Michael Hardwick – Der Fluch von Baskerville (Sherlock-Holmes-Criminal-Bibliothek Band 1)

Spannend: Cromwell und die Schatten der Revolution

Dr. Watson wandelt auf Freiersfüßen, und Holmes spielt mit dem Gedanken, sich zur Ruhe zu setzen. Doch es gibt einen bizarren neuen Fall: In Hampstead Heath scheint eine reißende Bestie ihr Unwesen zu treiben, die in Holmes Erinnerungen an den berüchtigten Hund von Baskerville weckt … (Verlagsinfo)

Der Autor

Michael Hardwick (1924-1991) wurde mit dem „Sign of the Four“ ausgezeichnet, für Verdienste um das Erbe des unsterblichen Detektivs. Sein Roman „Prisoner of the Devil“ wird von vielen Fans als der beste Holmes-Roman angesehen, der seit Doyles Tod verfasst wurde. Er veröffentlichte auch „The Complete Guide to Sherlock Holmes“, „The Private Life of Sherlock Holmes“,“The Private Life of Dr. Watson“ sowie “Sherlock Holmes: My Life and Crimes“, eine Autobiografie (!) des Helden. Sieben Jahre lang war er der führende Drehbuchautor und Leiter des Bereichs „Drama“ bei der BBC.

Handlung

Man schreibt das erste postviktorianische Jahr 1902. Dr. John Watson hat sich soeben mit der Amerikanerin Coral Atkins verlobt, obschon er bereits im 50. Lebensjahr steht und mit Holmes zusammen in der Baker Street 221B wohnt. Holmes riecht den Braten, zieht aber den falschen Schluss. Er wiederum überrascht seinen Freund mit der Eröffnung, dass er sich zur Ruhe zu setzen gedenke. Das verblüfft den guten Doktor.

Der Hund vom Hampstead

Es ist schon sehr spät, doch Mrs. Hudson meldet noch einen Besucher: Inspektor Lestrade vom Yard! Der berichtet, eine Bestie habe in Hampstead Heath einen der Obdachlosen angefallen. Er sei gerade noch mit dem Leben davongekommen, weil ein Polizist ihn entdeckte. Die Zeugenaussagen und die Pfotenspuren lassen aber nur einen Schluss zu: Ein sehr großer Hund hat zugeschlagen. Natürlich erinnern sich sämtliche Sensationsblätter an den von Watson so wirkungsvoll geschilderten Fall der Bestie von Baskerville. Holmes weigert sich, auch nur einen Gedanken auf diesen absurden Verdacht zu verschwenden. Das Opfer, der Landstreicher, verschwindet am nächsten Tag spurlos.

Funny bones

Holmes ist benachrichtigt worden, wann die Ausgrabungsarbeiten am Tyburn-Galgenhügel beginnen würden und zugänglich wären. Mit Watson macht er sich auf den Weg, doch diesen graust es angesichts der Haufen von Knochen, die die Helfer von Direktor Garhide ausgebuddelt haben. Ein wahrhaftiger Lord beobachtet die Szene. Es ist Watson, den Holmes‘ Erzählung von Cromwells unrühmlichem Ende auf die richtige Idee bringt: 1660 bestattet, wurde Cromwell im Januar 1661 exhumiert und zusammen mit seinen Mitverschwörern gegen den König aufgeknüpft und anschließend geköpft.

Tatsächlich – das sind sie! Drei der nicht gerade seltenen kopflosen Skelette sind vom Henker so zugerichtet worden, dass die Spuren seiner Tätigkeit eindeutig sind. Sogar Cromwells Kampfsäbel ist noch vorhanden. Zwar gestattet die Polizei nicht, irgendwelche Gegenstände mitzunehmen, aber Garhide ist zuversichtlich, die Erlaubnis zu erhalten, die Funde für sein geplantes London-Museum zu erhalten. Doch er soll täuschen: Cromwells Überreste verschwinden spurlos …

Mann über Bord!

Dr. Watson hat sich auf Bitte der Familie Carfax auf die Suche nach der verschwundenen Lady Frances Carfax (siehe deren von ihm beschriebenen Fall) gemacht, doch ist er in ganz Frankreich und der Schweiz nicht fündig geworden. In Paris rettet ihn ein – wieder mal – verkleideter Sherlock Holmes vor Räubern, und zusammen schippern sie mit der Fähre von Dieppe nach Dover. Sie unterhalten sich gerade über Zukunftspläne, als ein Ruf ertönt: „Mann über Bord!“ Wie elektrisiert springen unsere beiden wackeren Helden auf, um zu sehen, was passiert ist.

Es ist der chinesische Steward, der gerade noch das Geschirr der Passagiere wegräumte, der von einem hilfsbereiten Matrosen aus dem Ärmelkanal gefischt wird, und der Offizier Peter Anderson, der ihn wiederzuleben versucht – doch der Steward haucht sein Leben aus. Wegen eines perfiden Messerstichs, teilt Sherlock Holmes dem perplexen Kapitän in dessen Kabine mit. Der Kapitän überzeugt sich selbst, dass an Bord seines Schiffes ein brutaler Mord geschehen ist. Nur Holmes‘ eindringlichem Zureden ist es zu verdanken, dass die Polizei, die der Kapitän rufen will, nicht tagelang an Bord zwecks Verhör festgehalten wird. Und sogar der Mörder darf das Schiff verlassen.

Im Zwielicht

Dies wiederum will der Polizeichef des Landkreises East Sussex schwerlich verstehen. Superintendent White Mason, dem Holmes in dem Fall „Das Tal der Angst“ einen großen Dienst erwiesen hat, erinnert sich gut an den Meisterdetektiv. Holmes erklärt (nicht zuletzt zu Watsons Verblüffung), wie es ihm gelungen ist, den Mörder zu identifizieren. Und dennoch soll man ihn laufen lassen?! Aber ja, fleht Holmes, denn Anderson führe sie direkt zu seinen Auftraggebern. Die sich hoffentlich bald in London finden lassen werden, hofft Mason – und fragt sich, auf welcher Seite Holmes eigentlich steht: auf der der Anarchisten und Umstürzler oder auf der derjenigen, die das monarchistische System stützen.

Die Gelbe Gefahr

In der Tat redet Holmes zu Watson auf der Zugfahrt nach Hause von Revolution. Da der designierte König wegen einer Erkrankung noch nicht gekrönt werden konnte, befindet sich das Empire rechtlich gesehen in einer Art Herrschafts- und Legitimationsvakuum. Das wollen sich zahlreiche Kräfte zunutze machen. Man denke nur an die Anschlagsserie der irischen Fenian Brotherhood im Jahr 1885. Und zurzeit finden alle naslange Übergriffe gegen Chinesen wie auf der Fähre statt, wegen einer eingebildeten „Gelben Gefahr“. Deshalb hat der designierte König Holmes gebeten, einen gewissen Brief, den er einer jungen Dame schrieb, als er noch Kronprinz war, wiederzubeschaffen.

Enthauptet

Als der Zug am Bahnhof eintrifft, herrscht dort Aufruhr. Unschwer können Holmes‘ scharfe Augen Mitglieder des Special Branch, des Geheimdienstes Seiner Majestät, ausmachen, allen voran Gregson, mit dem er schon häufig zusammengearbeitet hat. Watson sieht auch die Ursache des Aufruhrs: Der abgeschlagene Kopf der Statue von König Charles II liegt auf dem Boden. Er hegt zwar keine Sympathien für den enthaupteten König Charles I, doch der Akt selbst ist alarmierend. Was wird als Nächstes geschehen? Gregson hat bereits eine Gruppe in Verdacht.

Eine heikle Mission

Holmes will im East End nach dem untergetauchten Anderson suchen, hat also keine Zeit für die Wiederbeschaffung des königlichen Briefes. Weil er weiß, dass der gute Doktor ein Händchen für das schöne Geschlecht hat, betraut er ihn mit dieser Mission. Watson sieht ein, dass es sein muss. Doch er hätte nie erwartet, dass er im tiefsten Sussex auf die Spuren der sich zusammenbrauenden Revolution stoßen würde …

Mein Eindruck

Nun ist Sherlock Holmes also auf den Hund gekommen, wie es scheint. Warum sonst sollte er Hundegeheul in Hampstead Heath nachgehen und Watson veranlassen, sich im feuchten Gras und Farn zu wälzen? Ist der Meisterdetektiv neuerdings von Sinnen? Watson hatte diesen Verdacht ja schon hin und wieder geäußert, doch diesmal kommen uns selbst ernsthafte Zweifel. Und dabei bleibt es nicht: Holmes geht Watson an die Gurgel!

Der kenntnisreiche Autor Hardwick war bis zu seinem Tod als einer der besten Kenner des Meisterdetektivs bekannt. Er schrieb nicht nur Bücher über das Privatleben von Holmes und Watson, sondern auch den Roman „The Prisoner of the Devil“, auf den unsere Helden mehrfach Bezug nehmen. Auch so ziemlich jede andere Holmes-Story, die je veröffentlicht wurde, wird als Referenz angegeben. Der Leser ahnt: Hier wandelt er auf solidem Fiktionsboden.

Deshalb darf man auch darauf vertrauen, dass Holmes‘ Ausraster einen guten, vernünftigen Grund haben. Allerdings dauert es eine ganze Weile, bis dieser Grund verraten und in einen größeren Zusammenhang gestellt wird. So kommt es, dass sich Holmes und Watson einer revolutionären Untergrundbewegung anschließen, im East End Agenten der Regierung antreffen, deutsche Spione jagen und einen veritablen Lord des Umsturzes anklagen.

Eine Lady zwischen Fronten

In all diesem Trubel hat Watson noch Zeit, sich um die heikle Angelegenheit mit dem königlichen Brief zu kümmern (von seiner Verlobten ganz zu schweigen). Mrs. Lavinia Glanvill bewohnt in Sussex die noble Hütte eines Wirtschaftsmagnaten, der vielfach in den Vereinigten Staaten unterwegs ist, der kommenden Supermacht.

Kaum hat Watson ihr die Bitte des Königs übergeben, als unverhofft Lord Belmont auftaucht. Ja, eben jener Lord Belmont, der der Ausgrabung von Oliver Cromwells Gebeinen am Tyburn Hill nahe Marble Arch so wortlos beiwohnte. Er stellt Watson zur Rede, überschüttet ihn mit Verdächtigungen und wird allgemein ausfallend – bis Lavinia einen Tisch anstößt und das Geschirr umstößt. Watson kann die Bitte des Lords um Übernachtung nicht abschlagen, und so findet er Gelegenheit, sich in dem herrschaftlichen Landsitz lauschermäßig umzusehen. Was er findet, lässt ihn nicht nur um Lavinia fürchten, sondern auch um die nationale Sicherheit …

Wölfe im Friedhof

Der Roman ist reich an symbolträchtigen Bildern, aber keines reicht an das Finale heran, das auf dem höchstgelegenen und (anno 1902) jüngsten Friedhof Londons stattfindet: Highgate. Hier gibt es „Tal der Könige“, als befände man sich in Ägypten. Die Grüfte dort haben die Ausmaße von Tempeln. Hier versammelt sich der Mob der Umstürzler. Und der ersehnte Frieden der Toten wird empfindlich gestört vom Hund von Hampstead Heath, der, wie sich nun zeigt, ein gewöhnlicher Wolf ist. Oder doch kein so gewöhnlicher, denn sein Frauchen ist eine Dame von ganz besonderen Fähigkeiten …

Wenn Wölfe und Marxisten den Frieden des noblen Ortes der Toten stören, so ist offensichtlich etwas um Königreich stark aus dem Gleichgewicht geraten. Doch die angeheuerten Aufrührer sind lediglich der Mob, der vom Kopf der Bande benutzt wird, um seine Ziele zu verfolgen (und er ist selbst verführt worden): ein Adeliger, dessen Namen der Leser nicht lange suchen muss. Wenn sich der Adel gegen die Monarchie wendet und den Kommunismus einführen will, dann ist wirklich höchste Eisenbahn – Gregson, an die Arbeit!

Die Übersetzung

Ralph Sander hat sich durch zahlreiche Übersetzungen für den Lübbe und den Heyne-Verlag als kompetenter Arbeiter in Sachen Übersetzung erwiesen. Auch hier erledigt er einen zufriedenstellenden Job. Allerdings zeigt sich, dass ihm die Neue Rechtschreibung und der Korrektor immer wieder ein Bein gestellt haben.

Auf Seite 42 heißt es statt „greulich“ auf einmal „gräulich“, was wohl eher ein Farbton ist.

Auf Seite 51 soll eigentlich das 6. Kapitel beginnen. Stattdessen finden wir hier die Bezeichnung „16. Kapitel“. Das ging aber schnell!

Auf Seite 62 stolperte der Übersetzer über seine eigene Satzkonstruktion, als er den Satz “ …bis wir uns umzogen, was wir es rituell ( … )machten.“ Was darf’s denn nun sein? Vielleicht sollte man einfach das Wörtchen „was“ durch „wie“ ersetzen, dann wird ein Schuh draus.

Auf Seite 80 ist die Rede von Shakespeares Königsdrama „Heinrich IV“, in dem Bardolph und der junge Prinz Hal (= Henry) vorkommen sollen. Tatsächlich trifft dies nur auf „Henry V“ zu. Es handelt sich also um einen Sachfehler, der sich per Wikipedia leicht hätte überprüfen lassen.

Auf der gleichen Seite findet sich der Satz: „Wollen Sie damit sagen, dass Sie im Palast warst?“ Dieser Fall ist klar, Herr Kommissar.

S. 165: „Ich bliebt“ statt „blieb“.

S. 179: „Sie gehen weitaus mysteriösen Tätigkeiten nach als ich.“ Das Wörtchen „weitaus“ zieht den Komparativ zwingend nach sich, also muss es „mysteriöseren Tätigkeiten“ heißen. Macht ja auch Sinn.

S. 227: „hinter dem Leichenwagens“: ein weiterer Fall von Flüchtigkeitsfehler.

Dies alles wirkt nur wie Pippifax im Vergleich zu jenem permanent auftauchenden Druckfehler, mit dem der Apostroph [‚] durch ein abschließendes französisches Anführungszeichen [«] ersetzt wurde. Dieser eine Fehler führt, wie man sich vorstellen kann, zu etlichen bizarren Entstellungen, so etwa dann, wenn im Englischen der sächsische Genitiv verwendet wird: „St. Paul’s Cathedral“ wird unversehens zu „St. Paul«s Cathedral“.

Noch schlimmer wirkt sich der Druckfehler im Französischen aus. Bekanntlich wimmelt das Französische vor Kontraktionen wie „C’est la vie“. Im Buch trifft es etwa auf S. 157 die schöne Phrase „l’heure de l’apéritif“ (= die Stunde des Eröffnungstrunks). Sie wird entstellt zu: „l«heure de l«apéritif“. Es gibt unzählige weitere solche Stellen. Ein Ärgernis erster Ordnung, der wohl auf das Konto des Lektorats von TTT auf Mallorca geht. Mir ist völlig schleierhaft, warum dieser Fehler nicht vor Drucklegung entdeckt und ausgemerzt wurde.

Unterm Strich

Die interessante und sehr schön aufgebaute Geschichte einer verzweigten Ermittlung führt über spannende, actionreiche und sogar romantische Szenen zu einem packenden Finale, in dem Holmes und Watson den Rädelsführern des Gegners gegenüberstehen und ihnen das Handwerk legen. Über die Aussage der Geschichte habe ich mich oben ausgelassen.

Natürlich ist der Aufhänger des Buches, wie die Übersetzung suggeriert, das erneute Auftreten eines bissigen Geisterhundes. Doch er gibt nur das Symbol für eine weitaus ernstere Gefahr ab: den Umsturz des monarchistischen Systems. Die Verweise auf Oliver Cromwell, den Mörder des Königs Charles I, sind Legion. Aber zum Glück muss man das Wissen darüber nicht mitbringen: Alles wird vom Autor im Gepäck der Figuren mitgeliefert, so dass man die Handlung genießen kann.

Der Autor macht sich einen Spaß daraus, möglichst viele von Watsons sogenannten Chroniken zu zitieren (mitunter in Fußnoten). Merke: Der Autor kennt sich aus – und macht sogar Eigenwerbung. Vielleicht ist das für den einen oder anderen Leser etwas zuviel des Marketings. Wer jedoch gütig darüber hinwegsieht, wird mit einer Handlung belohnt, die an skurrilen und bizarren Szenen nicht geizt und in einem bizarren Finale gipfelt.

Wenn der deutsche Verlag das Schriftbild nicht durch einen permanenten Druckfehler verhunzt hätte und die Übersetzung auf Fehler abgeklopft hätte, wäre mein Vergnügen sicherlich ungeschmälert gewesen.

Taschenbuch: 270 Seiten,
Aus dem Englischen von Ralph Sander,
Illustriert von Andreas Gerdes
ISBN-13: 978-3898402118

http://www.blitz-verlag.de

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Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

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[„Der Fluch von Baskerville“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4904
[„Holmes und die Spionin“ (Sherlock-Holmes-Criminal-Bibliothek 3)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6146