„Haben die Lämmer aufgehört zu schreien?“, fragte Dr. Hannibal Lecter die noch junge FBI-Schülerin Clarice Starling in dem 1991 verfilmten Roman [„Das Schweigen der Lämmer“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=354 von Thomas Harris.
Mit dem Film entstand rund um den intelligenten, charismatischen und grausamen Dr. Hannibal Lecter ein neues Genre. Nicht nur der Film wurde hoch gelobt und bekam wohlverdient als bester Film mehrere Oscars, auch der Schöpfer dieses jetzt größten Filmschurken verdiente das große Lob seiner Romane.
Die Verfilmungen der Thrilleradaptionen „Roter Drache“ und „Hannibal“ konnten an den Erfolg anschließen und haben einen hohen Maßstab gesetzt, literarisch wie auch cineastisch. Nach „Hannibal“ allerdings hatte der Darsteller des Kannibalen Dr. Lecter – Sir Anthony Hopkins – genug von dieser „wahnsinnigen“ Figur, mit der er auf immer identifiziert werden sollte.
Thomas Harris hat sich mit seinem Roman „Hannibal Rising“ viel Zeit gelassen und geht wie so mancher Autor vor ihm den Weg zurück. Viele Autoren bedienen sich Sequels/Prequels, um an ihren Erfolg anzuknüpfen, und da Anthony Hopkins wie gesagt nicht mehr bereit ist, Dr. Lecter zu spielen, lag es nahe dem interessierten Leser und Zuschauer zu erklären, wie es dazu kam, dass ein hoch gebildeter Doktor der Psychologie solchen Wahnsinn an den Tag legt. Welche Einflüsse und Erlebnisse in jungen Jahren haben Hannibal zu dem Serienmörder gemacht, der er ist – ob nun wirklich böse oder nicht, lassen wir erstmal dahingestellt. Haben wir uns diese Frage nicht immer schon gestellt?
„Hannibal Rising“ von Thomas Harris erschienen Ende 2006 im Verlag |Hoffmann und Campe| und gibt den Lesern Antworten auf die Fragen „Warum“ und „Weshalb“.
_ Die Geschichte_
Litauen 1941: Der achtjährige Hannibal Lecter, Sohn eines Grafen, seine Mutter ist italienischer Abstammung, lebt zusammen mit seiner jüngeren Schwester Mischa auf Burg Lecter. Seit fünf Jahrhunderten ist diese im Besitz der Grafschaft Lecter.
Die Eltern erkennen schon die besondere Intelligenz an dem immer höflichen und interessierten Jungen und fördern seinen unersättlichen Wissensdurst mit Hilfe eines Privatlehrers, zu dem Hannibal bald eine tiefe Freundschaft entwickelt.
Um der immer näher rückenden Front zu entkommen, entschließt sich Graf Lecter mitsamt seiner Familie und dem Lehrer dazu, Zuflucht in ihrem Jagdhaus zu suchen. Doch die Ausläufer des schrecklichen Zweiten Weltkriegs finden auch zufällig dieses letzte Versteck, und bei einem Bombenangriff werden die Eltern sowie der Lehrer getötet. Hannibal und seine kleine Schwester überleben das Inferno und sind nun auf sich allein gestellt.
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges finden einige Deserteure und Söldner, die sich als Rot-Kreuz-Helfer tarnen, das kleine Jagdhaus und somit auch Hannibal und Mischa. In der nächsten Zeit wird durch die Grausamkeiten, die Hannibal erlebt, der erste Grundstein seines späteren Verhaltens gesetzt. Beide werden krank, hungern und werden an die Kette gelegt wie wilde Tiere in einem Gefängnis.
Die Deserteure sind unterernährt, erkranken wie die beiden Kinder selbst auch und suchen verzweifelt nach etwas Essbarem. Schließlich muss Hannibal mit ansehen, wie seine Schwester Mischa vor seinen Augen mit einer Axt getötet und ihre kleine Leiche verspeist wird. Dieser Moment, dieses Erlebnis entfacht ihn ihm den Drang nach Rache. Zudem traumatisiert ihn dieses Erlebnis für Jahre, und er verschließt sich unbewusst diesem grausamen Trauma.
Später wird der verletzte und ausgehungerte Hannibal nahe dem Jagdhaus gefunden. Er spricht nicht mehr, ist verstört und kommt in ein Waisenhaus. Inzwischen ist er dreizehn Jahre alt. In der Nacht wird Hannibal immer wieder von Alpträumen geplagt und immer schreit er in der Dunkelheit den Namen seiner Schwester: Mischa, Mischa …! Er durchlebt wieder und wieder die schrecklichen Erlebnisse, ohne sich allerdings bis zuletzt daran erinnern zu können. Tagsüber aber wehrt sich der Jugendliche Hannibal gegen die Geister der Vergangenheit.
Hannibals Onkel, der Bruder seines Vaters, und seine schöne und kultivierte japanische Frau Lady Murasaki nehmen Hannibal in ihre Familie auf und Frankreich wird die nächste Station in seinem noch jungen Leben. Hannibal baut eine tiefe und innige Zuneigung für die schöne und gebildete Lady Murasaki auf, die sich hingebungsvoll seiner annimmt und ihn vieles lehrt. Hannibal entwickelt sich schon hier zu einem interessierten, höflichen jungen Mann. Doch der Schein trügt, sein Temperament ist hitzig, und doch strahlt seine ganze Person kein Gefühl aus.
Als nach dem Tod seines Onkels Lady Murasaki tief beleidigt wird, offenbart sich das Wesen Hannibals langsam. Kalt und berechnend fordert er den Mann auf, sich schriftlich bei Lady Murasaki zu entschuldigen. Dieser nimmt Hannibal nicht ernst und wird zum ersten Opfer des späteren Serienmörders.
Hannibal, ein schulisches Genie, überspringt ein paar Klassen und beginnt interessiert sein Medizinstudium. Besonders bewandert und talentiert ist Hannibal in der Anatomie. Durch einen Zufall kommt er an eine Wahrheitsdroge und durch deren Gebrauch erinnert er sich an den grausamen Mord an seiner Schwester Mischa.
Hannibal sinnt auf Rache; brutal und berechnend sucht er die Männer auf, die sein Leben für immer geprägt haben …
_Kritik_
Der Gedanke, „Hannibal Lecter“ erklären zu wollen, ist ein logisch schlüssiger Ansatz des Autors Thomas Harris. Ganz klar interessiert sich der Leser der vorherigen Romane und Zuschauer der Verfilmungen für die Wurzeln des Bösen Hannibals.
Hannibals schreckliche und grausame Kindheit wird dem Leser in fast schon epischer Breite erzählt, allerdings zunächst ohne darauf hinzuweisen, was seiner kleinen Schwester widerfahren ist. Stilistisch interpretiert Thomas Harris Hannibal natürlich ganz anders als in den drei bisherigen Romanen („Das Schweigen der Lämmer“, „Roter Drache“ und „Hannibal“). Hannibal wird hier zumeist als Opfer gezeigt, nicht als unberechenbares Monster wie in den Büchern zuvor.
Besonders gut gefallen hat mir genau dieser erster Teil des Romans; auch wenn Kindheit und Jugend Hannibal Lecters nicht den Spannungsbogen dieses Romans beherbergen. Er wird als liebenswürdiger und menschlicher Charakter dargestellt. Erst im Waisenhaus zeigt sich in Momentaufnahmen sein aggressives, unberechenbares Verhalten, wenn aus dem stillen und interessierten Jungen auf einmal ein kalter und grausamer Charakter wird, sobald er Unrecht und Unhöflichkeit empfindet.
Die Rache an den Mördern seiner Schwester wird von Thomas Harris fast schon zu nüchtern erzählt, und zuletzt konzentriert sich der Autor, so empfand ich es bei der Lektüre, nur auf diesen Handlungsstrang.
Zwar entwickelt sich zwischen Lady Murasaki und Hannibal eine platonische Liebe, die aber nicht weiter ausgeführt wird. Genauso habe ich es vermisst, die menschliche Seite an Hannibal hervorzuheben; bruchstückhaft wird dies zwar versucht, aber nicht zu Ende geführt. Mich hätte auch das Alltagsleben interessiert, nicht nur die Morde, die er erwarteterweise ausführt.
Ich habe lange auf diesen Roman gewartet, denn die Romane von Harris mit der Figur des Dr. Hannibal Lecter haben mich immer schon fasziniert, zumal Hannibal in den Verfilmungen oftmals zu Unrecht nur als „böses Monstrum“ gezeigt wird. Einzig und allein die Romane zeigen den Mörder auch von seiner menschlichen Seite, nicht nur als Wahnsinnigen, der des Spaßes wegen tötet. Im Gegenteil – Hannibal Lecter hat seine ganze eigene Welt, seinen eigenen Gedankenpalast, und Unhöflichkeit kann dieser kultivierte, intelligente Mann in seinen Maßstäben nicht durchgehen lassen. Dass er dabei die Morde nicht als etwas Böses ansieht, ist für den Zuschauen nicht zu begreifen.
Der Roman „Hannibal Rising“ ist unterhaltsam, aber meine Erwartungen hat er leider nicht erfüllen können. Weniger Morde, dafür mehr Erklärungen wären sinniger gewesen. Leider endet der Roman damit, dass er sein Medizinstudium abschließt und als Assistenzarzt in Baltimore anfängt. Dem Leser bleibt leider verborgen, was zwischen seinem Medizinstudium und den Anfängen von „Roter Drache“ passiert. Mich hätte sehr interessiert zu erfahren, wie sich der Charakter von Hannibal weiterentwickelt.
Ich kann den Roman bedingt empfehlen, und vielleicht hat dieser auch sein Ziel bereits damit erreicht, neugierig auf die Verfilmung zu machen, die Mitte Februar in den deutschen Kinos anlaufen wird. Jedenfalls hat er das bei mir bewirkt.
Thomas Harris hat für einen weiteren Roman unterschrieben; hoffentlich findet der Autor dann die Brücke zwischen den einzelnen Bänden.
_Autor_
Der Autor Thomas Harris wurde 1940 in Jackson, Tennessee geboren. Kurz nach dem Studium entschloss er sich einige Zeit in Europa zu verbringen 1968 wurde er als Reporter in New York tätig. Erst 1975 erschien sein Erstlingswerk „Schwarzer Sonntag“ dem die Hannibal Lecter Romane folgen sollten.
|Bibliographie|
1. Schwarzer Sonntag
2. Roter Drache
3. Das Schweigen der Lämmer
4. Hannibal
5. Hannibal Rising
Alle Romane sind verfilmt worden. Bis auf „Schwarzer Sonntag“ handelt es sich bei allen anderen um Hannibal-Lecter-Romane.
http://www.hoffmann-und-campe.de
http://www.thomasharris.com