_Story_
Gwen ist ein glückliches, verwöhntes Mädchen, welches in seinem Alltag bislang selten über Hindernisse gestolpert ist. Doch bis heute hat Gwen auch noch nie etwas von ihrer Vergangenheit erfahren. Mary hingegen ist eine brutale Auftragskillerin, eine Agentin, die nicht lange fackelt und dafür auch innerhalb ihrer geheimen Organisation sehr geschätzt wird. Ihr Geheimnis: Sie teilt ihren Körper mit einer zweiten Person, einem Menschen, der von seinem Schicksal noch nichts ahnt, bis plötzlich die Athena Inc., Marys Ausbildungsstätte, beide Frauen verfolgt.
Langsam aber sicher wird sich Gwen bewusst, welch grauenvolles Geheimnis ihre Person umgibt. Sie ist der zweite Teil, nicht nur psychisch sondern auch physisch, und soll nun für die Taten ihres Schattens mitbestraft werden. Den anderen Teil ereilt nämlich der Ruf des ‚Manhunters‘, und als solcher hat sich Mary im Laufe der letzten Jahre zahlreiche Feinde gemacht, was ihr und auch Gwen nun zum Verhängnis werden soll.
_Meine Meinung_
Brian Haberlin verfolgt im ersten Teil seiner „Athena Inc.“-Reihe einen unheimlich interessanten Ansatz, sowohl strukturell als auch inhaltlich. „The Manhunter Project“ ist nämlich in keiner Weise das, was man unter einem gewöhnlichen Comic versteht, sondern schon ein sehr eigenwilliger Thriller, der alleine bezüglich des Aufbaus sämtliche Grenzen sprengt – was ja beim |Infinity|-Verlag mittlerweile kein Novum mehr ist.
ALl dies beginnt schon damit, dass es in „Athena Inc.“ keine handelsüblichen Sprechblasen gibt. Die düsteren, futuristischen Zeichnungen werden stattdessen mit längeren Textfeldern belegt, deren Anordnung zunächst einmal sehr konfus erscheint. Es ist nämlich nicht so, dass jeder geschriebene Abschnitt auch gleich einem entsprechenden Bild zuzuordnen ist. Vielmehr bekommt man, jedenfalls zu Beginn, den Eindruck, als würden Zeichnungen und Dialoge unabhängig voneinander agieren, so dass man sich schon sehr genau konzentrieren muss, um den Überblick zu behalten – zumal es ja auch hinsichtlich des Inhalts gar nicht mal so einfach ist, der Entwicklung der beiden Protagonistinnen und ihrer Zusammenhänge zu folgen.
Aus diesem Grunde wollte ich mich nach den ersten gelesenen Seiten auch schon zu der Aussage hinreißen lassen, dass diese neue Reihe ausschließlich für absolute Freaks geeignet ist, allerdings konnte dieser Eindruck nach und nach relativiert werden, weil sich die Ereignisse immer deutlicher zusammenfügen lassen und man nach gut der Hälfte dieses ersten Bandes den Blick fürs Wesentliche bekommen hat. Bis dorthin ist „The Manhunter Project“ aber eine verdammt harte Nuss, von der man ständig in die Irre geführt wird, und deren unkonventionelles Erscheinungsbild die gesamte Dauer über gewöhnungsbedrüftig bleibt.
Nachdem man diese Hindernisse allerdings übersprungen hat, wird man Zeuge einer wahrhaft rasanten Action-Handlung, deren schizophren anmutende Charaktere ebenso wie der Comic an sich absolut einzigartig sind. Man weiß irgendwie alles und nichts über Mary und Gwen, glaubt vor allem, das Handeln der Erstgenannten zu durchschauen, fällt aber wieder in ein Loch, während ihr Kontrapart noch hart mit sich kämpfen muss, ihre ‚böse‘ Seite zu erfahren, kennen zu lernen und zu akzeptieren bzw. zu tolerieren. Für sie scheint mit einem Mal alles so sinnlos zu sein; ihr Leben, ihre falsche Vergangenheit und ihre manipulierte Identität, von der sie tagein, tagaus durch ihre Scheinwelt geführt wurde.
Dieser Zwiespalt wurde auch von Zeichner Jay Anacleto sehr gut eingefangen, dessen finstere Charakterprofile in „Athena Inc.“ zum besten gehören, was der Comicmarkt dieser Tage zu bieten hat. Mit seinen düsteren Illustrationen verschärft er von Seite zu Seite die dichte Atmosphäre dieses spannenden Agenten-Thrillers und erlaubt sich bei all seiner unterschwelligen Detailverliebtheit nicht einen Patzer. Mit einem Wort: Stark!
Überhaupt funktionieren Anacleto und Haberlin als Team sehr gut und ergänzen sich an den erforderlichen Stellen nahezu perfekt. Für den Zeichner muss diese Arbeit aber auch eine sehr schwere Aufgabe gewesen sein, denn sein Kollege hat ihm auf manchen Seiten derart umfangreiche Texte zur Verfügung stellt, deren Dramatik Anacleto wiederum in nur ein oder zwei Darstellungen aufarbeiten musste. Aber wie gesagt, seine Zeichnungen sind über alle Zweifel erhaben!
Dies ist im Grunde genommen auch der gesamte Comic, wenngleich die anfangs leicht kritisierte Aufmachung zu einem echten Stolperstein werden könnte. Die komplexe Geschichte ist die eine Sache, die schwer überschaubare Darstellung die andere. Wer „Athena Inc.“ verstehen und genießen möchte, muss daher auch ein wenig Zeit investieren, um die Kombination aus Bild un Text auf sich wirken zu lassen, denn andernfalls wird man hier schnell den Faden verlieren. Dass es sich aber lohnt, seinen Horizont mit diesem ersten Band zu erweitern, steht außer Frage. So ambitioniert und fortschrittlich, aber auch derart wagemutig wie Haberlin gehen heute nur wenige Autoren an ihre Arbeit heran, und genau das gilt es auch reichlich zu honorieren.
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