Hacker, Katharina – Habenichtse, Die

Katharina Hacker hat dieses Jahr den Deutschen Buchpreis für den besten deutschsprachigen Roman des Jahres für ihr Buch „Die Habenichtse“ erhalten. Das ist natürlich eine große Ehre, aber trägt die gebürtige Frankfurterin diesen Titel zu Recht?

Jakob hat Isabelle nie vergessen. Er hat nur einen Abend mit ihr verbracht, doch die junge, lebenslustige Frau hat sich in seinem Kopf und seinem Herzen festgebissen. Am 11. September 2001, als in New York die Türme zusammenbrechen, sehen sie sich wieder und nach einer kurzen Romanze heiraten sie und ziehen nach London, wo Jakob einen Job in einer Anwaltskanzlei angeboten bekommt.

Während er immer mehr Zeit im Büro verbringt, fasziniert von seinem neuen Chef, hat Isabelle, die als Grafikerin von zu Hause aus arbeitet, genug Zeit, um durch die Stadt zu streifen oder ihre Nachbarn zu beobachten. Da wären zum Beispiel der Dealer Jim, der in den Fängen seines Auftraggebers steckt und seiner Liebe Mae, der Isabelle ähnlich sieht, hinterherweint, und die Leute, die Wand an Wand mit Isabelle und Jakob wohnen. Was hat das Gepolter auf der anderen Seite zu bedeuten?

Der Leser weiß es längst, denn neben den Perspektiven von Isabelle, Jakob und Jim erfahren wir auch etwas aus dem Leben der kleinen Sara, die nach den Worten ihres Vaters zurückgeblieben ist und nicht wachsen will. Deshalb darf sie nicht in die Schule und muss die Quälereien ihres Vaters aushalten. Einzig ihr großer Bruder Dave kümmert sich um sie, doch Dave verschwindet und sucht Unterschlupf bei Jim …

Wenn man nach der letzten Seite von „Die Habenichtse“ gefragt werden würde, was denn nun im Buch passiert sei, würde man vermutlich erst mal eine Weile überlegen müssen. Die Stärken des Romans liegen eindeutig in einem anderen Bereich und es ist ebendieser, der das Buch wirklich auszeichnet.

Hacker hat ein unglaubliches Gespür dafür, wie sie Worte so platziert, dass sie ein kleines Universum bilden, in dem sich sowohl Protagonisten als auch Leser austoben können. Mit einer akribischen Detailiertheit, die aber nicht zu kleinteilig wirkt, und einem sicheren, reichhaltigen Stil erzählt sie in einem ruhigen Fluss aus dem Alltag ihrer Hauptpersonen. Dazu benutzt sie geradezu inflationär Bandwurmsätze, verkleidet als Reihungen, die sehr schön bildhaft darstellen, wie es im Leben der Protagonisten aussieht.

Unterfüttert wird dieser durchkomponierte, trockene Stil von weiteren Elementen wie Personifikationen oder treffenden Metaphern wie auf Seite 257:

|“Ich bin glücklich, wollte Jakob sagen, aber der Satz war wie ein Holzpüppchen, das man behutsam aufstellte und das sich doch nur einen Augenblick hielt, bevor es umkippte. Nicht schlimm, dachte Jakob, man kann es im Gleichgewicht halten, muß nur ganz leicht nachhelfen, mit einem Finger.“|

Auf den ersten Seiten hat man noch das Gefühl, die übliche junge deutsche Literatur vor sich zu haben, mit einem flappsigen Schreibstil und einer kühlen Distanz zu den Personen, aus deren Sicht erzählt wird, während man gleichzeitig schonungslos ihre Gedanken und Gefühle offenlegt. Hacker geht aber weit hinaus über diese Mode, indem sie „Die Habenichtse“ mit einer gewissen Reife ausstattet und das Buch ohne großartige Durchhänger auf über 300 Seiten bringt.

Doch innerhalb dieser über 300 Seiten bleibt ein Manko, das auch der Schreibstil nicht so einfach kaschieren kann: die Handlung und stellenweise auch die Handlungsmotive. Während die Protagonisten an und für sich wunderbar ausgearbeitet sind, mit einer Vergangenheit, mit Dingen aus ihrer Vergangenheit, die sie nicht vergessen können, und einer intensiv erlebten Gegenwart, bleiben einige ihrer Verhaltensweisen arg im Dunkeln. Gerade Jim, der Dealer, tut sich hier negativ hervor. Er ist natürlich ohnehin eine zwielichtige Figur, aber da wir innerhalb seiner Perspektive sehr viel über ihn erfahren, sollten wir eigentlich auch erzählt bekommen, wieso er Isabelle letztendlich so behandelt, wie er sie behandelt. Das lässt sich nämlich leider nicht völlig frei erschließen.

Gleichzeitig fehlt es dem Buch handlungstechnisch an Schwung. Zuerst hofft man noch, dass vielleicht in der Mitte des Buches endlich etwas Handfestes passiert, gegen Ende hat man die Hoffnung beinahe aufgegeben, wenn dann letztendlich die einzelnen Perspektiven zusammenfließen und klar werden sollte, warum dies so ist. Leider geschieht das nicht und es bleibt ein taubes Gefühl zurück. Was ist jetzt noch mal genau passiert? Und warum ist es passiert? Diese Fragen bereiten Schwierigkeiten.

Aber ganz ehrlich: Wer will solche lästigen Fragen schon beantworten, wenn der Schreibstil so wundervoll ist und mit seiner ruhigen und bildhaften Art das Auseinanderleben des Traumpaars Isabelle und Jakob so schön beschreibt? Nun, eigentlich sollte die Autorin diese Frage zwischen den beiden Buchdeckeln beantworten. Da dies nur unzureichend geschehen ist, kommt es an den sehr handlungsarmen oder -verwirrenden Stellen manchmal schon zu Langeweile, aber im Gesamtkontext kann sich „Die Habenichtse“ recht gut schlagen.

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