Hahn, Ronald M. (Hg.) / McHugh, M. / Finch, S. / Crowley, J. / Kelly, J. P. / Reed, R. / Holland, B. – Lincoln-Zug, Der (The Magazine of Fantasy and Science Fiction, Band 96)

_Alternative Geschichte: Südstaatler ins Reservat_

Das Magazine of Fantasy and Science Fiction (MFSF) ist seit jeher bekannt für seine ausgefallenen, innovativen Storys, die beileibe nicht nur aus der Science-Fiction-Ecke kommen. Dankenswerterweise bringt der |Heyne|-Verlag eine Auswahl der Storys in regelmäßigen Abständen auf den Markt, herausgegeben von Ronald M. Hahn. Dies ist der Auswahlband Nummer 96 aus dem Jahr 1997.

_Die Erzählungen_

|1) Maureen McHugh: Der Lincoln-Zug|

Die Südstaaten haben den Bürgerkrieg verloren und mussten alle Sklaven freilassen, doch Präsident Lincoln ist einem Mordanschlag entgangen. Leider kann er seine Amtsgeschäfte nicht ausüben, sondern muss einem gewissen Seward, den Vizepräsidenten, den Job überlassen. Daher kommt es, dass Maßnahmen ergriffen werden, die nicht in unseren Geschichtsbüchern stehen.

Clara und ihre Mutter leben in Mississippi, einem der Sklavenhalterstaaten, als man sie deportiert. Sie sollen ihr Heim verlassen, in den Lincoln-Zug steigen, um nach Oklahoma zu reisen – ins Reservat für Südstaatler. Doch im schrecklichen Gedränge auf dem Bahnsteig verliert sie sowohl ihren Koffer als auch ihre Mutter, die totgetrampelt wird. Im vollgestopften Zug zeigt nur eine Frau namens Elisabeth Mitleid mit der Vollwaise.

In Oklahoma stehen wieder alle auf dem Bahnsteig, als eine abgemagerte, abgerissene Frau herbeistürzt und schreit, dass hier alle Hungers sterben würden. Die Regierung hat die Südstaatler zu den Indianern ins Reservat beim Fort gesteckt, aber nicht genug Lebensmittel, um sowohl die Armeen als auch die Deportierten zu verköstigen. Bald kommt der Winter – und der Hungertod.

Da streckt die Frau namens Elisabeth eine helfende Hand aus. Es gebe noch einen anderen Zug: die „unsichtbare Eisenbahn“. Dieses Netzwerk aus geheimen Helfern soll Clara zu ihrer Schwester nach Tennessee bringen, viele Meilen entfernt. Aber warum, so fragt sich Clara ängstlich, helfen diese Abolitionisten den Sklavenhaltern? Gute Frage …

|Mein Eindruck|

Die vollständig im Präsens erzählte Geschichte ist sehr anschaulich, mitfühlend und bewegend. Wir erleben das schreckliche Geschehen aus Claras Blickwinkel mit, und es ist fast wie an einer Deportation ins KZ teilzunehmen. (Man denke an „Schindlers Liste“.) Doch obwohl es keine Todeszüge gab wie im Dritten Reich, so doch den berüchtigten Todesmarsch der Cherokee: Diese Indianer mussten mehrere tausend Meilen aus Florida ins westlich gelegene Oklakoma-Territorium marschieren, wobei natürlich die meisten ums Leben kamen.

Die Story greift beide Motive auf und verweist durch ihren alternativen Geschichtsverlauf im Hintergrund auf die Parallelen. Doch wozu? Sollen die Südstaatler als Amerikas Juden gebrandmarkt werden? Mitnichten! Die Autorin will endlich die Versöhnung mit den Sklavenhaltern und erzählt deshalb von einer nordstaatlichen Untergrundorganisation, die den „bösen“ Südstaatlern hilft – damit endlich Versöhnung möglich ist. Und Clara ist eben eine der Unschuldigen, die es auf allen Seiten zu allen Zeiten gegeben hat. Deshalb werden nur sie und ein Junge gerettet, nicht aber die anderen. Irgendwo muss man ja mal anfangen, oder?

|2) Sheila Finch: Geistige Gemeinschaft|

Die Landefähre eines Raumschiffes setzt vier Leute auf einer Welt ab, die menschenfreundlich zu sein scheint. Vor zwei Jahren wurde ein Forschungsteam von 30 Astrophysikern hier abgesetzt. Was mag aus ihnen geworden sein? Das Landeteam besteht aus dem Piloten, dem Bordingenieur, einem Arzt und einer Expertin für Fremdkontakte, einer Xenolinguistin. Sie heißt Greer. Wir erleben das Geschehen aus ihrem besonderen Blickwinkel.

Von den dreißig Wissenschaftlern ist nur noch ein einziger Mann übrig: Sharnov. Was ist aus den anderen geworden, wenn es doch keine Aliens auf dieser grünen Welt gibt? Und Sharnov verhält sich, denkt Greer, wie ein Besessener, ein Wahnsinniger oder Schizophrener. Und er isst nichts. Als er die Landefähre entführt, kommt er nicht weit: Der per Code gesperrte Computer sprengt die Fähre. Die Überlebenden haben kein Wasser und wenige Rationen.

Als nur noch Greer und der Ingenieur übrig sind, isst dieser das Fleisch des Piloten. So weit will Greer nicht sinken. Ihr treuester Freund ist jetzt Sammy, der Hund Sharnovs, der sie seit der Landung begleitet. Und Sammy isst ebenfalls nichts. Nachdem Sammy den aggressiven Ingenieur getötet hat, macht er ihr ein besonderes Geschenk: sein Leben. Da endlich begreift die bereits stark geschwächte Greer endlich, was Sammy in Wirklichkeit ist …

|Mein Eindruck (VORSICHT, SPOILER!)|

Die Frage bei der Frage des Wirt-Seins für ein Alien ist natürlich vor allem, wie der Wirt damit zurechtkommt. Erinnern wir uns an „Alien“: Das Monster legt seine Brut in den Wirtskörper, und die Larven fressen diesen als Nahrung von innen her auf – genau wie bei den Larven der Schlupfwespe in einer Raupe. Doch bei Greers Alien-Gast kommt ein zweiter Faktor hinzu: Es ist ein Telepath und dringt in ihren Geist ein.

Jetzt müsste sie eigentlich, wie der arme Sharnov zuvor, wahnsinnig werden. Doch dies geschieht nicht, weil ein dritter Faktor ins Spiel kommt: Greer verfügt über das von ihrer Gilde gelehrte „Kalamitätsmantra“, das sie immer aufsagt, wenn sie glaubt, in der Patsche zu sitzen und Hilfe zu benötigen. (Es erinnert an das Mantra von Paul Atreides, das er von den Bene Gesserit gelernt hat: „Die Angst ist der kleine Tod …“) Nur dieses Mantra verhilft Greer zum Überleben: Sie akzeptiert das Fremde und wird ein Hybrid.

|3) John Crowley: Fort|

Ein Mutterschiff von Aliens besucht die Erde, parkt in einer Umlaufbahn um den Mond. Dort sendet es seine Vorboten aus: die Elmers. Das sind kleine, schwabellige und sehr freundliche Humanoide, die alle möglichen Dienste anbieten: Darf ich Ihre Fenster putzen? Darf ich Ihren Müll raustragen? Und dergleichen mehr. Die bieten zudem ein Glückskärtchen an, das demjenigen, der auf das Wörtchen „Ja“ drückt, Glück in der Liebe zu versprechen scheint.

Ganz bestimmt sind sie Scharlatane, denkt sich die von ihrem Mann getrennt lebende Hausfrau Pat Poynton. Das Fernsehen hat vor diesen Elmers gewarnt, die alle gleich aussehen, aber nach wenigen Tagen zu Staub zerfallen. Aber Pat ist einsam und unglücklich, und sie lässt den Elmer ihre Fenster putzen. In ihrem faszinierten Zusehen vergisst sie, die Kinder vom Schulbus abzuholen. Dafür holt Lloyd seine Kinder ab und rast mit ihnen und seiner neuen Flamme davon. Pat rastet komplett aus.

Erst nach einer langen Phase des Lernens kapiert sie, was das Versprechen der Elmers ist, die die Erde schon wieder verlassen haben: Es ist gar keins. Vielmehr bedeutet das Kärtchen, dass der Mensch ein Versprechen abgibt. Das des guten Willens. Dann erst wird alles in der Liebe gut. Nun erst kann sie Lloyd anrufen.

|Mein Eindruck|

Das sind aber außergewöhnlich gütige Aliens, wird sich jetzt so mancher Leser wundern. Aber es sind keine richtigen Aliens, denn sie wollen nichts von uns, sondern sie wollen etwas für uns tun. Die Frage ist jetzt: Lassen wir dies überhaupt zu? Denn Pat fasst ihre Zustimmung zu dem Versprechen der Aliens auf dem Glückskärtchen zunächst als Verrat an sich und ihrem Mit-Menschen auf. Das ist die übliche Paranoia und Überheblichkeit des Menschen. Dass es sich genau andersherum verhält, geht ihr erst nach dem Abflug der Aliens auf, also dann, als sie keine Bedrohung mehr darstellen. Sie haben uns nur geholfen, uns selbst zu helfen. Das ist alles. Und als Pat dies zulässt, kann sie auch den ersten Schritt des guten Willens auf Lloyd zu tun.

|4) James Patrick Kelly: Warum die Brücke nicht mehr singt|

Unter der Brücke haben sich ein paar Penner und Saufbrüder um ihr Lagerfeuer, das in einer Tonne brennt, versammelt. Der Erzähler stößt zu ihnen, zunächst unsichtbar. Er weiß zwar nicht, wer er ist, aber er hat eine kreative Phantasie, die alle Dinge poetisch überhöht, etwa die Brücke, die für ihn Lieder singt.

Dann kommt eine Frau namens Maggie mit zwei Männern. Sie spricht keinen Dialekt, sondern bemüht sich um korrekte Aussprache. Und möglicherweise ist sie Telepathin. Sie hilft den Pennern und reicht ihnen einen besonderen Whisky namens Conquistador (Eroberer). In der Tat stellt der Alkohol einiges mit den Köpfen der Penner und der Erzählers an, und als Maggie ihn küsst, um ihm Whisky einzuflößen, erinnert er sich wieder, wer er ist. Er ist Peter, doch seine Phantasie ist verschwunden. Die Brücke ist nur noch eine Brücke und singt nicht mehr.

|Mein Eindruck|

Herausragend an dieser kurzen Story ist nur wenig, und viel ist unter der Oberfläche versteckt: Eine Telepathin, die den Geist der Penner mit einem ganz speziellen „Whisky“ verändert. Man muss sehr aufpassen, um alles mitzubekommen, denn der Autor verfährt wie Hemingway in der genialen Story „Cat in the rain“. Alles wird in Fragmenten und indirekt mitgeteilt. Wie auch immer: Die Übersetzung von Horst Pukallus ist mal wieder einsame Spitze. Er ist der Beste, wenn es darum geht, Umgangssprache und Jargon authentisch im Deutschen auszudrücken.

|5) Robert Reed: Das Turnier|

Amerika, in der nahen Zukunft, wenn niemand mehr arbeiten muss, weil Roboter die ganze Arbeit verrichten. Das Turnier des Titels wird seit 50 Jahren von intelligenten „Elektronengehirnen“ gesteuert, allerdings nur, um für Zerstreuung, Sport und ab und zu einen höheren Gewinn zu sorgen. Leider scheinen die Computer parteiisch zu sein: Der Held der Geschichte ist zunächst nur ein Gewinner unter einer Million Teilnehmern aus der amerikanischen Provinz, doch er gewinnt entgegen aller Wahrscheinlichkeit jedes Mal – wenn auch zuweilen nur mit einem winzigen Vorsprung. Seine Frau Bette findet Avery überheblich und „nicht mehr er selbst“. Avery hält trotzdem durch, schließlich macht er beim Spiel schon seit 17 Jahren mit.

Gegen Ende des Turniers, als nur noch wenige Kandidaten übrig sind, gibt der oder andere Gegner bereits auf, sobald er gegen den Helden antreten soll, denn Avery wird angeblich „vom Netz geliebt“. Und war Avery zu Beginn noch überzeugt, dass er seine Siege verdient hat, so belehrt ihn seine Frau schließlich eines Besseren: Es gebe höhere Werte im Leben als bei diesem blöden Spiel zu gewinnen. Es gibt nämlich eine Lotterie namens Leben, bei dem jeder das große Los zieht, der überhaupt gezeugt wird!

|Mein Eindruck|

Die ein wenig tragikomische Story läuft ab wie ein Countdown, und wer die Potenzen von 2 (2 hoch 3 = 8, 2 hoch 10 = 1024 usw.) kennt, der kann sich genau ausrechnen, wann das Spiel für Avery gelaufen ist – falls er immer gewinnen sollte. Das Seltsame ist, dass er am Schluss gar nicht mehr das Spiel gewinnen, sondern seine Frau Bette zurückhaben will. Er lässt sie sogar kidnappen, damit sie nach Alaska kommt und und ihm bei der Finalrunde zusieht. Sie ist keineswegs beeindruckt, verrät ihm aber wenigstens, warum sie so bekümmert ist.

|6) Bruce Holland: Rettungsboot auf brennender See|

Ein Computerwissenschaftler namens Elliot Maas baut zusammen mit zwei anderen Genies, Richardson und Bierley, ein künstliches Bewusstsein, weil er panische Angst vor dem Tod hat. Er will also unsterblich werden. Wollen wir das nicht alle? Die Künstliche Intelligenz (KI), die sie bauen wollen, ist für Maas jedoch quasi sein Rettungsboot, während andere auf dem brennenden Schiff, das sich Leben nennt, zurückbleiben und untergehen.

Als Jackson Bierley eines natürlichen Todes stirbt, wird ein Konstrukt erzeugt, das auf den Ansichten, Erlebnissen und Erfahrungen seiner Freunde und Bekannten basiert. Es wirkt unglaublich echt und sichert mit seinem eindrucksvollen Video-Auftritt die Regierungsgelder zur Fortsetzung des Programms. Doch Richardson, der kreativste Denker des Teams, hat Zweifel. Tun sie wirklich das Richtige? Was ist der Tod wirklich? Was bedeutet es, tot zu sein?

Eines Morgens erreicht Maas die Nachricht, dass Richardson in einer U-Bahnstation einem Bombenanschlag zum Opfer gefallen sei. Bombenattentate gibt es jetzt sehr viele, mindestens einmal am Tag. Aber als Maas mit seiner Witwe spricht, stößt er auf eine Ungereimtheit. Alle elektronischen Unterlagen, die aufzufinden sind, besagen, dass man ihr Richardsons Asche in einer Urne zugeschickt habe, aber sie streitet ab, die Urne je erhalten zu haben.

Als sich Maas mit den Konstrukten von Bierley und jetzt auch Richardson unterhält, bekommt er nicht viel Unterstützung. Aber der Zweifel, der an ihm nagt, lässt einen Plan reifen, der ihn dazu zwingt, das Richardson-Konstrukt zu überlisten. Was, wenn der echte Dr. Richardson nur VORGIBT, tot zu sein? Aber warum sollte er das tun?

|Mein Eindruck (VORSICHT, SPOILER)|

Beim ersten Lesen vor etwa zehn Jahren habe ich diese Geschichte völlig missverstanden. Ich dachte, drei Konstrukte würden untereinander streiten. In Wahrheit jedoch weigert sich Maas, überhaupt zu einer KI gemacht zu werden. Er ist bereits 95 Jahre alt, als er uns seine Geschichte von Der Anderen Seite (DAS) erzählt, hat sich also nicht zu einer Simulation digitalisieren lassen. Warum nicht, fragen wir uns grübelnd. Die Antwort muss jeder in der Geschichte finden.

Da ist zum einen, dass Bierleys Konstrukt nie er selbst ist, sondern nur eine Annäherung, die aber ein Fake ist. Und Richardson, das weiß Maas am besten, lässt sich wie jede KI durch gefälschte Input-Daten täuschen. Die Wahrnehmung (Input) der KI stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein. Beide KIs sind alles andere als Idealzustände für ein Bewusstsein, wie es Maas zu verewigen sucht.

Die Story ergründet auch die Frage, was es bedeutet, tot zu sein. Tot nicht nur für den „Toten“ selbst, sondern auch für die Hinterbliebenen. Der echte Dr. Richardson gilt zwar als tot, doch er ist es nicht, will aber dafür gelten – warum auch immer. Ähnlich wie ein Agent, der untertauchen will, um eine neue „Existenz“ anzufangen. Bei seinen Hinterbliebenen hinterlässt der „Tote“ eine Lücke – in Richardsons Fall eine Witwe, die gerade ein Kind zur Welt gebracht hat. „Totsein“ kann also eine sehr unmoralische Handlung sein.

|7) Ron Savage: Connecticut-Nazi|

Max Kravitz ist ein krebskranker, 50-jähriger Jude aus New York und hat vor einer Woche eine wunderbare junge Frau geheiratet; Rosalie. Nun sind sie in ihr neues Haus in Connecticut gezogen, doch die Möbel fehlen noch. Rosalie hat ihm zur Hochzeit ein Teleskop geschenkt, das sie einem alten chassidischen Juden namens Yetzel Beckman, einem Antiquitätenhändler, den Max kennt, gekauft hat.

Wie Max herausfinden muss, verfügt das Teleskop über ein paar verblüffende Eigenschaften. Man könnte es fast magisch nennen.

Als er sich bei Yetzel Beckman über das Verschwinden seiner Frau beschweren will, erfährt er von dem Hintergrund des Teleskops und was es mit seiner jungen Braut auf sich hat. Seitdem schaut er durch ein anderes Teleskop und wartet, dass darin seine Braut auftaucht – und er selbst ebenfalls …

|Mein Eindruck|

Diese gefühlvoll, aber nicht keineswegs weinerlich erzählte Geschichte beleuchtet das Schicksal von jüdischen KZ-Häftlingen, die aus Treblinka entkommen konnten. Max ist das Kind von Chesia, einer Entkommenen, und einem deutschen Wachmann, der sie in Sicherheit brachte. Daher seine Bezeichnung als „Connecticut-Nazi“. Doch wo sind Chesia und Nazi jetzt? Vielleicht kann es ihm das magische Teleskop enthüllen.

Vergangenheit und Gegenwart sind eng miteinander verwoben, zusammengebunden durch jüdische Mystik (Kabbala) und das Instrument (Teleskop), aus der Gegenwart und Realität heraus in eine Vergangenheit zu schauen, in der die Geliebte noch lebendig ist. Die Story nimmt Jonathan Safran Foers „Alles ist erleuchtet“ und Nicole Kraus‘ „Die Geschichte der Liebe“ vorweg. Sie eignet sich ausgezeichnet zum Immerwiederlesen.

|8) Felicity Savage: Cyberschicksal|

Kasachstan, vielleicht in 50 Jahren. China ist zusammengebrochen, wurde aber von der Republik des Neuen Volkes Chinas neu gegründet. Die 18-jährige Xiao hat den Amerikaner Jon geheiratet, nachdem ihre Mutter gestorben war. Xiao hofft, mit ihm nach Amerika, ins Gelobte Land, zu gelangen. Doch sie muss zu ihrem Leidwesen herausfinden, dass Jon Carneira der letzte Überlebende eines Wirtschaftskriegs gegen seine Familie ist und dringend gesucht wird.

Per Anhalter werden sie von einem stinkreichen Milliardär namens Mechisedek Assad mitgenommen. Er ist der Gründer und Besitzer eines Themenparks à la Disneyland, allerdings vor der Küste von Eritrea und mit jeder Menge Virtueller Realität bestückt. Während Xiao einen kleinen, aber aufschlussreichen Ausflug in „Legende“ unternimmt und ein aus drei Schwestern bestehendes Orakel kennen lernt, findet in Assads Suite eine üble Schießerei statt. Die Kopfgeldjäger haben ihr Opfer gefunden. Da platzt Xiao herein …

|Mein Eindruck|

Dir Story ist sehr dicht erzählt. Aus der Perspektive des jungen, impulsiven Mädchens erleben wir ein Panoptikum bedrohlicher Phänomene, doch sie schlägt sich durch. Zweifel erfüllen sie, warum sie ihre Weigerung, mit Jon, ihrem Mann, zu schlafen, aufrechterhält. Schuldgefühle werden erklärt und beseitigt. Nun kann sie wieder handeln und in die Zukunft blicken – wenn da nicht das Massaker wäre, zu dem sie zurückkehrt.

Hinsichtlich der Cybertechnik erscheint mir die Story aber wie ein Déjà-vu aus seligen Cyberpunkzeiten Mitte der achtziger Jahre, also zehn Jahre zuvor. Dadurch erscheint die flott erzählte Story etwas schwächer als der Rest.

_Unterm Strich_

Auch diese Auswahl an phantasievollen Erzählungen bietet wieder einen kurzweiligen und interessanten Einblick in die amerikanische Szene der Jahre 1995 und 1996. Wer allerdings einen Querschnitt mehr internationalen Zuschnitts sucht, sollte sich an Wolfgang Jeschkes entsprechende Anthologien halten.

|222 Seiten
Aus dem US-Englischen übertragen von verschiedenen Übersetzern|
http://www.heyne.de