Hannah, Sophie – fremde Haus, Das

Eines Nachts steht Connie auf und stöbert online in einem Immobilienportal. Sie entdeckt nicht nur Grundriss und Fotos von einer ganz bestimmten Immobilie, sondern auch noch einen Rundgang. Als ihr Mann Kit tief und fest schläft, klickt sie den Rundgang an. Im Wohnzimmer des Hauses entdeckt sie eine blutüberströmte tote Frau, die ihr verdächtig ähnlich sieht. Als sie ihren Mann weckt und der sich den gleichen Rundgang anschaut, ist das blutige Szenario verschwunden. Hat Connie sich die Frauenleiche nur eingebildet?

Die ganze Nacht schaut sie sich immer wieder das Video an, doch die Leiche bleibt verschwunden, dennoch will sie am nächsten Morgen ihren Bekannten Simon über den grausigen Fund informieren. Da dieser sich zurzeit in den Flitterwochen befindet, berichtet Connie Simons Freund, was sie in der Nacht erlebt hat.

Niemand schenkt ihr Glauben, denn die tote Frau taucht nicht wieder in dem Video auf. Doch dann meldet sich eine zweite Frau und erzählt, dass sie ebenfalls den blutigen Rundgang durch das Haus im Bentley Grove 11 in Cambridge gesehen hat. Was ist geschehen? Und was hat Kit zu verbergen, der seiner Frau keinen Glauben schenkt?

_Schrecken in der Nacht_

Das Buch beginnt mit einem Paukenschlag: Connie entdeckt eine blutige Frauenleiche, die kurz darauf verschwunden ist. Doch damit nicht genug: Die Adresse Bentley Grove 11 in Cambridge ist ihr nicht fremd: Einige Monate zuvor entdeckte sie durch Zufall, dass genau diese Adresse im Navigationsgerät ihres Mannes als Heimatadresse gespeichert ist. Der wiederum streitet seitdem ab, irgendetwas mit dem Haus zu tun zu haben oder die Adresse selbst eingespeichert zu haben. Er unterstellt ihr so oft, sie habe die Adresse selbst eingegeben, dass Connie beginnt, an sich selbst zu zweifeln. Sie sucht eine Therapeutin auf und berichtet ihr von ihren Zweifeln. Als Leser fragt man sich unweigerlich, was geschehen ist und wie Sophie Hannah diese Rätsel auflöst. Der Spannungsbogen setzt also sofort ein und steigt schnell an.

Mit Cambridge verbindet Connie schlechte Erinnerungen: Einige Jahre zuvor hatten Kit und sie dort ihr Traumhaus entdeckt. Sie wollten es kaufen und aus Connies kleiner Heimatstadt und von ihrer Familie wegziehen. Doch dann ging es Connie immer schlechter. Als sie schließlich komplett zusammenbrach, gab ihr Mann den Plan auf, mit ihr nach Cambridge zu ziehen, da er gemerkt hat, dass sie sich nicht von ihrer Heimat und von ihrer merkwürdigen Familie lösen kann. Doch so ganz hat er Cambridge in Gedanken nie aufgegeben …

Zur gleichen Zeit, als Connie die tote Frau entdeckt, befindet sich Simon in den Flitterwochen. Kurzerhand hat er Charlie geheiratet – nur in Anwesenheit ihrer zwei Trauzeugen, nämlich ihrer Schwester Olivia und seinem Freund Chris Gibbs. Als die Flitterwöchner zu ihrem geheimen Reiseziel gestartet sind, trinken die beiden Trauzeugen noch einige Drinks zusammen und landen schließlich – obwohl verheiratet bzw. in einer festen Beziehung lebend – zusammen im Bett. Als Charlie das hört, ist sie entsetzt. Sie fühlt sich von ihrer Schwester hintergangen. Doch wieso eigentlich? Ist es Eifersucht, weil ihr frisch angetrauter Ehemann in den Flitterwochen nur ein einziges Mal mit ihr geschlafen hat und keinerlei körperliches Interesse an ihr zu haben scheint? Wir wissen es nicht.

Als Simon schließlich von seinen zwei besten Freunden erfährt, was Connie gesehen hat, bricht er die Flitterwochen ab. In welcher Beziehung Simon und Connie aber zueinanderstehen und wie sie sich kennen gelernt haben? Keine Ahnung.

_Rätsel über Rätsel_

Sophie Hannah stellt zahlreiche Protagonisten vor, die sich untereinander alle zu kennen scheinen. Doch in welcher Verbindung sie zueinanderstehen, bleibt meistens im Dunkeln. Die junge britische Autorin wirft viele Fragen auf und fesselt einen dadurch früh an ihr Buch. Nach etwa 150 Seiten allerdings beginnt sie, einige Dinge aus der Vergangenheit zu erklären. Das bremst die Spannung ziemlich aus, da sie es nicht schafft, die Geschehnisse aus der Vergangenheit so knapp einfließen zu lassen, dass sie den eigentlichen Handlungsfluss ungestört lassen.

Auch Hannahs Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig: Auf S. 25 stellt sie im Schnelldurchgang ihre zwei Hauptfiguren Kit und Connie vor und packt sämtliche Informationen, die zunächst wichtig sind, in einen einzigen Absatz. Der wiederum ist dadurch ein völliger Fremdkörper in der Geschichte. Das hätte man sicherlich geschickter lösen können (und müssen).

Es gibt viele verschiedene Handlungsstränge und dadurch lose Enden, die es zu verbinden gilt. Das Buch hat knapp 500 Seiten, doch leider schafft Sophie Hannah es nicht, sämtliche losen Enden miteinander zu verknüpfen. Viele Fragen bleiben offen, z. B. was Connie und Simon miteinander verbindet, dass er der erste Ansprechpartner für ihre Sorgen ist und er sogar seine Flitterwochen abbricht, um vor Ort zu sein. Und was hat er eigentlich für ein Problem mit seiner Frau? Und wieso nimmt diese ihrer Schwester es dermaßen übel, dass sie mit dem Trauzeugen im Bett landet? Fragen über Fragen, die völlig ungeklärt bleiben.

Immerhin löst Sophie Hannah schlussendlich das Rätsel um das blutige Video auf. Allerdings trägt sie hier recht dick auf. Alles wird schlüssig erklärt, aber dafür sind einige nicht sonderlich glaubwürdige Wendungen erforderlich, die mindestens eine Figur im Roman völlig unauthentisch wirken lassen. Ich finde es ja gut, dass sei eine logische Erklärung anbietet, doch hierfür muss sie ihre Geschichte ziemlich unglaubwürdig zurechtkonstruieren.

_Preiswürdig?_

Die junge britische Autorin Sophie Hannah wurde bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, so ganz nachvollziehen kann ich das nach Lektüre ihres aktuellen Buches allerdings nicht. Der Spannungsbogen ist zwar über weite Strecken gut gelungen, da Sophie Hannah viele Fragen aufwirft, die der Leser natürlich beantwortet haben möchte. Doch übertreibt sie es dabei. Es gibt eigentlich kein Kapitel, in dem sie nicht neue Andeutungen macht, diese aber nicht aufklärt, so verkümmert man praktisch beim Lesen, da man sehr, sehr lange lesen muss, um erste Antworten zu erhalten. Und als am Ende zwar die Frage des blutigen Videos geklärt wird, vieles andere aber völlig offen bleibt, fühlt man sich ziemlich verschaukelt. Wieso um Himmels Willen stellt die Autorin so viele Protagonisten mitsamt ihren Problemen und Lebensgeschichten vor, wenn diese am Ende mit der eigentlichen Handlung rein gar nichts zu tun haben? Und wieso erklärt sie vieles nicht? So ist man am Ende recht unbefriedigt und wünscht sich, ein fähiger Lektor hätte die überflüssigen Handlungsstränge ausgemerzt, damit sich das Buch auf das Wesentliche konzentriert – nämlich die Geschichte von Kit und Connie.

Insgesamt war das Buch durchaus spannend, kann sich aber nicht vom Mittelmaß abheben, da es zu viele handwerkliche Fehler aufweist. Schade.

|Taschenbuch, 495 Seiten
ISBN-13: 978-3-404-16769-2|
http://www.luebbe.de

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