Tanja Heitmann – Morgenrot

Lea ist die typische Heldin eines Liebesromans: Sie ist jung und hübsch, allerdings hoffnungslos introvertiert und buchvernarrt. Da ist es nur logisch, dass sie Literatur studiert und sich auf die deutsche Romantik mit ihren düsteren Schauergeschichten spezialisiert. Ihr Auslandssemester verbringt sie irgendwo im osteuropäischen Ausland, wo es eiskalt ist und sie die Sprache nicht versteht. Sie versumpft völlig in ihrem kleinen Apartment, bis ihr Professor sie zu einem Studienkreis einlädt, wo sie den geheimnisvollen Adam kennenlernt. Lea ist sofort Feuer und Flamme, und offensichtlich hat auch Adam im wahrsten Sinne des Wortes Blut geleckt. Denn Adam ist ein Vampir, und der Dämon, der in ihm wohnt, hat in Lea seine wahre Liebe erkannt. Adam und Lea kommen sich näher, doch die sich anbahnende Romanze wird jäh unterbrochen, als das Haus von Professor Carriere von anderen Vampiren angegriffen wird. Lea kann fliehen; völlig verschreckt bricht sie jedoch den Kontakt zu Adam ab.

Ein paar Jahre später ist Lea zurück in Deutschland und arbeitet mittlerweile als Lektorin. Die Ereignisse rund um Adam haben nur bewirkt, dass sie nun noch zurückgezogener lebt. Würde ihre Busenfreundin Nadine sie nicht von Zeit zu Zeit hinaus in die Welt (oder eine Disko) zerren, wüsste Lea vermutlich nicht einmal, welche Jahreszeit ist. Doch plötzlich ist Adam wieder da und mit ihm die alte Leidenschaft. Die beiden umkreisen sich, stoßen sich ab, wollen, können aber nicht. Die Sache wird dadurch verkompliziert, dass Adam immer noch hinter den Vampiren her ist, die Professor Carriere auf dem Gewissen haben. Und ehe Lea es sich versieht, ist sie mittendrin – zwischen lauter Vampiren, die sich alle an die Kehle wollen.

Wer nach oder während der Lektüre den Lebenslauf der Autorin zur Hand nimmt, wird schnell feststellen: Lea und Tanja haben so einiges gemeinsam. Nicht nur haben beide Literatur studiert, sie haben auch beide ein Faible für die Romantik. Lea arbeitet in einem Verlag, Tanja in einer Literaturagentur. Tanja mag Vampire, Lea trifft auf welche. Da stellt sich beim Leser ein ungutes Bauchgefühl ein, liegt doch die Vermutung nahe, dass die Autorin sich hier einfach in eine romantische Liebesgeschichte hineingeschrieben hat – mit all den Fallgruben, die sich bei solch einem Unterfangen auftun.

Tanja Heitmanns Erstinglingsroman „Morgenrot“ lässt sich schwer in ein Genre einordnen. Die jugendliche Heldin und die Tatsache, dass |Heyne| den Roman offensichtlich so aufgemacht hat, dass er auf der Stephenie-Meyer-Erfolgswelle mitschwimmen kann, lässt einen Jugendstoff vermuten, doch dem ist längst nicht so. Die Liebesgeschichte zwischen Lea und Adam ist keineswegs geradlinig genug, um dem Eskapismus einer romantisch veranlagten jugendlichen Leserin genügen zu können – von den durchaus brutalen Szenen einmal ganz abgesehen. Der Plot hat Ecken und Kanten und gerät vielerorts durchaus düster. Denn im Gegensatz zu Meyers zahnlosem Edward, der die Gefahr immer nur andeutet, aber nie erfüllt, ist Heitmanns Adam tatsächlich ein Raubtier, ein Jäger. Und in dem Moment, als Lea dieses Potenzial in ihm entdeckt, ihn als etwas grundsätzlich Andersartiges, Dämonenhaftes erkennt, flüchtet sie in Todesangst, nur um Jahre später wieder von Adam eingeholt zu werden.

Und so ist „Morgenrot“ natürlich ein Liebesroman, aber auch hier ergibt sich Heitmann nicht kampflos den gängigen Klischees des Genres. Ja, ihr Held ist ein echter Adonis, und ja, die Liebe der beiden Protagonisten ist überlebensgroß. Doch stellenweise gelingt es Heitmann auch, die bekannten Muster des Genres so überdeutlich herauszuarbeiten, dass sie dadurch bloßgestellt werden. So lieben sich Lea und Adam praktisch wider besseres Wissen und teilweise sogar wider ihr eigenes Wollen. Adam muss sich seinem Dämon ergeben, der sich Lea sozusagen als Gefährtin ausgesucht hat. Das führt dazu, dass er Lea mal umschwirrt, mal ignoriert. Damit handelt es sich zwar um die in Liebesromanen so inflationär vorkommende schicksalhafte Liebe, doch ist der Topos bei Heitmann nicht nur positiv besetzt: Schicksal ist hier nicht nur wünschens- und erstrebenswert; im Fall von Adam und Lea erscheint es mehr wie eine Daumenschraube, die einen süßen Schmerz verursacht – manchmal gewollt, aber eben trotzdem schmerzhaft. Allerdings stößt Heitmann bei der Beschreibung dieser widersprüchlichen Gefühle an ihre Grenzen, denn meistens kann man als Leser nicht erkennen, was diese beiden so unterschiedlichen Charaktere zusammenhält. Und so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die beiden ohne einander definitiv besser dran wären.

Trotz dieser durchaus interessanten Ansätze und trotz lesenswerter Passagen überzeugt Heitmanns Debüt nicht auf ganzer Linie. Denn obwohl der Roman mit fast 500 Seiten Schmökerqualität hat, wird man mit den Charakteren nicht warm. Eine letzte Barriere zwischen Lea, Adam und dem Leser bleibt immer bestehen. Ein wirkliches Einfinden in die Gefühlswelten der Protagonisten will nicht so recht gelingen. Lea ist viel zu wankelmütig, will mal dies und dann mal wieder was anderes, als dass der Leser da Schritt halten und ihre Gefühle und Beweggründe nachvollziehen könnte. Und Adam wird von der Autorin bewusst als Enigma gezeichnet, das zu verstehen ja noch nicht einmal Lea gelingt. Selbst Tanja Heitmann streicht bei Adam die Segel. Der Roman ist hauptsächlich aus der Perspektive Leas geschrieben, doch gibt es kurze und vereinzelte Einschübe aus Adams Sicht. Diese wirken jedoch recht hilflos und verloren, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich Heitmann immer in Adams Kopf geflüchtet hat, wenn sie ihren Plot anders nicht mehr voranbringen konnte.

Vielleicht liegt diese ständig vorhandene Distanz zwischen der Romanhandlung und dem Leser auch an Heitmanns Angst vor deutlichen Worten. Sie bedient sich bewusst einer Verschleierungstaktik; nie fallen Ortsnamen, Jahreszahlen oder andere Hinweise, die dem Leser die Orientierung innerhalb der Handlung erleichtern würden. Zwar sind ihre Beschreibungen von Leas Auslandssemester sehr genau und treffend, doch weiß man nie, wo dieser Teil des Romans nun eigentlich spielt (Osteuropa ist schließlich groß – wahrscheinlich handelt es sich um eine russische Stadt). Man gewinnt das Gefühl, dass Heitmann es nicht wagt, sich irgendwie festzulegen, und so fühlt man sich als Leser immer irgendwie zwischen den Stühlen.

Tanja Heitmann zeigt in „Morgenrot“, dass sie das Zeug zur Autorin hat, vor allem, wenn sie es zukünftig schafft, die Distanz zwischen ihren Figuren und ihren Lesern zu überwinden. Sie hat viele gute Ideen in ihr Romandebüt gepackt, auch wenn einigen leider unterwegs die Puste ausgeht. „Morgenrot“ ist definitiv ein Buch für die dunkle und kalte Jahreszeit, gelingt es Heitmann doch meist, die melancholische Stimmung der schwarzen Romantik in einen modernen Romanstoff zu übersetzen.

479 Seiten, gebunden
http://www.tanja-heitmann.de/
http://www.heyne.de