„Vogelspinne in 3D“ ist eine Mischung aus Bilderbuch und Modell. Im Zentrum des 16-seitigen, ca. 30 x 26 cm messenden Werkes gibt es eine handtellergroße Aussparung. Kein Flachmann mit schwarzgebranntem Schnaps ist hier verborgen, stattdessen lauert eine dicke, haarige Spinne, die sich erfreulicherweise bei näherer Betrachtung als aus Plastik gefertigt entpuppt. Nach dem Vorbild einer Vogelspinne – einer mexikanischen Feuerknie-Vogelspinne, um genau zu sein – wurde dieses Modell gefertigt, das aus insgesamt acht Schichten besteht, die Stück für Stück den Blick in den Körper des Untiers ermöglichen.
Der Buchteil gliedert sich in Kapitel, die jeweils über Teile des Spinnenkörpers informieren, die man sich im Modell näher anschauen kann. Es beginnt mit einer Einleitung, die über den Körperbau der Spinne und Spinnen im Allgemeinen informiert. Interessant und sicherlich nicht unbedingt bekannt ist die Erklärung, dass und wieso Spinnen keine Insekten sind.
Dann wird die erste Schicht der Spinne – ihr Haarkleid – gelüftet, das „Exoskelett“ sichtbar: Unsere Vogelspinne besitzt keine Knochen, sondern trägt ihr Skelett außen am Körper. Es besteht aus Chitin, einer robusten, plastikähnlichen Substanz, und ist mit einer Wachsschicht bedeckt, welche die Spinne „wasserfest“ macht. Von Zeit zu Zeit fährt die Spinne buchstäblich aus der Haut, weil dieser Chitinpanzer nicht mitwachsen kann, sondern „am Stück“ erneuert wird.
„Beißklauen und Gift“ machen die Spinne zum gefährlichen Raubtier. Ein ausgeklügeltes System verwandelt die ohnehin mörderischen Klauen in kleine Injektionsspritzen, mit deren Hilfe Beutetiere gelähmt oder getötet werden. Natürlich kann sich die Spinne auf diese Weise auch verteidigen, doch wie wir lernen, ist ihr Biss keineswegs so gefährlich, wie uns Film & Fernsehen gern weismachen. (Allerdings sehen wir eine Galerie finster wirkender Witwenspinnen, von denen sich auch der Mensch lieber nicht beißen lassen sollte.) Wenn sie es für erforderlich hält, kann uns die Vogelspinne auch gut gezielt mit Brennhaaren bombardieren, was wesentlich unangenehmer als ihr Biss schmerzen soll.
„Das Kreislaufsystem“ einer Vogelspinne zeigt die Fremdartigkeit dieses Tiers. Es besitzt ein schlauchförmiges Herz, das kupferhaltiges und daher blaues Blut durch den Körper pumpt, aber keine Lungen: Die Spinne atmet nicht, sondern lässt Luft durch Öffnungen im Panzer in ihren Körper strömen, wo der Sauerstoff vom Blut „übernommen“ und dorthin transportiert wird, wo er benötigt wird. Bizarr wirkt auch das „Verdauungssystem“. Spinnen sondern über ihrer Beute ein Verdauungssekret ab, das deren Fleisch in eine Art Brühe verwandelt, die mit dem Saugmagen aufgenommen wird. Davon können die Tiere Monate, notfalls sogar Jahre leben, ohne neue Beute machen zu müssen.
„Die Sinnesorgane“ der Spinne wirken ebenfalls leicht außerirdisch. Nicht durch zwei, sondern durch acht Augen mustert sie die Welt. Dafür hat sie keine Ohren. Die werden von Tasthaaren ersetzt, die so empfindlich sind, dass sie Bewegungen durch Beutetiere, Feinde oder andere Spinnen noch über Meter wahrnehmen. Darüber hinaus sind viele Tasthaare mit Geruchszellen versehen.
„Ein kompliziertes Sexualleben“ lautet die Überschrift des Kapitels „Fortpflanzung“. Vogelspinnenmännchen lassen Sperma in ein spezielles Netz tropfen, saugen es dann in eine Art „Tank“ am Ende ihrer Tasterbeine und geben es an ein Weibchen weiter, das es speichern und damit nacheinander 1000 Eier befruchten kann. Wer hätte übrigens gedacht, dass es Vogelspinnenarten gibt, die ein halbes Jahrhundert alt werden?
„Spinnenseide“ ist ein ganz besonderer Stoff – elastisch und stark gleichzeitig sowie ein spinnenkörpereigenes Produkt, das in zwei Drüsen am Körperende hergestellt wird. Vogelspinnen bauen zwar keine Fangnetze, doch sie bauen Kokons für ihre Eier und kleiden ihre Höhlen mit Seide aus, die auf diese Weise temperatur- und feuchtigkeitsbeständiger wird. Manche Arten legen zudem „Stolperseile“ aus, welche die Ankunft von Beute oder Feinden signalisieren.
„Der Bewegungsapparat“ eines Tiers mit acht Beinen ist verständlicherweise recht komplex. Spinnenbeine besitzen sieben Gelenken und über dreißig Muskeln, die zum Teil durch hydraulische Systeme unterstützt werden. Falls mal eines verlorengeht, wächst es bei der nächsten Häutung nach.
„Vogelspinne in 3D“ schließt mit einem kurzen aber flammenden Appell, den zwar gruselig anzuschauenden, doch eigentlich harmlosen und sogar nützlichen Achtbeinern nicht umgehend das Lebenslicht auszublasen, wenn sie sich blicken lassen. Leben und leben lassen – dies sollte die Devise sein. Der Blick hinter die Kulissen des Spinnenalltags sollte diese Toleranz bewirken. Da sich „Vogelspinne in 3D“ primär an Kinder wendet, könnte es klappen, da diese in ihren Vorlieben und Abneigungen noch flexibler sind als Erwachsene, in denen sich die „Arachnophobie“ – so lautet das Fachwort für diese Angst vor Spinnen – meist schon fest eingenistet hat. Ob dieser Aufruf pro Spinne freilich noch greift, wenn diese auf 30 cm klafternden Beinen dem Leser entgegentappt, scheint zumindest dem Rezensenten fraglich …
Dennoch bietet die Kombination von gedruckter Info und be-greifbarem Modell einen guten Einstieg in das Thema. Nicht nur Kinder werden der „Vogelspinne in 3D“ mehr als einen flüchtigen Blick widmen. Natürlich zahlt man dafür seinen Preis, doch dürfte dieses Werk in der Herstellung nicht ganz billig sein (obwohl es in China entstand). Das Spinnenmodell ist recht detailliert ausgeführt und gleichzeitig robust genug, auch forschenden Kinderfingern standzuhalten. Die Pappseiten des Buchteils sind stabil, wasserfest und abwisch- oder waschbar. (Dennoch warnt ein Aufdruck davor, die „Vogelspinne in 3D“ Kindern unter 3 Jahren in die Hände zu drücken, da diese Kleinteile abbrechen und verschlucken könnten.)
Das Layout ist schlicht und übersichtlich und damit sehr überzeugend. Geschickt wird mit Farben, Formen und Schriften gearbeitet. Es gibt jeweils einen Haupttext, der von zusätzlichen Infoboxen begleitet wird. Deren Inhalte beschränken sich nicht auf das Thema Vogelspinne, sondern informieren darüber hinaus, wenn eine solche Vertiefung sinnvoll ist.
Die zahlreichen Abbildungen wurden fast vollständig mit der Hand gezeichnet und gemalt. Dies ermöglicht eine Beschränkung auf das Wesentliche, die dem begrenzten Raum – 16 Seiten – Rechnung trägt. Einige wenige Fotos zeigen Teile des Spinnenkörpers unter dem Mikroskop; hier legte der Verfasser ausdrücklich Wert auf Details, die von der Komplexität des exotischen Wesens Spinne kündet, das eben nicht nur ein haariger Ball voller Giftschleim & Teufelsdreck, sondern ein bemerkenswerter, von der Evolution geschliffener Organismus ist, der seine Funktionstüchtigkeit seit 330 Millionen Jahren unter Beweis stellt.
Die Mischform Buch/Modell scheint Anklang zu finden. „Vogelspinne in 3D“ ist bereits der fünfte Band, den der |Heel|-Verlag in dieser Reihe veröffentlicht. Darüber hinaus gibt es den „Menschen in 3D“, den „Tyrannosaurus Rex in 3D“, den „Weißen Hai in 3D“ sowie den „Rennwagen in 3D“. Für das Frühjahr 2007 ist ein „Frosch in 3D“ angekündigt.
David George Gordon ist ein Biologe, der sich eine solide Karriere als „Infotainer“ aufgebaut hat, die er nutzt, seinen ebenso faszinierten wie angeekelten Lesern, Zuschauern und Zuhörern die weniger beliebten Vertreter der Tierwelt – Spinnen, Schnecken, Würmer oder Kakerlaken – näher zu bringen. Mehr als zehn Bücher hat Gordon geschrieben, aber bekannt wurde er vor allem durch seine Lifeshows, in denen er das, worüber er schreibt, kocht, brät oder anderweitig zubereitet und denjenigen serviert, die wagemutig genug sind, solche Kost zu probieren, die Gordon nicht müde wird als gesunde, ökologisch perfekte Alternativnahrung anzupreisen.
Auch sonst gehört Gordons Liebe den obskuren Seiten der Naturwissenschaft, die er in diversen Zeitschriften und Internet-Kolumnen, in Fernsehen und Radio präsentiert. Was er jeweils treibt, teilt er seinen Anhängern auf seiner Website http://www.davidgeorgegordon.com mit.
http://www.heel-verlag.de/