Markus Heitz – Die Zwerge (Lesung)

Zwergenkrieg: episch, mit ironischen Untertönen

Seit ihrer Erschaffung durch den Gott Vraccas bewachen die fünf Stämme der Zwerge das Geborgene Land, wo Menschen, Elben und Zauberer friedlich miteinander leben. Doch als die Festung des Zwergenstammes der Fünften von Orkhorden, Ogern und Alben überrannt wird, ergießt sich ein Strom von hasserfüllten Bestien ins Geborgene Land. Als der Rat der Zauberer von einem Verräter fast vollständig vernichtet wird, hängt das Schicksal der Bewohner des Landes von einem einzigen Zwerg ab, der noch nicht mal weiß, woher er kommt: Tungdil wurde als Kind einem Zauberer in die Obhut gegeben.

Der Autor

Markus Heitz, geboren 1971, studierte Germanistik und Geschichte und arbeitete als Journalist bei der Saarbrücker Zeitung. Sein Aufsehen erregender Debütroman „Schatten über Ulldart“ wurde mit dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichnet. Seit dem Bestseller „Die Zwerge“ gehört Heitz zu den erfolgreichsten deutschen Fantasy-Autoren. Er lebt in Zweibrücken im Saarland. „Die Zwerge“ hat er ebenso fortgesetzt wie das inzwischen mehrbändige Ulldart-Epos.

|Markus Heitz bei Buchwurm.info:|

Interview
„Schatten über Ulldart“ (Die Dunkle Zeit 1)
„Trügerischer Friede“ (Ulldart – Zeit des Neuen 1)
„05:58“ (Shadowrun)
„Die Zwerge“ (Lesung)
„Die Zwerge“
„Die Rache der Zwerge“
„Die dritte Expedition“
„Ritus“
„Sanctum“
Die Legenden der Albae 1

Der Sprecher

Johannes Steck, geboren 1966 in Würzburg, ist Absolvent der Schauspielschule Wien. Von 1990 bis 1996 hatte er Engagements an verschiedenen Theatern. Dem breiten Publikum ist er vor allem aus dem TV bekannt. Er spielte in zahlreichen TV-Serien. Steck arbeitet zudem als Radio-, Fernseh- und Synchronsprecher. Er hat schon diverse Hörbücher gelesen.

Regie führte Margit Osterwold, die Aufnahme fand im Elmsbütteler Tonstudio, Hamburg statt. Das Titelbild entspricht dem der Buchausgabe beim |Piper|-Verlag.

Handlung

Tungdil ist ein friedliiebender, unbescholtener Schmied im Zauberreich Ionandar, als sich sein Leben auf dramatische Weise ändern soll. Er wird zwar von den Lehrlingen und Gesellen des Zaubermeisters Lot-Ionan getriezt, weil er „nur“ ein kleiner Zwerg ist, aber das macht ihm wenig aus, denn er wird von der Magd Frala und ihren zwei Töchtern ebenso geliebt wie von seinem Ziehvater, und das ist der Zauberer Lot-Ionan höchstpersönlich. Sie alle sind vom Menschenvolk, doch da Tungdil wenig von der Welt jenseits der unterirdischen Stollen Ionandars gesehen hat, sind sie seine einzigen Freunde. Von den Zwergen weiß er jedoch durch seine Lektüre in den vielen Büchern des Zauberers. Er hat gehört, von den fünf Stämmen, die das Geborgene Land beschützen sollen, gebe es kaum noch welche.

Lot-Ionan gibt ihm einen wichtigen Auftrag, der ihn weit, weit fort von Zuhause führen wird. Nachdem er ihn daran erinnert hat, dass ein paar Kobolde vor 62 Sonnenzyklen Tungdil von den Vierten gebracht hätten, als er erst ein Jahr alt war, gibt er ihm einen Rucksack voller Artefakte und einen Brief für den Empfänger mit. Gorén, ein ehemaliger Schüler Lot-Ionans, lebe jetzt auf dem Tafelberg Schwarzjoch, etwa 300 Meilen im Nordwesten. Der Zauberer gibt ihm eine Landkarte und gute Wünsche mit, und Frala gibt ihm ihr Halstuch. Mit dem Proviant, den sie ihm als Küchenmagd abzuzweigen wagt, macht er sich auf den Weg an die Oberwelt.

Das Geborgene Land

Man schreibt den 6234. Sonnenzyklus, als sich Tungdil im Frühjahr auf den Weg macht. Tungdil ahnt nichts von den Veränderungen, die sich im Geborgenen Land, das ringsum von Gebirgen und Zwergenstämmen beschützt wird, anbahnen. Der Großkönig der Zwerge, Gundrabur Weißhaupt von den Zweiten, hat die Stämme zusammengerufen, auf dass sein Nachfolger gewählt werde. Denn er selbst ist alt und nicht mehr bei bester Gesundheit (man denke an König Théoden vor seiner Verwandlung). Immerhin sind Vertreter der Vierten gekommen, doch die Fünften sind seit 1100 Zyklen verstummt (sie wurden von den Feinden überrannt), von den Ersten kommt eh nie Botschaft und von den Dritten Lorimburs ist nichts Gutes zu erwarten: Man nennt die Dritten „Zwergentöter“.

König Gandogar Silberbart ist der aussichtsreichste Kandidat für die Thronfolge, und er weiß es wohl. Sein intriganter Berater Bislipur hämmert es ihm ja jeden Tag ins Hirn, dass nur Gandogar geeignet sei, Gundrabur zu beerben. Allerdings hat der Großkönig einen klugen und scharfsinneigen Berater namens Balendilín Einarm, der Gandogar und besonders Bislipur misstrauisch beobachtet. Bislipur besitzt einen kriecherischen Sklaven, den er an einem Halsband herumführt: Swerd, den Gnom. (Man denke an Gollum.) Und dieses Wesen erledigt Aufträge, von denen Balendilín nichts ahnt.

Soll die Herrschaft über die Stämme der Zwerge einem solchen Mann in die Hände fallen? Nie und nimmer! Balendilín und Gundrabur wurden von Lot-Ionan darüber informiert, dass bei ihm ein Zwerg namens Tungdil von den Vierten lebe. Auf diesen Mann konzentrieren sich nun die Pläne der beiden. Sie präsentieren Tungdil kurzerhand als Gegenkandidaten, und sie hätten auch schon Kundschafter ausgeschickt, um ihn holen zu lassen, auf dass Tungdil seinen Anspruch gegen König Gandogar verteidige.

Dass Tungdil noch nichts von seinem „Glück“ weiß, macht ja nichts, Hauptsache, der Großkönig gewinnt Zeit. Er kann nicht zulassen, dass Gandogars Pläne, gegen die Elben in den Krieg zu ziehen, Wirklichkeit werden. Denn gegen die Feinde, die ungehindert durchs Geborgene Land ziehen, hilft seiner Ansicht nach nur ein Bündnis aller verbliebenen Guten, also von Zwergen, Menschen und Elben.

Das Tote Land

Denn überall, wo der Feind seine Herrschaft errichtet, breitet sich das Tote Land aus. Hier herrschen unnatürliche Verhältnisse. Nicht nur, dass hier niemand der ursprünglichen Bewohner mehr lebt und Alben, Orks und Oger ungehindert umherstreifen. Nein, auch der Tod ist nicht mehr das, was er mal war. Der Zauber des Feindes bewirkt, dass die Toten wiederauferstehen, aber als Untote, als Zombies, die dem Kommando des Feindes unterstehen. Der Feind ist Nod-onn, und seine Stellvertreter sind die Albae: Dunkelheit verbreitende Ex-Elben, deren Augen schwarze Löcher sind. Sie wurden den Fünften zum Verhängnis, und deren Torfestung Drachenbrodem fiel in ihre Hände. Nun haben sie eigene Königreiche errichtet, von denen aus sie die der Menschen angreifen. Da die Menschen durch Erbfolgestreitigkeiten uneins sind, regt sich kein effektiver Widerstand.

Tungdils Irrfahrt

Als unser Held Tungdil also zum Berg Schwarzjoch marschiert, warten also jede Menge Gefahren auf ihn. Er ist ein Gelehrter, der die Welt aus der Theorie kennt. Nun greift sie mit allen Zähnen nach ihm, die sie hat. Schon im ersten Dorf, in dem er übernachtet, erscheinen nachts zwei Albae am Fenster. Ein Pfeil saust durchs Bettenlager, der für die beiden Boten des Rates der Magier bestimmt ist. Der Magierbote klärt ihn auf, was los ist, dann ziehen alle wieder ihres Weges. Tungdil wünschen den Langen viel Glück.

Doch als er in seinem Nachtquartier im Geäst einer Eiche von einem merkwürdigen Gestank erwacht, merkt er, dass der Baum von einer Orkhorde umlagert ist. Sie haben ihn noch nicht bemerkt. Die Orks braten das Fleisch der Soldaten des Königs Tilogorn am Lagerfeuer und schwatzen davon, was sie mit dem nahen Dorf vorhaben. (Der gelehrte Tungdil versteht auch Orkisch.) Da kommen die zwei Albae aus eben diesem Dorf, Sinthoras und Caphalor. Tungdil wird ihnen noch öfters über den Weg laufen. Die Albae bringen Botschaft von Nod-onn, wonach derjenige Orkhauptmann, der die meisten Menschen tötet, das größte Land bekommen soll. Sinthoras gibt den Orkhauptleuten drei Zaubersteine zum Schutz vor feindlichem Zauber. Sobald die Albae fort sind, beschließen die Orks, sie zu hintergehen. So sind Orks eben.

Klammheimlich steigt Tungdil von seiner Eiche und macht sich auf den Weg durch den Wald, um die Menschen im friedlichen Dorf zu warnen. Doch unversehens gerät er in eine Wolfsfalle. Nachdem er sich befreit hat, humpelt er anderntags weiter. Ob er noch rechtzeitig eintrifft? Der Rauch, der über dem Ziel emporsteigt, verheißt nichts Gutes…

Mein Eindruck

Dem kritischen Fantasykenner bietet dieser Auftakt zur Zwergentrilogie nur wenig Neues. Wer seinen Tolkien vorwärts und rückwärts kennt, der kennt die wichtigsten Figuren bereits: Kopien von Saruman (Nudin als Nod-onn), Gandalf (Lot-Ionan), Bilbo Beutlin / Gimli (Tungdil), Gollum (Swerd), Gríma Schlangenzunge (Bislipur) und König Théoden (Großkönig Gundrabur), die Nazgûl (Albae) sowie ein vielgestaltiges Bestiarium vermitteln hingegen dem reinen Liebhaber, der nur das Gleiche vom Alten haben will, ein Gefühl des Wiedersehens mit alten Bekannten.

Die Magier

Aber der Autor ist kein reiner Kopist. Er holt den Leser dort ab, wo Tolkien ihn hat stehen lassen und führt ihn dann zu einigen neuen Konzepten und Elementen. Was im „Herr der Ringe“ nur angedeutet wurde, ist beispielsweise der Rat der Zauberer. Bei Tolkien sind sie Verbreiter des Wissens der Valar, der engelsgleichen „Mächte“. Bei Heitz haben die Magier hingegen Charakteristika der Valar selbst angenommen, ohne jedoch deren große Macht zu erben. Da ist die Hüterin, die Stürmische, der Geduldige, der Schöne – und natürlich der Wissbegierige: Nudin. Er entspricht Saruman, dem Verräter. Und weil Sauron nicht vorkommt, bedient sich der Autor eines Kniffs: Nudin wurde von einem bösen Dämon in Besitz genommen. Dass Nudin mit dessen Macht das Geborgene Land gegen einen Angriff aus Westen wappnen will, nimmt ihm keiner ab. Pech gehabt, aber vielleicht steckt doch mehr dahinter, als die Zauberergilde wahrhaben will.

Die Zwerge

Tolkien hat uns zwar jede Menge Namen von Zwergen hinterlassen und auch ihre Entstehung und Eigenart geschildert (im „Silmarillion“), doch ihren eigentlich positiven Daseinszweck außer Acht gelassen. Bei Heitz haben die fünf Stämme den göttlichen Auftrag erhalten, das Geborgene Land zu schützen, obwohl offen bleibt, was sie eigentlich davon haben (außer Rohstoffen für ihr gutes Bier). Das Bild, das von diesem Volk gezeichnet wird, deckt sich fast hundertprozentig mit dem, das Tolkiens Erzählungen liefern. Einzige Ausnahme sind die Zwergenfrauen. In Jacksons Verfilmung wird die Frage nach den Zwergenfrauen humoristisch-ironisch im zweiten Teil aufgegriffen. Bei Heitz wird der Leser bzw. Hörer endlich auch richtige Zwergenfrauen kennen lernen, und – oh ja! – sie sind äußerst charmant. Sogar so charmant, dass Held Tungdil eine davon zur Frau nehmen wird.

Die Frauenquote

Apropos Frauen – ein recht düsteres Kapitel bei Tolkien. Die einzige Dame, die halbwegs auf dem Erdboden lebt, ist Sam Gamdschies Frau Rosie, die Tochter des Wirts in Hobbingen. Es gibt noch drei weitere Frauen, doch Galadriel und Arwen schweben über den Dingen. Galadriel, schlappe zehntausend Jährchen alt, wird in den Westen gehen, und Arwen kommt im „Herr der Ringe“, anders als im Film, überhaupt nicht vor (nur in den Anhängen). Bleibt also Eowen, das „Pferdemädchen“ – so lautet ihr Name in der Sprache der Rohirrim. Und es verwundert nicht, dass sie sich als Mann verkleiden muss, um in dem Krieg, der über ihr Schicksal entscheidet, ein Wörtchen mitreden zu dürfen.

Die Frauenquote sieht bei Heitz sehr viel besser aus. Die Zwergenfrauen habe ich bereits erwähnt, es gibt sogar eine Königin, man höre und staune. Die Zauberinnen werden jeweils Maga genannt, und Andokai, die Stürmische, nennt einen Göttersohn ihren Leibwächter. Sie stellt sich als ebenso wichtige Wissende wie auch Kämpfende heraus wie ihr dunkleres Gegenstück, die Halbalbin Narmora. Beide sind bereit, sich für das höhere Ziel, das Geborgene Land zu retten, zu opfern. Sie stehen darin den männlichen Protagonisten in nichts nach. Das finde ich sehr positiv.

Der Held

Eine Figur, die besonderes Interesse verdient, ist stets die des Helden. Welche Eigenschaften will der Autor anhand dieser Figur propagieren, sollte man sich stets fragen. In den Serienproduktionen der Vielschreiber wimmelt es von Wüterichen à la Conan, doch interessant wird es erst, wenn der Held einen Makel an sich entdeckt. Conan ist schwermütiger Bursche, der nur kämpft, wenn er muss (und dass muss er oft, denn so will es sein Schöpfer). Elric von Melniboné würde am liebsten den Geist aufgeben, doch seine Seele gehört seinem schwarzen Schwert Sturmbringer, und das hat andere Pläne.

VORSICHT SPOILER!

Tungdil muss zu seinem Leidwesen auch ein paar finstere Fakten über seine ungeklärte Herkunft erfahren. Das Märchen, das ihm sein Ziehvater Lot-Ionan auftischte, stimmt offenbar hinten und vorne nicht. Einmal heißt es sogar, er sei ein unehelicher Königssohn der Vierten, was ihn zu einem Untertanen König Gandogars machen würde. Aber auch das ist Käse bzw. eine Notlüge, um ihn zum Mitgehen zu bewegen, und Tungdil ist davon gar nicht erbaut. Die unangenehme Wahrheit scheint vielmehr die zu sein, die ihm sein intriganter Widersacher Bislipur auftischt: Tungdil sei wie er selbst ein Angehöriger der Dritten, die man auch als „Zwergentöter“ bezeichnet. Und kein rechtschaffener Zwerg will etwas mit einem der Dritten zu tun haben. Tungdil verschenkt seinen Königsanspruch stante pede an den Rivalen Gandogar und macht sich daran, den wahren Widersacher zu töten: Nod-onn.

Es ist ein äußerst fieser Einfall, den Helden auf diese Weise zum Werkzeug des Schicksals zu machen. Aber man erinnere sich an Frodo und Gollum im Schicksalsberg: Hier zeigt sich, dass es Gollums bedarf, um Frodo aus dem Wahn des Ringbesitzes zu befreien. (Will heißen, Gut und Böse gehören zusammen und bedingen einander.) Hinsichtlich Tungdils Schicksal ist die Ironie nicht geringer. Die rettende Feuerklinge, die die Zwerge in der Festung Drachenbrodem geschmiedet haben, entfaltet ihre spezielle Magie erst dann, so die Prophezeiung, wenn „ein Feind der Zwerge sie führt“. Bei Zauberin und Albin versagt die Klinge, und es ist ausgerechnet Tungdils Eigenschaft, ein „Zwergentöter“ zu sein, die ihn in die Lage versetzt, den größten Feind der Zwerge zu töten – nicht zuletzt zu seinem eigenen Erstaunen. Was natürlich seinen Zweifel widerlegt, ein Angehöriger der Dritten zu sein. Bislipur hatte Recht. Wird ihn jetzt noch irgendjemand lieben? Daumen drücken, Leute!

ENDE SPOILER

Heldentum und Theater

Das Finale, das in Schwarzjoch stattfindet, kann es zwar nicht mit der epischen Schlacht auf den Pelennorfeldern aufnehmen, ist aber auch nicht zu verachten. Es erinnert eher an die finale Schlacht der fünf Völker, die am Schluss von „The Hobbit“ stattfindet. Wie auch immer, der Held entpuppt sich als der, für den wir ihn schon immer gehalten haben: ein Schlaukopf und Kämpfer, der sich erst noch in die ihm – von Schicksal oder Schöpfer – zugewiesene Rolle hineinfinden muss.

Damit ihm so viel Heldenruhm nicht zu Kopf steigt, gibt es etliche Verweise auf Heldengeschichten, auf die sich Tungdil selbst stützt. Er verschweigt geflissentlich, dass die spezielle Geschichte, die ihn auf einen genialen Plan gebracht hat, nicht besonders gut für den Helden ausgeht. Der gibt darin nämlich den Löffel ab.

Ein weiteres heldenkritisches Element bilden die begeisterten Kommentare von Rodario, dem Theaterregisseur. Bezeichnenderweise nennt er sein Theater nicht nach den ollen Griechen, sondern bezeichnet es als „Kuriosum“, also lateinisch. Folgerichtig nennt er die Zuschauer „Spectatores“. Und wenn er Zeuge von Heldentaten wird, wie sie Tungdil & Co. vollbringen, so bricht er in Begeisterungsstürme aus. Äh, aber an manchen Stellen müsste man noch ein paar Dinge ändern, denn sie widersprechen der Zuschauererwartung. Und einige Statisten, wie etwa eine tobende Orkhorde, könnten sich als zu kostspielig in der Produktion erweisen.

Auf diese Weise lässt der Autor durchblicken, dass auch die Geschichte, die er erzählt, a) nur ein Schauspiel ist und b) möglicherweise dazu inszeniert wurde, den Spectator zu unterhalten. Folglich könnte es sein, dass der Erzähler ein paar, ähem, „Verschönerungen“ der etwas banaleren Wirklichkeit vorgenommen haben könnte. Cum grano salis.

Das Booklet

Es ist zwar nicht umfangreich, aber sehr informativ. Die erste Doppelseite listet alle wichtigen Figur auf, die im Verlauf der Handlung auftauchen oder erwähnt werden: Die fünf Zwergenstämme, die Menschen inklusive Magier und schließlich Die Anderen: Albae, Orks, ein Elbenfürst und ein Gnom.

Um all diese Völkerschaften und Institutionen wie etwa die Zauberreiche geographisch zuordnen zu können, zeigt die nächste Doppelseite zwei Landkarten dar. Diese tauchen in der Erzählung hin und wieder auf. Was auf den ersten Blick ein wenig verwirren könnte, ist die zweimal auftauchende Bezeichnung „Das Geborgene Land“. Der Unterschied zwischen den zwei Karten: Zunächst gibt Karte A den großen Überblick über die Lage der Königreiche im Geborgenen Land sowie über die Lage der fünf Zwergenstämme. Unübersehbar ist ein grauer Krake in der Mitte des Landes. Dies sind die Zauberreiche. Ihnen ist die Karte B gewidmet. Da sie einen größeren Maßstab hat, erkennt man auch die Elbenreiche, das Reich der Albae und die Region, wo sich die Orks festgesetzt haben.

Die dritte Doppelseite zeigt Werbung für weitere Hörbucher des Verlags und die letzte Seite Informationen über Autor, Sprecher und Macher. Insgesamt bietet das Booklet unentbehrliche Informationen, um den Überblick über die Vielfalt der Namen nicht zu verlieren. Insbesondere bei den Namen der Zwerge, die fast alle ein B oder G aufweisen, kann man sich leicht vertun. Ein Blick in die Liste verschafft dann wieder Klarheit.

Der Sprecher

Johannes Steck gelingt es, die Figuren, die durch die von Tolkien vorgegebenen Klischees geprägt sind, sehr gut zum Leben zu erwecken. Er schafft es nämlich, durch die Modulation seiner Stimme jeder Figur ihre passende Charakteristik zu verleihen. Das beginnt schon bei den Zwergen, wo es zwar fast nur tief sprechende Männer gibt, aber eben auch zwei Frauen, und die reden ganz anders.

Jeder männliche Zwerg ist unterscheidbar: Der Großkönig Gundrabur Weißhaupt von den Zweiten hat die tiefste, raueste und etwas altersheisere Stimme. Sein intriganter Widersacher Bislipur klingt ebenso heiser und tief, aber eben auch verschlagen statt majestätisch. Bavragor, der Steinmetz, macht seinem Schimpfnamen als „singender Säufer“ alle Ehre, und der furchtsame Goimgar klingt wie ein richtiges Weichei – es sei denn, er eilt seinem König zu Hilfe.

Am normalsten klingen noch König Gandogar Silberbart von den Vierten und Balendilín Einarm von den Zweiten. Der Zwerg, durch dessen Augen wir fast alle Szenen verfolgen, ist natürlich der Held, Tungdil. Und er klingt fast genauso wie der Erzähler, also völlig „normal“. Am besten gefiel mir der Zwergenkrieger Boindil Ingrimmsch, der sich über jede Gelegenheit, einen Ork niederzumachen, tierisch freut. Er hat für Tungdil den einen oder anderen bissigen Kommentar auf der Zunge.

Natürlich gibt es noch jede Menge anderer Wesen. Was kann man von einem hirnlosen, gierigen Ork schon anderes erwarten als eine hirnlose, gierige Sprechweise? Von Orks, Golems und Boglings ist schon gar kein vernünftiges Wort zu erwarten. Das machen die Furcht erregenden Alben mehr als wett, wenn sie sich mit drohenden Worten an ihren Opfern vergreifen. Tungdil gerät in die Klauen eines solchen Wesens.

Sind die Alben die dunkle, seelenlose Abart der Elben, so sollte man erwarten, dass die Elben wahre Lichtgestalten sind. Blond, blauäugig und hübsch – so werden sie geschildert, aber für die „Spitzohren“ haben die Zwerge (man denke an Legolas und Gimli im Rat Elronds) von jeher nur Spott und Verachtung übrig, wenn nicht sogar regelrechten Hass.

Irgendwo dazwischen stehen die Menschen. Die bemerkenswertesten unter den „Langen“, wie die Zwerge sie nennen, sind die Zauberer und die Schauspieler. Die Zauberer werden alsbald von dem Verräter Nudin bzw. Nod-onn dezimiert, den der Sprecher als Ausbund an Verkommenheit darstellt. Der gute Zauberer Lot-Ionan, ein Kollege von Gandalf dem Grauen (nicht dem Weißen), ist ein Ausbund an Sanftmut und Geduld, wenn wir ihn mal kennen lernen, was nur selten geschieht. Er kann es mit Nudin, der Saruman-Kopie, nicht aufnehmen.

Die Schauspieler sind Rodario, der Chef der Truppe, sodann Furgas, sein „Techniker“, und dessen Geliebte Narmora, eine Halbalbin, die als Mimin auftritt. Es ist Rodario, der wie Boindil einige herrliche Kommentare beisteuert, die dem ganzen heroischen Geschehen den einen oder anderen ironischen Aspekt abgewinnen. Wie es sich gehört, hat Rodario eine wunderbar theatralische Redeweise – er ist eben der Größte. Im Finale gibt es wenig für den Leser zu lachen, aber Rodario ist die einsame Ausnahme.

Insgesamt legt Steck eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit in seinem stimmlichen Ausdruck an den Tag, und da er am Schluss des Hörbuchs die Fortsetzung „Der Krieg der Zwerge“ in Aussicht stellt, dürfen wir uns bald wieder an seiner Sprachkunst erfreuen.

Das Hörbuch verfügt weder über Geräusche noch über Musik, aber dafür hat es ein informatives Booklet – siehe oben. Weil viele der CD-Schlüsse einen Cliffhanger aufweisen, will man sofort wissen, wie es weitergeht. Daher war es für mich überhaupt kein Problem, die 14 Stunden Hörzeit hinter mich zu bringen. Das kann ich nicht von jeder Hörbuchproduktion behaupten.

Unterm Strich

Dass die Zwerge zu einem Heldenepos taugen, habe ich schon immer geahnt, seit ich den „Hobbit“ gelesen hatte. Und Peter Jacksons formidable Verfilmung des „Herrn der Ringe“ ließ Gimli, den Zwerg, richtig gut zur Geltung kommen. Gimli mag zwar etwas ungehobelt daherkommen und etwas gegen die allzu hübschen Elben haben, aber dafür ist er offensichtlich bodenständig und mit einem Humor ausgestattet, mit dem man sich anfreunden kann. (Aber seine Erklärung zu den Zwergenfrauen hat ihm natürlich keiner abgenommen.)

Was uns Tolkien verschwieg, erfahren wir nun zum Teil von Markus Heitz. Der Auftaktband zu seiner Zwergentrilogie führt uns eine halbwegs eigenständige Welt vor Augen, in der sich ein Drama von weltbewegenden Dimensionen durchaus abspielen kann. Allerdings fielen mir jede Menge Imitationen von Tolkiens Ideen in „Der Herr der Ringe“ auf. Ich habe sie oben erwähnt. Es ist, als hätte der Autor versucht, krampfhaft von dieser übermächtigen Vorlage wegzukommen, aber dabei nur begrenzt Erfolg gehabt. Das kann aber auch Absicht sein: Der Leser erwartet einfach mehr à la Tolkien, und voilà!, das bekommt er auch.

Das Finale von „Die Zwerge“ ist angemessen dramatisch und actionreich. Es erinnert an die Schlacht von Helms Klamm und zugleich an das Finale von „The Hobbit“. Der Held entwickelt sich von einem relativ ahnungslosen, aber rechtschaffenen Gelehrten zu einem Menschenführer und Kämpfer, der die Entscheidung herbeiführt. Dass er dabei eine unangenehme Wahrheit über sich erfahren muss, macht ihn mehr als eindimensional und lässt auf eine weitere Entwicklung hoffen. Einen Ausgleich schafft sicherlich die Liebe. (Ich habe einen Großteil der Handlung verschwiegen, um die Spannung nicht zu zerstören, so etwa die Methode, mit der es Tungdil & Co. gelingt, den Widersacher Nod-onn zu besiegen.)

Der Prolog verhieß bereits jede Menge Unheil, das sich dann auch bewahrheitete. Dementsprechend ominös muss auch der Schluss des vorliegenden Bandes ausfallen. Rote Sterne fallen vom Himmel, als wären diese Welt die Drachenwelt Pern. Vielleicht ist wirklich was dran an Nudins Behauptung, es drohe eine Gefahr aus Westen. (Bei Tolkien droht sie immer aus dem Osten.) Fortsetzung folgt also: „Der Krieg der Zwerge“. Der dritte Band trägt den Titel „Die Rache der Zwerge“.

Das Hörbuch

Alle drei Teile finden in Johannes Steck einen kompetenten Sprecher, der es versteht, die einzelnen Figuren wiedererkennbar zu charakterisieren und die Szenen mit der angemessenen Dramatik oder mit Humor darzustellen. Ich hätte so manchen Satz anders betont, aber dieses Element liegt völlig im Ermessen des Sprechers. Nur wer genau hinhört, wird auf Details wie falsch ausgesprochene Name stoßen, beispielsweise „Drachenbodem“ statt „Drachenbrodem“ sowie „Balyndis“ statt „Balindys“ usw. Insgesamt ist das Hörbuch eine ausgezeichnete Leistung des Sprechers und der Aufnahmeleitung, und das Booklet erweist sich als unentbehrlich, um den Überblick nicht zu verlieren.

14 Stunden auf 11 CDs
ISBN-13: 9783899032697

http://www.HoerbucHHamburg.de

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