Grahame-Smith, Seth – große Porno-Buch, Das

„Das große Porno-Buch“ verspricht Einblicke in ein Genre, das zwar ebenso alt wie der Film selbst ist, doch von den Filmhistorikern und -fachleuten seltsamerweise mit weitgehender Missachtung gestraft wird, obwohl sich der Pornofilm heute zu einer regelrechten Industrie entwickelt hat, die allein in den USA Jahresumsätze in zweistelliger Milliardenhöhe erzielt. Diesem Versäumnis möchte der Verfasser – so gibt er jedenfalls vor – in sieben Kapiteln abhelfen.

Seine „Kurze Geschichte des Pornofilms“ (S. 11-36) führt zurück ins ausgehende 19. Jahrhundert. Sobald es die Technik gab, Bilder zu Filmen zu reihen, wurde sie genutzt, um nackte Menschen bei eindeutigen Aktivitäten zu zeigen. Dies war freilich keineswegs die Geburtsstunde der Pornografie, denn die gab es zu diesem Zeitpunkt schon so lange, wie es möglich war, Nacktheit und Sex bildlich und literarisch darzustellen. Der Film bot dem Porno nur eine neue Ausdrucksform mit allerdings ungeahnten Möglichkeiten.

Obwohl der Pornofilm mehr als ein Jahrhundert alt ist, bestand er notgedrungen lange Jahre aus simplen „Fickfilmchen“, deren Bezeichnung ihre inhaltliche wie formale Qualität adäquat widerspiegelt: Die Justiz drängte den Porno im Bund mit moralisch aufgestörten Saubermenschen in die Illegalität ab. Salonfähig wurde er erst in den 1970er Jahren: Das Kapitel „Pornokunde: Die Klassiker“ (S. 37-86) erzählt von der kurzen Zeit, als sein Sprung in die Seriosität der Mainstream-Kinos möglich schien und nackte Tatsachen im Rahmen echter Handlungen präsentiert wurden.

„Im Pantheon des Porno“ (S. 87-126) sieht der Verfasser jeweils zehn Damen und Herren (sowie fünf Regisseure), die sich in dieser „goldenen Ära“ einen Namen gemacht haben. Er stellt sie und ihr Filmschaffen (oder -treiben) in kurzen Worten vor und erläutert, wieso der Pornofilm des späten 20. und 21. Jahrhunderts kaum mehr „Stars“ kennt: Durch Video und DVD ist er zu einem Massengeschäft degeneriert, in dem Quantität vor Qualität rangiert und die Halbwertszeit vor allem für die austauschbaren Darstellerinnen jener von Schnee in der Wüste entspricht.

„Wer suchet, der findet“ (S. 127-152), nämlich Pornos für jeden Geschmack und noch so abseitige Vorlieben. Der Verfasser taucht vorsichtig ein in eine seltsame Parallelwelt mit eigenem Jargon („ATM“, „Bukkake“, „Creampie“, „Hentai“ usw.), den zu übersetzen ihn zu überfordern scheint bzw. zu blumig-schraubigen Umschreibungen zwingt. Außerdem stellt er in diesem Kapitel die unerhörten Möglichkeiten des Internets vor, schildert das Innere einer (US-amerikanischen) „XXX“-Videothek und hat sich zwecks Recherche auch in Sexshops und an Kioske getraut.

Die „Schöne schmuddlige Welt“ (S. 153-166) stellt den Verfasser vor das Problem, als stolzer und typischer US-Bewohner den Globus außerhalb seines Heimatlandes anscheinend nie bereist zu haben, weil dort bekanntlich überall Terroristen lauern und Verworfenheit herrscht. Folglich hat er sich für seine Darstellung des pornografischen Alltags in den Ländern zwischen Afghanistan – der Krieg am Golf fördert zumindest auf dieser Ebene den kulturellen Austausch – und dem United Kingdom primär des Internets bedient. Was er nicht herausfinden konnte, ersetzte er – siehe die Beiträge „Deutschland“ und „Japan“ – durch Hörensagen, Vorurteile und Dummheit.

Die technische Seite des Pornofilms versucht Grahame-Smith im Kapitel „Drehen Sie Ihre eigenen Pornos“ (S. 167-188) darzustellen. Wer tritt in solchen Filmen auf, welche Kameras kommen zum Einsatz, wie ist das Licht zu setzen – solche und andere Fragen werden seltsamerweise so beantwortet, als sei die Welt des Pornos ausschließlich eine des Amateurfilms.

Diverse „Extras“ (S. 189-201) runden das „Porno-Buch“ ab: Ein „Pornoglossar“ erläutert Fachtermini des Genres. Ergänzt wird fast jeder Eintrag durch Anmerkungen des Verfassers, der sich hier abermals erfolglos als Comedian versucht. „300 echte Pornotitel“ künden vom Einfallsreichtum der Pornofilmer, den Hollywood-Mainstream zu parodieren („An Officer and a Genitalman“, „For a Few Inches More“, „Lord of the Cock Rings“). Abschließend folgen ein Register, ein Verzeichnis der Bildquellen und eine in ihrer Peinlichkeit schwer erträgliche Danksagung.

Aus der Inhaltsbeschreibung – in die sich schon früh des Rezensenten merklicher Ärger mischt – wird schnell deutlich, dass „Das große Porno-Buch“ keinesfalls zu den Glanzleistungen der Reihe |Heyne Hardcore| gehört; tatsächlich ist es wohl auch im Original ein Schuss in den Ofen. Das liegt zum einen an der erwähnten „Anrüchigkeit“ des Themas, das eine seriöse Behandlung anscheinend unmöglich macht bzw. diejenigen, die über das fachliche und schriftstellerische Rüstzeug verfügen es darzustellen, von einer ernsthaften Recherche abschreckt. Auch Seth Grahame-Smith macht ausdrücklich deutlich, dass er kein Journalist ist. Wir werden mit dem Werk eines Amateurs & Infotainers konfrontiert – und genauso wirkt es.

Das andere Hindernis könnte auch ein fähiger Verfasser nicht umschiffen: Die Zensur, die es in vielen Ländern dieser Welt angeblich nicht (mehr) gibt, während sie tatsächlich nur ihren Namen und ihre Erscheinungsform verändert, gestattet es nicht, ein „richtiges“ Sachbuch zum Thema Porno mit einschlägigen Abbildungen zu versehen. Das ist in den USA so, und das gilt auch für Deutschland, d. h. nicht nur in Bayern. Unter diesen Umständen ist eine Darstellung, die ihren Namen verdient, schwierig bis unmöglich. An ihre Stelle treten zweifelhafte „Als-ob“-Machwerke wie dieses, dessen Untertitel „Ein unzensierter Blick hinter die Kulissen der Sexindustrie“ eine dreiste Lüge zum Zwecke der Lockung vertrauensvoller Käufer darstellt.

Eine detaillierte Analyse der Textbeiträge möchte ich mir und den Lesern dieser Zeilen ersparen; sie würde viele, viele Seiten füllen, deren Quintessenz sich knapp und präzise so zusammenfassen lässt: Grahame-Smith weiß nicht viel und hat sich offensichtlich darauf beschränkt, diverse Null-Infos aus Pressemappen und Werbeflyern zu klauben, die er grob sortiert und mit eigenen „Zwischentexten“ zu einem „Buch“ zusammengeklittert hat. Selbst das Ordnen fiel ihm schwer, denn das Inhaltsverzeichnis belegt ein wüstes Durcheinander ohne roten Faden – wenn dem „Verfasser“ nichts mehr einfiel, begann er ein neues Kapitel.

Grahame-Smith nimmt sein Thema und damit seine Leser nicht ernst. Damit ist nicht gemeint, dass man sich des Pornofilms nicht humorvoll annehmen dürfte. Doch Grahame-Smith scheint sich vor allem nicht wirklich in die Höhle des Löwen zu wagen, sondern späht nur vom Eingang ängstlich hinein. Grahame-Smith bleibt die meiste Zeit auf der Flucht vor seinem Thema. Was sollen seine nutzfreien „Tipps“ zum Dreh eigener Pornofilme? Sein mit allgemeinen Daten und Ereignissen zur Filmgeschichte gespickter „historischer Rückblick“? Sein vor weißen Flecken, Ignoranz und Fehlern strotzender „pornografischer Atlas“? Grahame-Smith schindet Seiten, trotzdem ist das Buchende noch weit, als ihm endgültig die Luft ausgeht.

Die Dürftigkeit der so gewonnenen „Erkenntnisse“ wird selbst dem Verfasser aufgefallen sein. Er bemüht deshalb einen alten Trick, der aus der Zeit stammt, als sich das Filmpublikum an „richtige“ Pornofilme erst gewöhnen musste: Nackte Haut wird mit Klamauk gemischt. Bevor es „ernst“ wird vor der Kamera, geschieht etwas „Komisches“, das die gefährliche und „verbotene“ erotische Spannung löst. Da Grahame-Smith das nicht wie in den deutschen Lederhosen-Filmen der 1970er Jahre erreichen kann, indem er den Herrn Pfarrer durch das Schlafzimmerfenster stürzen lässt, versucht er es mit einen anbiedernd humorigen Tonfall, der aussagen soll: Seht her, ich schreibe zwar über den Porno, aber ich bin kein Ferkel, dem solche Sauereien gefallen, und mein Buch ist nur ein großer Spaß, den wir uns jetzt alle gemeinsam auf Kosten des Pornos machen.

Der Spaß bleibt aus, denn plumper Klamauk und Schweinigeleien ersetzen ihn (eben nicht) und erzeugen beim Leser Ratlosigkeit und Ärger. Daran kann das an sich sehr hübsche Layout des „Porno-Buches“ nichts mehr ändern. Sehr grell und bunt kommt es daher, mischt Raster und Muster mit etlichen Schriftfonts und -größen. Auch das Fotomaterial kann sich zumindest sehen lassen, was seine Abbildungsqualität angeht, die zu keiner Kritik Anlass gibt. Vor allem die nostalgischen Plakate von Pornofilmen der 1970er Jahre werden auf feinem Kunstdruckpapier gestochen scharf wiedergegeben.

Schade um den Aufwand, denn was die Bildauswahl betrifft, bringt Grahame-Smith das traurige Kunststück fest, ein „Porno-Buch“ mit einer Altersfreigabe ab sechs Jahren zu fabrizieren. Jedes Foto wurde sorgfältig „entschärft“, sei es, indem betont „harmlose“ Schnappschüsse ausgewählt wurden, oder sei es, dass per Bildausschnitt so manipuliert wurde, dass „Anstößiges“ buchstäblich abgeschnitten wurde. „Nacktheit“ wird ausschließlich durch blanke Busen definiert, was in den USA völlig ausreicht, um brünstige Junghengst-Hirne zu Schaum zu verkochen, wie man aus „American Pie“ und anderen Lehrfilmen weiß. Im deutschen Werbefernsehen geht es „schärfer“ zu als in diesem Buch, was angesichts des Themas sicher keine Empfehlung ist.

So ist dieses „Porno-Buch“ nichts als (allerdings nicht im Kaufpreis) billige Bauernfängerei und tauglich höchstens als deutlicher Beleg dafür, dass es mit der „sexuellen Freiheit“ auch im 21. Jahrhundert nicht weit her ist. Wer wirklich etwas wissen möchte über Sex in der Filmgeschichte, greife zum fast zeitgleich veröffentlichten Band „Erotic Cinema“, verfasst von Douglas Keeney und erschienen im |Taschen|-Verlag. Obwohl der Porno weitgehend ausgeklammert bleibt, wird das Thema informativ und offen behandelt und auch so bebildert, was Grahame-Smith und seinem Zielpublikum vermutlich einen Hirnschlag bescheren (und immerhin weitere Dumm-Dumm-Geschosse aus dieser Richtung verhindern) würde.

|Anmerkung|

„Seth Grahame-Smith kann es immer noch nicht fassen, dass ihn jemand dafür bezahlte, ein Jahr lang Pornos zu schauen. Er lebt in Los Angeles mit seiner erstaunlich toleranten Frau Erin und Logan, seinem unglaublich vergesslichen Hund. Dies ist sein erstes Buch.“

Lüftet dieser Klappentext das Geheimnis dieses gedruckten Trauerspiels? Wenn mich meine Grammatik-Kenntnisse nicht im Stich lassen, bezieht sich „Dies ist sein erstes Buch“ auf den Hund Logan, was die „Qualität“ des Werks sowie das Autorenfoto erklären konnte …

PS: „Seth Grahame-Smith“ ist (natürlich?) ein Pseudonym, hinter dem sich der Filmemacher Seth Jared Greenberg (geb. 1976) verbirgt.

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