Gunn, James (Hrsg.) – Von Clement bis Dick (Heyne SF-Bibliothek 95: Wege zur Science Fiction 06)

_Satirische Klassiker und mahnende Horrorvisionen_

In seiner Serie „Wege zur Science Fiction“ versucht Herausgeber James Gunn sowohl die Entstehungswege der amerikanischen wie auch der britischen Science-Fiction nachzuzeichnen, die einzelnen Autoren zu charakterisieren und die Bedingungen zu erklären, unter denen die teils recht ausgefallenen Erzählungen entstanden. Man erfährt zum Beispiel den Unterschied zwischen Anti-Utopie und Dystopie – die meisten Leute bringen das immer wieder durcheinander, doch Gunn präsentiert eine klare Unterscheidung.

_Der Herausgeber_

James Gunn, geboren 1923, hat ein paar interessante SF-Romane geschrieben, darunter „Die Freudenspender“ (1961) und „Die Unsterblichen“, aber besonders hat mich nur „Die Horcher“ beeindruckt, ein realistischer Roman über Astronomen, die nach fremdem Leben im Kosmos suchen und eines Tages fündig werden. Bei uns ist er am bekanntesten für seine Story-Anthologien in der Reihe „Wege zur Science Fiction“, die er in den siebziger Jahren begann und die fast vollständig bei |Heyne| in der |Science Fiction Bibliothek| erschienen ist. Band 102 und 103 sind noch nicht erschienen.

_Die Erzählungen_

|Hal Clement: Der kritische Faktor| (Critical factor, 1953)

Die rein naturwissenschaftlich orientierte Story erzählt von jenen halbflüssigen Wesen, die im Untergrund unserer Erde leben und gerade ein kleines Problem haben: Eroberer aus dem Norden bedrohen ihr Territorium. Ein Späher namens Pentong kehrt aus der Antarktis zurück und berichtet den Ältesten, was er dort gefunden hat: eine Schicht über dem Gestein, die durch heißes Magma in Ozean verwandelt wird – im Klartext: Eis. Was Pentong vorschlägt, ist revolutionär: Man könnte durch Eisschmelzen doch den Ozean so weit ausbreiten, dass der für die Untererdbewohner giftige Sauerstoff nicht mehr an das Erdreich gelangen könnte. Mithin würde sich ihr Lebensraum vergrößern.

Eigentlich eine geniale Idee. Doch Derel der Denker bezweifelt ihre theoretische Grundlage ebenso wie die praktische Ausführung. Er stellt ein paar Experimente mit dem Verhalten von Flüssigkeiten in Hohlräumen an und stößt auf eine neue unheimliche Kraft, die ihn fast das Leben kostet: Schwerkraft!

|Alfred Bester: Geliebtes Fahrenheit| (Fondly Fahrenheit, 1954)

Wie schon in „Demolition“ greift der Autor ein psychologisches Motiv auf: Paranoia und Projektion, also die Übertragung des eigenen Wahns auf einen anderen. Zunächst denkt der Leser, er habe es mit drei Figuren zu tun, dann sogar mit vier, aber das stimmt nicht. Es geht immer nur um zwei Figuren: um James Vandaleur und seinen „vielseitig anwendbaren“ Androiden, der sich als wahrer Killer herausstellt. Auf dem Planeten Paragon III ermordet er sogar ein kleines Mädchen, danach eine Erpresserin, schließlich zwei Studenten, die ihm auf die Schliche kommen. Doch der Android ist alles, was Vandaleur geerbt hat und noch besitzt. Er will nicht von ihm lassen.

Doch was stimmt nicht mit dem Androiden? Anscheinend entspricht seine ursprüngliche Programmierung den drei Asimovschen Gesetzen der Robotik, doch unter einer bestimmten Bedingung versagen die entsprechenden Schaltkreise: Wenn die Temperatur 90° Fahrenheit übersteigt. Dann beginnt er zu singen und zu tanzen, dass einem angst und bange wird. Das Ende des Androiden in einem brennenden Schilfgürtel ist höchst bizarr. Aber da ist noch die Frage, ob sein Herr, James Vandaleur, nicht ebenfalls eine Schraube locker hat.

Der Grund, warum diese Story so verwirrt, ist der perfide Umstand, dass die Identität dessen, der gerade ICH sagt, wechselt: mal ist es Vandaleur, dann wieder sein Android. Projektion, q.e.d. Am besten liest man die Geschichte mehrmals.

|Tom Godwin: Die kalten Gleichungen| (Cold equations, 1954)

Dies ist eine der bekanntesten und umstrittensten Storys in der klassischen SF überhaupt. Eine blinde Passagierin muss über Bord gestoßen werden, weil das winzige Raumschiff, dessen Frachtgewicht und Brennstoffvorrat exakt bemessen sind, sonst nicht an seinem Ziel ankommen würde. Durch ihr Zusatzgewicht würde das Schiff mehr Treibstoff als bemessen verbrauchen. Nicht nur würde dadurch das Schiff mangels Bremskraft auf den Planeten stürzen, sondern auch die Forschungsgruppe, die auf die Fracht angewiesen ist, wäre zum Untergang verdammt: Das rettende Serum würde sie nicht erreichen.

Der Pilot hat die Entscheidung zu fällen, wen er opfert: Das Schiff, das Serum und die Forscher – oder Marilyn Lee Cross. Ist es das Leben des Mädchens wert, dass so viele Menschen sterben müssen? Die Antwort der physikalischen Gesetze lautet nein. Aber er kann etwas für sie und den Bruder, den sie auf dem Planeten besuchen wollte, tun: Sie können per Funk voneinander Abschied nehmen. Es ist ein sehr bewegender Funkkontakt. Danach ist sie gefasst, sieht ihrem Schicksal ins Auge und geht freiwillig in die Luftschleuse …

Weil dieser Ausgang der Story viele Leser und Autoren auf die Palme brachte, schrieb ein Autor – mir ist sein Name entfallen – eine alternative Story, in der die Sache gut ausgeht. Warum zum Beispiel hat das NES-Rettungsboot nicht genug Treibstoff an Bord, um zu seinem Kreuzer, das es ausgesetzt hat, zurückkehren zu können? Warum kann das NES nicht die Atmosphäre des Planeten nutzen, um abzubremsen? Oder warum macht der Pilot nicht wenigstens ein Foto von Marilyn Lee Cross und entnimmt ihr Erbgut, damit man sie wieder klonen kann? Daran dachte wohl im Jahr 1954 noch niemand.

|Cordwainer Smith: Das Spiel „Ratte und Drache“| (The game of rat and dragon, 1955)

Die Erde der Zukunft wird von der „Instrumentalität“ gesteuert und schickt ihre Kolonisten- und Handelsschiffe hinaus zu anderen Welten. Doch die Menschheit befindet sich im Krieg. Die Gegner sind die Aliens, die unversehens aus den Tiefen des Raums und der Zwischendimensionen auftauchen. Sie hinterlassen Tod oder Wahnsinn unter den Passagieren der Schiffe.

In einem Rüstungswettlauf entwickelte die Menschheit Waffen und Taktiken, um den Angriffen der „Drachen“ zu begegnen. Die Geschütze sind mit Laser und einer Art Photonuklearbombe ausgestattet, doch der Schuss muss innerhalb von Millisekundenbruchteilen erfolgen. Dazu sind nur Telepathen in der Lage. Sie steuern das Geschütz: Sie sind die Lichtschützen.

Aber sie brauchen Hilfe, um die Langsamkeit des menschlichen Gehirns auszugleichen. Diese Hilfe bieten die „Partner“, freundliche Kreaturen. Sie sind uns als Katzen bekannt. Nunmehr herrscht Zuversicht unter den Menschen, die meisten Angriffe abwehren zu können. Doch der Dienst der Lichtschützen ist hart: Underhill und Woodley brauchen nach einer halben Stunde im Gefecht erstmal zwei Wochen Urlaub.

Und wieder einmal zieht Underhill ins Gefecht, begleitet von seiner Partnerin Lady May. Ein Kampf auf Leben und Tod …

Das Besondere an dieser bekannten Story ist weniger die entworfene Zukunft oder die Idee, Katzen als telepathische Kampfgefährten einzusetzen, sondern vielmehr die Verbindung aus Aktion und Gefühl. Bevor die Aktion beginnen kann, durchlaufen Underhills Gefühle eine ganze Skala von Nuancen, so dass man keinesfalls von einem physischen Kampfgeschehen sprechen kann. Kampf ist vielmehr eine spirituelle Erfahrung. Diese teilt der Mensch mit einem anderen Lebewesen. Dass dies eine Katze ist, ist ein notwendiger Vorteil. Am Schluss erfährt man den hohen Preis, den der Mann zahlt. Keine lebende Menschenfrau kann sich mit dieser Partnerin vergleichen. Folglich hassen die Menschenfrauen die Katzen. Und da der Mann weder das eine noch das andere bekommt, ist der ultimative Preis Einsamkeit.

|Robert Sheckley: Pilgerfahrt zur Erde| (Pilgrimage to Earth, 1956)

Alfred Simon ist ein braver Bürger der Kolonistenwelt Kazanga, der sich über weibliche Zuwendung nicht beklagen kann. Doch etwas scheint ihm noch zum vollkommenen Glück zu fehlen: wahre Liebe. Als ihm ein fahrender Sternenkaufmann einen Gedichtband verkauft und ihm erzählt, auf der Mutterwelt gebe es selbstverständlich auch Liebe, packt Alfred seine Siebensachen und fliegt zur Erde.

New York City ist eine wunderliche Stadt, findet er. An einem Stand wird er aufgefordert, echte Frauen mit echten Patronen zu erschießen, ein anderer Mann bietet ihm eine Heldenrolle bei einer Revolution oder in einem Krieg an. Aber es ist offensichtlich, was Alfred in Wahrheit will: Liebe. Wahre Liebe unter einem wahnsinnigen Mond, an einem dunklen Meeresstrand, in der bleichen Dämmerung – schon klar. Der Söldnerwerber schickt ihn zu Mr. Tate und der bietet tatsächlich den gesuchten Artikel an. Seine Firma heißt schließlich nicht umsonst „Liebe Inc.“.

Zu Alfreds grenzenlosem Erstaunen verliebt er sich auf der Stelle in die herbeigerufene Penny Bright, diese verliebt sich auf der Stelle in ihn, und zusammen erleben sie eine wunderbare Liebesnacht miteinander. Danach wundert sich Alfred bei Mr. Tate, warum Penny, die Frau seines Lebens, gleich wieder verschwindet. Ist doch klar, meint Tate, sie hat gleich den nächsten Kunden. Sie erinnere sich aufgrund eines posthypnotischen Befehls nicht mehr an Alfred, und Alfred täte besser daran, sie zu vergessen. Alfred geht zum Schießstand, wo man Frauen abknallen kann …

Die Story überführt auf satirische Weise einen nur natürlich herzustellenden Gemütszustand – gemeinhin als „Liebe“ bezeichnet – in die Produktionsbedingungen des Kapitalismus. Liebe ist kaum von Prostitution zu unterscheiden, doch der Bewusstseinszustand für die „Liebes“-Dienerin ist ein völlig anderer – aber auch für den „Freier“. Der Autor schafft es durch die Überspitzung der Zustände, das Wesen der Liebe darzustellen und zugleich die Praktiken des Kapitalismus zu kritisieren.

|Brian W. Aldiss: Wer kann einen Menschen ersetzen| (Who can replace a man?, 1958)

Nach dem Atomkrieg sind die Menschen fast vollständig ausgestorben. Das kapieren die Robotmaschinen aber erst nach und nach. Sie können nicht arbeiten, weil ihnen niemand mehr Anweisungen gibt, und weil das Klasse-eins-Zentralgehirn in der Hauptstadt sich im Krieg mit zwei Klasse-zwei-Gehirnen befindet, kommt es als Befehlsgeber auch nicht in Frage. Die verwaisten Maschinen machen sich auf nach Süden, weil es dort noch eine winzige Kolonie überlebender Menschen geben soll. Als sie einen zerlumpten, halbnackten, verletzten und ungeniert pinkelnden Mann treffen, sind sie glücklich, endlich ihren Meister gefunden zu haben.

Teils eine traurige Post-Holocaust-Satire, teils eine Lewis-Carroll-Fantasie, liest sich die Story kurzweilig und wie ein Märchen. Sie wäre lustig, wenn der Anlass dafür nur nicht so ernst wäre.

|Kurt Vonnegut jr.: Harrison Bergeron| (Harrison Bergeron, 1961)

In einer totalitären Version der USA werden alle klugen, starken und schönen Menschen künstlich gehandikapt, damit sie dem Gleichheitsprinzip gehorchen, das zum obersten Staatsziel erhoben wurde. Alle müssen Kopfhörer tragen, in die ihnen von der Regierung alle 20 Sekunden grässliche Geräusche gesendet werden. Dadurch werden alle gefährlichen Gedanken bereits in der Entstehung zerstört. Niemand kann denken, wenn ihm eine Sirene ins Ohr dröhnt.

Die Bergerons haben deshalb bereits vergessen, dass die Leute des Generalhandikappers ihren Sohn Harrison abgeholt und eingesperrt haben. Obwohl erst 14 Jahre alt, ist er bereits 2,10 Meter groß – eindeutig nicht gleich. Zum Ausgleich muss er wie alle anderen schwere Gewichte um den Hals tragen, die sein Wachstum stoppen sollen.

An diesem Abend wird die abendliche Nachrichtensendung massiv gestört: Harrison ist aus dem Knast ausgebrochen und hat das Fernsehstudio gestürmt. Alle haben schreckliche Angst vor ihm und ducken sich. Er erklärt sich zum Kaiser und ernennt seine Kaiserin: eine wunderschöne Ballerina. Dann tanzen sie zu den Klängen eines befreiten Orchesters. Leider hat die Generalhandikapperin keinerlei Kunstverständnis und knallt die Tänzer eiskalt ab.

Die Story ist eine bitterböse Satire auf die gleichmacherischen Tendenzen in der amerikanischen Kleinbürgerschicht der fünfziger Jahre – oder auf deren Propagierung durch die Eisenhower-Regierung. Wenn der Nachbar einen neuen Wagen hat, müssen wir auch einen neuen haben – und wehe, der ist nicht genauso groß! Genial ist der Einfall, alle Gedanken durch schreckliche Geräusche zerstören zu lassen.

|Harry Harrison: Die Straßen von Askalon| (The streets of Ashkelon, 1962)

Garth ist der einzige menschliche Händler auf dem Planeten der Wesker. Die Wesker sind intelligente, wenn auch etwas langsam denkende Amphibienwesen, und Itin ist Garths besonderer Freund. Er mag das klare, unschuldige Denken und Fühlen Itins. Eines Tages landet eine Rakete, aus der Pater Mark von der „Brüderlichen Missionsgesellschaft“ steigt. Nachdem sein wütender Versuch, den Geistlichen am Aussteigen zu hindern, misslungen ist, muss Garth dulden, dass dieser die heimischen Wesker missioniert.

Eines Tages kommt Itin zu ihm mit einer wichtigen Frage: „Gibt es Gott?“ Garth sagt nein. Itin verschwindet wieder und diskutiert wohl mit dem Pater über den Widerspruch zwischen dem, was der Pater und was Garth gesagt hat. Da der Widerspruch nicht aufgelöst werden kann, machen die praktischen Wesker die Probe aufs Exempel und versuchen, ein Wunder von Gott zu bekommen. Sie kreuzigen den Pater. Als sich kein Wunder ereignet und Garth Itin klar macht, dass der Mann nicht wiederauferstehen wird, weiß Itin, was die Wesker nun sind: „Mörder.“

Im Grunde ist dies die Geschichte vom Sündenfall mit umgekehrten Vorzeichen. Waren die Wesker vorher rein, sind sie nun Sünder. Wäre es nicht besser gewesen, wenn Garth ihnen ihren Glauben gelassen hätte, dass der Pater auferstehen würde? Sozusagen die Illusion statt der Wahrheit? Wie man es auch dreht und wendet, so macht der Autor doch klar, dass Wissenschaft und echter Glaube nicht koexistieren können.

|J.G. Ballard: Endzeitstrand| (Terminal Beach, 1964)

Der frühere Bomberpilot Traven hat seine Frau und seinen Sohn bei einem Unglück verloren. Etwas treibt ihn dazu, das verlassene Eniwetok-Atoll zu besuchen, wo er strandet. Das Atomversuchsgelände ist eine gespenstische Szenerie, in der er sich notgedrungen einrichten muss. Kameratürme ragen wie Obelisken in den verstrahlten Himmel, und hunderte von Betonblöcken säumen die Seen um den Bodennullpunkt. Zwischen ihnen richtet er sich ein, wird schwächer, halluziniert seine Familie. Zwei Biologen besuchen ihn, doch die Erholung durch ihre Medikamente ist nur zeitweilig. Vor einem Navy-Suchtrupp versteckt er sich erfolgreich. Mit der Leiche eines japanischen Bomberpiloten – Dr. Yosuda – verständigt er sich über Familien im Osaka des Jahres 1944, vor exakt 20 Jahren. Die Leiche leistet ihm stille Gesellschaft, bis es mit Traven auf dem Endzeitstrand zu Ende geht.

Diese Condensed Novel des britischen New-Wave-Protagonisten Ballard verschmilzt auf faszinierende Weise Metaphern aus Natur, Philosophie und Physik. So ist etwa von „quantaler Zeit“ die Rede. Die zentrale Metapher aber ist der Endzeitstrand selbst: Er ist das in die Gegenwart geworfene Menetekel eines künftigen Post-Atomkrieg-Szenarios, den Lebenden zur Warnung. Doch da Traven alles Lebenswerte genommen worden ist, begibt er sich freiwillig in den psychischen Sog dieser Todeszone. Dort nimmt er einerseits das Schicksal der Strahlentoten eines Atomkriegs vorweg, wiederholt aber auch das Schicksal der Ermordeten von Hiroshima, die von Dr. Yosuda verkörpert werden. Das Bild eines zyklischen Geschichtsverlaufs – welches auch in Millers [„Lobgesang auf Leibowitz“ 1592 gezeichnet wird – ist der reine Horror: Der Mensch ist offenbar unfähig, aus seinen Fehlern zu lernen, und gezwungen, sie zu wiederholen.

|Gordon R. Dickson: Durch die Delfine| (Dolphin’s way, 1964)

Malcolm Sinclair ist Meeresbiologe auf einer Delphin-Forschungsstation in der Karibik. Die Station erforscht die Verständigung mit Delfinen und wird aus einer Stiftung finanziert. Doch in letzter Zeit fehlen die Fortschritte und Mal fürchtet, die Finanzierung könne eingestellt werden, was das Aus für die Station bedeuten würde.

Eines Tages taucht eine Reporin auf, die sich Jane Wilson vom „Bankground Monthly“ nennt. Sie sucht den Forscher, wendet sich aber an den Leiter der Station Corwin Brayt, einen Verwalter. Erst als sie ihren Irrtum erkennt, setzt sie sich mit Mals Forschung auseinander. Während sie weg ist, um Recherchen anzustellen, gelingt Mal der Durchbruch in der Verständigung mit zwei wilden Delfinen, die er Castor und Pollux getauft hat.

Als sie zurückkehrt, erklärt sie ihm, dass, obwohl die Station geschlossen wird, seine Arbeit nicht umsonst war. Er allein hat bewiesen, dass die Menschheit in der Lage ist, friedlichen Kontakt zu einer fremden Spezies aufzubauen. Aber aus einem ganz bestimmten Grund könne sie ihm nicht sagen, warum sie Mals Liebe nicht erwidern kann. Dann schwimmt sie hinaus mit den Delfinen, weit hinaus …

Ein Geschichte von Dickson zu lesen, ist immer ein besonderes Erlebnis, so auch diesmal. Die Story liest sich wie der Beginn eines wunderschönen Romans und könnte immer weitergehen. Und auf fatale Weise erinnert sie mich an die Grundidee des Kinofilms „Star Trek 4“, in dem ein Alien nach Walen ruft – nur dass diese in der irdischen Zukunft längst ausgerottet sind. Aber warum ruft es ausgerechnet die Wale? Weil diese – nach Auffassung bestimmter Forscher – möglicherweise intelligenter und vor allem friedliebender sind als der homo sapiens. Der Ruf nach den Walen ist also zugleich ein soziologischer Test – genau wie in Dicksons Story.

|Raphael Aloysius Alfferty: Langsame Dienstagnacht| (Slow Tuesday night, 1965)

Von wegen „langsam“! Die Nacht vergeht mit affenartiger Geschwindigkeit. Deshalb kann von so etwas wie einer zusammenhängenden Handlung keine Rede sein: Es passiert einfach zu viel. Der Bettler Basil Bagelbaker leiht sich tausend Dollar und gründet damit binnen Minuten ein Vermögen, aus dem er seine Schulden sofort zurückzahlt. Diese Gelegenheit, einen Reichen zu heiraten, ergreift Signora Ildefonsa Impala sofort beim Schopf – die Flitterwochen sind aber schon nach einer Stunde vorbei, und das Bagatellgericht scheidet die beiden in Nullkommanix. Schließlich warten noch andere Männer darauf, geheiratet zu werden. Die Nacht ist kurz.

Man wird sich fragen, wie es zu dieser Zukunft kommen konnte. Grund scheint die Abebaios-Barriere gewesen zu sein oder vielmehr deren Entfernung aus dem menschlichen Geist. Die Operation erfolgt bereits im Kindesalter und danach spezialisiert sich der befreite Bürger auf eine Tageszeit: vormittags (Auroreer), nachts (Nyktalopen wie Ildefonsa und Bagelbaker) oder nachmittags (Hemerobier).

Die Story sprüht vor witzigen Einfällen, aber wer sie wörtlich nehmen würde, wäre natürlich schwer auf dem Holzweg. Alles ist metaphorisch gemeint. Würde man die Geschehnisse dieser speziellen Dienstagnacht auf unsere Zeit übertragen, so würden mehrere Dekaden vielleicht gerade noch ausreichen. Der verblüffende Trick besteht also lediglich in enormer Komprimierung dessen, was in der Upper Class der US-Gesellschaft gang und gäbe ist. Nur entsteht durch die Kompression ein komischer Effekt, wie er im Stummfilm, als die Bilder schneller als heute abliefen, zu beobachten ist: Aus der Beschleunigung entsteht a) Komik und b) Lächerlichkeit.

Diese Darstellung sozialer Vorgänge wird dadurch zugänglich für Kritik: Wozu soll all diese Hektik gut sein, fragt sich der gesunde Menschenverstand. Die Kritik ist durchaus angebracht, denn die Geschichte wird durch diese „langsame Dienstagnacht“ keineswegs vorangebracht, der Mensch nicht weiser, sondern nur verbrauchter. Aber dann sollten Sie mal die Auroreer am Mittwochmorgen sehen – die machen vielleicht Action!

|Frederik Pohl: Tag Million| (Day million, 1966)

Das Thema dieser Story ist einfach: Liebe zwischen einem jungen Mann und einer jungen Frau. Der Unterschied: Der Mann – nennen wir ihn Don, von aDONis – ist schon über hundert Jahre alt, weil er ständig durch den Raum fliegt, und zwar mit annähernder Lichtgeschwindigkeit oder sogar schneller. Und das Mädchen – nennen wir sie Dora, von S Doradus – lebt in der Tiefsee, woran sie optimal angepasst ist. Man merkt schon, dies ist nicht unsere Gegenwart. Nein, dies ist der Tag Million, also in etwa siebenhundert Jahren. (Wir leben heute ungefähr 730.000 Tage nach Christus.)

Ach ja, fast hätte ich es vergessen: die Liebe. Don und Dora heiraten, indem sie ihre Identitätsaufzeichnungen austauschen. Danach gehen sie auseinander, können aber jederzeit auf die Aufzeichnungen zurückgreifen – was sicherlich viel befriedigender sein dürfte, als ständig vom jeweils anderen getrennt leben zu müssen. Und wem das komisch vorkommt, der denke mal daran, was Attila oder Dschingis-Khan über unsere Televisions- und Internet-Gegenwart denken würden …

Dies ist wohl die berühmteste Story von Fred Pohl. Sie erschien 1966 im Magazin „Rogue“. Da es sich dabei um ein Herrenmagazin gehandelt haben dürfte, passt die Thematik „Liebe in der Zukunft“ sehr gut dazu.

|Philip K. Dick: Mr. Quails Erinnerungen| (We can remember it for you wholesale, 1966)

Die Handlung verläuft ein wenig anders als in der von Paul Verhoeven inszenierten Action-Brutalo-Oper „Total Recall“ mit Arnold Schwarzenegger als Douglas Quail. Quail wünschte sich in der reglementierten Realität der Erde schon immer, einen aufregenden Job zu haben, zum Beispiel auf dem Mars. Seine bodenständige Frau Kirsten spottet ihn aus.

Und so geht Dougie zur Memoria GmbH (von „memory“: Erinnerung). Dort erhebt sich die Frage: Verfügt Douglas Quail über vom Militärgeheimdienst implantierte Erinnerungen, ein Agent auf dem Mars zu sein, oder ist er wirklich einer? In jedem Fall ist die Antwort sowohl interessant als auch verblüffend. Das Ersatzprogramm erweist sich als Desaster …

Die Story, die der Verfilmung „Total Recall“ als Inspiration diente, ist eine Extrapolation der Gehirnwäsche, die das Militär und dessen Geheimdienst an seinen Mitgliedern vornehmen könnte. (Nix Genaues weiß man nicht.) In die gleiche Kerbe schlug übrigens 1968 John Brunner mit seinem Mega-SF-Roman [„Morgenwelt“ 1274 („Stand On Zanzibar“), in dem ein harmloser Knowledge Worker, Donald Hogan, vom Militär zu einem paranoiden Superkiller umgekrempelt wird.

Der Name der Agentur, welche die Erinnerungsimplantate einpflanzt, wechselt von Übersetzung zu Übersetzung: mal ist es die Endsinn AG, dann die Rekal AG, hier ist es die Memoria GmbH. Ich finde den Namen eindeutig und deshalb gelungener als etwa Rekal (vom englischen „to recall“ = sich erinnern) oder das gezwungene Endsinn (von entsinnen).

_Unterm Strich_

Zusammen mit der Historie „Der Milliarden-Jahre-Traum“ von Brian W. Aldiss kann der SF-Neuling mit der Reihe „Wege zur Science Fiction“ einen Überblick über die Entwicklung seines Lieblings-Genres von den Anfängen (Gilgamesch-Epos) bis in die siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhundert erwerben. Die zwei abschließenden Bände, die sich mit der europäischen Phantastik befassen, sind leider bis heute nicht erschienen.

Der vorliegende Band enthält eine ganze Reihe absolut klassischer Erzählungen, so etwa von Pohl, Dick und Aldiss. Es sind aber auch einige recht unbekannte Erzählungen weniger bekannter Autoren wie Clement oder Dickson darin aufgenommen worden, die es lohnen, sich mit ihnen näher zu beschäftigen – und damit sind sowohl die Story als auch ihr jeweiliger Autor gemeint.

|Frauenmangel|

Was in Zeiten politischer Korrektheit auffällt, ist der eklatante Mangel an weiblichen Autoren. Dazu ist anzumerken, dass wirklich gute Autorinnen einerseits in den vierziger Jahren (C.L. Moore und Leigh Brackett) oder erst in der zweiten Hälfte der sechziger Jahren publizierten, so etwa Ursula K. Le Guin und Joanna Russ. Dieser Band deckt also eine Zeit genau dazwischen ab. Wer eine Anthologie mit Frauen-SF-Storys sucht, der greife zu Pamela Sargents ausgezeichneter Reihe „Women of Wonder“ (USA).

|Originaltitel: The road to science fiction 3, Teil 2, 1979
Aus dem Englischen von Mary Hammer, Charlotte Winheller, Michael K. Iwoleit, Wulf H. Bergner, Walter Brumm|