Harrison. Colin – Im Schlund des Drachen

„New York, New York“ sang Frank Sinatra einst und der Big Apple hat uns bis heute nicht losgelassen. In seinem Thriller „Im Schlund des Drachen“ nimmt Colin Harrison den geneigten Leser mit auf eine Reise durch die Stadt, die niemals schläft …

Die Chinesin Jin Li leitet in New York die Reinigungs- und Aktenvernichterfirma ihres großen Bruders Chen. Der wiederum nutzt diese auch zu unlauteren Zwecken: Industriespionage. Einige der Akten, die eigentlich nicht für fremde Augen bestimmt sind, werden von Jin Li abgeschöpft und analysiert, um ihrem Bruder Insidertipps für den Aktienhandel nach China zu schicken.

Doch eines Tages kommt man ihr auf die Schliche. Als sie mit zwei Mitarbeiterinnen der Firma abends unterwegs ist, werden die beiden Mexikanerinnen brutal umgebracht. Jin Li kann fliehen, doch sie glaubt, dass der Anschlag ihr gegolten hat und informiert ihren Bruder. Chen kommt sofort nach Amerika, aber nicht um seine Schwester zu schützen, sondern um seine eigene Haut zu retten. Er findet heraus, dass der Ex-Feuerwehrmann Ray Grant in Jin Lis Leben eine große Rolle gespielt hat und zwingt ihn nach seiner Schwester zu suchen. Doch das erweist sich als alles andere als einfach und fordert noch mehr Menschenleben in einem eng verwobenen Geflecht aus finsteren Machenschaften und Gefälligkeiten …

„Im Schlund des Drachen“ weiß eigentlich nicht so genau, was für ein Buch es sein möchte. Ein Thriller oder doch eher eine belletristische Diashow von New York? Harrison versucht beides zu vermengen. Er scheitert nicht daran, aber er wird dem Ganzen auch nicht wirklich gerecht. Das Problem ist, dass die Abschnitte, die er der Beschreibung der Lebenszustände von Arm und Reich in New York widmet, häufig recht lang sind und die Handlung unterbrechen. Davon abgesehen bieten sie teilweise nichts Neues. Man kennt diese Sachen schon aus Filmen oder Büchern, selbst wenn man die Stadt noch nicht besucht hat.

Die Thrillerhandlung wird dadurch in die Länge gezogen. Dadurch, dass die Geschichte außerdem aus der Perspektive mehrerer Personen erzählt wird, fällt es schwer, einen konsistenten Handlungsstrang auszumachen. Man kann natürlich einwenden, dass Harrison die Geschichte einfach in ihrer ganzen Breite darstellen wollte, aber Jin Lis Flucht, Rays Suche, die Aktienprobleme eines alten Mannes, die Ermittlungen von Rays Vater, der Amerikabesuch von Chen und die Probleme einer Führungskraft eines Pharmakonzerns – das ist ein bisschen viel. Es macht die Handlung anschaulich, aber leider zerfällt sie dadurch auch stark, was zu Lasten der Spannung geht.

Die Personen werden trotz ihrer Vielzahl gut eingeführt und Harrison stellt ihre Gedanken, Gefühle und Handlungen sehr ausführlich dar. Für einen kurzen Moment ist man ihnen ganz nahe und lernt sie gut kennen. Auch wenn der Autor eine gewisse Distanz zu den Figuren aufrecht erhält, sind sie es, die das Buch lesenswert machen. Ihre Originalität äußert sich vor allem durch große charakterliche Tiefe und eine sehr authentische Darstellungsweise, die Harrison packend und mit genau den richtigen Worten untermalt.

Überhaupt hat Harrison ein Händchen für die richtigen Worte. Sein Schreibstil ist flüssig und treffsicher. Das Besondere ist seine Art, die Stadt zu beschreiben. Hier holt er häufig weit aus und wird manchmal fast ein bisschen poetisch, wie ein außenstehender Beobachter, der nicht viel damit zu tun hat, sich aber hinein fühlen kann. Die Handlungselemente, in denen es um den eigentlichen „Fall“ geht, sind hingegen knapper gehalten, was aber nicht unbedingt schlechter bedeutet. Auch sie sind sehr gut geschrieben und wären sicherlich zu einem herausragenden Thriller verschmolzen, wenn Harrison die Handlung etwas kompakter dargestellt hätte.

Dadurch ist „Im Schlund des Drachen“ nicht unbedingt der spannendste Thriller, aber er ist doch recht gut gelungen. Der Schreibstil und die Personen zeigen, was Harrison drauf hat und wieso seine anderen Bücher so hoch gelobt werden.

|Originaltitel: The Finder
Aus dem Amerikanischen von Anke und Eberhard Kreutzer
445 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3426198674|

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