_Die |Samuel-Hamilton|-Serie:_
„Der Tote im Smoking“ |(„The Chinese Jars“)| (2007)
„Gift“ |(„The King of the Bottom“)| (2008)
|“The Ugly Dwarf“| (2010) (noch kein dt. Titel)
_Das geschieht:_
Detective Lieutenant Bernardi vom Morddezernat des Richmond Police Departments übernimmt den Fall. Rasch schaltet sich Earl „Deadeye“ Graves ein. Der ehrgeizige Staatsanwalt will sich profilieren. Vier illegale mexikanische Arbeiter, die Hapogian gefeuert hatte, gelten aufgrund diverser Indizien als Hauptverdächtige. Für Graves stehen sie als Mörder fest, die er in die Gaskammer bringen will.
Doch Bernardi hält die ‚Beweise‘ für gefälscht. Während Graves ihm die Hände binden kann, stellen sich der idealistische Anwalt Janak Marachak und der Journalist Samuel Hamilton auf die Seite der Mexikaner. Sie recherchieren die Herkunftsgeschichte der Familie Hapogian, die nach dem Ersten Weltkrieg vor dem Völkermord der Türken und Kurden an den Armeniern flüchten mussten. Dabei finden sich Hinweise auf eine sorgfältig geheim gehaltene Geschichte von Verrat und Rache, der nun auch Joseph Hagopian, Armands Cousin, ähnlich grausig zum Opfer fällt.
Während Marachak den skrupellosen Graves mit Geschick und ein wenig List ausmanövrieren kann, bleiben die Morde ungeklärt, bis der Anwalt und der Journalist auch in dieser Sache weiterkommen und eine tragische Familienfehde aufdecken, die vor vielen Jahren und in einem fremden, fernen Land ihren Anfang nahm …
_Andere Zeiten, ähnliche (Un-) Sitten_
Zum zweiten Mal werden die ungleichen Freunde Janak Marachak und Samuel Hamilton im Großraum San Francisco der 1960er Jahre im Dienste der Gerechtigkeit aktiv. So lässt sich ihre Tätigkeit wohl am besten umschreiben, denn ‚richtige‘ Krimis bietet die 2007 vom William C. Gordon gestartete Reihe eigentlich nicht. Liegt es daran, dass der Verfasser daran scheitert, seine Geschichte/n glaubhaft in einer Vergangenheit zu verankern, deren naiven Geist er gleichzeitig (unfreiwillig) wiederauferstehen lässt?
Die hier anklingende Kritik richtet sich nicht gegen den Plot. Dieser ist nicht gerade raffiniert, was jedoch kein Nachteil sein muss. Allerdings tut Gordon des (nicht so) Guten deutlich zu viel: Er erzählt absolut eindimensional. Überrascht wird der Leser selten und höchstens, wenn die Story sich einer offenen Frage nähert, die ausführlich beantwortet wird, bevor es betulich weitergeht.
Stilistisch bleibt Gordon ebenfalls schlicht. Auch dies ist bis zu einem gewissen Grad kein Minus-Argument. Wäre „Gift“ ein Roman-Erstling, würde man dem Verfasser die eleganzfreie Handlungsstruktur, den unvollständigen Spannungsbogen und den hoch aber ungeschickt erhobenen Zeigefinger nachsehen. Doch dies ist Gordons zweites Werk. Er hätte es besser wissen und können müssen.
|Bilderbuch-Helden und -Bösewichte|
Die Vergangenheit wird dort, wo sich keine Kriege, Hungersnöte und andere menschgemachte Katastrophen orten lassen, gern als ‚unschuldigere‘ Zeit glorifiziert. Gordon schwelgt zwar in pädagogisch wertvollen Anklagen gegen Rassismus, Chauvinismus oder soziale Ungerechtigkeit, bleibt dabei jedoch erzählerisch einem Niveau verhaftet, das ihn als politisch korrekten Gutmenschen karikiert, der er sicherlich nicht sein möchte: Wenn ’nichtweiße Minderheiten‘ – Armenier, Mexikaner, Chinesen – auftreten, schließt sich garantiert ein humanitärer Vortrag an, dem unsere Helden beschämt folgen, denn irgendetwas ethnografisch Unkorrektes haben sie stellvertretend für die Leser bestimmt ausgefressen!
Dabei sind sie faktisch viel zu gut, um wahr zu sein. Egal ob Anwalt, Journalist oder Polizist, sie gehen in ihrem jeweiligen Job auf, zahlen notfalls für Dienstreisen u. a. im Dienste der Wahrheit erforderliche Spesen selbst, die vernagelte Vorgesetzte und Redakteure nicht übernehmen wollen, und arbeiten rund um die Uhr, um verängstigte Mexikaner dem Würgegriff des erbarmungslosen Systems zu entreißen. Privat sind Hamilton, Marachak und Bernardi sensible Familienmenschen und rührend schüchtern im Umgang mit der holden aber starken Weiblichkeit.
Entsprechend – also kindlich – grimmig überzeichnet Gordon die Bösen in seiner Geschichte. Primär Earl „Deadeye“ Graves gerinnt ihm zur Witzfigur, die der Leser keine Sekunde ernst nehmen kann. Er sieht aus wie ein Trottel, spricht wie ein Zeichentrick-Schurke, und als er vor Gericht endlich gefährlich werden könnte, nimmt ihn Marachak nach allen Regeln der Kunst auseinander. Graves ist nie Gegner, und als er, der bisher das Geschehen entscheidend mitbestimmt hat, sein Pulver verschossen hat, nimmt Gordon ihn sang- und klanglos aus der Handlung.
|“Und was nun?“| betitelt der Autor das neunte Kapitel, das der Gerichtsverhandlung folgt. Gute Frage, denn der tückische Staatsanwalt ist weg vom Fenster, die zu Unrecht angeklagten Arbeiter sind frei. Die Ereignisse stocken und nehmen dann einen gänzlich neuen Verlauf. Damit möchte Gordon offensichtlich Spannung generieren. Stattdessen verliert der Leser endgültig den Boden unter den Füßen.
In der ungeschickt angestückelter Auflösung der Hapogian-Morde zaubert der Autor die Täter förmlich aus dem Hut. Sie gehörten nie zu den Verdächtigen. Mit keiner Silbe fanden sie bisher Erwähnung. Folglich lassen ihre (zudem denkbar unspektakuläre) Entlarvung und die Erklärung für ihr mörderisches Tun kalt. Es kommt noch schlimmer: Nachträglich denunziert Gordon Armand Hapogian als kaltherzigen Sadisten, der sein Schicksal verdient hat. Auf diese Weise versucht er, Mitleid und Verständnis für die Täter zu wecken. Dies scheint ihm in letzter Sekunde eingefallen zu sein, und so wirkt dieses Ende auch: plump angeflanscht.
|Historienkrimi außerhalb der Zeit|
„Gift“ spielt 1961. Fände dieses Datum nicht mehrfach Erwähnung, würde es der Leser vergessen, denn Zeitkolorit geht dieser Geschichte völlig ab – eine Todsünde für einen Historienroman! Wieso geht Gordon in die Vergangenheit zurück, wenn er diese nie als handlungsimmanenten Faktor und nicht einmal als simple Kulisse einsetzt? Man benutzt keine Handys und recherchiert nicht per Internet. Ansonsten fallen dem Leser zwischen der Welt von 1961, wie Gordon sie beschreibt, und der Gegenwart keine besonderen Unterschiede auf.
Hin und wieder scheint der Verfasser selbst zu merken, dass er den Zeitpunkt des Geschehens markieren muss. Dann nennt er einige Preise von Gestern oder weist gleich mehrfach darauf hin, dass Fotografen Blitzlichtwürfel verwenden. Der Plot führt ebenfalls keine Wende herbei. Der Auslöser für die beschriebene Fehde liegt bereits 1961 so viele Jahre zurück, dass sie den beteiligten Familien, die längst erfolgreich auf den „American Way of Life“ eingebogen sind, herzlich gleichgültig geworden sein dürfte. So ergeht es auch dem Leser, der zu allem Überfluss letztlich feststellen muss, wie dämlich der umständlich eingefädelte Mordplan im Grunde ist, der hier für Krimispannung sorgen soll.
Wieso erscheint in Deutschland der nur wohlwollend als mittelmäßig zu klassifizierender Roman eines nur bedingt talentierten Verfassers in repräsentativer Klappenbroschur, während so viele wirklich gute Krimis nicht übersetzt werden oder unveröffentlicht bleiben? Darüber können nur Vermutungen angestellt werden. Fakt ist dagegen der begründbare Ärger über ein Buch, dessen unterhaltsamen Qualitäten zu wünschen übrig lassen. Gordon sieht dies naturgemäß anders. Er schreibt bereits am vierten Band seiner Serie …
_Autor_
William C. Gordon wurde 1937 in Südkalifornien geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters wuchs er im Osten von Los Angeles in einem überwiegend mexikanisch geprägten Umfeld auf; Spanisch ist deshalb quasi Gordons zweite Muttersprache.
An der University of California in Berkeley studierte Gordon Englische Literatur. Nach seiner Militärzeit begab er sich auf eine einjährige Weltreise Anschließend nahm er am Hastings College of Law in San Francisco ein Jurastudium auf. Nach seinem Abschluss ließ sich Gordon 1965 als Anwalt nieder. Er spezialisierte sich auf Arbeitsrecht, vertrat vor allem Klienten hispanischer Herkunft und praktizierte bis 2002.
Nach zwei gescheiterten Ehen lernte Gordon 1987 die chilenische Schriftstellerin Isabel Allende kennen. Im folgenden Jahr heiratete das Paar. Allende war es, die Gordon ermunterte, als dieser als Ruheständler selbst Ambitionen als Autor entwickelte. Ein „Coming of Age“-Roman blieb unveröffentlicht. Gordon versuchte sich an einem Krimi und stützte sich dabei auf seine frühen beruflichen Erfahrungen. „The Chinese Jars“ (dt. „Der Tote im Smoking“) erschien 2008 in spanischer Sprache als „Duelo en Chinatown“ und wurde zum ersten Teil einer Serie um den Journalisten Samuel Hamilton im San Francisco der 1960er Jahre.
|Taschenbuch: 304 Seiten
Originaltitel: The King of the Bottom
Erstveröffentlichung als: El rey de los bajos fondos (Barcelona : Ediciones El Anden 2008)
Übersetzung: Sepp Leeb
ISBN-13: 978-3-455-40148-6|
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