Thorsten Havener – Denken Sie nicht an einen blauen Elefanten

Die Gedanken sind frei – ach ja?

Thorsten Havener hat mit seinem revolutionären Werk „Ich weiß, was du denkst“ nicht nur die Bestseller-Listen gestürmt, sondern vor allem auch die Gemüter erhitzt. Der selbst ernannte Gedankenleser stellte in seinem viel beachteten Buch Thesen und Ideen dar, die sich zunächst einmal nicht widerlegen ließen – und somit auch den New Age-Kosmos im Mainstream-Markt etablierten. Haveners Reputation wuchs schlagartig und nicht bloß infolge seiner immens gesteigerten medialen Präsenz galt er plötzlich als Shootingstar einer ganz neuen, wenig erforschten Branche, die auch in der Folge nach neuen Arbeiten des Autors und Bühnenkünstlers verlangte. Mit „Denken sie nicht an einen blauen Elefanten“ veröffentlicht Havener nun einen weiteren Titel, der sich mit der Macht der Gedanken beschäftigt. Doch kann der Autor hier tatsächlich an den Erfolg seines ersten Werkes anknüpfen?

Nun, zumindest inhaltlich ist die Nachfolgearbeit bei Weitem nicht so beeindruckend wie das schlagartig zündende „Ich weiß, was du denkst“. Wurden dort Theorien aufgestellt, inwiefern die Gedanken anderer Menschen zu durchschauen sind, will der ‚Mentalist‘ nun anhand von vielen praxisnahen Beispielen darstellen, wie oft man sich von seinen Gedanken manipulieren lässt – und inwieweit man selber aktiv beeinflussend und manipulativ darauf einwirken kann, bestimmte Abläufe und als Selbstläufer funktionierende Handlungen nicht mehr als solche durchgehen zu lassen.

Havener vermischt hierbei sehr schön Theorie und Praxis und bemüht sich redlich um einen sehr lockeren Schreibstil, der die verschiedenen Themen und Gedankengänge nicht als Trockenfutter für die Wissenschaft abstufen soll. „Denken Sie nicht an einen blauen Elefanten“ bleibt somit durchweg leichte Kost, angefangen bei den Übungen, in denen man sein eigenes Gehirn zu betrügen versucht, bis hin in den wissenschaftlichen teil, der zwar nicht ganz so dominant ist wie noch in seinem letzten Buch, als Grundlage aber dennoch unabdinglich präsent sein muss, um die Wege und Schritte zu verstehen, die der Körper und der Geist in gewissen Situationen geradezu zwangsläufig einschlagen. So berichtet der Autor, welchen Einfluss kulturelle und historische Einflüsse auf das individuelle Handeln haben, welchen Stellenwert persönliche Erfahrungen und Ängste hierbei einnehmen und wie man all dies auch gezielt einsetzen kann, um Dritte zu beeinflussen und auch ihr durchschaubares Tun zu lenken. Wie verdiene ich als Kellner mehr Trinkgeld? Wie kann meine Körpersprache dazu beitragen, Emotionen bei meinem Gegenüber auszulösen, obschon sie nicht dem entspricht, was mein aktueller emotionaler Zustand preisgeben müsste? Wann bin ich wirklich selbstgesteuert und übernehme nicht feste Schemata, die fast schon indoktriniert worden sind? Und wo kann ich überhaupt Einfluss nehmen?

Die Fragestellungen sind sowohl alltagsbezogen als auch psychologisch relevant, werden aber immerzu in leichter Sprache und nicht allzu starkem Theoriebezug erläutert. Doch komischerweise stellt sich mit jedem weiteren Vordringen in die Materie ein wenig Ernüchterung ein. Sieht man mal voll den stellenweise recht komischen Übungen ab, hat man ab einem gewissen Punkt das Gefühl, Havener würde sich lediglich wiederholen, zwar in einem anderen Zusammenhang, aber in keinem wirklich divergierenden inhaltlichen Kontext. Und wenn schließlich sein Assistent Eingrift und dann doch den Fokus auf die rationale, wissenschaftliche Betrachtung legt, verliert das Ganze irgendwie seinen Reiz, ganz so nach dem Motto: gut zu wissen, aber weiterhin nicht relevant.

Es stellt sich schließlich die Frage, warum es überhaupt wichtig scheint, seinen Gedanken voraus zu sein und sein verhalten ständig zu reflektieren. Die Freizügigkeit geht verloren, der Mensch wird zum Analytiker und schränkt sich in seiner Freiheit nur noch weiter ein – zumindest scheint dies der Fall zu sein, wenn man „Denken sie nicht an einen blauen Elefanten“ als Lehrbuch für den eigenen Verhaltenskodex verwendet. Es mag zwar unterhaltsam sein, sich näher mit manchen Inhalten auseinanderzusetzen und sie am praktischen Beispiel zu erproben. Doch im Vergleich zu den definitiv revolutionären Zügen seines vorangegangenen Bestsellers macht „Denken Sie nicht an einen blauen Elefanten“ eher den Eindruck, als hätte Havener hier gezwungenermaßen schnell nachlegen müssen, um nicht direkt wieder in Vergessenheit zu geraten. Selbst wenn einzelne Passagen lesenswert sind und man ihnen einen höheren Unterhaltungswert nicht streitig machen kann: Irgendwann, und das ist bei einem eh schon recht schmalen Buch wie diesem schon bemerkenswert, ist die Luft einfach raus und der Reiz, mehr zu erfahren, verschwunden. Fans des ersten Buches sollten natürlich trotzdem mal einen Blick riskieren, aber keinesfalls erwarten, dass der Name des Autors und dessen derzeitiges Renommee alleine dafür bürgen können, Großartiges aufgetischt zu bekommen. „Denken Sie nicht an einen blauen Elefanten“ ist nach anfänglichem Optimismus nämlich eher enttäuschend – gerade wegen der hochtrabenden Erwartungen!

Broschiert: 256 Seiten
ISBN-13: 978-3499626098
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