Harrison, M. John – Centauri-Maschine, Die

In ferner Zukunft hat die Menschheit bei ihrer Expansion in das All viel Schuld auf sich geladen und eine Spur der Zerstörung hinterlassen. So wurde die Rasse der Centaurier nahezu vollständig ausgerottet. Die Ursachen und Motive sind weitgehend vergessen, die zerstörte Heimatwelt der Centaurier ist die einzige Erinnerung an diese Zeit.

Doch tief unter der Oberfläche des toten Planeten entdeckt man in einem Bunker eine „Maschine“ der Centaurier. Bei dieser scheint es sich um eine Waffe unglaublicher Schlagkraft zu handeln. Alle rätseln, warum die Centaurier sie nicht eingesetzt haben, doch schon bald streiten sich vier Machtblöcke um die Maschine: Die Israelische Weltregierung (IWG) vertreten durch Generalin Alice Gaw, die Vereinigung Arabischer Sozialistischer Republiken (UASR) durch Colonel Gadaffi ben Barka, ein gewisser Grishkin von der religiösen Sekte der so genannten „Öffner“ und der Drogenkönig Veronica.

Nicht hinter der Maschine ist man jedoch her, vielmehr hinter Raumcaptain John Truck. Truck ist mütterlicherseits ein halber Centaurier, der letzte bekannte lebende Mischling. Ohne seine centaurischen Gene kann man die Maschine nicht aktivieren.

Doch Truck möchte sich nicht vor den Karren irgendeiner Ideologie spannen lassen und verweigert sich. Auf der Flucht durch heruntergekommene und abgelegene Lokalitäten werden seine Freunde nach und nach getötet, es gelingt ihm jedoch, die Maschine an sich zu bringen.

„Die Centauri-Maschine“ von M. John Harrison (* 1945, Nordengland) ist einer der umstrittensten Romane der Siebzigerjahre, damals wie heute schlug dem Roman viel Unmut und Feindseligkeit entgegen. Seine Aufnahme in die Reihe der Meisterwerke der Science-Fiction verdankt er somit wohl auch eher der negativen Resonanz, mit keiner Auszeichnung kann er sich schmücken.

Einer der Gründe für die vor allem in den Siebzigern ablehnende Haltung war sicher, dass der Konflikt zwischen Israelis und Arabern, aber auch der Holocaust (Ausrottung der Centaurier) in die Zukunft verlagert wurden. Die klischeehafte Zeichnung der Figuren trug ebenfalls dazu bei: Gadaffi ben Barka ist das Paradebild des bösen Arabers mit blitzend weißen Zähnen und einem schwarzen, verotteten, den er bei jedem fiesen Grinsen zeigt. Eine ganze Flut von rassistischen Vorurteilen und Klischees muss auch Alice Gaw über sich ergehen lassen, eine hässliche Frau, die den amerikanischen Kapitalismus verkörpert.

Dass es geradezu lächerlich ist, Kommunismus und Islam in dieser Form miteinander zu vereinen, sollte klar sein. Denn Harrison überzeichnet bewusst, weist mehrfach darauf hin, dass weder IWG noch UASR überhaupt noch wissen, warum sie sich bekämpfen. Auch ist an Alice Gaw nicht viel Jüdisches, außer einer an den israelischen General Mosche Dajan erinnernden Augenklappe. Sie steht für eine autoritäre, kapitalistische Demokratie und maßt sich an, die IWG als Wächter der Freiheit und Demokratie der ganzen Galaxis zu sehen. Ben Barka ist ein pragmatischer Kommunist stalinistischer Prägung extremster ideologischer Härte, allerdings fehlt jeglicher arabischer Fundamentalismus, während Grishkin die zur Karikatur gewordene Rolle der Religion repräsentiert. Die Öffner haben operativ eingearbeitete Plastikfenster im Körper, um ihr Innerstes zu offenbaren, und halten die Centauri-Maschine für ein Behältnis des göttlichen Geistes, mit dem sie Kontakt zu Gott aufnehmen können. Dabei verkommen sie jedoch zur Freakshow. Der kriminelle Drogenbaron Veronica steht für das organisierte Verbrechen, das von den Machtblöcken geduldet und oft instrumentalisiert wird, aber weitgehend nach seinen eigenen Gesetzen lebt.

John Truck wirkt in diesem Chaos verloren und weniger als durchschnittlich, er sieht sich selbst als „Loser“ an, ein Lebensgefühl, das der Roman sehr deutlich ausstrahlt. Zerstörte Gegenden, Ruinen, verkommene Raumhäfen – Harrison offenbart als einer der ersten Science-Fiction-Autoren eine sehr pessimistische und nihilistische Einstellung, die sich erst viel später in den Achtzigerjahren in Cyberpunk-Romanen widerspiegelte.

Anspruchsvoll ist Harrisons Ausflug in die literarische Dekadenz; er setzt dieser verkommenen Welt eine sphärische, übermäßig ästhetisierte Raumstation voller avantgardistischer Randexistenzen gegenüber. Auf seiner Flucht findet sich Truck in dieser unwirklichen Welt voller ekrü getönter Wände, Hokusai-Drucken unglaublicher Feinheit und ätherisch ingwerfarbenen Porzellankrügen wieder. Zusätzlich haben diese Dekadents goldene Raumschiffe, die mit überlegener Technologie und einem intergalaktischen Antrieb ausgestattet sind. Doch leider wissen sie sich dieser nicht zu bedienen, ihr Geheimnis ging mit dem Tod des letzten gestrandeten Aliens verloren. Man konnte nicht ausreichend mit ihm kommunizieren. Mit dem sinnigerweise |Driftwood of Decadence| genannten goldenen Raumschiff zieht Truck los, doch auch dieses letzte Überbleibsel verlorenen Wissens wird zu Klump geschossen. Hier kontrastieren Hedonismus und Luxus mit den vorherrschenden trostlosen Manifestationen des ökonomischen und sozialen Verfalls.

Dieser Verlust der Erinnerung zeichnet auch den Genozid an den Centauriern und andere Konflikte aus: Nur noch rauchende Trümmer und Schlacke erinnern daran, dass etwas geschehen ist. Sinn und Zweck, Ursachen und Gründe sind schon lange hinter Ideologien zurückgetreten. Interessanterweise präsentiert Harrison auch ein entvölkertes, zerstörtes Deutschland auf der Erde, das bar jeglichen Lebens ist und gemieden wird. Warum dies geschehen ist, wird jedoch genauso wenig beantwortet wie der Massenmord an den Centauriern. Genozid und Dekadenz werden als Ausgeburten der menschlichen Natur dargestellt, unausweichlich und eine Tatsache, deren Gräuel wir nicht rational erklären können. Angesichts dieser Tendenzen kann man bereits erahnen, wie dieser Roman enden wird.

_Fazit:_

Ein nachdenklich machender Roman, der jedoch schwer zu lesen ist, gerade wegen der symbolhaften und zweidimensionalen, unrealistischen, klischeehaften Charaktere und der starken Bezüge zur Politik und Situation der Mittsiebzigerjahre. Auch aus heutiger Sicht irritiert diese Projektion realweltlicher Verhältnisse im Roman. Andererseits geht Harrison in positiver Weise über die Grenzen einfach zu konsumierender Science-Fiction und Unterhaltung hinaus.

Der negative, nüchterne Nihilismus des Romans karikiert unsere reale Welt und zeigt ihre Schwächen und die alarmierende Sinnlosigkeit historischer Grausamkeiten. Eine unglaublich dichte Atmosphäre nimmt den Leser dieses Romans gefangen, allerdings ist diese Welt so frustrierend und einseitig negativ, dass man davon erdrückt wird. Der weitgehend zusammenhanglose Plot ist wahrhaft apokalyptisch. Beeindruckend und anspruchsvoll zu lesen, konnte mir dieser Roman dennoch nicht gefallen. Er ist einfach zu dekadent und hoffnungslos, oft zu simplifizierend und von einer ausschließlich negativen Weltsicht geprägt. Wie anders kann man einen Roman nennen, in dessen Epilog über John Truck zu lesen ist: |“Man muss aber ebenso zugeben, dass er das Leben zwar unerfreulich, den Tod aber noch weit unerfreulicher fand. Er verabscheute das Morden und das absichtliche Peinigen, er verabscheute Heuchelei und Frömmelei und die wohlfeilen Lippenbekenntnisse der Ideologen, wenn es um die Linderung menschlichen Elends ging – aber ihm fehlten die Mittel, diesen Abscheu zu artikulieren. Diese redlichste Unredlichkeit kam nur in Bärbeißigkeit, Prahlerei und der dauernden Suche nach kurzzeitigem Vergessen zum Ausdruck.“|

Ein Meisterwerk, das man nur schwerlich lieben kann und dessen Aussage fragwürdig ist. Die Übersetzung vom Hendrik P. und Marianne Linckens hingegen ist ausgezeichnet und wird der Atmosphäre des Romans und dem Stil des Autors mehr als gerecht.

|Mit einem Vorwort von Adam Roberts|

Homepage von M. John Harrison:
http://www.mjohnharrison.com/

http://www.heyne.de

Ergänzend: Unsere [Rezension 907 zum zuletzt bei |Heyne| erschienenen SF-Roman „Licht“.

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