Gruppe, Marc – Sherlock Holmes – Spurlos verschwunden (Die geheimen Fälle des Meisterdetektivs 6) (Hörspiel)

_|Die geheimen Fälle des Meisterdetektivs|:_

Folge 1: [„Im Schatten des Rippers“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7494
Folge 2: [„Spuk im Pfarrhaus“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7519
Folge 3: [„Das entwendete Fallbeil“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7519
Folge 4: [„Der Engel von Hampstead“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=8036
Folge 5: [„Die Affenfrau“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=8035
Folge 6: _“Spurlos verschwunden“_

_Gestatten, Mr und Mrs Watson: Im Clinch mit der Engelmacherin_

Immer wieder verschwinden gegen Bezahlung in Pflege gegebene uneheliche Kinder spurlos. Als ein solcher Schicksalsschlag das nähere Umfeld der Bewohner der Baker Street 221b trifft, zögern Holmes und Watson nicht, in der besorgniserregenden Sache tätig zu werden. Dafür muss sich allerdings die treue Seele Mrs Hudson als Watsons Gattin ausgeben … (Erweiterte Verlagsinfo)

Diese Fälle dieser neuen Holmes-Reihe wurden nicht von Sir Arthur Conan Doyle geschrieben, sondern alle von Marc Gruppe. Sie basieren natürlich auf den originalen Figuren, die mittlerweile Allgemeingut geworden sind.

_Der Autor_

Marc Gruppe ist der Autor, Produzent und Regisseur der erfolgreichen Hörspielreihe GRUSELKABINETT, die von Titania Medien produziert und von Lübbe Audio vertrieben wird. Genau wird dort erscheinen auch „Die geheimen Fälle des Meisterdetektivs“ meist im Doppelpack.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

|Die Rollen und ihre Sprecher|

Sherlock Holmes: Joachim Tennstedt (dt. Stimme von John Malkovich)
Dr. John H. Watson: Detlef Bierstedt (dt. Stimme von George Clooney u. a.)
Mrs. Hudson: Regina Lemnitz (dt. Stimme von Kathy Bates)
Fanny Ross: Anna Grisebach
Amelia Dyer: Sonja Deutsch
Polly Dyer: Reinhilt Schneider
Granny Smith: Jessy Rameik
Zeitungsjunge: Henri Färber
Margery Mapleton: Philine Peters-Arnolds

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden in den Planet Earth Studios und im Titania Medien Studio statt. Alle Illustrationen – im Booklet, auf der CD – trug Firuz Askin bei.

_Handlung_

Margery Mapleton, die Cousine von Mrs. Martha Hudson, wendet sich hinter deren Rücken direkt an Sherlock Holmes und Dr. Watson – ein unerhörter Vorgang, der nicht unregistriert bleibt. Während sich Watson noch darüber echauffiert, ist Holmes viel mehr an dem interessiert, was Margery will.

Ihre junge Großkusine Fanny Ross habe ihr Baby an eine Engelmacherin verloren. Das heißt, sie gab es dieser Amelia Dyer eigentlich in Pflege, damit diese das uneheliche Kind liebevoll aufzog. Dafür zahlte sie ihr eine erhebliche Summe, denn Fanny ist lediglich eine arme Gouvernante. Doch als sie das Baby zurückhaben wollte, präsentierte ihr die Dyer ein ganz anderes Baby – bevor sie völlig verschwand. Holmes ist zu Watsons Verblüffung sofort interessiert und lässt Fanny Ross zu sich bitten. Mrs Hudson ist schockiert: eine moralisch höchst anrüchige Sache, um die sich Holmes da kümmert.

Fanny Ross erzählt in groben Zügen die gleiche Geschichte wie ihre Großtante, doch sie geht in alle Details und liefert eine genaue Beschreibung der drei Frauen, mit denen sie in Reading zu tun gehabt hat: Amelia Dyer, etwa 50 Jahre alt, deren Tochter Polly, etwa 30, und Granny Smith, um die 60 Jahre. Alle drei knöpften Fanny erst ein halbes Jahresgehalt ab, bevor sie mit ihrem Baby spurlos verschwanden. Holmes ahnt, dass der kleine Jeremy, dessen junger Vater nach Indien verbannt wurde, längst nicht das einzige Kind ist, dem dieses Schicksal widerfahren ist. Es soll sogar Baby-Farmen und Menschenhandel geben, hat er gehört. Watson und Ross schaudert es bei dieser Vorstellung.

Doch wie lässt sich die Dyer finden, fragt ihn Watson. Ganz einfach: Die Dyer werde zu ihnen kommen, und zwar wegen eines Köders, den er, Holmes, auswerfen werde. Doch dafür muss sich Watson eine Gattin zulegen und zusammen mit dieser ein Kleinkind zur Adoption freigeben. Watson stutzt. Und wer bitteschön soll diese Gattin sein? Wer wäre dafür besser geeignet als die treueste Seele von Baker Street 221b, nämlich Mrs. Hudson?

Alles klappt, wie Holmes es geplant hat. Doch die Spur, die in eines der finstersten Viertel von Reading führt, hält für die beiden Schnüffler noch einige Schrecken bereit …

_Mein Eindruck_

Was ist nur in Holmes gefahren, fragt sich Watson besorgt – und wir mit ihm. Ist der Meisterdetektiv, der fürstliche Honorare einstreicht, unter die Samariter gegangen? Doch seine Ambitionen sind noch weitaus höher, wie sich nach dem dramatischen Ausgang dieses Abenteuers herausstellt: Holmes ändert die Gesetzgebung.

Der Grund für Fanny Ross‘ missliche Lage ist nämlich ein Gesetz aus dem Jahr 1834, das uneheliche Väter davon entbindet, Unterhaltszahlungen an die uneheliche Mutter zu zahlen. Verfügt diese über keine Mittel, das Kind zu ernähren, so bleibt ihr nichts anderes übrig, als es in Pflege und zur Adoption freizugeben. Denn auf Kindesmord steht bekanntlich die Todesstrafe. Dennoch sterben verdächtig viele uneheliche Kinder per „Unfall“ schon bei oder kurz nach der Geburt.

|Die Industrie|

Eine grauenerregende Industrie, so Holmes, habe sich aus dieser Situation ergeben: Sogenannte „Engelmacherinnen“, die, wenn sie keine verbotene Abtreibung vornehmen, die kleinen Bälger erst abkaufen und dann um die Ecke bringen; Baby-Farmen, in denen uneheliche Kinder unter erbärmlichsten Bedingungen aufgezogen werden, scheußlicher, als sich das Charles Dickens je hätte ausmalen können. Menschenhandel sollte mit einem Gesetz von 1871 unterbinden, indem es Pflegeelternschaft meldepflichtig machte, doch kaum jemand beeilt sich mit dem Melden. Holmes ist finster entschlossen, diesen sozialen Sumpf trockenzulegen. Die Missstände haben sich seit der Freigabe der Abtreibung in westlichen Ländern gebessert, doch woanders sieht man noch mittelalterliche Zustände, die stets zu Lasten der betroffenen Frauen gehen.

In Szenen, die zunehmend spannender werden, folgt das dynamische Duo den beiden Dyers in deren Hauptquartier. Dort werden sie Zeugen des Horrors und einer frevlerischen Tat. Amelia Dyer ist zudem opiumsüchtig und zu jeder Schandtat fähig. Sie müssen sich beeilen, wollen sie noch Schlimmeres verhindern. Doch wo ist der kleine Jeremy? Kommen sie noch rechtzeitig?

|Das Motiv|

Ob Holmes ein persönliches Motiv hat, das sich aus seiner eigenen Familiengeschichte ergibt, ist schwer zu sagen. Im KANON der von Conan Doyle geschriebenen Geschichten werden weder Holmes‘ Vater noch Mutter benannt. In den PASTICHES hat sich aber ein sekundärer Kanon eingebürgert, in dem Violet Sherrinford seine Mutter ist und Siger Holmes sein Vater. Dieser hat sich also nicht vom Acker gemacht, und weder Sherlock noch sein Bruder Mycroft sind uneheliche Söhne. Siehe dazu die Seite http://de.sherlockholmes.wikia.com/wiki/Sherlock__Holmes%27__Familie.

Was Holmes‘ Motiv angeht, können wir ihm nur edelste menschliche Vorsätze, Regungen und Ziele unterstellen. Feststeht, dass er seine Haltung gegenüber Watson beredt zu begründen versteht. Watson kann ihm darin als Mediziner, der per Hippokrates-Eid am menschlichen Wohl und Leben interessiert ist, nur beipflichten.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Die Hauptfigur ist natürlich der Titelgeber himself. Joachim Tennstedt verleiht Sherlock Holmes eine flexible Janusköpfigkeit. Die erste Seite bekommen wir zu sehen, wenn Holmes recht abweisend zu Mrs. Hudson, der treuen Seele des Haushalts, ist. Das hält sie aber nicht davon ab, die Vorhänge aufzureißen und frische Luft in die Detektivsgruft zu lassen.

Die andere Seite Holmes‘ ist die des energischen Ermittlers, der sich auch verkleidet. Die Dritte ist die des freundlichen Verführers und Gentlemans – sie bekommen wir erst in späteren Folgen zu Gesicht, insbesondere im Tussaud-Fall. Wie bei John Malkovich können wir uns auf einen Facettenreichtum an Darstellungsformen freuen.

|Dr. Watson|

Die Figur des Dr. Watson ist in vielen Verfilmungen misrepräsentiert worden. Neben Basil Rathbone und Peter Cushing musste er den vertrottelten Stichwortgeber mimen. Er war der selbstgefällige Körper neben dem rastlosen, aber kranken Geist des Detektivs. Nicht so in dieser neuen Serie.

Detlef Bierstedts Stimme ist uns von George Clooney vertraut, daher kann er mit einer gewissen geliehenen Autorität auftreten, ganz besonders in allen medizinischen Belangen. Dennoch kommt er häufig über die Rolle des Stichwortgebers nicht hinaus. Holmes hat stets die Initiative. In Folge 3 wird Watson sogar als Aktenträger missbraucht. Doch auch er verfügt über einen Revolver und die Kenntnisse, diesen zu gebrauchen, besonders aus seiner Zeit in Afghanistan.

|Mrs. Hudson|

Regina Lemnitz als Mrs. Hudson zeigt sich stets hilfreich, mal energisch, mal als fühlende Seele, etwa bei ihrem Besuch im Wachsfigurenkabinett (Folge 2), bei dem sie unverhofft von Sherlock Holmes überrascht wird. Außerdem ist sie das moralische Zentrum jeder Folge. Alles, was Holmes & Watson tun, müssen sie nicht nur gegenüber Inspektor Abberline rechtfertigen, sondern vor allem vor ihrer Haushälterin. Sie würde sie sonst hochkant hinauswerfen. Regina Lemnitz als Mrs Hudson dürfte man für eine ganze Weile nicht so verblüfft hören wie bei Holmes‘ Ansinnen, sie zur „Mrs. Watson“ zu machen..

Während die jungen Damen ihrer hilfesuchenden Rolle vollständig gerecht werden, bleibt vor allem die Figur der Amelia Dyer in Erinnerung. Sie ist ein wahres Chamäleon. Gegenüber Fanny Ross gibt sie sich als Fürsorglichkeit in Person, die sich um den kleinen Säugling liebevoll kümmern werde. Bei der Vertragsunterzeichnung erweist sie sich als harte Geschäftemacherin. Doch sie hat eine wesentlich dunklere Seite, die mit ihrem exzessiven Opiumgenuss zu tun hat. Und wenn sie die kleinen Säuglinge anschreit, weiß man, dass man es mit einem Ungeheuer zu tun hat.

|Geräusche|

Die Geräusche sind genau die gleichen, wie man sie in einem realistischen Spielfilm erwarten würde, und die Geräuschkulisse wird in manchen Szenen dicht und realistisch aufgebaut. Statt der aus dem GRUSELKABINETT vertrauten Andeutungen setzt diese Reihe mitunter auf gewisse Splattereffekte. Nicht so hier. Die Atmosphäre in Baker Street 221b ist sehr heimelig und gemütlich. Holmes schmaucht hörbar Pfeife, alle trinken Tee, nur ab und zu ist Straßenlärm zu hören. Einen krassen Kontrast dazu bietet Dyers Haus in Reading, in dem Babygeschrei gegen Dyers eigenes Gezeter anzukämpfen versucht – bevor es auf unheilvolle Weise verstummt.

|Musik|

Die Musik entspricht der eines Scores für einen klassischen Spielfilm, also nicht zwangsläufig für einen Horrorstreifen. Klassische Instrumente wie Violine, Cello und Kontrabass werden manchmal von elektronisch erzeugten Effekten ergänzt. Schnelle Musik deutet Dynamik und Dringlichkeit an, langsame Musik entspannt und immer wieder endet eine Szene in einem dramatischen Crescendo.

Die heimelige Stimmung in der Baker Street 221b bildet den Ausgangspunkt einer musikalischen Entwicklung, die in sehr beunruhigenden Bässen ihren Schlusspunkt findet: Die unheilvolle Musik verbindet sich mit dem grollenden Donner über Reading zu einer Gänsehaut erzeugenden Tonkulisse, die der entsprechenden Handlung die passende Stimmung verleiht.

Musik, Geräusche und Stimmen wurden so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

|Das Booklet|

Im Booklet sind die Titel des GRUSELKABINETTS verzeichnet sowie Werbung für den verstorbenen Künstler Firuz Askin zu finden. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf. Ein zweites Booklet („Katalog 2012/13) listet sämtliche Titel von Titania Medien auf, und zwar auch alle Neuerscheinungen bis Mai 2013.

Hinweise auf die nächsten Hörspiele:

Nr. 70: Robert E. Howard: Schwarze Krallen (11/12)
Nr. 71: M.R. James: Der Eschenbaum (11/12)
Nr. 72: R.L. Stevenson: Markheim (03/12)
Nr. 73: A. Conan Doyle: Das Grauen im Blue-John-Stollen (03/12)
Nr. 74: E. Nesbit: Die Macht der Dunkelheit (04/12)
Nr. 75: Mary Fortune: Weiß (04/12)
Nr. 76: Bram Stoker: Das Teufelsloch (05/12)
Nr. 77: R. E. Howard: Das Feuer von Asshurbanipal (05/12)

_Unterm Strich_

Der Reiz dieses „geheimen Sherlock-Holmes-Falles“ liegt sowohl im verborgenen Verbrechen als auch in den davon Betroffenen. Bemerkenswert fand ich, dass alle Betroffenen als auch alle Verbrecherinnen weiblichen Geschlechts sind. Holmes muss obendrein die treue Seele Mrs. Hudson als Helferin engagieren, um den Köder für die Verbrecherin auslegen zu können. Mit anderen Worten: Ohne Frauen läuft in diesem Fall überhaupt nichts.

Das liegt aber auch an der besonderen Art des Verbrechens und der Verbrecher. Abtreibung, Betrug, Kindesmissbrauch (durch Nahrungsmangel) und schließlich eindeutig Mord an den kleinen Opfern sind Verbrechen, die es auch heute noch gibt. Vielleicht nur so sehr in der westlichen Gesellschaft, wo Abtreibung weitgehend legalisiert ist (auch wenn es dem Papst nicht gefällt), aber doch vielfach in anderes Ländern. Bekanntlich herrscht beispielsweise in China ein Überschuss an Männern und ein Mangel an Ehefrauen – eine Folge der Morde an weiblichen Säuglingen. Ob es dort wohl ebenfalls „Engelmacherinnen“ gibt, darf sich jeder selbst fragen.

In einer fesselnden Verfolgungsjagd sehen wir diesmal Holmes und Watson auf der Spur der Engelmacherin. Das Finale ist sehr schnell inszeniert, so dass ich jedem Hörer nur raten kann, genau hinzuhören, um alles mitzubekommen. Die Szenen wechseln schnell, die Dramatik ist hoch – ein würdiger Abschluss für ein Hörspiel, das täuschend langsam, gemütlich und humorvoll beginnt. Die Komödie um „Mr. und Mrs. Watson“ findet im Drama ihr passendes Gegengewicht, der Showdown hat mich völlig zufriedengestellt. Ob Holmes sein Ziel erreicht hat, darf hier nicht verraten werden.

|1 Audio-CD
Spieldauer ca. 79 Minuten
ISBN-13: 9783785747216|

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